Teil 37: Der grosse Flosstrip auf dem Rio Napo und dem Amazonas

Viele Freunde und Bekannte fiebern wohl seit einigen Wochen mit mir mit, wie das mit diesem etwas wahnsinnigen Trip per Floss in Amazonien nur herausgekommen ist. Und ich kann mit Freuden mitteilen: Ich lebe noch! Es war wie erwartet das ultimative Abenteuer mit Erlebnissen, die uns dauernd auf Trab hielten. Wir sassen 16 Tage auf Sand fest, weil über Nacht der Wasserstand des Flusses um einen Meter zurückging. Es war nicht klar, ob wir hier überhaupt je wegkommen würden. Dann kämpften wir fast täglich mit technischen Problemen des Antriebs, sodass wir uns oft auf dem Fluss nur treiben liessen, dafür die grandiose Dschungelnatur während vierzig Tagen hautnah erleben konnten. Der Flosstrip endete abrupt an der brasilianischen Grenze, wo wir vom Militär gestoppt wurden. Wir waren wahnsinnig genug, einen Fluchtversuch zu wagen, aber wir wurden kurz vor der peruanischen Grenze gefasst, mit Maschinengewehren bedroht und verhaftet und von gegen zwanzig dilettantischen Militärköpfen schikaniert und wie Schwerverbrecher behandelt. Nur Drogen fanden sie natürlich nicht. Es blieb uns nichts anderes übrig, als nach genau 1307 km den Flosstrip abzubrechen. Dies war der Endpunkt von Sams Reise, der unterdessen bereits in die Schweiz zurückgekehrt ist. Ich reiste in vier Tagen auf einem grossen Schiff nach Manaus, wo ich mich neu orientiere. Die Guyanas im Norden Südamerikas sind das nächste Ziel, dann geht es in Richtung Osten nochmals nach Brasilien, von wo ich wohl anfangs 2018 meine Mission geschafft haben werde, nämlich per Motorrad die Erde umrundet zu haben…

 

Mi, 30.08.2017: Benzin-Pipeline und Pink statt Rot

Es war heute Morgen wenig motivierend aufzustehen, weil es erneut intensiv regnete. Es war unmöglich, meine Hütte endlich wasserdicht zu machen. Dies ärgerte mich, weil die Sperrholzplatten von der extremen Feuchtigkeit bereits zu grauen anfangen. Sam war lange vor mir wach und transportierte die vier 200-Liter-Plastikfässer zur Holztreppe nahe unseres Flosses. Als ich aufstand, war er mit dem Schlauch beschäftigt, den er bis zu unseren vier bereits auf dem Floss bereiten Metallfässern legte.

Aber der Durchgang durch den Schlauch war verstopft, sodass wir versuchten, ihn mit Hilfe von Pressluft freizukriegen. Schliesslich rann Wasser aus dem Schlauch, aber von festen Materialien war nichts zu sehen. Sam saugte von unten den Schlauch an. Dies war wenig unangenehm, weil vorerst nur Wasser kam. Als endlich Benzin aus dem Schlauch strömte, begann er die Fässer eines nach dem andern zu füllen. Ich stand oben bei den Fässern, hielt die Fässer schräg, um den letzten Rest Treibstoff aus dem Fass zu kriegen. Beim Füllen des dritten Fasses wurde die Pipeline unterbrochen, und jetzt war es weit schwieriger, sie wieder in Gang zu setzen. Von den eingesogenen Benzindämpfen bekamen wir beinahe einen Flash. Wohl wegen der Luft im Schlauch war es schwierig, unsere Leitung wieder zum Laufen zu bringen. Wiederum nutzten wir die Pressluft, um einen Überdruck im Benzinfass oben zu erzeugen. Ein Plastiksack und ein T-Shirt genügten, um genügend Benzin in den Schlauch zu „drücken“, dass die Leitung wieder in Gang kam. 840 Liter Benzin wanderten auf diese Weise in unsere Fässer ganz vorne auf unserem Floss, und die Balsas reagierten mit einem weiteren Absinken auf das zusätzliche Gewicht. Wir werden morgen versuchen, mit weiteren 10-m-Bambussen für zusätzliche Schwimmhilfe zu sorgen.

Es war eine Freude, dass sich gegen Mittag die Wolken endlich verzogen, die Bretter meiner Hütte bald abtrockneten, sodass ich mit dem Verdichten des Daches beginnen konnte. Dazu machte ich Brea, harten Teer über dem Feuer flüssig, mit dem ich die Spalten zwischen den Sperrholzplatten füllte. Darüber klebte ich ein Teerband, das sich sofort mit dem flüssigen Teer verband. Dieser kühlte jedoch ziemlich schnell wieder ab, sodass ich ihn erneut über dem Feuer erhitzen musste. Schliesslich waren Spalten geschlossen und hoffentlich verdichtet. Erst der nächste Regen wird zeigen, wie erfolgreich der Schutz wirklich ist. Jetzt konnte ich endlich die rote Farbe zücken, mit der ich meine Hütte streichen wollte. Schweizerkreuze waren bereits abgeklebt, aber als ich mit dem Malen begann, war schnell klar, dass mein Rot kein Schweizer Rot war (wie ich es gewünscht hatte), sondern vielmehr ein Pink, das uns aber nicht wirklich stört – schräg bleibt schräg – und schwul sind wir ja nicht…

Sam wechselte seinen Schlafplatz bereit auf unser Boot, ich war noch nicht ganz so weit, denn die grauen Stellen möchte ich morgen mit derselben Farbe auch noch überstreichen. Am Abend fuhren wir zur Stadt in ein chinesisches Restaurant. Hier freute ich mich auf die vielen Rückmeldungen über unser Flossprojekt, am meisten über Isos langes Mail, das ich gleich mehrmals las.

Die Tage sind und bleiben anstrengend. Ich war nudelfertig am Abend und schon vor zehn Uhr in meinem Zelt. Klack – und schon schlief ich.

Km: 81‘186 (0)

Do, 31.08.2017: Weitere Bambusse als Schwimmhilfe

Seit gestern lagern im Eingangsbereich Witoto’s 16 Bambusstangen, die wir heute in mühseliger Arbeit unter die Balsas schoben. Diesmal setzten wir den dickeren, mehr tragenderen Teil vorne am Floss, um das Gewicht des vielen Benzins aufzufangen. Die erfreulich positive Hebwirkung war mit jedem Bambus grösser, aber mit jedem neuen wurde es auch schwieriger, ihn festzubinden. Ich tauchte zwischen den Balsas durch, weilte unter der Bretterfläche, befreite das Floss dort von Unrat, der immer wieder angeschwemmt wird und verschnürte jeden neuen Bambus an den bestehenden Querstangen. Das Wasser war nach den vielen Niederschlägen kühl und hatte einiges an Strömung, nur eine Anakonda war auch heute nirgends zu entdecken – glücklicherweise…

Um die Mittagszeit malte ich mit derselben Farbe auch noch den Innenraum, wo mein Zelt zu stehen kommt. Dann postierten wir weitere acht Bambusse. Das Floss hat jetzt wieder an Höhe gewonnen, eine beruhigende Feststellung. Gegen Abend brachte auch ich das meiste meines Materials zum Floss, stellte meinen Moskito-Schutz in meine jetzt hoffentlich wasserdichte Hütte und konstruierte einen schützenden Verschlag, dass mein Raum nicht von den Abgasen der Yamaha verpestet wird. Auf dickere Ablenkschläuche verzichten wir, um die Maschine nicht wieder zu überhitzen.

Das Floss ist jetzt beinahe reisefertig, jetzt gilt es noch, die Vorräte aufzustocken – wohl meine morgige Arbeit. Wir hoffen, am Samstag loszulegen.

Und noch etwas: Mein treuester Begleiter meiner Reise ist mein Computer, der trotz der vielen Abenteuer und Erschütterungen unermüdlich arbeitet. Zwar mehren sich die Luftblasen (?) auf dem Bildschirm, und vor links unten breitet sich immer mehr ein Lichtfehler aus, aber noch lassen sich problemlos mit ihm Bilder bearbeiten, Texte schreiben oder im Internet surfen. Über fünfjährig ist die Kiste mittlerweile und noch kein bisschen müde. Er lässt sich so schnell starten wie am ersten Tag!

Km: 81‘186 (0)

Fr, 01.09.2017: Letzte Vorbereitungen

Heute widmeten wir uns ein letztes Mal der schwierigen Frage, wie wir unsere Motorräder legal aus Ecuador schaffen können. Deshalb besuchten wir aus freien Stücken die Marina auf der Suche nach einer Zollstelle, um wenigstens Sams Honda nach Gesetz abzumelden. Aber auch dies gelang nicht, wir wurden zur Polizeistelle weitergeleitet, die wir aber nicht besuchten. Es wird womöglich spannend sein, ein nächstes Mal nach Ecuador zu reisen, weil unsere Maschinen nicht ordnungsgemäss abgemeldet wurden. Vielleicht wird mir helfen, eine neue Passnummer zu haben (der alte Pass ist in Kürze voll).

 Während Sam einer letzten Schweisser-Arbeit nachging, nämlich eine (etwas kleinere) Ersatzschraube herzustellen, kümmerte ich mich um den vielen Proviant. 8 kg Mehl, Teigwaren, Reis, Gemüse, Früchte, Kartoffeln, Süssigkeiten, Kaffee und vor allem viel Wasser, das ich in mehreren Fahrten vom Tia zu Witoto’s brachte, insgesamt 90 Liter. Andere Gefässe wurden mit Hahnenwasser gefüllt, das perfekt geeignet ist zu kochen. Ich besuchte auch einen Stoffladen, wo ich roten und weissen Stoff kaufte, woraus ich mir in einer Näherei eine Schweizer Fahne nähen liess – etwas Patriotismus muss ja schon sein. Eine kleinere ecuadorianische Flagge hatten wir am Morgen schon gekauft. Zudem nagelte ich als zusätzlichen Regenschutz eine nette, geblümt-transparente Plastikfolie an den Rand des Daches. Am Flossrennen würden wir schon fast als Flowerpower durchgehen…

Am Nachmittag begann ich, das viele Material zum Floss zu schaffen, hatte noch einen Termin beim Näher, um die Flagge abzuholen. Ich bastelte einen Führersitz, der mit einem Kissen gepolstert wird. Am Abend kochte Sam eine 7-Eier-Riesenomelette, die aber wegen meiner neu gekauften Billig-Alu-Pfanne zum Rührei mutierte. Ich nähte die beiden Flaggen an einen dünnen Bambus, der dann morgen früh als Erstes zu oberst an den Mast montiert wird.

Wir sassen einige Zeit Zuckerrohrschnaps trinkend auf unserem fertigen Hausboot, genau vier Wochen haben wir gebraucht, um dieses Bijoux fertigzustellen. Aber jetzt sind wir bereit. Morgen kann’s losgehen. Es wird spannend sein zu erleben, so viele Stunden „nichts“ zu tun, zu geniessen, zu beobachten. Die grossen Fragen bleiben: Wie schaffen wir es über die Landesgrenzen? Hält meine Yamaha durch? Ist Sams Konstruktion genügend stark? Oder werden wir gar Menschenfressern begegnen und im Kochtopf landen? Zumindest davon gehen wir einmal nicht aus…

Km: 81‘206 (20 Flusskilometer)

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