Teil 36: Ecuador II - Kolumbien und der grosse Flossbau

Seit bald einem Monat sind wir daran, unser Floss fluss- und reisetauglich zu machen.  So lange sind wir auch schon einquartiert im Casa Witoto in Coca (Puerto Francisco de Orellana) in Ecuador,  deren Familienmitglieder im Tourismus arbeiten, uns mit vielen Ratschlägen versorgen und uns vor allem einen idealen Bauplatz im Rio Payamino zur Verfügung stellen konnten. Unser Floss ist unterdessen ein kleines Monster, 12 m lang und 5 m breit, aber vielleicht auch ein bisschen ein Bijoux, obwohl die letzten Verschönerungsarbeiten noch anstehen.
Noch vor drei Tagen stellten wir diese etwas wahnsinnige Reise selber in Frage, als ein Kardan-Gelenk der Antriebswelle brach und sich zudem der Motor massiv überhitzte, sodass Sattel und Seitenabdeckung zu schmelzen begannen... Jetzt wird der Motor wassergekühlt durch Druckwasser, das hinter der Schiffsschraube via Schläuche zum Motor gepumpt wird.

Die gestrige Probefahrt verlief erfolgreich. Heute kümmerten wir uns um das viele Benzin, das wir mitnehmen werden - 800 Liter! Zum Glück kostet hier das Benzin weniger als 50 Rappen pro Liter.

Wir hoffen, den Bau am Wochenende abzuschliessen und endlich zu starten - bis zur ecuadorianisch-peruanischen Grenze noch zusammen mit Freddy, dem Sohn Witotos. Ungeführt würden wir wohl im Gefängnis landen - und dies wollen auch wir nicht...
Auf den nächsten Blogteil musst du wohl einige Zeit warten. Wir schätzen, dass wir ein bis zwei Monate auf dem Rio Napo und dem Amazonas unterwegs sind. Wer weiss, ob wir es tatsächlich bis Manaus/Brasilien schaffen.

Di, 25.07.2017: Su Velocidad 62, 93, 78..

Irgendein ecuadorianischer, übers Geld mächtiger Verkehrsminister hat die abstrus-geniale Idee gehabt, das ganze Land mit den auch bei uns bekannten, häufig bei Dorfeingängen gestellten, netten Digitaltafeln, die einen auf (zu hohe) Geschwindigkeit aufmerksam macht, zu überdecken. Der gute Mann hat allerdings nicht daran gedacht, dass solche Einrichtungen auch Service benötigen. Zwar werden sie dank einer Fotovoltaik-Zelle weiterhin mit Strom gefüttert, aber die meisten Digitalzellen der Tafeln funktionieren nicht mehr, sodass keine Zahl mehr zu erkennen ist, oder dann ist man vermeintlich ganz abenteuerlich unterwegs. Innerhalb eines Meters habe ich zum Beispiel mein Tempo von 62 auf 93 km/h erhöht, um gleich wieder auf 78 km/h abzubremsen. Natürlich kümmert sich kein Einheimischer um diese ohnehin nicht mehr funktionierenden Geschwindigkeitsvorschriften, denn hier wird südamerikanisch gefahren, und dies ist auch in Ecuador zügig und aggressiv.

Nach dem Auschecken heute Morgen fuhren wir in Guayaquils Stadtzentrum und genossen diesen Fahrstil (den ich mir dann zu Hause möglichst schnell wieder abgewöhnen muss), weil Sam in einer DHL-Büro seine fünfhundert Gramm schweren Carnet de passage in die Schweiz senden wollte, damit er bald in den Besitz der 3000 Franken Hinterlegung kommen kann. Teure Sendung: 75 US$! Ich suchte in dieser Zeit einen Yamaha-Händler auf, wo ich meinen rechten Seitenspiegel ersetzen wollte. Der Originalspiegel für 63 US$ war glücklicherweise nicht an Lager, sodass ich mit einem billigen Ersatzmodell für 11US$ versorgt wurde.

Es war schon beinahe wie gewohnt hochneblig trüb, aber mild an diesem Tag. Wir verliessen die grösste Stadt des Landes Richtung Norden. Es war eine wenig sehenswerte Fahrt in einer recht dicht besiedelten Region. Auch hier lagen Abfälle am Strassenrand, aber es war lange nicht so schlimm wie in Peru. Kurz vor Babahoyo machten wir einen Halt bei einem Schweisser. Eine Stange von Sams Kofferhalterung war gebrochen und lotterte und musste repariert werden. Der Halt nützte auch mir, mein Seitenständer hatte auf der einen Seite einen Riss und wurde ebenfalls in kurzer Zeit geflickt. Kostenpunkt: gratis, beziehungsweise 5 $ Trinkgeld!

Wir passierten einige Zuckerrohr-, Mais- und Reisfelder, bevor die Strasse wieder anzusteigen begann. Dem Pazifik sagten wir definitiv Adieu, und weil es steil aufwärts ging, bald auch dem Nebel, der wie ein Deckel über dem Tiefland hing. Wir erreichten einige schräge, mit Wasserparks (!) bestückte Dörfer, die jetzt wegen der kühleren Temperaturen allerdings stillgelegt waren. Schnell hatten wir wieder 2500 m.ü.M. erreicht, fanden bald einen idealen Lagerplatz oberhalb der Strasse am Rande eines Maisfeldes. Wir waren noch recht früh dran, wollten aber die Kälte in noch grösserer Höhe meiden. Wir sassen lange am Feuer, brieten ein „Swiss Steak“, ich kochte etwas Gemüse dazu. Anden, du hast uns ein weiteres Mal, die Luft ist frisch, aber noch nicht eisig…

Km: 79‘658 (158)

Mi, 26.07.2017: Jesus-Bilder, ein grimmiger Vulkan und ein (reise-)müder Sam

Wie hat Jesus ausgesehen? An diese Frage wurde ich am Morgen gleich mehrmals erinnert, denn die Region um Guaranda ist überraschend dicht besiedelt und mit öffentlichem Verkehr recht gut erschlossen. Unweigerlich überholte ich einige Busse und stellte mir diese Frage immer wieder, weil die Hinterseite mit grossen Jesus-Abbildungen verziert ist. War es wohl wirklich ein langmähniger Mann mit Bart und feinen, gutmütigen Gesichtszügen? Lustigerweise wird der junge Jesus immer mit Locken dargestellt. Wie ist es zur Veränderung gekommen? Jedenfalls glaubt man offenbar daran, dass die Insassen des Busses durch diese Abbildungen besser geschützt sind gegen Unfälle und andere Schicksalsschläge. Ja, kann man glauben…

Die Fahrt am Morgen führte durch appenzellerlandartiges, hügeliges Gelände auf gut ausgebauter Strasse. Allerdings wurden die Hügel allmählich zu Bergen, aber offenbar lässt es sich gut leben hier oben. Die Hügel sind überzogen von Maisplantagen, aber auch Früchte und Gemüse gedeihen hier oben hervorragend. Unser Ziel war der Chimborazo, mit fast 6300 m.ü.M. der grösste Vulkan Ecuadors, der bald nicht mehr zu übersehen war, aber heute aber teilweise von einer langen, weissen Wolkenkappe bedeckt war. Laut Karteninformation gibt es eine Zufahrtsstrasse bis auf 4800 m.ü.M., und diesen Punkt wollten wir erreichen. Je höher wir aufstiegen, desto grimmiger zeigte sich die Umgebung des mächtigen Vulkans. Nur die Vicuñas, die kleinen Lamas, die sich an der wenigen, spärlichen Vegetation auf dem Wüstenboden gütlich tun, schienen die harten Umweltbedingungen nicht zu stören, obwohl einem ein bissiger Wind durch Mark und Bein blies. Die Landschaft hier oben ist höhenbedingt überaus karg und lebensfeindlich. Wir erreichten ein einfaches Besucherzentrum auf über 4350 m.ü.M., wo uns eine Weiterfahrt verwehrt wurde. Dies war aber nicht weiter schlimm, weil es unterdessen eisig kalt geworden war. Ich hatte mich schon vorher genügend gegen die Kälte geschützt, Sam offenbar zu wenig, sodass er nur noch runter wollte von dieser Höhe, vor allem aber auf der Hauptstrasse Richtung Ambato, obwohl eigentlich abgemacht war, über Salinas und kleinere Strassen Richtung Norden zu fahren. Eher widerwillig stimmte ich zu. Aber wir kamen nicht weit, denn wir fuhren geradewegs in eine Regenfront, die Wolken stauten sich offenbar am Gebirge und hatten Lust, sich zu entleeren. Was jetzt? Wir verzichteten darauf, den Regenschutz zu montieren, fuhren zurück (!) auf die regengeschützte Seite des Gebirges und setzten den schon gestern gemachten Plan tatsächlich doch noch um.

Wir erreichten Salinas, einen beschaulichen ecuadorianischen Bergort, in dem wir auf einige Touristen trafen, aber auf keine Tankstelle, womit klar war, dass es eng werden könnte mit dem Benzin in Sams Maschine, die vor allem in der Höhe deutlich mehr Benzin verbraucht, ganz im Gegensatz zu meiner Yamaha, die immer weniger Treibstoff zu verbrauchen scheint. Erwartungsgemäss hörte jetzt die geteerte Herrlichkeit auf, aber der Gravel war gut zu befahren, und wir kamen recht gut voran. Der Weg begann jetzt auf der Lee-Seite der Anden steil abzusteigen. Endlich hatten wir auch in diesem Land eine etwas abgelegene Region erreicht, in der uns die Menschen in den kleinen Dörfern mit Verwunderung anschauten, aber auch immer wieder freundlich begrüssten und uns zuwinkten. Wir tauchten jetzt ab in den Urwald Ecuadors, der immer dichter wurde. El Corazon war das Ziel, das aber auf der anderen Talseite dieser zerklüfteten Bergregion liegt. In unendlich vielen Kehren ging es hinab bis auf 750 m.ü.M., als wir endlich den Fluss im Tal überqueren konnten und auf der anderen Seite wieder steil aufstiegen, um einem Dschungelgrat zu folgen mit Sicht auf gleich zwei Flusstäler. Allerdings hatte uns unterdessen längst der pazifische Nebel wieder eingeholt. El Corazon erreichten wir kurz vor dem Einnachten, aber noch wollten wir 13 km fahren bis zu einem Bach, wo wir von einem iOverlander-Platz wussten. Aber der Fahrweg war jetzt sehr ruppig, dafür die Abendstimmung mit der untergehenden Sonne umso schöner.

Wir campieren an einem wilden, ohrenbetäubenden Bach in der Urwaldwildnis Ecuadors. Genau ein Auto ist vorbeigefahren, seit wir hier sind. Das Feuer brennt, die Hörnli waren gut. Zu diskutieren gab heute die Planung der nächsten drei Wochen. Ich fühlte mich heute etwas gestresst von Sam, der lieber heute als morgen nach Hause zurückkehren möchte (ohne allerdings auf den Flosstrip zu verzichten) und mir deshalb etwas zu zielstrebig unterwegs sein will – und seine Unlust kam just in der Kälte nahe des Vulkans voll zum Ausbruch. Deshalb steht jetzt im Raum, ob Sam schon früher nach San Francisco de Orellana (Coca) fahren wird, um mit dem Bau des Flosses zu beginnen, während ich noch eine dreiwöchige Runde in Kolumbien drehe. Noch ist nichts beschlossen. Bestimmt werden wir morgen Quito zu erreichen versuchen, wo wir hoffentlich unsere neuen Postcards in Empfang nehmen können.

Km: 79‘936 (278)

Do, 27.07.2017: Zwischen botanischem Garten und Eiszeit

Die Greifarme der intensiven Taufeuchtigkeit begannen in den frühen Morgenstunden in dieser Dschungelschlucht allmählich ins Zeltinnere vorzudringen, indem das kondensierte Wasser an der Aussenhülle aufs Innenzelt und somit auf den Schlafsack zu tropfen wünschte. Es dauerte lange, bis die Sonne ihre Strahlen über die steilen Hänge schickte und die feuchten, unterdessen an Spannriemen aufgehängten Zelttücher mit dem Trocknungsprozess anfingen.

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