RONDOM Island 2020

Trotz der Unwägbarkeiten in diesem "Corona-Jahr" war es schliesslich nach einigem Hin und Her doch möglich, dass ich mich zusammen mit Sam (bekannt von der Südamerika-Reise, RONDOM 2017) und Dom (bekannt von der RONDOM-Reise 2015 Iran-Kirgistan) auf eine neue, immerhin 4 1/2 Wochen dauernde Reise machte, natürlich erneut auf unseren Motorrädern, ohne die sich für mich Reisen nur noch langweilig anfühlt. Tatsächlich haben wir erneut einige Abenteuer erlebt, und vor allem war es toll, wieder einmal für vier Wochen etwas zu "verwildern".
Schliesslich waren wir gar zu fünft, weil wir auf der Fähre nach Island ein Pärchen (Marleen & Clemens) kennengelernt haben, das sich uns angeschlossen hat.

 

Die blogartigen Einträge vom 4.7.2020 bis zum 4.8.2020:

 

Sa, 04.07.2020 : Start ins Island-Abenteuer

Ich war am Samstagmorgen schon früh reisefertig, hatte wohl gleich viel geladen, wie wenn ich mich auf eine dreijährige Weltreise begeben würde. Um halb zwölf Uhr fuhr ich zu Zollers, um mich von ihnen zu verabschieden. Dominique Lenz holte mich hier kurz darauf ab. Wir fuhren über die Hulftegg nach Girenbad, um Sam abzuholen. Zuerst wurde hier noch ein Stromproblem wegen Domis Navi behoben, dann gab’s ein Bier – und los ging’s. Sam führte uns auf kleinen Nebenstrasse durch die Zürcher Oberländer Provinz Richtung Nordwesten. Bald folgten wir dem türkisgrünen Rhein, der mich an jenen Flosstrip vor zwei Jahren erinnerte, den wir damals in Koblenz abschlossen.

In Rheinfelden fuhren wir ohne Probleme über die Grenze und erreichten gerade rechtzeitig Lörrach, wo unser Autozug nach Hamburg schon bereitstand. Wir bestiegen den Zug mit Maske (!) – Corona lässt grüssen, hatten ein Abteil für uns. Unsere Fahrzeuge hatten wir schon vorher auf die niederen Transportwagen gefahren. Ich schlief nicht besonders gut in dieser Nacht – dies war aber weniger der getrunkenen Biere geschuldet als vielmehr des etwas rüttelnden Wagens. Unsere Gruppe scheint perfekt zu harmonieren, wir ticken gleich und hoffen fest, dass wir übermorgen auch problemlos über die Grenze Dänemarks kommen und dann auch wie geplant Island erreichen werden.

Km: 136‘059 (200)

 

So, 05.07.2020 : Ein Tag in Hamburg

Kurz nach acht Uhr morgens erreichten wir Hamburg-Altona. Der Sommer hatte sich verzogen, vorerst nieselte es leicht. Als wir jedoch den Zug fahrend verliessen und durch den Eingangsbereich des Bahnhofs fuhren, der eigentlich nur für Fussgänger gemacht ist, hatte es aufgehört zu regnen. Wir entschlossen uns, ein Hotel zu beziehen, das wir noch im Zug gebucht hatten. Wir bewohnen ein geräumiges Zimmer im siebten Stock den Appartement Hotels Hamburg Mitte für insgesamt 130 €. Wir parkierten unsere Motorräder in der Tiefgarage. Nach einer Dusche waren wir per Bus unterwegs zum Fischmarkt.

Aber wir waren etwas zu spät (oder der Fischmarkt ist wegen der Corona-Krise grundsätzlich geschlossen), sodass wir nicht zu den angepeilten Matjes-Fischbrötchen kamen. Auf dem Weg der Grossen Elbstrasse entlang besuchten wir ein stillgelegtes russisches U-Boot, das in den Siebzigerjahren gebaut wurde. Ein ziemlich beklemmendes Gefühl, sich in diesen engen Gängen mit Tausenden von gelegten Kabeln und technischen Einrichtungen zu bewegen. Wenig weiter besuchten wir den Alten Elbtunnel, anfangs des 20. Jahrhunderts entstanden. Mittels Lift wurden hier Autos 23 m in die Tiefe geschafft, um von dort einen langen Tunnel unter der Elbe befahren zu können. Endlich fand ich in der Nähe auch einen Stand mit den gesuchten Fischbrötchen. Jetzt musste der Durst in einer Bierhalle gelöscht werden. Ein weiteres Bier wollten wir uns im Silbersack genehmigen, aber dieser traditionelle Laden war leider geschlossen, wie so mancher zwielichtige Schuppen im Reeperbahn-Bezirk. Offenbar ist man in Deutschland noch um einiges vorsichtiger, Bars und Clubs zu öffnen, um Corona nicht die Chance für eine zweite Welle zu geben. Die Masken-Tragdisziplin ist hier höher als in der Schweiz.

Gleich gegenüber Rosy’s Bar (bekannt vom St.-Pauli-Trip mit dem Strööffeli-Club vor zehn Jahren) tranken wir in einem feinen italienischen Restaurant einen ausgezeichneten Espresso. Unterdessen zeigte sich die Sonne immer mehr, und wir blieben gleich hier für ein nettes italienisches Essen. Dabei wurden wir von einer kontaktfreudigen Dame mit perfektem Model auch überaus freundlich bedient.

Eine Nacht in der Reeperbahn durfte es jetzt jedoch nicht sein, denn wir wollten uns nicht unnötig dem Corona-Risiko aussetzen und fuhren deshalb schon um acht Uhr per Bus zurück zum Hotel.

Jetzt schnarcht es bereits neben mir – es ist 22:38 Uhr, die Dämmerung hat erst eingesetzt, man merkt, dass wir uns schon einige Kilometer Richtung Norden bewegt haben.

Und noch etwas: Der FCSG hat zu Hause einen weiteren glücklichen Sieg gelandet – 2:1 gegen Sion. Man bleibt mit zwei Punkten Vorsprung Leader, aber die Wochen der Bewährung werden erst folgen…

Km: 136‘068 (9)

 

Mo, 06.07.2020: Stürmisches Dänemark

Eine steil-hügelige Landschaft liegt vor mir, die sich in der Entfernung im Einerlei verliert. Über den sanft-rundlichen Erhebungen wurden beinahe gewaltsam runde Hölzer hingeworfen, die aber unterdessen vom Grün überwuchert sind. Ebenfalls überwachsene Strünke ragen zwischen den Hügel gleichsam hoffnungslos gegen die allmählich wachsende Düsternis der Abenddämmerung, als ob sie dem Leben nachtrauern. Heulender Wind kreischt durch die Hügelmenge. Das eigentümliche Rauschen wird aber verursacht durch die Baummonster, die in Unzähligkeit über die bemoosten Hügel ragen.

Die Monster haben uns reichlich Holz geliefert, um ein wärmendes Feuer zu entfachen, das natürlich auch genutzt wurde für ein abendliches Wildnis-Menu. Ich habe meinen noch im Böl gepflückten, etwas verlausten, aber noch prima frischen Blumenkohl verwertet für ein Nudelmenu mit Frischkäse, Knoblauch, Appenzellerkäse und Pesto – wunderbar gelungen. Die Fahrt von Hamburg in den Norden war allerdings nicht besonders erbaulich. Zwar war das Wetter am Morgen erstaunlich gut, aber es war ziemlich mühsam, aus Hamburg herauszufinden. Die grüne Welle scheinen die Hamburger noch nicht erfunden zu haben, wir wurden unzählige Male von Rotlichtern gebremst. Als wir endlich die Autobahn erreicht hatten, gerieten wir bald in einen ersten Schauersturm, und dies sollte nicht der einzige bleiben. Nach einem Frühstück mit Kaffee und Sandwich kurz nach Hamburg waren wir natürlich gespannt, was uns an der Grenze zu Dänemark erwarten sollte. Aber am ziemlich improvisierten Zoll ging’s ziemlich relaxed vonstatten. Wir hatten unser Fährticket vorzuweisen und die ID zu zeigen, und schon waren wir auf dem Weg in Dänemarks Norden. Kurz vor Kolding machten wir einen Halt für ein Mittagessen mit Hamburger oder Fish and Chips. Je weiter wir danach Richtung Norden fuhren, desto regnerischer wurde das Wetter. Wir verliessen in Velje die Autobahn und folgten einer gut ausgebauten Landstrasse, aber jetzt wurde der stürmische Wind immer stärker, sodass wir in unserem Gleichgewicht gefordert waren. Weil der Wind immer stärker wurde, schafften es die Wolken nicht mehr, sich zu entleeren. Sam hatte sich dank maps me schon einen Lagerplatz ausgedacht, und er landete gleich einen Volltreffer. Wir befinden uns mitten in einem grossen, wilden, nordischen Wald mit vielen Fichten und einigen Eichen. Der Boden ist hügelig bemoost und angenehm weich. Allmählich liess auch der starke Wind etwas nach. Jetzt erfreuen wir uns an der Ruhe am knisternden, kleinen Lagerfeuer. Ich habe mein neues Hilleberg-Zelt längst aufgestellt. Unterdessen ist es kühl, und ich freue mich auf den warmen, ebenfalls neuen Schlafsack. Morgen sind nur noch etwa 70 km zu fahren, bis wir Hirtshals an der Nordküste Dänemarks erreichen. Und tatsächlich scheint es, dass wir in 24 Stunden tatsächlich auf der Fähre Richtung Island sind.

Der Abenteuer-Trip hat gut begonnen, ich verstehe mich mit Sam und Dom bestens – da haben sich drei Gleichgesinnte gefunden…

Km: 136‘522 (454)

 

Di, 07.07.2020: Nächste Klippe überwunden – auf der Fähre nach Island

Mein neues Hilleberg-Zelt wurde in der Nacht einem ersten Regentest unterworfen. Auch um Viertel nach sechs Uhr regnete es noch leicht, aber just als ich aufstand, hörte das Feucht von oben auf. Ich hatte aber doch nicht mehr den Nerv, ein Feuer zu entfachen, um Spiegeleier zu braten und machte mich ans Aufräumen meines Kasumpels. Das Zelt musste leider nass verpackt werden – dies ist nie nett. Dies ging recht fix vonstatten, sodass ich tatsächlich als Erster bereitstand für die Weiterfahrt. Es war ein Leichtes, aus dem Wald herauszufinden. Wir fuhren weiter nach Norden und steuerten Lökken an, das ich schon letztes Jahr besucht hatte. Zeit für ein Bild am weiten Strand hatten wir diesmal jedoch nicht.

Kurz vor Hirtshals deckten wir uns im selben Supermarkt wie letztes Jahr noch mit etwas Proviant ein. Jetzt erst entdeckte ich, dass ich gestern fast eine ganze Stange Zigaretten verloren hatte, als der Fahrtwind den unverschlossenen, schwarzen Kofferdeckel öffnete, ihn mir aber wenigstens nicht wegriss. Am Hafen hatten wir wie erwartet einige Zeit zu warten, bis wir die Ticketkontrolle passieren konnten. Zuerst hatten wir aber noch einen Covid-19-Test zu machen – ziemlich unangenehm, als die nette Dame mir einen Abstrich aus dem Rachen nahm und in einem Röhrchen versorgte. Erst in Island werden wir erfahren, ob wir noch immer corona-frei sind. Mit zwei Stunden Verspätung fuhren wir auf die riesige Fähre, stellten unsere Motorräder auf dem vierten Deck ab und bezogen unsere Vierer-Kajüte im sechsten Deck (6031). Hier waren wir schnell eingerichtet. Ich hängte mein nasses Zelt in der Kabine auf, das bald trocken war.

Es war sehr windig und kühl auf Deck im achten Stock, der Fahrgenuss ist nicht gleich gross wie auf einer Fähre in den Tropen. Dafür ist die Fähre ultrasauber. Es hat ein kleines, mit Netzen geschütztes Fussballfeld neben Sitzpätzen im Aussenbereich. Da ist auch ein Helikopter-Landeplatz. Man könnte auch einige Hotpots gebrauchen, wenn man genügend Bares aufwenden würde. Natürlich wurde der Durst bald mit einigen Bieren („black sheep“) gelöscht. Den ganzen Nachmittag sassen wir am selben Tisch mit einem deutschen Paar. Wir teilten unseren Lunch, kauften uns weitere Biere, es war recht kurzweilig, von den besten Reisegeschichten der anderen zu erfahren. Wir erlebten die Dämmerung nicht mehr, als wir schon um zehn Uhr zurück zu unseren Kabinen gingen und sofort in einem tiefen Schlaf fielen.

Ich träumte ziemlichen Schrott, von meinem alten Oberbüren Schulleiter, der mich zu piesacken versuchte. Ich bin froh, jetzt in Zuzwil unterwegs zu sein. Sorgen macht mir mein rechtes Knie, das mich konstant leicht behindert, nachdem ich die ersten Reisetage absolut schmerzfrei war. Vielleicht reagiert es auf Kälte… Die Fähre ist erstaunlich voll. Eine ganze Reihe von in Reisemobile umgebauten kleinen Lastwagen befindet sich auf der Fähre. Wir begannen ein erstes Mal, unseren Island-Trip etwas zu planen. Ich bin gespannt, wie viele Touristen unterwegs sein werden. Das Land mit weniger als 400‘000 Einwohnern wird normalerweise von zwei Millionen Touristen besucht. Es wird interessant sein, wie viele dieses Jahr unterwegs sind. Ich bin ja guten Mutes, dass dieses Jahr die vielen Natur-Hotspots von weniger Leuten besucht sind.

Noch sind wir nicht im Zielland, aber fast… Das Wetter macht im Moment gut mit, es ist zwar wenig überraschend kühl, es ist windig, aber es scheint meist die Sonne. Wir wurden gegen Abend nur von einem kleinen Schauer gestreift – mit der Auswirkung eines herrlichen Regenbogens über der Nordsee.

Km: 136‘610 (88)

 

Mi, 08.07.2020: Ein Tag auf der Fähre

Die Leute stehen gebannt mit Feldstechern an der Aussenscheibe des offenen Aufenthaltsraumes auf Deck und beobachten weit entfernt die Wasserfontänen einiger Wale. Eine Frau, die mich an eine Inuit erinnert, strickt an einem gelben Pullover. Einige Kinder vergnügen sich mit ihren Vätern auf dem kleinen Fussballfeld. Sam unterhält sich mit Clemens über Motorradtechnik. Viele Leute sitzen auf hölzernen Lehnstühlen und dösen vor sich hin. Ich habe eben meine Motorradhose an verschiedenen Orten geflickt. Wir haben gemeinsam unsere Reiseplanung fortgesetzt und einige Fixpunkte auf Sams Karte markiert. Ich bin etwas verkatert von den vielen gestrigen Bieren – wir haben bis zehn Uhr mehr oder weniger tief geschlafen – unter Schlafmangel leiden wir momentan also nicht.

Es blieb den ganzen Tag über kühl und windig, aber es war heiter. Ich flickte am Nachmittag meine Töffhose sowie den Rucksack, deren Lebensdauer ich noch etwas erhöhen wollte. Gegen Abend erreichten wir die Färoer-Inseln, meist runde, grün begraste Hügel. Es wächst nichts ausser Gras, und ich wurde erinnert an hochalpine Weiden in unseren Alpen. Torhavn ist etwas gleich gross wie Wil. Wiederum entdeckte ich im Zentrum jene Art Häuser mit wiesenbewachsenen Dächern, die ich schon in Norwegen vor einem Jahr angetroffen hatte. Die Fahrt aus dem Hafen wurde noch eindrücklicher, weil wir zwischen steilen, teils sogar felsigen Erhebungen durchfuhren, die im Abendlicht leuchteten. Das Essen im Selbstbedienungsrestaurant mit Hamburgern und Poulet war leider ziemlich übel, aber das Restaurant à la carte wollten wir uns dann doch nicht leisten, weil wir ziemlich unfreundlich empfangen wurden. Dafür kauften wir im Zollfreiladen eine Flasche Whisky, einen Rahmschnaps und eine Stange Zigaretten, die in den nächsten Tagen bestimmt ihre guten Dienste leisten werden. In Torhavn hatten wir ausgezeichnetes Internet, wir erfuhren, dass sich die Corona-Situation in Europa keineswegs verbessert hat. Zudem scheinen wir in Island bald in eine ziemlich üble Schlechtwetterlage zu geraten. Wahrscheinlich werden wir die heute geschmiedeten Pläne morgen bereits wieder über den Haufen werfen und wohl zuerst doch Richtung Süden fahren. Wir haben uns mit einem deutschen Paar angefreundet, die uns die nächsten Tage gerne begleiten würde. Mal schauen, ob es morgen dann tatsächlich so weit kommt.

Jetzt ist es erst zehn Uhr, ich liege bereits in meinem Bett – es wird wohl die letzte dunkle Nacht für einige Zeit sein. Morgen früh werden wir einen zweiten Covid-19-Kurztest machen, um dann hoffentlich in Island eingelassen zu werden.

Km: 136‘610 (0)

 

Do, 09.07.2020: Dauerflüela in Island

Schon morgens um zwanzig vor sieben Uhr mussten wir antraben für einen weiteren Corona-Test, der diesmal etwas unangenehmer war, weil auch ein Abstrich aus der Nase genommen wurde. Im  Verlaufe des Tages bekamen wir alle fünf die Meldung, dass wir negativ getestet wurden.

Gleichwohl wurden wir in Seydisfjördur nicht besonders freundlich empfangen, weil es regnete und wir in Vollmontur mit unserem Trip starten mussten. Aus drei wurden fünf – Marleen und Clemens folgen uns auf ihrer KTM, wollen vor allem von unseren Reiseerfahrungen profitieren. Glücklicherweise dauerte der Regen nicht lange. Als wir den kleinen Pass nach Egilstadir überwunden hatten, blieben wir den ganzen Tag vom störenden Nass verschont. Wir deckten uns mit isländischen Kronen ein (1 Sfr. = etwa 150 ISK). Wir entschlossen uns, der Küste Richtung Südwesten zu folgen, weil das Wetter im Süden Besseres verheisst.

Die ersten regenfreien Kilometer in diesem Land waren einfach nur faszinierend. Man wähnt sich in den Hochalpen, obwohl man sich meist auf Meereshöhe bewegt. Das Land ist karg, Wiesland wechselt sich ab mit felsigen Partien, aber steil aufragende Berge dominieren die reizvolle Landschaft. Das Land ist kaum besiedelt, wir passierten einige kleine Weiler, manchmal nur einzeln stehende, abgelegene Gehöfte, die wie verloren an einem etwas geschützten Platz stehen. Oft waren hier auch einige Bäume zu sehen. Bald wählten wir eine Abkürzung über eine Schotterpiste. Es war etwas wie ein Nachhausekommen. Ich werde an Patagonien erinnert in seiner Kargheit. Wir folgten den ganzen Nachmittag der Küste oder den ostisländischen Fjorden.

Der Höhepunkt des Tages war bestimmt das erste heisse, isländische Bad. Der iOverlander-Platz war kaum markiert (ausser auf dieser App), und Sam führte uns zielstrebig auf einen Kies-Parkplatz nahe der Hauptstrasse. Kleine, rauchende Röhrenvulkane, aus denen warmes Wasser sprudelte, verkündete schon Interessantes. Und wenig weiter entfernt entdeckten wir eine riesige, metallene Badewanne inmitten einer weiten Wiese und ganz nahe des Meeres, die mit warmem Wasser gespeist wurde. Die Temperatur war geradezu perfekt, war wohl um die 40°C heiss. Aber die Lage war schon ziemlich aussergewöhnlich. Da steht eine riesige Wanne im Middle of Nowhere, die einlädt für ein wärmendes Bad. Und dies wurde natürlich aufs Köstlichste ausgenützt. Nur fünfzehn Meter entfernt war eine selchte, schlammige, aber immer noch angenehm warme Pfütze, die für ein Schlammbad einlud. Auch dies wollte ich mir nicht entgehen lassen – ich war mit dem Schlamm bald schwarz eingeschmiert. Es war aber nicht leicht, mich danach vom schwarzen Schlamm wieder zu befreien – dazu nutzte ich das kleine Rinnsal des Wassers, das aus der Wanne überlief.

Manchmal stieg man auf und wurde von neuen grossartigen Ausblicken überrascht. Eigentlich hätte ich gerne wild übernachtet, aber Dom hatte seine Bedenken, obwohl es viele geeignete Plätze gegeben hätte. Aber ja, tatsächlich ist es verboten, in diesem Land wild zu campieren.

Jetzt befinden wir uns beim Cape Horn auf einem kleinen, wunderschön gelegenen Campingplatz. Nach dem Aufstellen des Zeltes wollten wir die Umgebung etwas erkunden. Es war etwas ärgerlich, dass die vier ziemlich bald unterwegs waren zu einem nahen Aussichtspunkt. Ich mochte ihnen nicht folgen und erklomm den etwas höheren, benachbarten Gipfel nach einiger Kraxlerei. Ich blieb lange auf diesem Aussichtpunkt und genoss die beinahe 360 Grad weite Rundsicht auf ein weites Fjord mit einer Landzunge. Weit entfernt war bereits der mächtige Vatnajökull-Gletscher zu sehen, den wir morgen erreichen werden. Auf der anderen Seite des bestiegenen Berge waren entfernt einige grasbewachsene Häuser zu erkennen. Die alte Siedlung war mit spitzen Pfählen eingezäunt, womit ein minimaler Schutz gewährleistet war. Vor Jahren haben hier vielleicht Menschen gelebt, aber dies war wohl überaus hart. Das Dorf ist unterdessen ausgestorben, die Häuser sind am Zerfallen und werden leider nicht renoviert. Geschnitzte Türinschriften erinnern offensichtlich an die Wikinger. Dies war meine Vermutung, und diese stellte sich als falsch heraus – es handelte sich offenbar um die Kulisse eines Filmsets irgendeines Wikingerfilms (?), wurde aber nie gebraucht und ist heute am Zerfallen.

Gemeinsam kochten wir bei unserem Zeltlager eine Nudelspezialität, ganz gut gelungen. Nachher gab’s einen Whisky und ein Glas Wein. Sam und Clemens machten noch eine kleine Töfftour zum Fjord für einige Sandkapriolen.

Es ist bereits halb zwölf Uhr, es ist noch immer hell. Aber ich bin müde. Ich werde auch schlafen können, wenn es hell bleibt…

Und noch etwas: Der FCSG spielte heute in Lugano 3:3 und verlor die Tabellenführung, ist aber immer noch punktgleich mit YB.

Km: 136‘825 (215)

 

Fr, 10.07.2020: Gewaltige Gletscher auf Meereshöhe

Nach einem leichten Frühstück waren wir schon bald unterwegs Richtung Südwesten, machten einen Tankhalt in Höfn, wo wir uns auch mit neuem Proviant eindeckten. Das Wetter spielte heute wunderbar mit, um die Grossartigkeit des riesigen Jökull, den Hunderte von Quadratkilometer grossen Gletscher aus nächster Nähe zu erkunden. Den Gletschern vorgelagert sind meist grosse Gletscherseen oder reissende, milchig-graue Flüsse, sodass es kaum möglich war, ganz nahe an die Gletscher heranzukommen. Einen Abstecher zu einer der unzähligen Gletscherzungen über eine rauhe Schotterpiste war nicht von Erfolg gekrönt, weil die Zugangsbrücke kurz vor dem Gletscher vom Fluss mitgerissen wurde. Aber die Aussicht war gleichwohl gut.

Einen eindrücklichen Ausblick konnten wir kurze Zeit später beim Jökulsarion geniessen. Der Gletscher hat hier eine riesige Lagune gebildet, in dem Hunderte von riesigen, abgebrochenen Gletscherstücken schwimmen oder am steinigen Untergrund festsitzen. Was für eine Aussicht! Und das beinahe auf Meereshöhe. Aber auch hier richtet die Klimaerwärmung seinen Schaden an. Der Gletscher zieht sich seit Jahren immer weiter zurück, und dieser Prozess hat sich in den letzten Jahren beschleunigt. An einem geschützten Ort mit grandioser Aussicht genossen wir den ersten isländischen Lachs.

Jetzt befinden wir uns am Eingang des Vatnajökull Nationalparks, haben unser Camp auf einem offiziellen Zeltplatz aufgeschlagen, der aber kaum zu einem Viertel besetzt ist – Corona lässt grüssen mit positiven Auswirkungen auf unsere Reise… Es ist kalt hier, die nahen Gletscher wirken wohl wie ein regionaler Kühlschrank. Gegen Abend machten wir eine leichte Wanderung zu den Svartifoss Wasserfällen. Wir stiegen auf durch niedrige Birkenwälder. Die Wasserfälle sind eigentlich nicht wirklich der Rede wert. Die Gesteinsformationen beim grössten Wasserfall mit seinen sechseckigen Basaltsäulen sind aber schon sehr eindrücklich. Ich liess es mir nicht nehmen, das fallende Wasser auf glitschigen Steinen zu umrunden. Viel eindrücklicher ist aber die stupende Landschaft mit den mächtigen Gletschern und die weite, karge Landschaft mit dem entfernten Meer.

Wir begannen erst um halb neun mit Kochen – Reis und Gemüse. Wir genossen Wein und Whisky – so lässt es sich leben, auch wenn es unterdessen sehr kalt geworden ist. Es ist bereits halb eins Uhr. Es dämmert zwar etwas, aber dunkel ist anders…

Km: 137‘002 (177)

 

Sa, 11.07.2020: Gletscher-Eroberung und ein zauberhafter Ort in Hügel-Island

Gleich neben meinem Zelt plätschert ein Bächlein munter dahin, die Sonne ist eben untergegangen, notabene um 22:30 Uhr, die saftig-grünen Wies- und Mooslandhügel spiegeln sich zwar immer noch in den Mäandern der Bäche, aber der warme Glanz ging ganz plötzlich verloren, weil die Nacht den Tag doch allmählich vereinnahmt, auch wenn ihr dies nicht wirklich gelingen wird. Es ist sofort etwas kälter geworden, sodass ich jetzt in meinem Zelt liege und dem Wind lausche, der an der Zelthülle nagt. Ich liege schräg im Zelt, die beiden Reisesäcke dienen als Nackenstütze, um den Tag nochmals revue passieren zu lassen.

Am Morgen war es noch stark bewölkt, sodass wir den stundenlangen Trip auf einen Berg sofort verwarfen. Nach dem Frühstück wollten wir die Zunge des Svartifoss-Gletschers erreichen. Je näher wir dem Gletscher kamen, desto kälter wurde es. Wiederum war der Zugang zum Gletscher nicht einfach, weil tiefes, graubraunes Gletscherwasser eine Lagune gebildet hatte, die nur schwer zu durchqueren war. Deshalb folgten wir der Moräne auf der linken Seite des Gletschers. Dies war ein rutschiges Unterfangen. Die von schwarzem Schmutz gezeichneten Gletscher-abbrüche waren zum Greifen nah, aber wegen des wilden Gletscherbaches doch nicht wirklich erreichbar. Wir folgten dem Bach, bis wir schliesslich eine Krete überwanden. Der Bach war jetzt unter dem Gletscher verschwunden, sodass der Zutritt zum Gletscher jetzt einfach war. Der Gletscher ist hier fast flach und nur von wenigen Spalten durchzogen. Wir fanden eine griffige Eisoberfläche vor, die ein einfaches Wandern auf dem Eis möglich machte. Wir folgten verschiedenen Rinnen oder aufgetürmten Mini-Eisbergen, bis wir Sicht auf die schiere Unendlichkeit dieser Eiswüste kriegten. Das Tal war jetzt schon weit unter uns, und wir genossen die grandiose Aussicht auf die wilde Berg- und Eislandschaft. Auch der Abstieg war ohne Gletscherausrüstung absolut problemlos und ungefährlich, sodass wir die seitliche Moräne bald wieder erreichten.

Zurück auf dem Zeltplatz räumten wir unser Lager auf und planten die Fortsetzung der Reise. Wir wollten weiter Richtung Reykjavik der Küste folgen, aber nach 90 km nicht mehr der geteerten Nationalstrasse 1. Wir wollten zum ersten Mal eine Nebenstrasse mit Schotterpisten nehmen.  Ich wollte eigentlich lieber die Route über die F210 zum Eyjafjällajökull wählen, dem Vulkan, der uns vor einigen Jahren eine Fussballreise nach England verunmöglichte, aber die Mehrheit entschied, dass wir der F208 Richtung Norden folgen, zumal wir uns vor der Unwägbarkeit des Wetters für morgen etwas fürchteten. In Kirkjubaejarklaustur machten wir einen Tankhalt, konnten aber unsere Vorräte nicht aufstocken, weil die Läden an diesem Samstagabend schon geschlossen waren.

Wenige Kilometer später durch ein Feld mit weissem Moos überwachsenen Lavatrümmern bogen wir nach rechts in die F208, die anfangs perfekt geteert war. Nach wenigen Kilometern wechselte der Belag auf gut zu befahrenen Schotter, sodass wir ganz gut vorwärtskamen. Unterdessen hatte das Wetter grandios aufgehellt, sodass die Farben der kargen, aber doch grünen Landschaft umso stärker leuchteten. Bald wurde die Strasse etwas enger und begann aufzusteigen, sodass sich noch grossartigere Aussichten auftaten. Auf dem höchsten Punkt konnte ich mich an der Landschaft kaum sattsehen.

Sam wusste über iOverlander von einem Rastplatz, den wir über einen Feldweg ohne Probleme erreichten. Sofort war klar, dass wir hier bleiben wollten. Wir waren auf einer weiten Hochebene gelandet, der von Bächen durchzogen ist und die einlud, die nähere Umgebung zu Fuss etwas zu erkunden. Wir waren an einem paradiesischen Ort gelandet. Zudem war es erstaunlich mild. Von einer aufkommenden Front ist momentan weit und breit nichts zu sehen. Wir kochten ein weiteres Nudelgericht mit Thon und Tomatenpesto, genossen die Zeit und die Stimmung. Dom rauchte seine Pfeife, ich trank meinen Whisky, Marleen und Clemens alberten auf der moosigen Wiese herum, Sam prüfte den Reifendruck der Motorräder, den wir zu Anfang des Gravel-Trip etwas vermindert hatten.

Etwas schräg ist es mit der Müdigkeit. Eigentlich ist man nach so einem Tag schon müde, aber das lange Tageslicht scheint einen immer wieder mit Energie zu versorgen. Es ist jetzt 23:15 Uhr, in den Zelten ist es ruhig geworden, die Vernunft hat uns zum Schlafen bewegt, denn morgen soll es rechtzeitig weitergehen. Vielleicht wird es eine Regenfahrt geben, zudem erwarten uns die ersten Flussdurchquerungen…

Km: 137‘126 (124)

 

So, 12.07.2020: Flussdurchfahrten

Eigentlich wollten wir um sieben Uhr aufstehen, aber über Nacht hatte sich das Wetter grundlegend verändert. Leichter Regen prasselte auf mein Zelt, und ich war froh, dass Dom seinen Plan nicht umsetzte, so früh aufzustehen und uns mit Musik zu wecken. Etwas nach acht Uhr liess der Regen etwas nach, bis er schliesslich ganz aufhörte. Mein Töff fungierte als Eier-, Kaffee- und Nutellabar, sodass wir gut gestärkt zu unserem ersten wirklichen Fahrabenteuer starteten.

Als wir losfuhren, regnete es zwar wieder leicht, aber maximal eingepackt war der Fahrgenuss gross, es war noch immer einigermassen mild. Zuerst führte die F208 auf gut zu befahrener Piste zu Tal, aber bald wieder steil aufwärts. Wir erreichten eine vulkanisch ehemals aktive Region. Pechschwarze Sandwüsten, golden-orange-gelbe Hänge zeugen von vergangenen Vulkanausbrüchen. Dies beunruhigte uns aber keinesfalls, aber wir wussten, dass die ersten Flussübergänge bald zu bewältigen sein würden. Und sie kamen unweigerlich. Den ersten passierten wir alle fünf ohne Schwierigkeiten. Beim zweiten wollte ich der tiefsten Stelle ausweichen und wählte den Weg über eine Sandbank, war etwas zu langsam und grub mich sofort tief in den schwarzen Sand mitten im Wasser ein. Ein (Minus-)Punkt für mich. Es war ein Leichtes, aus der misslichen Situation herauszukommen, weil gleich sechs Hände mich aus dem Sandloch heraushoben. Beinahe unzählige Flussübergänge wurden problemlos bewältigt. Die Wasserfontänen des wegstiebenden Wassers wurden bei jedem Übergang grösser. Sam übertrieb es mit diesem Spass, sodass sein Luftfilter Wasser ansog, das sich sofort irgendwo im Motor verteilte. An ein sofortiges Weiterfahren war nicht zu denken. Die Kerzen wurden getrocknet und literweise Wasser wurden aus dem Motor gekurbelt. Schliesslich brachte Sam die Maschine tatsächlich wieder zum Laufen, sodass es weitergehen konnte. Ziel war Landmannalaugar, ein touristisch recht bekannter Ort, am Fusse eines ehemals aktiven Vulkans, zu dem einst ein riesiger Lavastrom floss, aber genau vor diesem Ort stoppte. Die wild zerrissene Lava ist heute von weisslich-grünem Moos überwachsen. Die beiden grössten Wasserüberquerungen mussten jetzt aber auch noch geschafft werden – und dies schafften wir souverän. Wir waren die einzigen Motorräder, die heute so weit gekommen waren. Da konnte der „Münchner“ staunen, der seine 12-er-GS ennet des Gewässers abgestellt hatte. Sofort machten wir uns auf zum heissen Bad, gefüttert von wohl über 60°C heissem Wasser. Die Mischung der Zuflüsse machte es aus und ermöglichte ein angenehmes Badeerlebnis. Vor allem Sam und Clemens blieben sehr lange im Bad.

Die Zeit war unterdessen so weit fortgeschritten, dass wir uns entschlossen, hier zu übernachten. Der Zeltplatz ist zwar wenig erbaulich, weil nur ein harter Kiesplatz zur Verfügung steht. Nach einem ausgiebigen Vesper machte sich Dom auf einen 7 km langen Bergtrip, ich versuchte eine versteckte heisse Quelle zu finden, indem ich dem Weg durch den „Lava-Wald folgte und nach einer knappen Stunde ein vulkanisch aktives Gebiet ansteuerte, wo heisse, schweflige Dämpfe aus dem Boden heraustreten. Gleichwohl war es kalt, weil es wieder leicht zu regnen begonnen hatte. Ich überlegte mir, einen nahen Gipfel zu erklimmen, um dem ursprünglichen Vulkan näher zu kommen, aber ich verwarf die Idee. Wenig später holte mich Dom auf seiner Wanderrunde ein. Bald hatten wir das Tal wieder erreicht. Ich nahm ein zweites Bad im warmen Naturpool.

Anschliessend gab’s noch ein teures Bier (900 ISK=6 Sfr.), und wir besprachen gemeinsam, wie die Reise morgen weitergehen soll. Jetzt sitze ich in einem alten Bus, wo man wenigstens vor dem Wind geschützt ist. Aber es ist saukalt. Auf nichts freue ich mich jetzt mehr als auf den warmen Schlafsack. Wenn morgen nur meine Töffhosen und die Schuhe wieder trocken wären – es wäre ein angenehmerer Start morgen früh!

Und: Der FCSG spielte in Genf gegen Servette 1:1 und übernahm wieder die Tabellenführung, weil Basel gestern YB 3:2 geschlagen hatte…

Km: 137‘178 (52)

 

Mo, 13.07.2020: Anstossen und Flussbegleitung

Es war bitterkalt diese Nacht, und ich schloss zum ersten Mal den Schlafsack – dies bewährte sich, denn er gab wunderbar warm. Es hatte die ganze Nacht geregnet, erst am Morgen trocknete es allmählich ab. Dies reichte jedoch nicht, um die Zelte trocken zu kriegen. Zum Frühstück griff ich zum ersten Mal zu meiner Notsalami – allerdings hatten wir nur noch zwei Scheiben dünnes Brot und einige süsse Kekse.

Der Fahrtag begann schwierig, weil Sam sein Motorrad nicht zum Laufen brachte. Offenbar ist der Anlasser defekt, die Diagnose bestätigte sich am Abend, der gestrige Wasservorfall hatte das Teil gebrochen. Deshalb versuchten wir zu dritt Sams BMW anzuschieben – und dies gelang im zweiten Versuch. Jetzt galt es aber nochmals die beiden breiten Wasserdurchläufe zu durchqueren (der Münchner Möchtegernheld liess sich von einem riesigen Pick-up über das Wasser führen). Uns gelang dies natürlich problemlos.

Nochmals durchfuhren wir die stark vulkanische Region, passierten auf passabler Strasse zwei grosse Seen. Es war ein munteres Auf und Ab mit guter Rundsicht auf den Übergängen. Etwas achtzugeben hatte man bei den wenigen sandigen Stellen. Kurz vor dem Erreichen der geteerten Strasse, die uns zur F26 führte, überquerten wir zum ersten Mal wieder eine Brücke über einen Fluss. Dieser war herrlich türkis-grün-blau und mündete in ein grösseres, braunes, fliessendes Gewässer.

Kaum auf der F26 erreichten wir eine Tankstelle, füllten auf und genehmigten uns einen isländischen Hamburger – leider fehlte hier ein Laden, sodass wir unsere Vorräte nicht aufstocken konnten. Sams Maschine lief prima, ausser wenn er sie starten musste, aber dafür waren ja wir da, sodass wir uns an ein weiteres Abenteuer einliessen. 21 km fuhren wir auf Teer, dann bogen wir nach rechts ab. Die Schotterpiste war bis zum Haifoss, zwei grossen, sehenwerten Wasserfällen in karger Natur noch ganz gut, kurz darauf wurden wir aber ziemlich gefordert, denn die sämtliche, friedlich dahinfliessende Wassermenge der beiden Wasserfälle sollte jetzt überquert werden. Und dies ging jetzt nicht mehr so einfach vonstatten, weil der Übergang kaum genutzt wird, sehr unregelmässig tief und von grossen Steinen durchsetzt ist. Diesmal war eine Überfahrt nur zu dritt möglich, das heisst, dass einer fuhr und zwei versuchten zu verhindern, dass das Motorrad unmotiviert kippt und so aufgefangen werden kann. Dies forderte uns einigermassen heraus, aber wir schafften die Klippe schliesslich doch recht gut. Aber die ohnehin schon kalten Füsse (von den nassen Schuhen von gestern) wurden noch kälter.

Wir durchfuhren ein weites, karges Wiesland zumeist parallel zu einer Hochspannungsleitung. Diese störte das Naturerlebnis etwas. Die Schotterpiste war jetzt äusserst rau, vor allem in den Aufstiegen, die schon aufgefahren waren. Die zweite Flussüberfahrt schien wesentlich leichter (und weniger breit) zu sein. Ich versuchte etwas leichtfertig, alleine über den Fluss zu kommen – und ich stiess an einem grossen Stein an, verlor das Gleichgewicht – und schon lag die Maschine im Wasser, die jetzt mit vereinten Kräften aus dem Wasser gezogen wurde. Glücklicherweise blieb der Luftfilter wasserfrei, aber ich hatte die Tasche mit den Schlafsäcken nicht optimal verschlossen, sodass sie feucht wurden.

Weitere zwei Wasserübergänge wurden ohne Probleme gemeistert. Jetzt campieren wir wild an einem kleinen Fluss, der bald in eine Schlucht mündet, die wir nach dem Aufstellen der Zelte (die ja trocknen sollten) erkundeten. Wir erfreuten uns an Steinwurfspielen – die versammelten Nussgesichter trafen leider besser als ich. Wir kochten am Fluss auf Gas- und Benzinkocher, allerdings ärgerten wir uns über den gekauften Pack Nudeln, die leicht angegraut waren. Wir sortierten die einzelnen Spiralnudeln in essbare und zu entsorgende. Mit der Knoblauch-Pesto-Nusssauce schmeckte das Abendessen aber doch prima.

Eben sind wir von einem kleinen Spaziergang zu einer verlassenen, vor sich hinrostenden Hütte zurückgekehrt, die nicht einmal verschlossen war. Wir sind eine muntere, lustig zusammengewürfelte Truppe, die ausgezeichnet harmoniert.

Km: 137‘279 (101)

 

Di, 14.07.2020: Raus aus der Wildnis in den Regen von Reykjavik

In der Nacht begann es wieder zu regnen, aber dies störte mich kaum, denn ich schlief gut und warm verpackt in meinem Schlafsack. Zudem trocknete es gegen Morgen ab, und ich konnte das Zelt beinahe trocken verpacken. Immerhin gab es einen heissen Kaffee und ein paar Guetzli mit einem Snickers zum Frühstück – die Vorräte sind beinahe aufgebraucht, nur der halbe Notsalami blieb noch erhalten.

Die Fahrt aus der Wildnis war problemlos, weil keine Flüsse mehr zu durchfahren waren. Sams Motorrad wurde am Morgen angestossen, und dies funktionierte erneut. Die Schotterpiste wurde je länger desto besser, und wir kamen gut vorwärts. Nach gut 20 km erreichten wir den Gulfoss, wo sich ein grosser Fluss in die Tiefe stürzt. Wir erreichten den Wasserfall nicht auf der üblichen Seite, wo ein ausgetretener Touristenpfad zur Sehenswürdigkeit führt. Wir wanderten kaum zwei Kilometer durch Lupinenfelder und konnten das Naturschauspiel wunderbar beobachten. Wild stiebende Gischt färbt das Moos an den Felswänden giftig grün in einer sonst kargen, felsigen Landschaft. Wir erreichten die Hauptstrasse bald, sodass es nicht mehr weit war bis zum Geothermalfeld Haukadalur bei Stokkur. Das Spannende an diesem Spot sind die Geysire, die hier die Menschen seit Jahrhunderten erfreuen. Der bekannteste Geysir mit eben diesem Namen (woher auch der Name stammt) war zwar nur bis in die Dreissigerjahre aktiv (und erstaunlicherweise auch im Jahr 2000). Der Aktivste bricht alle acht bis zehn Minuten aus, sodass wir den Ausbruch gleich mehrere Male bewundern konnten. Natürlich hatte es hier viele Touristen und eine entsprechende Infrastruktur, die wir anschliessend für ein Lava-Lachs-Brötli oder isländische Speckschwarten (Sam) oder Fish ´n Chips (Dom) nutzten.

Wir wollten jetzt auf direktem Weg Reykjavik  erreichen, wo wir im Hostel Kex ein Sechserzimmer gebucht hatten (21 €/Person). Wir gerieten aber bald in eine Regenfront, sodass wir unsere Regenschütze wieder montieren mussten. Wir durchfuhren eine geothermisch extrem aktive Region, die offenbar auch für die Energiegewinnung genutzt wird. Bevor wir zum Hostel fuhren, schauten wir gleich bei zwei Motorradwerkstätten vorbei. Sam kommt bis nächsten Montag zu einem neuen Anlasser.

Im Hostel war es vor allem eine Wohltat, aus den klamm-feuchten Schuhen herauszukommen. Die Lebensgeister erwachten endgültig nach der ausgiebigen, warmen Dusche. Am Abend spazierten wir zu fünft zum ersten Mal durch die autofreie Flanier-Gasse Reykjaviks. Wir spassten herum bei einem Himmel- und Hölle-Spiel, das auf die Strasse aufgemalt wurde und bis zur Nummer 106 geht. Zudem massen wir uns bei einem 100-m-Lauf quer durch die Gasse.

Eigentlich hätte ich gerne ein exquisites isländisches Restaurant besucht, aber wir landeten in einer Bar, in der nur Hamburger serviert wurde, die zwar ganz okay waren, aber meine vier Reisegenossen sind halt kulinarische Tiefflieger. Es ist kaum zu glauben, wie viele für mich ungeniessbare Sweeties während des Tages verschlungen werden – Nussgesicht-Food! Vielleicht sind sie aber einfach auch nur viel jünger als ich und setzen andere Prioritäten. Während ich „on the road“ kaum Mühe habe mit dem doch recht grossen Altersunterschied zwischen mir und meinen Kumpanen, ist es in der Stadt doch etwas anders. Da hätte ich es gerne etwas gediegener – allerdings weniger bei der Unterkunft, die wirklich sehr einfach ist, als vielmehr beim Essen oder Ausgang. Als wir um halb zwölf Uhr aus der schummrigen Bar heraustraten, war es noch immer hell. In Island gibt es aber eine Polizeistunde, sodass kaum mehr etwas offen war. Dies war mir aber egal, denn ich fühlte mich müde und freute mich, wieder einmal in einem Bett zu schlafen, auch wenn es nur ein Kajütenbett ist… Es sieht ziemlich chaotisch aus in unserem Zimmerschlauch, viele Kleider hängen zum Trocknen an allen möglichen Haken, Bettstangen oder Stühlen.

Schlofwohl!

Km: 137‘460 (181)

 

Mi, 15.07.2020: Mitten im Island-Tief

Die Wetterkarte verheisst nichts Gutes, denn das Island-Tief hält uns momentan in der Hauptstadt gefangen. Dies ist nicht wirklich schlimm, weil ohnehin einiges zu retablieren ist. Dom war schon bald unterwegs, um seinen Hinterreifen zu wechseln, Sam versuchte bei einem Mechaniker die unterwegs verlorene Schutzplatte wieder zu befestigen, die er gestern nach einem Schlag verloren hatte. Er fuhr dabei mit meiner Tenere zu einer Werkstatt. Er bastelte dort aus Plastikrohren einen erhöhten Luftzugang oder Schnorchel, der jetzt ziemlich schräg auf seiner linken Tankseite hängt. So kennt man Sam ja…

Es war den ganzen Tag über sehr regnerisch und kühl. Die Kleider sind frisch gewaschen, ich sitze an einem Tisch in der Hostelbar, während Dom, Clemens und Marleen mit einer Stadtbesichtigung beschäftigt sind. Ich war schon früh am Morgen alleine in der Stadt unterwegs für einen Kaffee und erneut ein Lachs-Sandwich. Ich lud meine vielen Fotos auf meinen Computer und sandte sie per WhatsApp an meine Kollegen. Erst gegen Abend wurde ich fertig und machte mich auf in die Stadt, um mit meinen Reisekumpanen ein Bier zu trinken. Während Sam, Clemens und Marleen im Hostel etwas kochten, besuchte ich mit Dom das Old Iceland, eines der besten Restaurants der Stadt und ass einen exquisit zubereiteten Fisch – wenigstens Dom versucht, meinen kulinarischen Wünschen zu entsprechen.

Km: 137‘490 (30)

 

Do, 16.07.2020: Ruhetag und ein überraschend sonniges Reykjavik

Am Morgen verwöhnte uns Clemens mit einem einem Pfannkuchen-Frühstück. Anschliessend wollten wir gemeinsam etwas die Stadt erkunden, spazierten zuerst zur markanten, erst 1986 fertig gestellten Kirche, genossen die Aussicht über die beschauliche Stadt vom Turm aus. Wir flanierten durch die Hauptgasse, um in den nordischen Läden ein textiles Andenken zu finden. Nachdem ich mir eine Kappe gekauft hatte, fand ich in einer isländischen Boutique eine dunkelolive, gewachste Jacke, bestimmt erst geeignet für den nächsten Winter. Ich musste auswählen zwischen zwei Exemplaren in zwei verschiedenen Läden. Und ich schlug tatsächlich zu, auch wenn die Jacke einigermassen teuer war – 48‘900 ISK, die ich gleich in meiner gelben, wasserdichten Tasche versorgte.

Anschliessend fuhr ich zu einem Motorradgeschäft, um vielleicht einen neuen Helm zu finden. Die Auswahl war eigentlich recht gross, gleichwohl konnte ich mich nicht für ein neues Stück entscheiden. Etwas Sorge bereitet mir das scheppernde Geräusch, das auch dem Motor zu kommen scheint. Werde ich mein Gefährt wohl auch diesmal nach Hause bringen? Zwar stelle ich überhaupt keine Leistungseinbusse fest. Natürlich scheppert einiges an meinem Töff, aber das eigenartige Geräusch aus dem Motor gefällt mir wirklich nicht – ich werde morgen einmal den Ölstand prüfen…

Gegen Abend stiess meine Idee auf Anklang, ein Sushi-Restaurant zu besuchen – ausser bei Clemens, der wirklich immer knapp bei Kasse zu sein scheint. Die Sushi- und Sashimi-Kollektion im Sushi Social war wirklich extraprima, wir bestellten sogar noch eine zweite Portion nach. Unterdessen hatte es zu regnen begonnen, und wir spazierten durch die Hauptgasse zurück zu unserem Hostel.

Morgen sind wir bereit für die Weiterfahrt und neue Abenteuer, das Wetter scheint sich allmählich zum Guten zu wenden, auch wenn es deutlich kälter werden dürfte.

Km: 137‘504 (14)

 

Fr, 17.07.2020: Sturm über Island

Ein starker Polarwind fegte heute Morgen über Reykjavik. Es machte keinen Sinn weiterzureisen, weil sich in der Nordströmung schwarze Wolken an den Bergen stauten und starke Niederschläge verursachten. Eigentlich wollte ich gleichwohl zum 50 km entfernten heissen Fluss Reykjadalsa fahren, um ein nettes Bad zu geniessen. Sam, Clemens und Marleen fuhren schon früher los und wollten zuerst noch die vulkanisch aktive Spalte besuchen, bei der sich die eurasische und amerikanische Landplatte aufeinanderschieben. Aber darauf wollte ich verzichten.

Ich besuchte mit Dom ein nahes Café für einen doppelten Espresso und ein überzuckertes, aber frisches Gebäck, wo wir über Tennis und Fussball, später über Badminton diskutierten, wodurch wir auf die Idee kamen auf ein Badminton-Game. Schnell hatten wir ein nahes Tenniscenter gefunden, wohin wir bald hinfuhren und einige Sätze spielten. Allerdings war ich nicht wirklich ein valabler Gegner und verlor sämtliche Sätze. Natürlich weiss ich, dass die Jahre nicht spurlos an mir vorbeigegangen sind und ich nicht mehr beweglicher werde, aber es war doch toll, sich zu bewegen und wieder einmal richtig zu schwitzen.

Nach einer Siesta besuchten wir in der Stadt ein ganz besonderes Museum, welches das einzige Phallus-Museum auf der Welt sein soll. Es war schon ziemlich schräg, gleich Hunderte von Penissen verschiedener Tiere in allen möglichen verschiedenen Formen und Grössen zu begutachten. Der grösste war derjenige eines Wals – mannsgross, der aktiv 20 Liter Sperma ausstossen soll. Anschliessend besuchten wir ein Irish Pub für ein Bier und gleich drei Whiskys – einer davon war aus Taiwan, und dazu noch überraschend gut. Auf dem Heimweg besuchten wir eine fast leere Pizzeria für eine ausgezeichnete Holzofenpizza. Zurück im Hostel trafen wir auf die drei Ausflügler, die sich lange im heissen Fluss gesuhlt hatten. Das hatte ich jetzt halt verpasst, aber der Tag war gleichwohl gut gelungen – und wir hatten bestimmt gut daran getan, heute nicht weitergereist zu sein.

Km: 137‘509 (5)

 

Sa, 18.07.2020: Sommerwind in Islands Outback

Der Wind hatte über Nacht kein bisschen nachgelassen, nach wie vor befinden wir uns auf den engen Isobar-Linien, Tief bläst uns starken Polarwind nach Süden. Das ist der Sommerwind in Island, es hatte vielleicht sechs Grad heute Morgen. Gleichwohl begannen wir mit Packen, denn immerhin schien es laut Wettervorhersage trocken zu bleiben.

Wir wollten heute die F35 erreichen, die über ein unwirtliches Hochplateau nach Norden führt. Ausgangspunkte dieser wilden Schotterpiste war wiederum Geysir, sodass wir eine ähnliche Route wählen mussten, die wir in umgekehrter Richtung bereits befahren hatten. Die Fahrt nach Nordosten war wegen des stürmischen Gegen- oder Seitenwindes äusserst unangenehm, wenn nicht sogar gefährlich, weil der Wind sehr böig war und uns immer wieder beinahe von der Strasse blasen wollte. Wir lagen im Wind wohl noch schräger in der Landschaft als damals in Patagonien, aber wir wollten nicht umkehren und erreichten ohne Sturz Geysir für einen Kaffee und ein leichtes Essen. Hier prüfte ich den Ölstand meines Töffs, der mir seit kurzer Zeit etwas eigenartige Geräusche von sich gibt. Tatsächlich schien der Öltank leer zu sein! Glücklicherweise verfügte Sam über einen Liter Öl, mit dem wir meine Tenere frisch versorgten. Wir beschlossen, die Reise fortzusetzen, machten einen kurzen Halt beim Gulfoss, den wir vor ein paar Tagen schon einmal besucht hatten, diesmal auf der anderen Flussseite. Die aufstiebende Gischt bildete einen Regenbogen. Was für ein Naturschauspiel!

Es waren jetzt nur noch wenige Kilometer zu fahren, bis wir aus unseren Pneus den Luftdruck verminderten, denn jetzt galt es wieder, auf Schotter zu fahren, und dies ging ganz gut. Aber der starke Wind blieb uns erhalten, dazu wurde es immer kälter, weil es etwas Höhendifferenz zu überwinden galt. Die Landschaft wurde immer karger und schien gleichsam ausgemergelt. Wir näherten uns einem weiteren Gletscher, der eingelullt von feuchtem Grau war. Dann überqueren wir einen Wildbach, den Ausfluss eines hellblauen Sees, der vom Wind wie mit Peitschen geschlagen wurde. Endlich erreichten wir einen verlassenen und abgelegenen, aber extrem windausgesetzten Platz, wo wir hätten zelten können. Trotz der starken Bewölkung im Norden wollten wir aber noch etwas weiterfahren. Sam und ich hielten Ausschau nach einer wilden Zeltgelegenheit, aber das Gelände ist hier weitsichtig, und wir wollten einen Platz finden, an dem wir nicht gesehen werden, weil wildes Campieren eigentlich nicht erlaubt ist.

Und dann kam die schwarze Wand immer näher. Hätten wir den letzten Zeltplatz doch nutzen sollen? Aber weit entfernt wurden zwei Häuser sichtbar, denen wir uns aber wieder zu entfernen schienen. Auf einer Anhöhe folgten wir einer Abzweigung und erreichten tatsächlich die bekannten zwei Häuser, die vollkommen verlassen dastanden. Kein Mensch war hier, und wir entdeckten einen nahen Pferdestall, dessen Türe offenstand. Wir fanden gleich zwei windgeschützte Holzverschläge vor, die sich bestens für einen Übernachtung eigneten. Wir richteten uns sofort ein und waren ziemlich froh, wieder einmal auf unser Glück verlassen zu können. Ein Auto und eine Gruppe Quads (!) störten uns zwar in unserer Ruhe, aber beide verschwanden nach kurzer Zeit wieder.

Ich begann mit dem Rüsten von Gemüse und bereitete eine Suppe zu, die ausgezeichnet gelang – das perfekte Menu an diesem kalten Abend – es hatte tatsächlich nur noch 2°C! Jetzt etwas aufgewärmt machten wir einen Spaziergang in der Umgebung, im Südwesten war es ganz hell. Was für eine Stimmung in dieser kargen Landschaft! Kleine Flüsschen schlängeln sind durch das Gelände, teils tief moosig, teils vulkanisch steinig. Jetzt fuhr nochmals ein Auto heran, und die Lenker fanden Zutritt zum Haus. Waren es die Besitzer? Sofort traten wir ins Gespräch mit dem isländischen Paar – und diese fanden, dass es kein Problem ist, im Pferdestall zu übernachten.

Jetzt liegen meine beiden Kollegen bereits im warmen Schlafsack, während ich mit klammen Fingern schreibe. Sam hat sein Zelt als Unterlage ausgebreitet. Ich bin ziemlich glücklich, diese Nacht geschützt in einem Verschlag verbringen zu können.

Km: 137‘698 (189)

 

So, 19.07.2020: Ein heisses Bad und ein sich auflösendes Cockpit

Es hatte am Morgen kaum mehr als 0°C im Freien, weshalb es bestimmt angenehm war, in einer Hütte übernachtet zu haben. Die umliegenden Berge waren weiss überzuckert, es hatte bis fast auf unsere Höhe auf etwa 600 m.ü.M. heruntergeschneit. Wir waren bald bereit, diese karge, unwirtliche, aber doch atemberaubende Landschaft zu verlassen. Bald hatten wir einen Aussichtspunkt erreicht. Wir waren genau zwischen zwei gewaltigen Gletschern, der Wind hatte nachgelassen, aber es war noch immer sehr kalt.

Von ferne erkannte Clemens einige aus der Erde aufsteigende Räuchlein, und genau diese wollten wir jetzt erreichen. Wir stiessen auf ein geothermisch aktives Feld, das auch touristisch bewirtschaftet wird. Da standen Reihen von Quads, dessen Fahrer in einer geführten Tour unterwegs waren. Uns interessierte jedoch mehr das schön angelegte heisse Bad, dessen Temperatur mit einem Heiss- und Kaltwasserschlauch reguliert werden konnte. Das heisse Wasser war gegen 100°C heiss. Schnell genossen wir das warme Wasser, bis unsere Lebensgeister definitiv wieder geweckt waren. Auf dem Spaziergang durch dieses vulkanisch aktive Feld beobachteten wir aus dem Erdinnern sprudelnde Quellen und einen veritabel rauchenden Minivulkan, der vor sich hinqualmte. Der Wind trug den Rauch in östliche Richtung.

Im kleinen, warm geheizten Restaurant verzehrten wir einen guten Lammauflauf. Dann ging es weiter auf der gut zu befahrenen Schotterpiste Richtung Norden. Wir erreichten eine Ebene, die in Windeseile durchfahren wurde. Aber schon von weitem war ein grosser, hellblau leuchtender Stausee zu sehen, besonders gut sichtbar von einem Viewpoint auf einer Anhöhe. Wieder einmal blies der Wind mein Motorrad um (ein weiterer Punkt war mir gewiss…), diesmal mit Folgen – mein Cockpit wurde durch den Aufprall zerbrochen. Ärger! Nussgesicht! Mit einigen Kabelbindern wurden die Teile wieder verbunden – das Cockpit scheint besser zu halten als vorher.

Schliesslich erreichten wir die asphaltierte Strasse und damit bald die Nationalstrasse 1. Wir wollten noch einige Kilometer Richtung Westen zurücklegen und schlugen unsere Zelte an einem weiten Fjord auf. Auch hier hatte es ein Warmwasserbad. Nach einem Spaziergang entlang der Küste beobachtete ich lange einige isländische, weidende Pferde, von denen ich nicht wusste, wie angriffig sie sind, wenn man ihnen nahe kommt. Aber sie waren ganz friedlich und zutraulich, ausser jene hübsche Stute mit ihrem Jungen, die ich besonders gerne fotografiert hätte.

Später gesellte ich mich zu Sam, Clemens und Marleen, die im angelegten warmen Bad und sich über meinen letzten Whisky-Vorrat hermachte, der ziemlich bald zur Neige ging. Wir genossen das ewige Licht und einen goldenen Sonnenuntergang, der beinahe unendlich lange dauerte. Schliesslich stiegen wir ab zum mit Algen durchsetzten Meer und nahmen ein Bad im salzig-kalten Wasser. Was für ein Prickeln, wenn man sich nachher wieder im warmen Bad aufwärmen kann! Nach einer reinigenden Dusche (?) mit schwefligem Heisswasser ging’s erst weit nach eins Uhr in den warmen Schlafsack.

Km: 137‘916 (218)

 

Mo, 20.07.2020: Eine Schlucht, ein Schiffswrack, eine Schar Seelöwen und angriffige Möwen

Wir blieben etwas länger liegen als sonst, weil etwas Schlaf nachgeholt werden musste. Es war vergleichsweise mild diesen Morgen. Es wurde beinahe Mittag, bis wir endlich von diesem schönen Ort wegkamen. Wir umrundeten das Fjord beinahe gänzlich, bis eine Schotterpiste Richtung Westen führte. In Budardalur versorgten wir uns mit neuen Vorräten, bevor wir den Weg Richtung Snaefelljökull fortsetzten. Die Schotterpiste Richtung Westen war entlang schroffer Gebirgskämme besonders sehenswert. Und das Wetter spielte auch mit: Es war zwar nach wie vor frisch, aber sonnig mit wenig Wind.

Den ersten Halt machten wir bei einer kleinen Schlucht, durch die ein Wildbach mit glasklarem Wasser führte. Vor allem Marleen und Clemens hatten den Narren gefressen am kalten Wasser und durchschwammen das von steilen Felsen durchsäumte Gewässer. Den Mittagshalt versüssten wir uns durch ein herrlich zartes, mit Dill gewürztes Lachsstück. Bald darauf machten wir einen weiteren Halt mit Sicht auf unzählige kleine Inseln in mehrblaufarbenem Meer – ein Hauch der norwegischen Lofoten. Wenig später besuchten wir nach kurzem Spaziergang ein Schiffswrack, das noch nicht so alt sein kann, weil noch der weisse Radarschirm zu erkennen war. Das Fischerschiff war auf einer Insel auf ein Riff aufgelaufen und liegt nun auf einem kleinen Sandstrand, für uns leider nicht direkt erreichbar ohne Boot. Aber die Wanderung durch eine moorige Landschaft mit der typisch isländischen Vegetation mit Flechten, kleinsten Blüten und den weiss-flauschigen Blüten war grossartig.

Wir folgten einem Fjord landeinwärts, gesäumt von schroffen Felsen und bevölkert von Flamingos (?) oder weissen Wildgänsen, die zu Hunderten im Wasser schwammen, aber von uns nur wenig gestört wurden, weil wir genug zu geniessen hatten an der stupenden Landschaft. Dann wurde es wieder etwas ebener auf dieser gut zu befahrenen Schotterpiste. Wir überquerten die Halbinsel, vorbei an einem tief liegenden Vulkan mit Kratersee und den typischen moosbewachsenen Lavaleichen.

Jetzt wurde zum ersten Mal der Snaefelljökull, das nächste Ziel unserer Träume, sichtbar. Aber wir waren noch weiter entfernt als erwartet. Wir folgten kilometerweit in Richtung dieses lange erloschenen oder schlafenden Vulkans, der erhalben gletscherbeladen die Landschaft dominiert. Den letzten Halt machten wir einige Kilometer vor Amarstapi, wo sich im Meer viele Robben oder Seehunde tummelten. Einer fläzte auf einem grossen Stein in der Sonne, halb im Wasser, vor sich hin, andere tauchten immer wieder auf, um nach Luft zu schnappen. Zu schön wäre es gewesen, mit ihnen zu schwimmen oder ihren Spieltrieb wie damals auf Galapagos zu testen.

Die Sonne war gerade untergegangen – und es war gleich einige Grade kälter, als wir den Zeltplatz erreichten, wo wir gleich für zwei Nächte buchten (je 1000 ISK, Sonderrabatt für Motorradfahrer). Dom und ich waren sofort unterwegs zu Go West, wo wir für morgen Abend einen Trip auf den Snaefelljökull buchten (je 18‘700 ISK). Wir probierten Bergschuhe und liessen uns von George, einem sympathischen, schottischen Führer über den Trip informieren, der ganz speziell werden dürfte, weil wir den Berg in der (hellen) Nacht erklimmen werden. Etwas lästig sind hier die angriffigen kleinen Arctic Terns, die einen attackieren, sich vor allem aber gerne exakt über uns entleeren – mit weisser, hässlicher Schmiere. Trotzdem sehr interessante Tiere, weil sie weltweit jährlich den längsten Migrationsflug bewältigen – von der Antarktis bis nach Island. Lustigerweise wählten sie am liebsten Doms Zelt für ihr Geschäft aus, der heute auch mit einem gefundenen Nuggi beehrt wurde, den ich bei den Robben gefunden hatte. Jetzt schmückt das Ding die Frontseite seines Motorrades.

Wir kochten in der Kälte Älpermagronen, aber es war zu kalt, noch lange wach zu bleiben, sodass wir uns bald in die warmen Schlafsäcke verzogen.

Km: 138‘144 (228)

 

Di, 21.07.2020: Der Trip zum Eingang der Welt

Es sollte der wohl längste Tag der Reise geben, weshalb wir es am Morgen ruhig angingen und versuchten, lange zu schlafen. Dies gelang mir allerdings nur beschränkt. Nach einem ausgiebigen Frühstück wollten wir auf 70 km den letzten Zipfel der Halbinsel umrunden, um am Abend dann fit für den ultimativen Trip auf den Berg zu sein.

Schon bald machten wir Halt bei einer wenig sehenswerten Lavahöhle, die schliesslich so eng wird, dass sie nur kriechend begangen werden kann. Nur Sam und natürlich Clemens taten sich diese klaustrophobische Erfahrung an. Wenig weiter besuchten wir ein Kliff mit einem Sandstrand und zwei kleinen Seen. Der Strand war mit rostigen Teilen eines geborstenen Schiffes übersäht. Eindrücklicher waren die mit verschiedenen Algenarten und kleinsten Muscheltieren besetzten, verwitterten und erodierten Felsformationen. In ruhigen Salzwassertümpeln konnten wir kleinste Meerestiere – Nacktschnecken, einen Einsiedlerkrebs und Hunderte in Schwärmen schwimmende, schwarze Fische beobachten. Sam wanderte mit Clemens und Marleen noch zu einem weiteren Strand, während Dom und ich an unserem vorher ausgeheckten Plan festhielten, den Snaefellsjökull zu umrunden. Wir erreichten bald Olavsik, wo wir uns mit alkoholischen Vorräten eindeckten. Dann folgte eine wilde und überaus sehenswerte Passfahrt den Abhängen unseres später zu besteigenden Vulkangletschers entlang. Steile, überaus raue Strassenstücke waren zu überwinden, bis wir die Passhöhe nahe des Gletschers erreicht hatten. Was für ein wilder Ritt!

Es war schon halb sieben Uhr, als wir den Zeltplatz wieder erreicht hatten. Wir kochten zwei Töpfe Spaghetti mit Gemüse und machten uns bereit für den grossen Bergtrip. George empfing uns um acht Uhr abends und deckte uns mit gewachsten Bergschuhen, Steigeisen, Pickel und „Gschtältli“ ein. Per Kleinbus fuhren wir hoch Richtung schon bekannte Passhöhe. Auf etwa 600 m.ü.M. stiegen wir aus und folgten einem gekiesten Strässchen, das eigentlich per Motorrad zu befahren gewesen wäre. Noch war „unser“ Berg zu sehen, aber graue Wolken versuchten das Ziel unserer Träume einzulullen. Bald zweigte ein Fussweg ab in Richtung eines alten, aufgegebenen Skiliftes. Das Häuschen an der Talstation lag schräg und abgerutscht in der Landschaft. Hier rüsteten wir uns mit Steigeisen aus, denn ein erstes grosses, immer steiler werdendes Schnellfeld galt es zu überwinden. Das junge deutsche Paar, das zu unserer Gruppe gestossen war, bekundete erste Schwierigkeiten, im Schnee aufzusteigen, aber schliesslich hatten auch sie es geschafft.

Nach einer Pause wurden wir angeseilt, ich machte den Schluss, weil ich einige Fotos von hinten schiessen wollte und neben Dom der einzige mit etwas Bergerfahrung bin. Der Aufstieg über den verschneiten Gletscher war stetig, aber eigentlich recht einfach und wäre wohl auch für Dom und mich bei einiger Vorbereitung zu finden gewesen. Wir hielten gegen einen mächtig aufragenden Felszacken, umrundeten ihn und erblickten die ersten Gletscherspalten, denen der Führer natürlich klug auswich. Aber jetzt kam der Nebel, der das eigenartige nächtliche Zwielicht noch unheimlicher machte. Sollten wir den Gipfel tatsächlich bei Nebel erreichen und uns die Fernsicht und der Sonnenuntergang vorenthalten sein? Wenigstens hatten wir schon vorher eine herrliche Aussicht auf die südliche Küste der Halbinsel, die immer mehr im nächtlichen Grau versank. Ich hatte jedoch den Eindruck, dass die Nebelschicht nicht dicht war und meinte, eine Aufhellung am Himmel zu erkennen. Aber war dies nur Wunschdenken? Kontinuierlich stiegen wir weiter auf, und es wurde immer kälter. Ich sollte mich nicht getäuscht haben. Tatsächlich verliessen wir die Nebelbank etwa 250 Höhenmeter vor dem Gipfel wieder und freuten uns am zackigen Gipfel, und im Hintergrund war der orange-gelbe Streifen des Sonnenunterganges zu erkennen. Der Nebel schien zwar wieder zu steigen und uns die Freude doch noch zu verderben. Aber wir erreichten den Sattel vor dem letzten Gipfelaufstieg bei guter Sicht. Jetzt war nur noch der letzte, allerdings sehr steile Aufstieg zu meistern. Dom, Sam und Clemens eilten voraus, als ob es einen Preis zu gewinnen gegeben hätte, wer den Gipfel zuerst erreicht. Vielleicht dachten sie, dass sie wirklich den Eingang der Welt finden würden, wie ihn Jules Verne in einem seiner Romane einmal beschrieben und diesen Berg als Vorlage ausgewählt hatte. Ich kümmerte mich um das deutsche Paar, das offensichtlich Schwierigkeiten hatte, weiter aufzusteigen. Ganz langsam, Schritt für Schritt kamen die beiden vorwärts, und schliesslich hatten es die beiden auch geschafft.

Die Aussicht auf dem Vorgipfel war überwältigend. Zwar war das Meer nach wie vor unter Nebelschwaden verdeckt, aber die Sonne zauberte hundertfache Orange-, Gelb-, Grün- und Blau- und Violetttöne auf den Himmel. Der Gipfel war in scharfes Eis eingepackt, durch den Wind, den Nebel und die Kälte bizarr verformt. Der letzte Aufstieg war nicht mehr ganz so einfach, sodass George nur Dom und mir erlaubte, den Kletterakt über eine Eistreppe zu versuchen. Die letzten zwei Meter mussten, im Angesicht eines hundert Meter senkrechten Absturzes, über bröckliges Gestein bewältigt werden. Was für ein Erlebnis, kurz nach Mitternacht auf diesem Gipfel zu stehen, auf diesem Vulkan, der vor 1700 Jahren letztmals ausgebrochen war!

Wieder bei meinen Freunden packte ich zwei kleine Proseccoflaschen aus, um auf diese Gipfelbesteigung anzustossen. Was für eine Freude! Aber es war bitterkalt, sodass wir bald den Abstieg antraten, zuerst in grossen Schritten bis zum Sattel, wo wir uns wieder ins Seil legten. Der Abstieg über die verschneiten Gletscher war zwar einfach, aber das Tempo war so hoch, dass ich mein Letztes geben musste. Zudem war der Schnee sehr aufgeweicht, sodass man immer wieder tief im Eis versank. Endlich hatten wir jenes erste Schneefeld wieder erreicht, auf dem wir mit Hilfe einer Kunststoffrutsche – oder mit einem kleinen Monoski zu Tale rutschten. Jetzt kam die Müdigkeit definitiv, und ich vermochte der Gruppe kaum mehr zu folgen, obwohl ich mit Stöcken ausgerüstet war. Ich war froh, den Bus kurz nach drei Uhr endlich erreicht zu haben.

Bei den Zelten liessen es sich Dom, Sam und ich natürlich nicht entgehen, ein verdientes Expeditionsbier zu trinken. Unterdessen war im Osten bereits wieder der orange Streifen des neuen Tages sichtbar, und die Halbdüsternis, die beim Abstieg eingetreten war, verschwand bereits wieder.

Km: 138‘226 (82)

 

Mi, 22.07.2020: Ein Überführungstag

Es ist wenig verwunderlich, dass wir nach dem fulminanten Gletscher-Vulkantrip auf den Snaefellsjökull bis Mittag schliefen und uns ein ausgiebiges Frühstück genehmigten. Es war nicht erstaunlich, dass Sam am längsten schlief, aber auch als Erster den Zeltplatz verliess, weil er noch heute Reykjavik erreichen wollte, um seinen Anlasser abzuholen und gleich zu montieren. Er verliess schliesslich die Hauptstadt gleich wieder und übernachtete 100 km nördlich davon.

Ich war heute mit Dom alleine unterwegs, weil Clemens mit seiner Freundin noch den Pass befahren wollte, den Dom und ich schon gestern überquert hatten. Wir folgten der Hauptstrasse im Süden der Halbinsel und querten diese auf der F55. Wir machten Halt bei einem erloschenen Vulkan, dessen lange schon geschehene raue Auswürfe unterdessen mit weisslich-grünem, überaus weichem Moos bewachsen sind. Bald erreichten wir über einen einfachen Pass mit Schotterpiste die andere Seite der Halbinsel und fuhren im Schnellzugstempo nach Budardalur, das wir gerade noch rechtzeitig erreichten, um unsere Vorräte nochmals aufzustocken. Auf der Strecke Richtung Norden fiel mir ein Zeltplatz mit heisser Quelle auf, auf den wir sofort zusteuerten. Der Ort ist recht schräg, weil es zwar ein warmes Schwimmbad mit Zeltplatz gibt, aber auch einige aufgegebene Gebäude, das einmal als Internatsschule und später als Hotel gedient hatte.

Mit einiger Verspätung trafen auch Clemens und Marleen ein. Wir kochten einen Gemüsereis, tranken einige Biere. Es war aber kalt, sodass wir noch um elf Uhr nachts zum kleinen Pool mit 42°C heissem Wasser spazierten und unsere kalten Glieder etwas aufwärmen wollten, um dann mit perfekter Temperatur in den Schlafsack schlüpfen zu können. Ich war todmüde, kein Wunder, denn ich hatte vergangene Nacht oder besser am Morgen nicht gut oder viel zu wenig geschlafen.

Km: 138‘397 (171)

 

Do, 23.07.2020: Papageientaucher im Westen der Westfjords

Es ist 23:08 Uhr. Ich sitze an einer der typischen Bänke, die in Zeltplätzen jeweils in knapper Zahl zur Verfügung stehen. Die Sonne liegt in rechtem Winkel vor mir und dürfte etwa in einer Stunde untergehen. Der Wind hat nachgelassen, und es ist wohl milder als den ganzen Tag über. Dom, Sam und ich haben eben unser Nachtessen im einzigen Hotelrestaurant auf dieser Halbinsel verspeist – Fish and Chips, Vorspeise eine wunderbare Pilzsuppe, Nachtisch ein überzuckerter Schokoladenkuchen. Natürlich hat auch ein Bier nicht gefehlt. Clemens und Marleen haben den kostenlosen, windigen Platz 3 km vor dem „Vogelfelsen“ vorgezogen und werden morgen früh wieder zu uns stossen. Hinter mir leuchtet im warmen Abendlicht eine kleine, im weiten Grün gelegene, weisse Kirche mit rostbraunem Spitzdach. Das Kreuz auf dem Giebel scheint entrückt und sich mit dem hellen Blau des Himmels zu verschmelzen. Auch dieser Zeltplatz ist wenig besetzt – Covid 19 lässt grüssen und uns dieses Land unüberlaufen geniessen. Gerade jetzt geht die Sonne hinter einem weit entfernten, grauen Wolkenband unter – der Wind frischt auf, und es dürfte bald um einige Grad kälter sein. Dom und Sam haben sich auf einen Spaziergang zum weiten, weissen Strand begeben. Eigentlich hätte ich sie gerne begleitet, aber es ist mir auch wichtig zu schreiben. Ich finde kaum Zeit dafür, weil die Tage dermassen mit Eindrücken und Erlebnissen vollgepackt sind. Das Hotel Breidavik, 1912 gebaut liegt unterdessen ruhig da und scheint sich selber zur Ruhe begeben zu wollen. Rund um mich stehen drei Motorräder – Sam muss unterdessen nicht mehr angestossen werden. Er ist heute früh – wir lagen alle noch im warmen Schlafsack, mit repariertem Anlasser von Reykjavik wieder zu uns gestossen und hat die Wasserregie wieder übernommen. Mein Motorrad läuft nach wie vor ohne Murren, über Stock und Stein, über Schotterpisten, vorbei an Fjorden und heute auch viele geteerte Strassen. Sorgen macht mir einmal mehr mein hinterer Pneu, der unterdessen so weit abgefahren ist, dass ich ihn wohl auch auf dieser Reise noch vor der Rückkehr ersetzen muss.

Es war grau und kalt heute Morgen, als wir Laugar um elf Uhr verliessen. Ich überholte schon nach kurzer Zeit Dom und fuhr für die Gruppe wohl etwas zu schnell, aber ich wollte unbedingt sowohl die heisse Quelle auf dem Weg als Bjargtanger, den berühmten „Vogelfelsen“ erreichen. Und dies sollte sich schliesslich definitiv lohnen, weil es je länger desto mehr aufhellte, je länger der Tag dauerte. Wir erreichten heute bald die ersten Fjorde der wild-karg-unwirtlichen Westfjords, die von weniger hohen Felsen gesäumt sind als in Norwegen. Aber Begeisterung wollte sich vorderhand nicht einstellen, weil es bitterkalt (6 bis 7°C) und windig war und die Landschaft kaum leuchtete. Dazu stiess ich Dom vor den Kopf, weil ich offenbar etwas zu schnell unterwegs war. Zudem stellte sich die heisse Quelle in schön angelegtem Steinpool als zu attraktiv heraus, um ihn nicht zu nutzen – zum Unbehagen von Nussgesicht Dom, der Wasser nicht wirklich liebt – Nussgesichter wachsen auch nicht im Wasser. Während Dom und Marleen versuchten, sich an der Sonne zu wärmen, weilten Sam, Clemens und ich eine halbe Stunde im herrlich warmen Wasser, um die im Körper sitzende Kälte zu vertreiben. Wir unterhielten uns bestens mit einer isländischen Familie, die sich freute, dass wir ihr so atemberaubendes Land besuchen.

Kurz nach der Abzweigung Richtung „Vogelfelsen“ machten wir Halt bei einem Schiffswrack, das seit 1981 in einer sandigen Bucht liegt und vor sich hin rostet. Vor allem die drei Jungs freuten sich über den alten Rosthaufen. Wenige Kilometer später hielten wir nach einem kleinen Flugfeld erneut an, um zwei alte Douglas 3 zu bestaunen, die als Wrack sogar bestiegen werden können. Nach einem Snack ging’s weiter auf die andere Seite der Halbinsel, und die Landschaft wurde mit jedem Kilometer dramatischer. In weiten Buchten liegen weisse Sandstrände (!), gesäumt von gewaltigen Felsabbrüchen, die an die Kulisse um die Rosamunde-Pilcher-Filme erinnern.

Bald erreichten wir Breidavik, fuhren weiter bis zum äussersten Zipfel der Peninsula, wo wir hofften, die berühmten Papageientaucher zu sehen. Die Landschaft hier draussen ist stupend wild-schön. Meeresströmungen treffen hier aufeinander und verursachen zusammen mit dem starken Wind einen wilden Wellengang. Die Papageientaucher wurden schon nach wenigen Metern an der Steilküste entdeckt. Muntere, kleine Gesellen, etwas tolpatschig, aber überhaupt nicht schüchtern. Die teils orange-farbenen Schnäbel und Gefieder leuchteten in der Abendsonne wie Orangenzucker. Flapsig drehten und wendeten sie sich, gleichsam gewohnt an Fotografen und posierten immer wieder für das perfekte Foto. Am eigentlichen Vogelfelsen nisteten oder schliefen Hunderte von Vögeln, verschiedener Art und liessen sich von den wenigen Besuchern nicht stören. Starker Geruch wehte von den Felswänden in unsere Nasen. Ich wanderte noch eine Weile auf dem wiesigen Untergrund entlang der steilen Kliffs und traf auf Clemens und Marleen – Sam und Dom hatten sich bereits auf den Rückweg zu unserem Zeltplatz gemacht.

Ich werde diese Nacht wenig schlafen, denn morgen haben wir vor, etwas früher loszufahren, um möglichst viel von diesen fantastischen Fjorden mitzubekommen.

Km: 138‘681 (284)

 

Fr, 24.07.2020: Kalte Westfjords und ein riesiger Wasserfall

Wir sind heute früh aufgestanden und verliessen diesen wunderschönen Ort schon nach acht Uhr. Clemens und Marleen sind fast pünktlich heute Morgen bei uns eingetroffen – sie hatten ja nahe des Vogelfelsens übernachtet. Wir fuhren auf demselben Weg zurück bis nach Patreksfjördur, wo wir uns mit Benzin und neuen Vorräten versorgten.

Es sollte der Tag der Fjordumfahrungen werden. Auch jetzt folgten wir dem Fjord, aber bald stieg die Schotterpiste steil an. Auf der Passhöhe versuchte der eisige Wind, unser Mark und Bein zu erreichen. Nur wenig milder war es jeweils an den Ufern der tiefblauen Fjords, denen wir in scheinbar Millionen Kurven folgten, bis wir das Ende erreicht hatten. Meist führte eine kunstvoll gebaute Mauer ins Wasser, zu der eine meist kleine Brücke über das Wasser führte, sodass die Strasse dann auf der anderen Seite in entgegengesetzter Richtung weiterführte.

Auf dem Weg nach Norden kamen wir unweigerlich zum Wasserfall Dynjandi, wo sich das Wasser über mehrere Stufen in die Tiefe stürzt. Vor allem die Breite und die beinahe symmetrische Form gefielen mir gut. Wir stiegen hoch zum grössten Wasserabsturz, wo mich die Gischt etwas einnässte, als ich mich etwas zu nahe an die Wassermassen heranwagte.

Hier trennten sich Clemens und Marleen von uns, die weiter Richtung Süden fahren, während wir die Nordfjorde doch auch noch besuchen wollen. Bei jeder weiteren Passüberfahrt über jeden Fjordrücken wurde das Wetter kälter und windiger. Schliesslich erreichten wir nach einer langen Tunneldurchfahrt Isafjördur, eine kleine Hafenstadt im Norden, wo wir uns bei einem Kaffee etwas aufwärmen wollten. Dom war längst genug gefahren und hätte am liebsten sofort einen Zeltplatz gesucht. Aber es war so unwirtlich und kalt hier, dass wir doch noch etwas weiterfahren wollten. Sam und ich hatten in Heydalur einen Campingplatz mit heisser Quelle ausgemacht, aber dieser Ort war Luftlinie zwar kaum 30 km entfernt, auf der Strasse jedoch deren 115, weil gleich mehrere der Nordfjords umfahren werden sollten.

Ziemlich durchfroren erreichten wir endlich Heydalur, einen recht grosszügig angelegten Zeltplatz in etwas lieblicherer Umgebung. Nach dem Aufstellen des Zeltes wärmte ich mich im netten, heissen Bad sofort auf. Was für ein herrliches Gefühl, im warmen Wasser die steifen Glieder wieder etwas auftauen zu lassen! Gleich darauf gesellte ich mich nach der Dusche zu Sam und Dom, die bereits im herrlich geheizten Restaurant am Biertrinken waren.

Nochmals waren wir zu faul zu kochen. Das isländische Lammfilet war ausgezeichnet, mit typischer, währschafter Rahmsauce zubereitet. Wir waren die Letzten, die das Lokal verliessen. Der Tag wurde abgeschlossen mit einem weiteren heissen Bad – nur Dom zog den Schlaf im Zelt vor – dies machte ich einiges später – wunderbar voraufgewärmt.

Km: 139‘044 (363)

 

Sa, 25.07.2020: Den Elementen ausgesetzt

Ein eisiger Wind bläst mir ins Gesicht. Es ist grau. Wir befinden uns am Ende eines Fjordes etwas versteckt zwischen Büschen in Heydalur. Ich bin etwas früher aufgestanden, habe mein Zelt schon zusammengeräumt, weil ich trotz kalter Finger schreiben möchte. Sam und Dom sind eben aufgestanden und versuchen, ihren Packrückstand aufzuholen. Wenn der Computer wasserdicht wäre, würde ich wohl in der heissen Quelle über dem Fluss oder in der schön angelegten, kleinen Bäderlandschaft nahe des Restaurants die gestrigen Erlebnisse beschreiben. Die Hänge sind grün bewachsen, kleine, felsige Schluchten unterbrechen die Bergrücken. Die Vegetation ist karg, aber immerhin hat es um uns herum Büsche, die aber den zügigen Wind kaum abzuhalten vermögen.

Nach einem ausgiebigen Frühstück fuhren wir erst um halb elf Uhr los. Wir stellten uns gleich einer ersten Herausforderung. Wir wollten den Weg über einen Bergrücken eines Fjordes abkürzen, obwohl wir wussten, dass wir damit länger brauchen, als der Schotterpiste dem Fjord entlang zu nehmen. Bei der Einfahrt zeigte uns eine Sackgasse-Tafel an, dass dieser Weg nicht mehr unterhalten wird und nur noch als Wanderweg benutzt werden sollte. Gleichwohl wollten wir über diesen Pass fahren. Die Hochfahrt stellte sich als fahrbare Herausforderung heraus. Mit möglichst hohem Tempo bretterten wir über grosssteinigen Kies, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Manchmal war die Strasse ausgewaschen, und die Fahrlinie musste gut überlegt sein. Auf der Passhöhe blies uns der starke Wind fast von den Motorrädern. Wo sollte der Haken der Strecke sein? Vielleicht auf der anderen Passseite? Wir folgten der Strasse jetzt in Richtung eines weiteren Fjordes, fuhren schliesslich durch ein saftiges Blumenfeld, das überraschend am Berghang klebte. Doch wir erreichten die gekieste Hauptstrasse doch recht problemlos.

Es war ein überaus harter Fahrtag, denn das Thermometer zeigte nur 4°C an. Es fühlte sich aber viel kälter an, denn der Wind versuchte, sämtliche Ritzen unserer Wind- und Regenkleider zu infiltrieren. Ich montierte eine weitere  Schicht Kleider als Gegenmassnahme. Wir wollten heute möglichst weit gegen Osten vordringen, denn unsere Tage in Island sind allmählich gezählt. Die Westfjordgeister wollten uns gleichsam aus ihrem sagenumworbenen Land vertreiben. Die Trolle und Orks hatten sich in einen überaus unangenehmen, böigen Wind verwandelt. Nur selten konnten wir jedoch von Rückenwind profitieren, weil weitere Fjords umfahren werden mussten. Auf Anhöhen oder Übergängen lagen wir schräg wie windgeplagte Bäume auf der Strasse. Manchmal spürten wir den Atem der Trolle, der uns in Form von Nebel die Sicht verdüsterte. Schon nach 70 km waren wir durchgefroren und machten bei einem Tankhalt eine Kaffeepause. Die Menschen, darunter auch viele Einheimische, die diesen Ort als gesellschaftlichen Treffpunkt ausgewählt hatten, versuchten ebenfalls der windigen Kälte zu entfliehen. Das Wetter sollte sich nicht ändern. Der Wind war überaus unangenehm, die Trolle schienen auch die südlichen Landen einnehmen zu wollen. Wir erreichten mit dem Saeberg Camping einen bekannten Ort, an dem wir früher schon einmal übernachtet hatten. Wir waren jetzt auf der Nationalstrasse 1, die sich erneut als sehr gefährlich herausstellte, denn trotz des stürmischen Windes überholten die isländischen Autofahrer in fast schon beängstigender Manier. Wir versuchten fortan Autokolonnen zu meiden, um solchen Überholmanövern auszuweichen.

Im Schutze eines grossen Bergrückens wurde die Landschaft plötzlich um ein Vielfaches lieblicher. Der anvisierte Zeltplatz stellte sich als geschlossen heraus. Unterdessen waren wir Akureyri, der zweitgrössten Stadt, schon recht nahe gekommen. Bei einem weiteren Zeltplatz, mitten in einem Landstück mit vielen Bäumen, die man schon fast als Wald bezeichnen konnte, machten wir Halt, um die Lage zu beraten. Eigentlich wollten wir noch bis nach Akureyri fahren, aber der Samstagabend machte uns einen Strich durch die Rechnung, weil alle verfügbaren Unterkünfte ausgebucht waren, sodass wir uns entschlossen, auf dem angefahrenen Zeltplatz unser Lager aufzustellen. Und es hatte sogar eine Feuerstelle! Dom besorgte bei einer nahen Tankstelle einige Würste, Sam machte das Feuer, und ich bereitete einen gemischten Salat zu. Das mit dem Feuermachen war dann aber so eine Sache, denn eine nahe campende Familie fühlte sich durch den Rauch gestört. Wir wunderten uns aber auch, warum die Feuerstelle nicht schon genutzt wurde. Die Isländer scheinen Feuer nur in Form von Vulkanglut zu kennen, oder sie sind sich schlicht nicht gewohnt, Feuer zu machen, weil im Land kaum irgendwo Holz zu finden ist. Wir diskutierten am Feuer lange über Gott und die Welt sowie die Weiterreise. Weil wir heute so weit gekommen sind, ist es nicht ausgeschlossen, dass wir Askia, den Kratersee inmitten des zentralen Hochlandes doch noch anfahren werden.

Km: 139‘397 (353)

 

So, 26.07.2020: Akureyri

Wie merkt man sich den Namen der zweitgrössten Stadt Islands Akureyri, gegen dessen Fussballmannschaft auch der FCSG einmal spielte (übrigens 1970/71, als man im Uefa-Cup mit dem Gesamtscore von 1:14 gewann)? Also: Was gibt dem Handy die Energie? – Ein Ak(k)u. Was ist ein König? Ein Rey! Und was ist ein halber Reissverschluss? – Ein Ri(ri)…

Diese Stadt erreichten wir schon heute Mittag, nachdem es am Morgen geregnet hatte und das Zelt deshalb nass verpackt werden musste. Wiederum war es eine kalte, diesmal teils auch nasse Fahrt, die durch ein „Hochtal“ führte, in dem ein besonderer Berg gleichsam einer Nadel aus dem Nebel auftauchte.

Wir hatten im Akureyri Backpacker’s gebucht und sind in einem Sechserzimmer untergebracht. Ich hängte meine noch nassen Kleider improvisiert irgendwo im Zimmer auf, die ich noch am Vorabend gewaschen hatte, aber am Morgen keinesfalls trocken, vielmehr wegen des Regens noch viel nässer waren. Bald spazierten wir durch das kleine, beschauliche Zentrum des Städtchens, erreichten den Hafen mit einer Jacht (Horizon III), die man für 600‘000 € pro Woche chartern könnte (12 Schlafplätze). Bald planten wir bei einem Bier die nächsten beiden Tage und sind unterdessen fest entschlossen, den Askia-Kratersee im östlichen Hochland Islands zu erreichen.

Wir trafen heute zufällig auf Clemens und Marleen, die uns ab morgen wieder begleiten werden. Wir assen im wohl besten Restaurant des Ortes (Örkin hans Noa) ein ausgezeichnetes Fischmenu mit ausgiebigem Gemeinschafts-dessert. Auf dem Rückweg blödelten einigermassen unvernünftig, bestiegen Monumente oder erfreuten uns an den besonderen Rotlichtern, die eine Herzform haben! Wir sind ein ziemlich gutes Team – morgen erwartet uns wohl das letzte wirkliche Abenteuer auf dieser Island-Reise mit Flussdurchquerungen und Sandpisten.

Jetzt bin ich todmüde – ich benötige Schlaf, den morgen wollen wir hier früh abhauen!

Km: 139‘495 (98)

 

Mo, 27.07.2020: Der wilde Ritt nach Askia und ein ärgerlicher Verlust

Ich stand schon vor sechs Uhr auf, denn es stand ein langer und unwägsamer Trip ins zentrale Hochland Islands vor uns. Nach sieben Uhr waren wir (wieder zu fünft) unterwegs auf der Nationalstrasse 1 Richtung Osten. Schon nach 30 km machten wir Halt beim Goba-Foss, einem riesigen Wasserfall, bei dem sich riesige Wassermassen in stiebender Gischt in die Tiefe stürzen.

Es war jetzt nicht mehr weit bis Myvatn, einem geothermisch überaus aktivem Gebiet mit blubbernden, heissen Teufelswassern, die gleichsam aus der Erdoberfläche kotzen. Aus Mini-Vulkanen strömten schweflige, übel riechende Dämpfe, die sich durch den Wind das ganze Gelände einnebelten. Die umstehenden Berge sind orange-braun-grau gefärbt, und eigentlich hätte sich eine Wanderung auf einen dieser Berge empfohlen. Aber die Zeit dazu fehlte – wiederum galt: Der Mut zur Lücke!

Hier versorgten wir uns mit genügend Benzin für den langen Trip nach Askia und mit neuen Vorräten. Die einfache, aber kalte Fahrt führte uns über unwirtliches Land und einfach zu befahrener Strasse weiter nach Osten. Es waren jetzt nur 24 km nach Norden bis zum Dettifoss, einem mehrteiligen, gewaltig grossen Wasserfall, dessen Wassermassen wegen des starken Windes die ganze Umgebung mit Millionen von wild herumtanzenden Wassertröpfchen einnässten, auch uns, denn wir wollten uns natürlich möglich nahe an den Wasserfall begeben. Die Morgensonne liess die stiebenden Wassermassen in gleich mehreren Regenbogen verwandeln. Wir wanderten eine Weile flussaufwärts zu einer Vorstufe des Wasserfalls.

Jetzt war das wirkliche Abenteuer nach diesen touristisch empfohlenen Besuchen nicht mehr weit. Wir fuhren zurück zur Nationalstrasse 1 – jetzt half der Rückenwind – und bald folgten wir einer Schotterpiste Richtung Süden und machten unsere Mittagsrast mitten in einem erloschenen Vulkan oder dessen Krater. Es war kalt, weil der Wind um die Kraterwände herumblies. Jetzt ging es aber wirklich los. Die Gravelroad war aber recht gut zu befahren, und wir kamen erstaunlich gut vorwärts. Die ersten 40 km waren bald geschafft.

Dann kam die erste Flussüberquerung. Das Wasser war zwar fast still, aber doch recht tief. Ich versuchte, mit Klebeband meine wasserdichten Schuhe mit den Regenhosen zu verbinden, um möglichst trocken zu bleiben. Aber der Versuch misslang. Geschätzte fünf Sekunden blieben meine Füsse länger trocken. Wir assistierten uns beim Überqueren dieses Gewässers, das ich als Erster recht gut geschafft hatte. Wiederum stand jeweils eine oder zwei Personen auf den Seiten des Motorrades, dass dieses auf keinen Fall kippen kann, was fatale Auswirkungen auf den Motor hätte haben können. Unweit des Überganges in Richtung eines markanten Berges, von dem wir lange vermuteten, dass hier der Askia sein müsse, erfreute uns auch ein kleiner Wasserfall in dieser trockenen Hochebene, auf der fast nichts mehr wächst. Mitunter hatte man Sicht auf einen grossen Fluss, der weiter flussabwärts über den Dettifoss stürzt. Das Wasser, das ungebeten meine Füsse und Schuhe durchnässt hatte, wird später mit einem Sturz in die Tiefe bestraft.

Nach weiteren 13 km wartete bereits das nächste zu überquerende Gewässer auf uns. Diesmal galt es aber eine recht starke Strömung zu berücksichtigen. Nochmals halfen wir uns gegenseitig. Clemens versuchte die Querung ohne Hilfe – und prompt legte er die Maschine hin. Sam und Dom waren aber schnell zur Stelle und halfen Clemens‘ KTM wieder auf die Beine – ohne negative Auswirkungen. Jetzt war die Landschaft mit unzähligen, hitzeverkrümmten und überaus rauen Gesteinsbrocken besetzt. Der Weg führte in vielen Kurven um dieses Urgestein. Es war ein spannendes Fahren, weil die Strecke über unzähligen Kurven um die grössten Lavaauswürfe herumführte. Steuerkunst war gefragt, weil es auch konstant auf und ab ging. Wir traten ein in eine sandigere Landschaft, wodurch auch der Weg etwas schwieriger zu befahren war. Wehe – man sollte im Sand ausrutschen oder sich gar eingraben!

Die dritte Wasserüberquerung war vergleichsweise einfach und bereitete uns kaum Schwierigkeiten. Aber das Vorwärtskommen war jetzt zeitraubend wegen der vielen Kurven und dem Ausweichen der Sandlöcher. Zudem schien sich die feuchte Kälte von den Füssen aus über den ganzen Körper auszubreiten. Aber wir erreichten Askia schon am frühen Abend. Das erste, was ich machte, war, dass ich endlich aus diesen nass-kalten Schuhen herauskomme. Dann wurde auf einer kiesigen Fläche nahe eines friedlich dahinplätschernden Bächleins das Zelt aufgestellt.

Jetzt wollten wir im warmen Abendlicht aber noch den 8 km entfernten Askia-Krater besuchen. Aber leider zog es allmählich zu, die Sonne verschwand hinter entfernten Nebeln. Die Hochfahrt war rasant und spassig, weil ich jetzt merklich weniger Gewicht transportierte. Ich hatte nämlich zusätzlich sieben Liter Benzin mitgeschleppt für die anderen drei Motorräder – meine Tankfüllung sollte für den ganzen Trip reichen.

Eine typische sturzi-Nachlässigkeit sollte mich aber in den nächsten Stunden ziemlich ärgern, denn ich hatte vergessen, das Topcase zu verschliessen, sodass sich durch das Holpern wegen der unebenen Strasse einige Dinge aus meinem Koffer entfernten: das Klopapier – nicht schlimm, meine Powerbank – nicht schlimm, weil sie Sam später wieder fand, meine schwarze Kappe mitsamt meinem Zoom der Kamera – schlimm!!! Ich bemerkte mein Missgeschick am Rande des Kraters, als ich mein Tele mit auf die Wanderung zu den Kraterseen mitnehmen wollte. Du grosses Nussgesicht, du!

Zuerst dachte ich, das Objektiv im WC beim Dettifoss liegengelassen zu haben. Während der Wanderung dachte ich mehr darüber nach, wo ich mein Zoom gelassen hatte, als mich von der stupenden Schönheit dieses Ortes zu erfreuen. Die kurze Wanderung führte geradewegs in einen 45 km2 grossen, sandig-steinigen Krater, indem teils noch Schnee lag. Endlich wurde der riesige Kratersee erreicht, der tiefblau dalag und allmählich von den Wolken eingenommen wurde. Der grösste Blickpunkt war jedoch der kleine Kratersee. 1875 brachte der kleine Vulkan hier zum letzten Mal aus und verwüstete die Landschaft. Der See hat eine milchig-weiss-hellblaue Farbe – was für ein Kontrast zum viel älteren, grösseren Kratersee. Wir stiegen zum neuen Kratersee ab und hatten eigentlich vor, ein Bad zu nehmen. 24-28°C waren angesagt, aber nach meiner Schätzung war das Wasser wohl nur 20°C warm. Wir verzichteten auf ein Bad.

Auf dem Rückweg fiel mir dann die Rolle Klopapier auf dem Weg auf, Sam fand später die Powerbank, ich hielt aber gleichwohl nicht an, weil ich einen italienischen Reiseführer mitnahm, der seinen Landi auf dem oberen Parkplatz parkiert hatte. Der Verlust des Objektivs liess mir aber keine Ruhe. Während die anderen vier kochten, fuhr ich erneut hoch zum Krater und suchte den Weg ab. Aber ich fand nichts trotz grosser Aufmerksamkeit. Die Dinge waren aber auch nicht leicht zu finden. Die Kappe ist schwarz – und das Objektiv auch – und welche Farbe hat frisch erkaltete Lava? Auch schwarz!

Es war bitterkalt während des Essens draussen vor der Hütte – es hatte nur noch 1.5°C. Kein Wunder, dass wir nach dem Essen schleunigst die Zelte aufsuchten, um uns in die warmen Schlafsäcke zu hüllen.

Km: 139‘791 (291)

 

Di, 28.07.2020: Eine freudige Überraschung, tausend wilde Kurven und ein zahmes Entenbaby

Wir genossen ein ausgiebiges Frühstück im Windschatten des stark geheizten Aufenthaltsraumes, den wir genutzt hatten, um unsere Schuhe etwas abzutrocknen. Eigentlich hätten wir für diesen Raum keine Zutritterlaubnis gehabt, weil wir die „Facility“-Gebühr nicht bezahlt hatten. Never mind! Während des Frühstücks erlebte ich eine freudige Überraschung, als die Chefin des Platzes mit meiner Mütze und vor allem meinem Objektiv erschien und es mir übergab, das gestern jemand auf dem Weg hoch nach Askia gefunden hatte. Welch eine Freude! Und die Linse hatte den Sturz überlebt und war wohl in meiner Kappe sanft gelandet.

Wir liessen uns heute Zeit mit dem Start und unternahmen eine kurze Wanderung durch eine immer engere werdende Lavaschlucht. Der Wildbach musste an einigen Stellen möglichst trockenen Fusses überquert werden, der Weg führte über sandige Halden auf und ab, bis wir vor einem Wasserfall standen (Drekafoss), dessen Wasser beim Aufprall einen See gebildet hatte. Die Felswände waren mit saftig-grünem Moos überzogen. Faszinierend war das verschiedenartig farbige Vulkangestein, das meist zerbröselt überall herumlag. Resten eines Lawinenkegels lagen in der Schlucht, sodass Sam und Dom versuchten, den weichen und nahe der Felsen abgeschmolzenen Schnee zum Einsturz zu bringen. Ein Schneeloch lud sie dazu ein. Sam schaffte dies wenigstens ein bisschen.

Wir starteten den letzten Abenteuertrip in diesem fantastischen Land erst gegen Mittag. Zuerst ging es über Stock und Stein denselben Weg zurück, bis wir den Einstieg in die F910 wählten. Die Strecke war sogleich an einigen Stellen sandig, sodass wir höllisch aufpassen mussten, unser Motorrad nicht hinzulegen. Wüstenähnliche Abschnitte waren zu durchfahren, bisweilen aber auch bizarre Lavagesteins-Formationen, wo man es mit Mühe geschafft hatte, einen Fahrweg zwischen den rauhen Gesteinsbrocken hindurchzuführen. Es machte riesigen Spass, unsere Maschinen durch dieses Auf und Ab über unzählige Kurven zu steuern. 60 km weit konnte ich mit einigermassen trockenen Schuhen fahren, bis der erste grosse Fluss zu überqueren war – und wir hatten Glück, dass über den mächtigen Jökula a Fjöllum (der später den Dettifoss bildet) eine Brücke führt, denn dieses Gewässer wäre ohne Bauunterstützung unmöglich zu überqueren gewesen. Bald darauf wurden unsere Füsse aber gleichwohl nass, aber dieser Übergang war recht leicht zu schaffen. Die zweite Flussüberquerung war deshalb viel schwieriger, weil gleich zu Anfang das Wasser sehr tief stand und mit grossen Gesteinsbrocken durchsetzt war. Hier halfen wir einander. Kurz darauf war der Fluss zwar immer noch breit und leicht fliessend, aber nur noch seicht. Es waren noch ein paar weitere Flussüberquerungen zu überwinden, aber diese stellten uns vor keine grossen Herausforderungen mehr.

Die Landschaft war jetzt wieder wüstenähnlich, weite Ebenen wurden relativ zügig durchquert. Wir erklommen einen Bergrücken, auf dem wir endlich einen verspäteten Lunch zu uns nahmen. Die Strasse wurde jetzt merklich besser, fuhren auf der F907 vorbei an verschiedenen, im Abendlicht in eigenartigen Farben leuchtenden, ehemaligen Gletscherseen. An einem dieser Seen entdeckten wir einen Zeltplatz mit drei alten, grasüberwachsenen Häusern. Ein länglicher, idyllischer Essraum war in einem ehemaligen Schafstall eingerichtet worden.

Begrüsst wurden wir nicht nur von sehr freundlichen Einheimischen, sondern auch von einer überaus zutraulichen Babygans, die munter Gras zupfte und uns um die Beine strich. Ich liess mir Zeit fürs Aufstellen des Zeltes, während Dom und Sam mit einem Kajak und Marleen und Clemens mit einem Pedalo auf dem See unterwegs waren. Ich unternahm erst später alleine einen Wandertrip auf einen Hügel am westlichen Ende des Sees, der alle paar Minuten die Farben zu wechseln schien. Ich hatte beobachtet, dass die Wolken die Sonne bald vollständig freigibt. Die Wanderung dauerte jedoch länger als erwartet. Eine Stunde war ich unterwegs zu flachen Gipfel, von wo aus ich eine fantastische Rundsicht auf das weite, karge Land erhielt. Die Sonne spiegelte sich in entfernten, kleinen Lagunen, schnee- und gletscherbestandene Bergriesen leuchteten in der Abendsonne orange-gelb. Je länger ich die Stille und Aussicht über das absolut siedlungsfreie Land hier oben genoss, desto kälter wurde es. Nach einem fulminanten Sonnenuntergang machte ich mich auf den Rückweg. Noch immer leuchteten höhere, weit entfernte Landstriche im warmen Abendlicht. Nochmals hatte ich kleine Schluchten und niedriges Buschland querfeldein zu durchqueren. Sam und Dom schliefen schon, als ich zurückgekehrt war. Ich trank einen letzten Rest Rotwein, ass ein paar Mandeln und suchte bald mein Zelt auf – ein ereignisreicher, grossartiger Tag war vorbei – und ich war ordentlich müde geworden.

Und: Das Babygänschen übernachtete unter Pullovern im Zelt Marleens und Clemens‘ – um halb fünf Uhr wurden die beiden vom Pfeifen des Tieres geweckt, als Geschenk hatten sie einige Häufchen von Exkrementen gekriegt, dafür konnte das Tier friedlich und warm schlafen…

Km: 139‘900 (109)

 

Mi, 29.07.2020: Die Perversität des Sam und Dom

Erst um zehn Uhr genossen wir ein exquisites Pancake-Frühstück mit erstaunlich gutem Filterkaffee und Rahm gleich vor der idyllischen, grasbewachsenen, alten Schafshütte. Es war jetzt nicht mehr weit bis zur Nationalstrasse 1, wo wir unseren Reifen mit Hilfe von Doms elektronischer Pumpe wieder etwas mehr Luft gönnten. Ich fühlte mich während der letzten Kilometer etwas unsicher auf meinem Zweirad. Tatsächlich hat das hintere Rad etwas Spiel, sodass etwas mehr Balancierkünste nötig sind – laut Sam dürfte das Schwingenlager unterdessen ziemlich ausgeleiert sein. Sorgen macht mir nach wie vor mein Hinterreifen, dessen Profil unterdessen vollständig abgearbeitet ist – ich fahre also mit einem Slick. Wäre es sinnvoll, noch vor meiner Rückkehr in die Schweiz einen Reifenwechsel vorzunehmen?

Für einen halben Tag trennten uns hier unsere Wege. Während Dom, Clemens und Marleen direkt ihre letzten 50 km nach Egilstadir fuhren, wollten Sam und ich noch eine Runde in Islands Norden drehen. Eine gut ausgebaute, asphaltierte Strecke führten uns ins beschauliche Dorf Vopnafjördur mit reinlich herausgeputzten Einfamilienhäusern, einer schmucken Kirche, aber wohl auch einer Fischfabrik – den Geruchsimmissionen nach zu urteilen. Wir umkurvten ein letztes Fjord, assen nahe der wilden Küste einen kleinen Lunch, besichtigten einen weiteren wilden Wasserfall. Die Küstenstrasse wurde unterbrochen durch einen unpassierbaren Felsabbruch, sodass uns zum ersten Mal in diesem Land eine veritable Passfahrt bevorstand. Die recht gute Schotterpiste führte uns in vielen Kehren bis auf 650 m.ü.M. Wir machten Halt bei einem grossen, einigermassen flachen Schneefeld und überquerten dieses fahrend, zumindest für einen Moment, bis wir uns in den weichen Schnee eingegraben hatten. Mit meinen Slicks hatte ich natürlich keine Chance, es alleine herauszuschaffen – unterdessen war auch Sam im Schnee steckengeblieben. Mit vereinten Kräften schafften wir es aber wieder aus der dreckig-weissen Masse. Die Passabfahrt wurde ebenso fulminant wie der Aufstieg. Die Küste war mit Flussmäandern durchsetzt, die zwischen den dem Hang entlangstreifenden Nebelfetzen immer wieder in Erscheinung kam. Die letzten 60 km bis Egilstadir waren bald geschafft. Auf dem Zeltplatz in diesem kleinen Städtchen trafen wir bald auf Dom, der sein Zelt natürlich schon aufgestellt hatte. Wieder immer war er der Erste. Bevor wir uns dieser Arbeit hingaben, tranken wir je zwei Craftbier, die Freude über den gut ausgegangenen Rundtrip um Island ist gross.

Den Abend verbrachten wir in einer Pizzeria, die Qualität der Pizza war wegen des Holzofens hervorragend, allerdings hatte ich es mit der Wahl der Chilimenge etwas übertrieben. Die Scharfes-Essen-Scharfer-Stuhlgang-Regel dürfte mich morgen einige Zeit begleiten. Auf dem Heimweg machten wir Halt bei einem Fastfood-Restaurant, wo ich mir eine neue Sonnenbrille kaufte (meine beiden mitgenommenen Exemplare hatten das Zeitliche gesegnet). Dom und Sam versorgten sich mit einem unsäglichen Dessert. Über etwas Softeis wünschten sie gleich mehrere der an Hässlichkeit kaum zu überbietenden Toppings. Sie hatten nicht erwartet, dass sie für jedes dieser Toppings einen gesalzenen Betrag zu berappen hatten. Was sind das doch für Fress-Nussgesichter! Die eigentlich ungeniessbare Kombi kostete schliesslich je 4500 ISK – 30 Fr. – und ich Idiot zahlte auch noch (womit auch ich ein Nussgesicht zu sein scheine…)

 

Zurück im Lager trafen wir auf Marleen und Clemens, der noch den Rest von Sams Kreation wegputzte. Der Magen der beiden dürfte diese Nacht eine Prüfung unterzogen werden, weil wir doch einiges an Starkbieren intus hatten.

Km: 140‘082 (182)

 

Do, 30.07.2020: Wieder auf der Fähre

Es ist 17:28 Uhr Island-Zeit, die Fähre zurück nach Dänemark schaukelt gemächlich, das Island-Abenteuer ist glücklich zu Ende gegangen. Es ist schon erstaunlich, dass meine Tenere auch diesen wilden Ritt mehr oder weniger heil überstanden hat. Island hat mich begeistert, die wilde Natur hat mich in den Bann gezogen, seine Kargheit hat mich an viele Erlebnisse auf meiner grossen Reise erinnert. Anstrengend waren die dauernd tiefen Temperaturen, die manchmal etwas zermürbend waren. Es ist Einstellungssache, sich den Unbillen der Natur zu stellen – und eigentlich sind wir ganz gut weggekommen, nur zweimal musste das Zelt nass verpackt werden.

Es ist bestimmt so, dass man etwas frecher ist, wenn man nicht alleine unterwegs ist, eine Panne hätte leichter behoben werden können. Ich bin glücklich, dass ich auch mit 59 Jahren mit zwanzig oder dreissig Jahren Jüngeren noch recht gut mithalten kann, wenigstens was das Reisen betrifft. In Gesprächen habe ich jedoch schon gespürt, dass ich an einem anderen Ort des Lebens stehe. Und doch war die Unterhaltung meist gut, die Gruppe hat perfekt harmoniert. Sehr angenehm war bestimmt auch, dass man zu keinem Moment mit Covid 19 konfrontiert war. Die Menschen bewegen sich in Island überall ohne Maske, die nötigen Hygiene-Massnahmen werden eingehalten, aber die Fallzahl im Land ist und bleibt tief, und zudem bewegten wir uns zumeist dermassen abseits der normalen Routen, dass das Virus ohnehin keine Chance hatte, uns zu erreichen. Auf den Corona-Stress zu Hause freue ich bestimmt am wenigsten.

Ich bin heute Morgen schon um halb sieben Uhr aufgestanden, um meinen Gerümpel ein letztes Mal in diesem Land zusammenzupacken. Die letzten 27 km bei strahlendem Wetter über den Pass nach Seydisfjördur war problemlos und nochmals überaus reizvoll. Das Einchecken auf der Fähre verlief zügig. Wiederum haben wir eine Viererkabine zu dritt auf dem sechsten Deck.

Die Fährfahrt eignet sich gut, etwas herunterzufahren, denn es gilt jetzt einfach zu warten, bis Dänemark erreicht ist. Ich bin körperlich zwar etwas müde, aber um einige reizvolle Abenteuer und Reiseerfahrungen reicher. Besser hätte ich diese Sommerferien wohl nicht verbringen können.

Der Abend wurde einigermassen feucht-fröhlich. Nach einigen Bieren nutzten wir auch noch die Happy-Hour zwischen 20 und 22 Uhr. Der Gin Tonic war zwar übel weil kohlensäurelos, der Pinacolada etwas besser. Dom wusste erneut nichts Besseres, als hässliche Lakritz-Sweets zu kaufen, die sich plötzlich in den M&Ms verirrten. Jetzt lagern sie versteckt in Doms Gepäck, vielleicht macht er sich damit sich selbst und Susanne zu Hause eine Freude. Ich fand den Ausgang des Absturzes grad noch rechtzeitig, Sam weniger, der sich bis morgens um vier Uhr mit dem Sänger der Einmannband verbrüderte und wieder einmal sein Erinnerungsvermögen verlor.

Km: 140‘109 (27)

 

Fr, 31.07.2020: Langeweile auf der Fähre

Ich stand um zehn Uhr auf und war einigermassen verkatert und doch vergleichsweise fit, wenn ich Sam sehe. Es war ein überaus fauler Tag, den wir meist sitzend auf dem fünften Deck nahe der Rezeption verbrachten. Erst vor einer Weile habe ich mir mein erstes Bier genehmigt – ein Slupp, ein besonders netter Name. Unterdessen habe ich im Duty-free-Shop mit Whisky und Wein eingedeckt. Aber es ist mir schon recht, wenn Hirtshals in Dänemark möglichst bald erreicht ist. Ich überarbeitete mein Tagebuch, aber Sam und Dom lenkten mich dabei immer wieder ab.

Am Abend sass ich mit Marleen und Clemens bei einem Bier und sortierte die geschossenen Island-Fotos. Sam und Dom hatten sich schon schlafen gelegt.

Km: 140‘109 (0)

 

Sa, 01.08.2020: Sanddünen in Dänemark und vier fette Medaillon-Steaks

Nachdem wir erst um neun Uhr aufgestanden waren und schleunigst unsere Siebensachen verräumen mussten, auf Deck 8 die Resten unserer Vorräte als Frühstück aufbrauchten, erreichten wir Hirtshals beinahe pünktlich um 13 Uhr.

Dom machte sich solo schleunigst auf den Weg nach Hamburg, denn er wollte noch heute Abend den Zug nach Lörrach erwischen – und dies schaffte er schliesslich problemlos. Clemens und Marleen machten sich zu zweit nach Leipzig bzw. Münster, während es Sam und ich etwas ruhiger angingen. Wir mieden auf dem Weg nach Süden Dänemarks Autobahnen und beschränkten uns auf grössere und kleinere Staatsstrassen. Eigentlich wollten wir für ein salziges Bad Halt bei einem Strand an der Westküste machen, aber im Verlaufe des Nachmittags bedeckte sich der Himmel, und die Lust für ein Bad minimierte sich. Dabei freuten wir uns zuerst über das milde und sonnige Wetter in Hirtshals. Es war richtiges Töffwetter und wesentlich angenehmer, mit weniger Kleidung gen Süden zu fahren.

Die Fahrt wurde aber nicht wirklich der Hit, denn Dänemark ist fast flach. Wir passierten beschauliche Dörfchen mit den typischen Strohdächern, immer wieder Kornfelder. Wir erreichten Holstebro, eine überraschend grosse Stadt und schlugen doch noch den Weg Richtung Küste ein, weil wir einem Gewitter ausweichen wollten, vor allem aber eine schmale Landzunge entlang der Küste befahren wollten, die ein Fjord fast vollständig vom Meer trennt. In Hvide Sande trafen wir auf viele dänische und deutsche Touristen, die sich an den bewachsenen Sanddünen und der durchlässigen Staumauer freuten. Hier machten wir eine neuerliche Pause und genehmigten uns ein Eis.

Jetzt galt es, einen Schlafplatz zu finden, aber dies war vorerst entlang der Dünen nicht möglich, aber bald fuhren wir ins Landesinnere, nahmen eine geteerte Seitenstrasse und von dort einen Waldweg, der uns tief in den Wald hineinführte. Ein überwachsener Weg führte uns an eine Lichtung, wo wir genug geschützt fühlten, um endlich wieder einmal ein Feuer zu entfachen. Wir hatten schon am Mittag vier Medaillon-Steaks gekauft, die wir jetzt auf dem Grill brieten. Dazu gab’s gebratene Kartoffeln. Wir diskutierten am Feuer lange übers Reisen. Sam hat sich ein neues Ziel gesetzt – er möchte möglichst bald die Welt per Segelschiff erkunden – die Idee kennen wir doch…

Zum ersten Mal dunkelte es vollständig ein, dies wird noch heftiger werden, sobald wir uns weiter gegen Süden bewegen. Ganz spannend finde ich, dass ich zum ersten Mal auf einer Reise vom Kalten ins Warme zurückkomme. Die Rückkehr wird dadurch etwas erträglicher. Hoffentlich werde auch ich noch einige wirkliche Sommertage erleben.

Und noch etwas: Der FCSG verpasste heute definitiv den Schweizermeistertitel trotz eines 6:0-Sieges gegen Xamax. YB hatte gegen Sion glücklich 1:0 gesiegt, sodass es am Montag nicht zu der ultimativen Finalissima in Bern kommt. Aber immerhin konnte man sich den zweiten Rang sichern.

Km: 140‘429 (320)

 

So, 02.08.2020: Pneu-Netzli und Wald

Eigentlich hätte ich schon gestern gerne meinen Hinterreifen ersetzt, aber das Wochenende macht mir einen Strich durch die Rechnung. Um am Dienstag rechtzeitig zu Hause anzukommen, bin ich gezwungen, mit vollständig abgefahrenem Pneu die Heimreise zu beginnen. Dies ging gestern gut, aber heute? Wiederum mieden wir die Autobahnen, damit ich nicht gezwungen bin, zu schnell zu fahren oder unkontrolliert bremsen zu müssen, wenn der Pneu zerplatzt. Das Fahren war deshalb heute wenig angenehm, weil ich ständig unter Spannung stand.

Es war erstaunlich kühl heute Morgen, der Himmel war bedeckt, und es dauerte bis in den Nachmittag, bis es endlich etwas Sommerwärme zu geniessen gab. Wiederum war die Reise Richtung Süden in Dänemark wenig attraktiv. Ich war froh, als wir die deutsche Grenze endlich erreicht hatten und dort wegen Covid 19 nicht einmal kontrolliert wurden. Dafür war überaus auffallend, dass sehr viele Menschen Gesichtsmasken trugen. Die Virusseuche ist in Europa wieder auf dem Vormarsch und dürfte mich zu Hause auch weiterhin einigermassen beschäftigen.

Touristischer Höhepunkt des heutigen Tages war bestimmt die Überquerung des Nordsee-Ostsee-Kanal bei Steenfeld, den wir auf einer Kettenfähre überquerten. Auf der anderen Seite des Kanals machten wir Halt bei einer Fischerhütte für einige Matjes-Brötchen und beobachteten das Passieren der gewaltigen Transportschiffe, die im Minutentakt durch den Kanal fahren.

Bis kurz vor Hamburg blieben wir auf Staatsstrassen. Bei der Tankstelle sollte sich auch Sams und mein Weg trennen – er wird in Hamburg eine Surf-Freundin besuchen. Ich wollte trotz immer schlimmer aussehenden Pneus nicht in Hamburg bleiben. Ich plante, noch bis Wolfsburg zu fahren, um dort morgen zu einem neuen Pneu zu kommen. Die Fahrt auf der A7 durch Hamburg wurde aber zu einem Spiessrutenlaufen, weil sich der Verkehr kilometerweit staute. Schliesslich hatte ich genug vom riskanten Überholen und verliess die Autobahn bei Altona, um mich der Herausforderung einer Fahrt durch die Innenstadt zu stellen. Und dies ging überraschend gut und fast staufrei. Ich passierte sogar den bekannten Fischmarkt und die Philharmonie. Allerdings war es nicht so leicht, die Elbe zu überqueren, aber maps me führte mich mehr oder weniger souverän durch das Zentrum. Es ging jedoch lange, bis ich auch die Agglomeration Hamburgs endlich verlassen hatte und auf der Staatsstrasse wieder etwas mehr Tempo aufnehmen konnte. 161 km sollten es noch sein bis Wolfsburg, ich fuhr wie auf Eiern, ja nicht zu schnell – und ich sah, dass unterdessen bereits das Pneunetzli sichtbar wurde. 60 km vor Wolfsburg machte ich einen Halt und ass in einem bürgerlichen Restaurant einen Salat mit Eierschwämmen, anschliessend fuhr ich nicht mehr weit bis zu einem grossen Wald, in dessen Zentrum ich mein Zelt aufgestellt habe – es ist also bis jetzt trotz Pneurisiken alles gut gegangen.

Unterdessen ist es stockdunkel in diesem riesigen, völlig unbekannten Wald. Es ist ganz still, nur einige Mücken nerven mich mit ihrem Surren. Ich hoffe fest, dass ich morgen zu zwei neuen Pneus kommen werde. Der Mechanikerladen in Gifhorn ist nur noch 39 km entfernt – hoffentlich haben sie dort die Grösse meiner Reifen. Der Laden öffnet schon um neun Uhr.

Km: 140‘906 (477)

 

Mo, 03.08.2020: Ein neuer Reifen und ein enttäuschender Harz

Ich blieb im grossen Wald bis Viertel vor acht Uhr liegen, brachte noch die Zeit für ein kleines Feuer für Eier und Kaffee auf. Ich hasse es aber, von anderen Menschen abhängig zu sein, und genau heute war wieder so ein Tag, denn ich war auf jemand angewiesen, der mir kurzfristig einen Ersatzreifen aus der Kiste zaubert. Ich fuhr zuerst (erneut auf Umleitungen, wie schon gestern oft geschehen) nach Gifhorn zu einem eigentlich recht grossen Laden (Anger Motorradtechnik), wo man aber keine Reifen auf Lager in meiner Grösse auf Lager hatte.

Man schickte mich nach Braunschweig, wo man mir bei zwei Motorrad- oder Reifenbuden auch nicht helfen konnte. Glücklicherweise waren wie meist in grösseren Städten Motorläden im selben Viertel, und tatsächlich wurde ich bei  Popko fündig, ich fand ihn selber zu oberst auf einem Gestell gut versteckt, den letzten verfügbaren, allerdings etwas alten Bridgestone-Reifen in der Grösse 130-80-17, und man war auch bereit, diesen bald zu montieren und dazu noch einen Ölwechsel vorzunehmen (nur 200 €!). Kurz vor 14 Uhr verliess ich Braunschweig schon wieder und machte mich mit viel sicherem Gefühl auf den Weg nach Süden, obwohl mir gesagt wurde, dass das Vorderrad extrem instabil sei – aber dies wusste ich ja schon seit längerer Zeit. Nach einem Lunchhalt durchfuhr ich allmählich ein gewelltes Land mit vielen Kornfeldern und vielen beschaulichen Dörfern. Ich machte Halt bei einem Wachposten aus der alten DDR-Zeit, zum ersten Mal fuhr ich also ins ehemalige Ostdeutschland ein. Eigentlich hätte ich zweimal einen Halt machen müssen – in Blankenburg und in Stolberg, einem Städtchen mitten im Harz, in dem ganzen Strassenzüge voller Fachwerkhäuser stehen. Ich wollte mich aber auf die Kyffhäuser konzentrieren, einen höheren Hügelzug auf knapp 500 m.ü.M., der in vielen Kurven erreichbar ist. Ganz nette Kurvenfahrt mit enttäuschender Aussicht vor allem auf die Wälder der Umgebung. Ich wollte noch etwas weiterfahren und erreichte mit Weissensee einen weiteren beschaulichen Ort mit einem chinesischen Garten und kleinem See (!) mit schöner Innenstadt. Ich steuerte einen Zeltplatz an, weil ich unbedingt wieder einmal duschen wollte.

Ich war aber zu bequem zu kochen und besuchte am Rande des Ortes ein gutes Hotelrestaurant namens Promenadenhof, wo ich ein gutes Filet serviert bekam. Man müsste wohl ein Jahr in diesem Lokal essen gehen, um all die verschiedenen exquisiten Schnäpse zu testen, so reichlich war die Auswahl. Während des Soloessen verfolgte ich das letzte Meisterschaftsspiel des FCSG gegen den Meister YB, das 1:3 verloren ging. Schade, dass die wirkliche Finalissima nicht stattfand, der letzte Biss fehlte beiden Mannschaften. 2. Rang in dieser Corona-Saison – ein schöner Erfolg. Morgen warten die letzten wohl fast 600 km auf mich. Ich hoffe, dass mich meine Tenere ein weiteres Mal nach Hause bringt, obwohl ich unterdessen auch am Motor Ermüdungserscheinungen feststelle, vor allem wenn ich tieftourig und bergauf fahre – das ganze Fahrgestell rattert und zittert – definitiv zeichnet sich eine Altersschwäche ab…

Km: 141‘169 (263)

 

Di, 04.08.2020: Eine lange letzte Etappe mit einem Gewittersturm als Dessert

Ich stand um sechs Uhr auf, weil ich wusste, dass ein langer Fahrtag auf mich wartet. Wiederum wollte ich heute Autobahnen möglichst meiden. Weil wichtige Strassenverbindungen wiederholt gesperrt waren, musste ich immer wieder auf Umleitungen ausweichen und kam nur langsam vorwärts. Ich steuerte Schweinfurt und entschloss mich endlich, bis Würzburg ein Stück Autobahn zu nehmen, um besser vorwärts zu kommen. Unterdessen hatte sich der Himmel stark bewölkt, und ich glaubte immer noch, dem grossen Gewitter zu entkommen, während ich friedlich kleinen Überlandstrassen Richtung Ulm folgte. Aber das Unvermeidliche geschah dann trotzdem. Ein erster leichter Gewitterschauer stoppte mich, und ich tat gut daran, mich mit den Regenklamotten auszurüsten. Zudem wollte ich auf der A7 möglichst schnell Ulm erreichen.

Je weiter ich gegen Süden fuhr, desto intensiver wurde der Gewitterregen, zudem wurde es immer kälter, ich wähnte mich schon beinahe in Island. Bei der Umfahrung Ulm konnte ich nur noch 60 oder 70 km/h fahren, weil die Sicht wegen der aufstiebenden Wassermassen so schlecht war. Richtung Biberach fuhr ich in einen letzten Gewittersturm, der sich erst kurz vor Ravensburg allmählich beruhigte. Ich wollte Meersburg anfahren, um mit der Fähre rüber nach Konstanz zu kommen. Eigentlich benutze ich diese Fähre gern, um ein Feriengefühl entstehen zu lassen, diesmal war es genau umgekehrt. Diese Fährfahrt beendete gleichsam diese fantastische Reise.

Es war jetzt nur mehr ein Klacks, von Konstanz aus direkt Oberbüren zu erreichen, wo ich von Zollers schon erwartet und ich von den Pizzas, gebacken in ihrem neuen Pizzaofen, kosten durfte. Erst um 22:30 Uhr erreichte ich endlich den Böl. Wenig motivierend ist, dass ich morgen um acht Uhr schon in der Schule sein muss für eine zweitägige Intensiv-Weiterbildung…

Und noch etwas: Genau 5949 km hat mich mein RONDOM-Gefährt nochmals ohne Murren getragen – unglaublich, neu 141'808 km weit!

km: 141'808 (639)