Was ist, wenn man während fast 5000 km keinem einzigen Touristen begegnet, der ebenfalls mit einem eigenen Fahrzeug unterwegs ist? Das Routing über die drei kleinen Nordstaaten British Guyana, Suriname, Französisch Guayana, in denen das Leben viel mehr an die Karibik erinnert als an Südamerika, wird nur selten befahren. Tatsächlich habe fast niemand ausser Einheimischen angetroffen. Vor allem dort hinzukommen, war eine Herausforderung, denn wegen der etwas früher einsetzenden Regenzeit waren wieder einige schlammige Partien mit fast 500 km ziemlich übler Piste zu bewältigen. Zudem wurde ich herausgefordert, weil ich gleich mehrere technische Pannen ohne die Hilfe eines Partners zu lösen hatte. Während 100 km wurde ich meine Yamaha wieder einmal mit einem brasilianischen Lastwagen transportiert.
Nachdem ich den vielarmigen Amazonas noch ein weiteres Mal per Fähre zu überqueren hatte, befinde ich mich jetzt an der Nordküste Südamerikas in Brasilien, habe den Dschungel endlich verlassen und bin endlich fündig geworden nach einem Strand kombiniert mit warmem Wasser. Die Sanddünen des Lençois Maranhenses Nationalpark habe ich in einem traumhaften Trip auf eigene Faust zusammen mit Jessy erobert, die ich bereits in São Luiz, einer charmreichen, altportugiesischen Kolonialstadt wieder getroffen habe.
Weil die lateinische Kultur der ohnehin grossartigen Vielfältigkeit Südamerikas aufgezwungen wurde, fühlt man sich heute in diesen Ländern etwas heimischer als in den asiatischen Ländern. Immer wieder stösst man auf alte Gebäude, die einen an südeuropäische Städte erinnern. Hier in Manaus ist es bestimmt das Teatro Amazonas, das erhaben an einem lauschigen Platz auf einer leichten Erhöhung der Stadt liegt. Es war ein Glücksfall, dass genau heute Abend Verdis La Traviata gespielt wurde, sodass ich schon am Nachmittag zwei Tickets ergatterte, die mich erstaunlicherweise nur je 20 Reales kosteten (6 Fr.).
Jessy besuchte heute den botanischen Garten, von dem sie nicht begeistert zurückkehrte, ich widmete mich der Aktualisierung meines Blogs Teil 37 und vergnügte mich danach mit den vielfältigen Reaktionen. Aber nicht alle Mitteilungen waren leicht verdaulich. Judith, die ich vor bald zwei Jahren zusammen mit PJ noch in Thailand auf einer Insel getroffen hatte und die ich noch vor meiner Wiederabreise vor einem Jahr besucht hatte, ertrug ihre schwere Krankheit offenbar nicht mehr und nahm sich vor einer Woche das Leben. Da fragt man sich dann, warum mein manchmal etwas risikoreiches Leben so rund verläuft und wie man dies nur verdient hat.
Leider konnte ich Jessy nicht zur einer Mitreise Richtung Norden überreden. Vielleicht ist dies ja vernünftig, weil es wohl zu schwierig wäre, die Lehmpisten Richtung Guyana zu zweit zu bewältigen. Da kam es gerade recht, zum Abschluss einen gediegenen Abend im Theater zu verbringen und sich mit der tragischen Liebesgeschichte Violettas und Alfredos zu beschäftigen. Wir waren etwas underdressed, das Theater war beinahe bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Oper Verdis wurde nicht wirklich inszeniert, aber dafür waren die Intonationen der Hauptrollen sehr überzeugend. Es ist ja schon der Wahnsinn, sich nach Wochen im Dschungel wieder mit europäischer Kultur zu beschäftigen. Lange habe ich keine Oper mehr gesehen und gehört, die mir aber ausgezeichnet gefallen hat.
Km: 82‘555 (0)
Ich fuhr Jessy am Morgen per Töff zum Hafen, wo sie ein Ticket nach Santarem kaufte. Natürlich überlegte ich mir schon, sie dorthin zu begleiten, aber die Lust, die drei Guyanas im Norden zu besuchen, war grösser, sodass es erneut galt, Abschied zu nehmen.
Ich machte mich dann zu Fuss auf die Suche nach Schleifpapier, denn mein Kühler leckt wieder, und meine gestern durchgeführte, provisorische Flickaktion ist nicht wirklich perfekt gelungen. Aber ich fand keine Ferreteria. Erst als ich zurück im Hostel war, verstand mich der Tourguide auch wirklich, was ich ihn heute Morgen gefragt hatte. Innert Kürze kam er mit einem Bogen 80-er-Papier zurück, sodass ich mich jetzt professionell meiner Maschine widmen konnte. Das abdichtende Metallplättchen wurde entfernt, gereinigt und geschliffen und schliesslich per Poxipol wieder heftig verklebt. Beim Wegnehmen meines Silberkoffers stellte ich fest, dass die Halterung ausgerissen war, die jetzt gleich auch noch geleimt wurde. Und einmal mehr klagte der rechte, hinter Blinker über Erektionsstörungen, den ich mich Klebeband einmal mehr wieder vernünftig in Form brachte.
Ich begann mein Gepäck wieder umzurüsten, weil ich wieder alleine unterwegs sein werde. Das Optimieren nahm viel Zeit in Anspruch, meine Machete ist jetzt perfekt hinter dem Silberkoffer montiert, ist aber gleichwohl schnell griffbereit, wenn es dann einmal notwendig ist. Am Abend war ich alleine im Casa de Pensador, die Pizza war gleich gut, die nette Begleitung fehlte etwas.
Aber es ist klar. Hier hält mich nichts mehr. Morgen geht das Abenteuer weiter – wieder alleine, wieder etwas anspruchsvoller…
Km: 82‘560 (5)
Urwald ist nicht Urwald. Es gibt genau eine Strasse, die von Manaus Richtung Norden führt, die einzige, die in die Welt führt, ohne eine Amazonas-Fähre benutzen zu müssen. Aber auch diese wird momentan nur wenig benutzt, weil die Grenze nach Venezuela wegen der momentan schwierigen politischen Lage geschlossen ist und der Fahrweg nach Guayana mich dann schon noch genug früh herausfordern wird…
Ich liege alleine am Feuer, habe wieder einmal Pasta gekocht, diesmal nur eine einfache Portion (die leider nicht halb so viel Arbeit gibt). Ich befinde mich im tiefsten Dschungel, allerdings nicht weit entfernt von der BR174, die in der Nacht offenbar noch weniger benutzt wird als am Tag. Aber warum sollte es hier auch Verkehr haben? Nur eine Stadt im Norden – Boa Vista – ist über diese erstaunlicherweise ausgezeichnet ausgebaute, geteerte Strasse verbunden. Die Melodie des Urwaldes unterscheidet sich von derjenigen am Fluss gewaltig. Zwar sirren auch hier die Zikaden. Aber es hat wiederum ganz andere Vögel, die diesen Teil des Amazonas-Urwaldes bewohnen. Auch der Jaguar wohnt hier, der aber den Menschen meidet. Auf dem Weg begegnete mir ein Liliputaner-Äffchen, das hurtig die Strasse überquerte, weil es sich durch meinen Motorenlärm wohl bedroht fühlte, später zwei blaue Riesenpapageien (Aras?), die auf einem abgestorbenen Baum sich von ihren Flugübungen erholten. Die fremdartigen Palmen spiegelten sich im schwarzen Wasser eines Urwaldsees. Der Balbina-Staudamm hat weite Gebiete des Dschungels überflutet. Wenig später stolzierte eine noch nie gesehene Vogelfrau über die Fahrbahn und verschwand im nahen Dickicht. Auf der Strasse ist man wieder näher am Geschehen des Waldes, der hier im perfekten Gleichgewicht zu sein scheint. Ein einziges Moskito hat mich hier in den Fuss gestochen, die scheinen hier angenehm viele Feinde zu haben und erscheinen während der Dämmerung nicht in jenen Scharen, wie ich mich das gewohnt bin. Auf jeden Fall liege ich noch draussen am Feuer und geniesse die warmen Temperaturen, eine feine Waldbrise sorgt allmählich für angenehme, leichte Abkühlung. Ich bin wieder in jener Wildnis angekommen, die ich so liebe. Deren Qualität ist vervielfacht, weil ich sie vollkommen auf eigene Faust geniesse. Ich vermisse die Schlangen, Ameisenbären, Sumpfotter, Spinnen, über deren Besuch ich mich freuen würde, die haben halt viel mehr Angst vor mir als ich vor ihnen.
Immerhin entdeckte ich heute gleich mehrere riesige Spinnen in den Höhlen von Maroaga, die ich auf dem Weg nach Norden besuchte. Kurz vor Presidente Figueiredo nahm ich die Abzweigung Richtung Balbina und traf bereits nach sechs Kilometern auf ein brasilianisches Paar, die ich auf der geführten Wanderung zu den Höhlen begleitete. Der Spass kostete mich auch so noch 10 Fr., aber der Spaziergang war doch ganz nett. Immerhin erreichten wir die zweitgrösste Höhle Brasiliens bereits nach einer halben Stunde. Aber nur auf den ersten hundert (von fünfhundert) Metern darf man die Höhle auskundschaften – halt ein netter Touristentrip. Noch besser gefiel mir der nahe, durch Sedimentablagerungen hellbraune Tümpel mit herrlich frischem Wasser, der nur über einen Dschungelbach erreichbar ist. Die beiden Brasilianer hätten mich am liebsten auch für den morgigen 5-km-Walk zu einigen Wasserfällen dabei gehabt, ich zog es jedoch vor, nochmals einige Kilometer nach Norden zu fahren. Ich passierte einige weit angelegte Rinderfarmen, bevor der Dschungel wieder das Szepter übernahm, indem ich jetzt in einer ideal zugänglichen Lichtung im Wald mein Zelt aufgestellt habe. Es ist keinesfalls ruhig hier, aber der Sound des Dschungels wird mich bald in den Schlaf wiegen.
Km: 82'887 (327)