Was ist, wenn man während fast 5000 km keinem einzigen Touristen begegnet, der ebenfalls mit einem eigenen Fahrzeug unterwegs ist? Das Routing über die drei kleinen Nordstaaten British Guyana, Suriname, Französisch Guayana, in denen das Leben viel mehr an die Karibik erinnert als an Südamerika, wird nur selten befahren. Tatsächlich habe fast niemand ausser Einheimischen angetroffen. Vor allem dort hinzukommen, war eine Herausforderung, denn wegen der etwas früher einsetzenden Regenzeit waren wieder einige schlammige Partien mit fast 500 km ziemlich übler Piste zu bewältigen. Zudem wurde ich herausgefordert, weil ich gleich mehrere technische Pannen ohne die Hilfe eines Partners zu lösen hatte. Während 100 km wurde ich meine Yamaha wieder einmal mit einem brasilianischen Lastwagen transportiert.
Nachdem ich den vielarmigen Amazonas noch ein weiteres Mal per Fähre zu überqueren hatte, befinde ich mich jetzt an der Nordküste Südamerikas in Brasilien, habe den Dschungel endlich verlassen und bin endlich fündig geworden nach einem Strand kombiniert mit warmem Wasser. Die Sanddünen des Lençois Maranhenses Nationalpark habe ich in einem traumhaften Trip auf eigene Faust zusammen mit Jessy erobert, die ich bereits in São Luiz, einer charmreichen, altportugiesischen Kolonialstadt wieder getroffen habe.
Do, 19.10.2017: Verdis „La Traviata“ im Teatro Amazonas in Manaus
Weil die lateinische Kultur der ohnehin grossartigen Vielfältigkeit Südamerikas aufgezwungen wurde, fühlt man sich heute in diesen Ländern etwas heimischer als in den asiatischen Ländern. Immer wieder stösst man auf alte Gebäude, die einen an südeuropäische Städte erinnern. Hier in Manaus ist es bestimmt das Teatro Amazonas, das erhaben an einem lauschigen Platz auf einer leichten Erhöhung der Stadt liegt. Es war ein Glücksfall, dass genau heute Abend Verdis La Traviata gespielt wurde, sodass ich schon am Nachmittag zwei Tickets ergatterte, die mich erstaunlicherweise nur je 20 Reales kosteten (6 Fr.).
Jessy besuchte heute den botanischen Garten, von dem sie nicht begeistert zurückkehrte, ich widmete mich der Aktualisierung meines Blogs Teil 37 und vergnügte mich danach mit den vielfältigen Reaktionen. Aber nicht alle Mitteilungen waren leicht verdaulich. Judith, die ich vor bald zwei Jahren zusammen mit PJ noch in Thailand auf einer Insel getroffen hatte und die ich noch vor meiner Wiederabreise vor einem Jahr besucht hatte, ertrug ihre schwere Krankheit offenbar nicht mehr und nahm sich vor einer Woche das Leben. Da fragt man sich dann, warum mein manchmal etwas risikoreiches Leben so rund verläuft und wie man dies nur verdient hat.
Leider konnte ich Jessy nicht zur einer Mitreise Richtung Norden überreden. Vielleicht ist dies ja vernünftig, weil es wohl zu schwierig wäre, die Lehmpisten Richtung Guyana zu zweit zu bewältigen. Da kam es gerade recht, zum Abschluss einen gediegenen Abend im Theater zu verbringen und sich mit der tragischen Liebesgeschichte Violettas und Alfredos zu beschäftigen. Wir waren etwas underdressed, das Theater war beinahe bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Oper Verdis wurde nicht wirklich inszeniert, aber dafür waren die Intonationen der Hauptrollen sehr überzeugend. Es ist ja schon der Wahnsinn, sich nach Wochen im Dschungel wieder mit europäischer Kultur zu beschäftigen. Lange habe ich keine Oper mehr gesehen und gehört, die mir aber ausgezeichnet gefallen hat.
Km: 82‘555 (0)
Fr, 20.10.2017: Vorbereitungen und Reparaturen
Ich fuhr Jessy am Morgen per Töff zum Hafen, wo sie ein Ticket nach Santarem kaufte. Natürlich überlegte ich mir schon, sie dorthin zu begleiten, aber die Lust, die drei Guyanas im Norden zu besuchen, war grösser, sodass es erneut galt, Abschied zu nehmen.
Ich machte mich dann zu Fuss auf die Suche nach Schleifpapier, denn mein Kühler leckt wieder, und meine gestern durchgeführte, provisorische Flickaktion ist nicht wirklich perfekt gelungen. Aber ich fand keine Ferreteria. Erst als ich zurück im Hostel war, verstand mich der Tourguide auch wirklich, was ich ihn heute Morgen gefragt hatte. Innert Kürze kam er mit einem Bogen 80-er-Papier zurück, sodass ich mich jetzt professionell meiner Maschine widmen konnte. Das abdichtende Metallplättchen wurde entfernt, gereinigt und geschliffen und schliesslich per Poxipol wieder heftig verklebt. Beim Wegnehmen meines Silberkoffers stellte ich fest, dass die Halterung ausgerissen war, die jetzt gleich auch noch geleimt wurde. Und einmal mehr klagte der rechte, hinter Blinker über Erektionsstörungen, den ich mich Klebeband einmal mehr wieder vernünftig in Form brachte.
Ich begann mein Gepäck wieder umzurüsten, weil ich wieder alleine unterwegs sein werde. Das Optimieren nahm viel Zeit in Anspruch, meine Machete ist jetzt perfekt hinter dem Silberkoffer montiert, ist aber gleichwohl schnell griffbereit, wenn es dann einmal notwendig ist. Am Abend war ich alleine im Casa de Pensador, die Pizza war gleich gut, die nette Begleitung fehlte etwas.
Aber es ist klar. Hier hält mich nichts mehr. Morgen geht das Abenteuer weiter – wieder alleine, wieder etwas anspruchsvoller…
Km: 82‘560 (5)
Sa, 21.10.2017: Zurück in der Wildnis
Urwald ist nicht Urwald. Es gibt genau eine Strasse, die von Manaus Richtung Norden führt, die einzige, die in die Welt führt, ohne eine Amazonas-Fähre benutzen zu müssen. Aber auch diese wird momentan nur wenig benutzt, weil die Grenze nach Venezuela wegen der momentan schwierigen politischen Lage geschlossen ist und der Fahrweg nach Guayana mich dann schon noch genug früh herausfordern wird…
Ich liege alleine am Feuer, habe wieder einmal Pasta gekocht, diesmal nur eine einfache Portion (die leider nicht halb so viel Arbeit gibt). Ich befinde mich im tiefsten Dschungel, allerdings nicht weit entfernt von der BR174, die in der Nacht offenbar noch weniger benutzt wird als am Tag. Aber warum sollte es hier auch Verkehr haben? Nur eine Stadt im Norden – Boa Vista – ist über diese erstaunlicherweise ausgezeichnet ausgebaute, geteerte Strasse verbunden. Die Melodie des Urwaldes unterscheidet sich von derjenigen am Fluss gewaltig. Zwar sirren auch hier die Zikaden. Aber es hat wiederum ganz andere Vögel, die diesen Teil des Amazonas-Urwaldes bewohnen. Auch der Jaguar wohnt hier, der aber den Menschen meidet. Auf dem Weg begegnete mir ein Liliputaner-Äffchen, das hurtig die Strasse überquerte, weil es sich durch meinen Motorenlärm wohl bedroht fühlte, später zwei blaue Riesenpapageien (Aras?), die auf einem abgestorbenen Baum sich von ihren Flugübungen erholten. Die fremdartigen Palmen spiegelten sich im schwarzen Wasser eines Urwaldsees. Der Balbina-Staudamm hat weite Gebiete des Dschungels überflutet. Wenig später stolzierte eine noch nie gesehene Vogelfrau über die Fahrbahn und verschwand im nahen Dickicht. Auf der Strasse ist man wieder näher am Geschehen des Waldes, der hier im perfekten Gleichgewicht zu sein scheint. Ein einziges Moskito hat mich hier in den Fuss gestochen, die scheinen hier angenehm viele Feinde zu haben und erscheinen während der Dämmerung nicht in jenen Scharen, wie ich mich das gewohnt bin. Auf jeden Fall liege ich noch draussen am Feuer und geniesse die warmen Temperaturen, eine feine Waldbrise sorgt allmählich für angenehme, leichte Abkühlung. Ich bin wieder in jener Wildnis angekommen, die ich so liebe. Deren Qualität ist vervielfacht, weil ich sie vollkommen auf eigene Faust geniesse. Ich vermisse die Schlangen, Ameisenbären, Sumpfotter, Spinnen, über deren Besuch ich mich freuen würde, die haben halt viel mehr Angst vor mir als ich vor ihnen.
Immerhin entdeckte ich heute gleich mehrere riesige Spinnen in den Höhlen von Maroaga, die ich auf dem Weg nach Norden besuchte. Kurz vor Presidente Figueiredo nahm ich die Abzweigung Richtung Balbina und traf bereits nach sechs Kilometern auf ein brasilianisches Paar, die ich auf der geführten Wanderung zu den Höhlen begleitete. Der Spass kostete mich auch so noch 10 Fr., aber der Spaziergang war doch ganz nett. Immerhin erreichten wir die zweitgrösste Höhle Brasiliens bereits nach einer halben Stunde. Aber nur auf den ersten hundert (von fünfhundert) Metern darf man die Höhle auskundschaften – halt ein netter Touristentrip. Noch besser gefiel mir der nahe, durch Sedimentablagerungen hellbraune Tümpel mit herrlich frischem Wasser, der nur über einen Dschungelbach erreichbar ist. Die beiden Brasilianer hätten mich am liebsten auch für den morgigen 5-km-Walk zu einigen Wasserfällen dabei gehabt, ich zog es jedoch vor, nochmals einige Kilometer nach Norden zu fahren. Ich passierte einige weit angelegte Rinderfarmen, bevor der Dschungel wieder das Szepter übernahm, indem ich jetzt in einer ideal zugänglichen Lichtung im Wald mein Zelt aufgestellt habe. Es ist keinesfalls ruhig hier, aber der Sound des Dschungels wird mich bald in den Schlaf wiegen.
Km: 82'887 (327)
So, 22.10.2017: Nova Arizona und wenig erbauliches, neureiches Brasilien
Der erste Eindruck, den ich noch in Tabatinga mit den unsäglichen Militärs gewonnen hatte, bleibt: Ich werde mit diesem Land und seinen Leuten (noch) nicht warm. Ich bewies gestern Nachmittag ein gutes Händchen, als ich mitten im Terra Indígena Waimiri-Atroari im ursprünglichsten und stärksten Urwald, den man sich vorstellen kann, mein Nachtlager aufstellte. Zwar konnte ich mich erneut nur über das Konzert von so vielen Tieren ergötzen, am Morgen sah ich „nur“ einige laut schwatzende, vorbeifliegende Aras, aber keine anderen grösseren Tiere.
Ich war schon früh wach, es hatte stark getaut, sodass mir das Anfachen des Feuers auch schon leichter fiel. Ich liess mir wie immer Zeit am Morgen, backte auch für mich alleine Brot, war aber trotzdem schon vor acht Uhr bereits wieder unterwegs Richtung Norden. Ich freute mich über den Dschungel, der scheinbar versucht, die Schneise der Strasse wieder zu vereinnahmen, aber diese Herrlichkeit währte nicht mehr lange. Bald hatte ich das Reservat verlassen und passierte eine Fazenda nach der anderen. Man kann sich ja vorstellen, wie das Land an der Strasse verändert wurde und wie es bewirtschaftet wird, wenn diese Ranches Namen wie Nova Arizona erhalten haben.
Die Fahrt in den hohen Norden Brasiliens war deshalb wenig erbaulich, da war es schon ein Ereignis, den Äquator erneut zu überqueren und sich jetzt wieder auf der nördlichen Erdhalbkugel zu befinden. Die Strasse war auch hier perfekt ausgebaut, und deshalb war bald klar, dass ich heute die nördlichste Stadt Brasiliens, Boa Vista nahe der venezuelanischen Grenze erreichen wollte. Ich erreichte die Stadt schon am frühen Nachmittag. Auf breiten, beinahe menschenleeren Boulevards fuhr ich bis zum riesigen, kalten (obwohl es 34°C warm war) Zentralplatz. Hotels und Hostels schienen sämtliche geschlossen zu sein, die Menschen schienen Sonntagnachmittags-Siesta zu machen. Ich machte mich auf die Suche nach einem Töffgeschäft (die natürlich geschlossen waren), ich stellte fest, dass ich es in Manaus versäumt hatte, meine Reifen zu wechseln, denen die 800 km heissen Asphalt noch den letzten Rest gegeben zu haben schien. Ich fuhr zufällig zum Lua Nova Hotel, wo man mich wenigstens einigermassen nett empfing. Ich checkte ein, bewohne ein kleines, klimatisiertes, sehr sauberes Zimmer für 75 R$ (24 Fr.) – je weiter nördlich, umso teurer…
Am Abend machte ich mich auf die Suche nach einem Restaurant. Die Stadt schien noch immer tot zu sein, bis ich auf einen begrünten Streifen stiess, der vom Zentralplatz wegführte, wo sich Kinder in mehreren „Gumpi-Schlössern“, Klein-Spielplätzen vergnügten, Erwachsene mit billigen Geräten Pseudo-Sport trieben, um nachher dafür einen fetten Hamburger essen zu können/dürfen. Hier fand ich immerhin ein Restaurant, in dem ich für 25 Fr. einen Haufen fritiertes Fleisch mit Reis und Cassavas bekam, knapp geniessbar – oder Todsünde am eigentlich nicht schlechten Fleisch. Brasilien kommt mir bis jetzt ziemlich schräg rein. Hier gibt es viele Neureiche, die irgendwie zu Geld gekommen sind und eine Art westlichen Standard ausleben wollen, meist aber die hässliche, amerikanische Seite des Lifestyles. Ich vermisse die Autentizität der Peruaner oder auch Argentinier, ich werde hier noch nicht warm, und es ist mir eigentlich gerade recht, dieses Land morgen zu verlassen, denn British Guyana wartet. Bin ja mal gespannt, wie das am Zoll abläuft…
Km: 83‘379 (492)
Mo, 23.10.2017: Als ob du wie aus dem Nichts in Australien landest…
Auf den Tag ein Jahr ist es her, als ich zum zweiten Mal in Australien ankam, um mit dem zweiten Teil dieser langen Reise zu beginnen. Und heute habe ich ein seltsames Déjà-vu erlebt. Es fühlt sich ein bisschen an, als ob ich in einer Aboriginies-Kommune weitab vom Schuss Unterschlupf gefunden hätte. Ich befinde mich in Lethem in einem kleinen, von Indern geführten Hotel. Durch den Ort führt eine rote Gravel-Piste. Extrem dunkelhäutige Menschen passieren mit ihren altertümlichen Fahrrädern. Die Pick-ups sind in gleichem Masse rot eingestäubt, als ob sie aus dem australischen Busch zurückkehren würden. Und von einem Meter auf den andern sprechen die Leute wieder ein Englisch, das recht leicht zu verstehen ist. Was für einen unglaublichen Szenenwechsel ich heute erlebt habe!
Als ich am Morgen aufstand, war ich noch unsicher, ob ich ein Motorradgeschäft finden würde, wo man mir meine beiden Reifen ersetzen kann. Ich hatte Glück, der nahe Honda-Händler verwies mich zu einer nicht weit entfernten Yamaha-Bude (!), wo ich tatsächlich genau zwei Metzeler-Tourance-Reifen fand, die genau auf meine Felgen passten, die allerdings wie erwartet nicht ganz billig waren (440 Fr. incl. Ölwechsel und Arbeit), aber wiederum wollte ich möglichen Pannen nur zu gerne ausweichen, sodass der Entscheid zum Kauf bald gefallen war. Um elf Uhr war die ganze Arbeit bereits erledigt, natürlich wollte man auf Portugiesisch so vieles über meine Reise erfahren, aber die Kommunikation stellte sich als so schwer heraus. Es wurden auch die hinteren Bremsbeläge ersetzt (die ich noch dabei hatte) sowie die Kette perfekt gespannt, sodass meine Kiste wieder so rund läuft wie vor zwei Jahren.
Die Überraschung erlebte ich auf dem Weg zur Grenze. Zuerst glaubte ich, dass die Landschaft wegen des übertriebenen Rodens für die vielen Viehherden immer trockener wird. Als das Land aber offenbar sogar für Rinder zu trocken zu sein schien, wurde ich immer mehr an Afrikas Savannen erinnert. Wenn ich Zebras und Giraffen entdeckt hätte, wäre ich nur zum Teil überrascht gewesen. Die perfekt ausgebaute Strasse durch immer steppenartiger werdendes Land erinnerte mich aber auch an die australischen Landschaften vor einem Jahr. Es ist hier ähnlich unangenehm warm, aber der Fahrtwind ist wenigstens genügend stark, dass für eine natürliche Ventilation gesorgt ist.
Auf den 140 km bis zur Grenze begegneten mir vielleicht fünf Autos, aber bestimmt keine Touristen, ich bin wieder einmal auf einem off-the-beaten-track gelandet. An der brasilianischen Grenze hatte der erste gefragte Beamte keine Lust zu arbeiten, ich gab nicht locker und fragte einen zweiten, der dann einen dritten, Englisch sprechenden, sehr netten Brasilianer holte, der mich problemlos aus Brasilien auschecken liess. Dem ersten Teil Brasiliens werde ich kaum eine Träne nachweinen. An der guyanischen Zollstelle schliefen gleich beide Beamte hinter dem Schalter, sodass ich sie aufwecken musste, bis sie mich bedienten. Dies taten sie aber überaus nett. Ich wurde interviewt, warum ich denn British Guyana besuchen wolle – und tat dies offenbar so gut, dass ich einen ganzen Monat Visum erhielt – normal sind zwei Wochen. Mein Versicherungstrick funktionierte für Guyana nicht, das sich eher zu den Karibik-Staaten als zu Südamerika zählt. Ich wurde nach Lethem auf eine Bank geschickt, wo ich eine Versicherung für mein Fahrzeug abschliessen sollte. Aber die Bank war schon seit 14 Uhr geschlossen, sodass ich zumindest eine Nacht ohne Versicherung in Lethem bleiben werde. Natürlich hiess dies auch, dass ich heute von hier nicht mehr wegkomme, sodass ich im Savannah-Inn eincheckte (22 US$), mich dann auf die Suche nach Lokalwährung machte, die benötigten Kopien für die Versicherung besorgte und schon am Nachmittag vor allem verschiedene karibische Biere probierte, die allesamt um Klassen besser sind als das brasilianischen Wassergebräu. Ich fühle mich ganz wohl hier, wurde von der überaus angenehmen 30-jährigen Inderin auch perfekt unterhalten. Morgen geht’s wieder in den Busch, wie vor einem Jahr in Australien, auf roten Sand- und Steinpisten. Noch ist Trockenzeit, es wird mich wohl viel Staub erwarten, aber genau darauf freue ich mich, halt eben ein Déjà-vu!
Km: 83‘523 (144)
Di, 24.10.2017: Ein spannender Tag, an dem mir gar nichts geschenkt wurde
Ich bin im Outback Guyanas, im wildesten Busch weitab von jeder Zivilisation. Ich habe in einem ausgetrockneten Wasserloch mein Zelt aufgestellt, das Feuer schenkt mir etwas Helligkeit, ich entsorge die letzten Tropfen des noch in Manaus gekauften argentinischen Rotweines, das Leben könnte schlechter sein, auch wenn ich heute weniger weit gekommen bin, als ich mir eigentlich vorgenommen hatte. Aber dies hatte seine Gründe.
Pünktlich um acht Uhr suchte ich wieder jene Bank auf, die gestern schon frühzeitig geschlossen hatte, um eine für 14 Tage gültig Motorradversicherung abzuschliessen. Es stellte sich heraus, dass ich die verlangte Versicherung nicht in der Bank, sondern im Obergeschoss des Gebäudes bekommen sollte – vielleicht hätte ich das Dokument tatsächlich doch schon gestern bekommen können. Dann war ich bald weg aus meinem stickig-heissen Zimmer und fuhr zurück an die Grenze, wo man mich gleich wieder zurück nach Lethem schickte, um die verlangten Kopien meiner Ausweise zu kopieren. Zum ersten Mal nützte mich auch der Internationale Fahrausweis etwas. Ich dachte, dass die Kopien (die ich ja gestern schon besorgt hatte) für die Versicherung gedacht seien, wo man sie netterweise behielt. Als ich nach der erneuten Kopiererei erneut beim Zoll aufkreuzte, fehlte erneut eine Kopie – diejenige der Versicherung. Man war nett und besorgte sich diese Kopie in einem nahen Büro. Es war eine ziemliche Bürokratie, bis ich meine handgeschriebene Bewilligung endlich in den Fingern hatte, und unsinnigerweise ist dieser Fackel nur für drei Tage gültig. In Georgetown muss ich mich deshalb erneut auf einem Amt zeigen… Aber ich weiss ja, dass mich extrem viel Bürokratie erwartet, wenn ich die drei Kleinstaaten im Norden Südamerikas besuchen möchte.
Wenigstens war ich jetzt endlich frei, wollte die ersten schwierigen Kilometer endlich hinter mich bringen. Tatsächlich war der rote Schotter zuerst ganz passabel zu befahren, aber die Strasse blieb heimtückisch, weil mich kurze sandige Abschnitte immer wieder mahnten, langsamer zu fahren. Ich dachte ja, dass ich gestern mit dem Kauf der neuen Pneus prima vorgesorgt hatte. Aber diese Prävention hielt genau 35 km, als mich der schwimmende Vorderpneu immer mehr aus dem Gleichgewicht brachte und ich endlich feststellte, dass er vollkommen platt war. Zum ersten Mal seit zweieinhalb Jahren Töffreisen hatte es mich nun doch noch erwischt, nämlich einen Plattfuss zu haben, ohne eine Hilfe dabei zu haben. Es war beileibe nicht der ideale Moment, von einer Panne erwischt zu werden, denn es war brutofenheiss und ich im Middle of Nowhere gefangen. Aber da musste ich jetzt durch. Alleine war es für mich wegen des Gewichtes unmöglich, meine Maschine auf den Zentralständer zu hieven, sodass ich zuerst sämtliches Gepäck ablud. Die nächsten Probleme liessen nicht lange auf sich warten. Ich suchte den grossen Nimbus-Schlüssel vergeblich, um die Achsensperre zu lösen – der hatte sich wohl in Sams Werkzeug davongeschlichen. Gar nicht nett! Aber ich hatte Glück. Ich wusste, dass man sich auf dieser recht wilden Strecke hilft, wenn man in Schwierigkeiten ist, und es ging nicht lange, da hielt ein Einheimischer, der mir den gesuchten Schlüssel sogar schenkte, sodass ich jetzt das Rad problemlos demontieren konnte. Der neue Pneu war mit meinen Schlüsseln bald von der Felge gelöst, das Loch im alten, chinesischen, dünnen Schlauch gefunden. Ich setzte gleich den neuen, festeren Originalschlauch ein, aber das fast schon übliche Missgeschick passierte auch mir: Als ich den Pneu wieder auf die Felge würgte, verletzte ich offenbar den Schlauch, der ebenfalls leckte, als ich ihn zu pumpen begann. Also Pneu wieder weg, gleich beide Schläuche flicken, den festeren gebrauchen – erneut ohne Erfolg, weil der Flick sich löste und der Pneu beim Pumpen deshalb nicht hart wurde.
Ich liess mir jetzt etwas mehr Zeit, ass eine Mango, etwas Käse und versuchte es ein weiteres Mal. Diesmal schien ich Erfolg zu haben mit der Flickarbeit, aber jetzt kämpfte ich mit dem Einsetzen des Rades, weil die vier Bremsbeläge sich dem Rad einfach nicht anpassen wollten. Erst nach einigen Fluchmanövern war das Rad endlich montiert. Ich packte und war endlich bereit für die Weiterfahrt. Aber es war schon drei Uhr nachmittags, ich sollte also nicht mehr weit kommen. Der Fahrweg wurde immer mehr wellblechig, die Löcher mehrten sich, sodass ich langsam vorwärtskam, zudem fühlte ich mich müde. Als ich den ersten Hügeln Guyanas an der Talsohle folgte, fahrend einige die Flucht ergreifende fremdartige Vögel beobachtete, erreichte ich über ein abgebranntes, holpriges Feld eine sichtgeschützte Lichtung, wo ich mein Zelt aufbaute.
Jetzt ist es still, nur einige Fliegen und Spinnen haben den Narren gefressen an meinem Bildschirm, aber die grösseren Tiere scheinen zu schlafen, auch der guyanische Jaguar kommt bis anhin nicht auf Besuch, dabei bin ich ja so ruhig… Aber ich war noch eine ganze Zeitlang beschäftigt mit Brotteigkneten, Abwaschen, bis ich mich endlich todmüde hinlegen durfte.
Km: 83‘625 (102)
Mi, 25.10.2017: Warten am Essequibo River
Das mit dem ausgetrockneten Wasserloch hatte seine Tücken, als mitten in der Nacht der Wind auffrischte und ich aufstand, um Brotteig, Mehl in Sicherheit zu bringen, denn der Gewitterregen liess nicht lange auf sich warten, der mich einige Zeit nicht mehr schlafen liess, erstens weil ich nicht wusste, wie viel Wasser nötig ist, dass mich der entstehende Bach wegschwemmt, zweitens weil ich mich ärgerte, dass ich vielleicht doch etwas zu spät bin, um dem Beginn der nächsten Regenzeit auszuweichen, weshalb ich für den nächsten Abschnitt eine schlammige Lehmpiste erwartete. Schliesslich schlief ich doch wieder ein, erwachte aber gleichwohl früh. Es war noch stark bewölkt, und als ich das tropfnasse Zelt zum Trocknen aufhängen wollte, begann es wieder leicht zu regnen. Dazu war es eine ziemliche Herausforderung, mit dem durchnässten Holz ein Feuer anzufachen – aber der Teig musste ja in Brötchen verwandelt werden.
Es war mir mehr als recht, dass es allmählich aufhellte, sich bald die Sonne zeigte und die nassen Utensilien bald trocken waren. Aber es ging lange, bis all das halbfeuchte Zeug endlich verpackt war. Und dann musste ich erst mal zur Strasse kommen – dies war die erste Herausforderung, die ich aber gut meisterte. Natürlich waren auf der Piste jetzt sämtliche Schlaglöcher mit Wasser gefüllt, der festgepresste Lehm war jetzt zum Teil schmierig-glitschig geworden, aber die Verhältnisse waren noch lange nicht so schwierig wie damals in Bolivien. Ich war motiviert, heute ein möglichst grosses Stück bis Linden zu schaffen. Nach zwei Stunden Fahrt verliess ich die Savannen-Landschaft Guyanas und kehrte überraschend zurück in den Dschungel. Wie durch ein Tor trat ich wieder ein in die grüne, mehrstufige Wucherlandschaft. Erfreulicherweise war die Schotterpiste unterdessen etwas abgetrocknet, nur die lottrigen Holzbrücken über die Urwaldbäche waren immer wieder eine Kinderüberraschung, weil man nie genau wusste, ob man den Übergang heil schafft, denn durch Spalten in den Brettern sah man in die Tiefe, manchmal warteten emporstehende Nägel nur darauf, meine Pneus zu durchstechen.
Nur das wirklich grosse Tiererlebnis fehlt noch. Ich sah zwar eine Art Jungkaninchen mit überlangen Beinen husch den Fahrweg überqueren, gelbe und hellgrüne Flattervögel hielten eine grosse Schmetterlingskonferenz, kleine und grössere Echsen ergriffen die Flucht vor dem Ungetüm eines Töffs. Dabei wird von Einheimischen der Jaguar, der König des hiesigen Waldes, immer wieder gesehen. Manchmal holt er sich einen Hund als Opfer, oder seine massiven Tatzen-Abdrücke sind in frisch betonierten Anlagen zu sehen, aber man müsste wohl schon länger hier bleiben, um wirklich Chancen zu haben, etwas von der Fauna mitzubekommen. Gleich zweimal überlegte ich auf dem Weg einen Moment, in einer Urwald-Lodge abzusteigen, aber unterdessen habe ich beileibe genügend Urwald erlebt, für mich gilt es jetzt einfach vorwärtszukommen. Zudem weiss ich nicht, was das Wetter mit mir zu treiben beliebt…
Aber dann wurde ich am Essequibo River gestoppt. Ich sah zwar die Fähre auf der anderen Seite des Flusses, aber die machte anderthalb Stunden keinen Wank – notabene war ich auf dieser und anderen Flussseite die einzige Person, welche auf die Fähre wartete. Soviel zum starken Verkehr auf dieser Strecke… Und dann zog ein Gewitter auf, das es schneller als erwartet schaffte, mich einzunässen, sodass ich eine nahe Lodge aufsuchte, wo ich für eine einfache Unterkunft 42 US$ bezahlen sollte. O nein, das dann doch nicht! Der Regen währte nur kurz, und ich fuhr zurück zum Fluss, wo unterdessen ein Pick-up eines Einheimischen angekommen war – und siehe da: Die Fähre war schon unterwegs. Ich kam schnell in Kontakt mit den drei indisch-englisch sprechenden Herren, die mir eine Unterkunft auf der anderen Seite des Flusses empfahlen: Charlie’s Lodge. Tatsächlich wurde ich dort sehr nett empfangen. Das Zimmer ist zwar auch teuer (30 US$), aber ich mochte einfach nicht mehr weiterfahren.
Am Abend gab’s frischen Fisch vom Fluss, allerdings leider zu Tode fritiert. Dafür teste ich gerade weitere guyanische Biere, alle besser als jene in Brasilien. Gerne wäre ich eigentlich auch heute etwas weiter gekommen, noch fehlen 230 km bis nach Linden, weitere 100 bis in die Hauptstadt. Es ist kaum zu erwarten, dass ich dies morgen schaffe, dabei läuft morgen meine provisorische Bewilligung für mein Fahrzeug schon aus. Wir werden sehen, was dies für Folgen hat.
Km: 83‘764 (139)
Do, 26.10.2017: Eine Prachtsleistung, die aber verständlich hundemüde machte
Mit dem Radiowanderer-Töfffahren wollte ich heute aufhören, genug der kurzen, gemächlich gefahrenen Strecken in Guyanas Outback! Ich stand sehr früh auf und wollte es wenigstens versuchen, die Hauptstadt Guyanas, Georgetown, zu erreichen. Aber die Voraussetzungen, dieses Ziel zu erreichen, waren alles andere als gut, denn in der Nacht hatte es erneut intensiv geschüttet, und jeder Tropfen Regen, der in dieser Häufigkeit in dieser Jahreszeit selten ist, lässt die Fahranforderungen in die Höhe schnellen.
Ich war tatsächlich schon vor sieben Uhr unterwegs, und der Schein trog nicht. Solange der lehmige Fahrweg im morgendlichen Dunst wenigstens etwas Helligkeit bekam, blieb der Weg griffig und eigentlich problemlos, wenn auch langsam zu befahren. Die erste Fahrstunde kam ich genau 34 km weit. Aber der Wald schien sich jetzt noch einmal zu verdichten und bildete gleichsam ein Dach über der Strasse. Der Lehm liess vor allem an tiefer liegenden Stellen das Wasser nicht mehr ablaufen, sodass sich auf der Strasse veritable, hellbraun-graue Seen bildeten, denen nicht ausgewichen werden konnte. Aber wo sollte ich nur eine Durchfahrt wagen? Wie tief ist das trügerische Wasser? Lauern darin Steine, die mich zu Fall bringen könnten? Meine Erfahrung mit derartigen Situationen ist unterdessen so gross, dass ich nicht einmal einen Rekognoszierungsgang machte, sondern mit Schwung am Rande des Sees eine ideale Linie suchte, die ich tatsächlich auch fand und problemlos durchkam. Nur wenige Fahrzeuge waren ebenfalls unterwegs und trugen das in den unzähligen Schlaglöchern befindliche Wasser auf die lehmige Unterlage, sodass auf schmieriger Unterlage höllisch aufgepasst werden musste, die Maschine nicht hinzulegen. Aber die grösste Herausforderung sollte erst noch folgen: Der Fahrweg war auf fünfzig Meter nur eine einzige Pfütze, erneut undurchschaubar, heimtückisch, und wieder musste ich mich entscheiden, welche Linie ich wähle. Diesmal erwischte ich eine überaus tiefe Stelle, drei Viertel der Räder verschwanden im Wasser. In den Schuhen herrschte eine einzige Überschwemmung. Und dann kam ich ins Schlittern, fand aber glücklicherweise mit den Schuhen Halt, suchte den Schlammrand der Piste, um notfalls auf jene Seite zu kippen, aber ich konnte meine Maschine halten und unbeschadet aus dem Siff herausfahren. Sorgen macht mir einzig wieder einmal meine Kette, die knackt und ruft, wenn Schmutz und Schlamm darin haften und stecken bleiben.
Das Ziel blieb: Ich wollte aus dieser Schlammhölle herauskommen, die erst so langsam am Erwachen ist und mit jedem Regen tiefer wird. Ich erlaubte mir deshalb nur wenige Pausen und wollte das jetzt trockene Wetter nutzen, möglich weit vorwärtszukommen. In Mabura wurde ich von einem Polizei-Checkpoint aufgehalten, aber alles war in Ordnung. Ich war hungrig, sodass ich schon um halb elf Uhr ein Chicken-Curry ass – nicht unüblich, denn gegen fünfzig Prozent von Guyanas Einwohner sind indisch-stämmig.
Ich hatte gehofft, dass die Strasse allmählich besser wird, wenn ich mich Linden nähere, aber das Gegenteil war der Fall. Die Schlaglöcher waren einfach nur ein Ärgernis, denen ich geschickt auszuweichen versuchte, aber dies gelang mir nicht immer, dann krachte ich mit beiden Rädern gleichsam in eine Höhle, sodass ich den Schmerz der Federung, der Felgen förmlich selber zu spüren begann. Aber noch immer kam ich vorwärts, und allmählich realisierte ich, dass ich das Ziel heute wohl tatsächlich erreichen könnte. Aber dann fuhr ich geradewegs in einen nächsten Schauer, dem ich erfolglos zu entkommen versuchte, ich musste Regenkleider montieren. Es gibt wohl nichts Unangenehmeres, als in den Tropen einen luft- und wasserdichten Anzug überzustreifen und von innen zu gären zu beginnen…
36 km vor Linden dann ein grosser Moment, als der Kilometerzähler meiner Yamaha von 99‘999 auf 100‘000 km sprang. Ja tatsächlich, so weit ist diese Maschine nun schon beinahe ohne Murren gefahren. Deshalb hat sie es ja verdient, dass ich sie zurück nach Hause bringe. Kurz vor Linden schienen sich der Schlamm und die Wasserlöcher doch noch an mir rächen zu wollen, aber ich liess dies nicht zu und erreichte die charmlose Kleinstadt um drei Uhr nachmittags. Für 230 km hatte ich acht Stunden benötigt.
Die Fahrt nach Georgetown war auf Teer dann kinderleicht, aber ich kam mir etwas vor wie beim Flossfahren. Solche Motorräder, und dann noch so rot mit Schlamm vollgespritzt, sieht man hier wohl sehr selten. Ich habe wohl noch nie so viele erhobene Daumen gesehen wie während der stündigen Fahrt in die Hauptstadt. Hier fuhr ich Ben Ter Welle an im deutsch-holländischen Konsulat (damals auf dem Amazonas-Schiff empfohlen von Hubert). Ich wurde zwar nett empfangen, aber eine Unterkunft wurde mir nicht angeboten, dafür ein nettes Guesthouse in der Innenstadt empfohlen – Rima Guesthouse. Guyana ist nicht billig, wiederum zahle ich 30 US$ für eine Nacht.
Jetzt bin ich verständlicherweise hundemüde, aber sehr glücklich, hier zu sein, denn jetzt kann ich den morgigen Freitag nutzen, das Suriname-Visum, die Fahrzeugversicherung für dieses Land sowie eine Verlängerung der Fahrbewilligung für dieses Land zu besorgen. Ich bin also genau noch rechtzeitig vor dem Wochenende hier angekommen…
Km: 84‘111 (347)
Fr, 27.10.2017: Benötigte Papiere erstaunlich zügig erhalten
Die drei Kleinstaaten im Norden Südamerikas besitzen einen sonderbaren Status, sind zwar fest mit der Landmasse dieses Kontinents verbunden, erachten sich jedoch den Karibik-Staaten zugehörig. Und dies ist spürbar, seit ich Brasilien verlassen habe. Das Volk Guyanas ist ein Vielvölkerstaat mit vielen Indern und Afrikanern, die vor langer Zeit von den Holländern von Afrika hierher verfrachtet und als Sklaven ausgenutzt wurden. Die Musik erinnert eher an Jamaica und viel weniger an Südamerikas Rhythmen. Guyana hat nur eine halbe Million Einwohner, die Amerindians leben unterdessen teilweise ebenfalls in den urbanen Gebieten, aber es gibt noch indigene Völker, die vielleicht wie im Norden Brasilien noch nicht einmal entdeckt wurden. Das Land, das vom Essequibo River beherrscht wird, der sich von der Quelle bis ins Meer vollständig in Guyana befindet, besteht vor allem aus Wald. Es hat fast keine Touristen hier, die sich vielleicht auf beschwerlichen Wegen in die Wildnis mit Dutzenden von endemischen Tieren begeben. Es wäre auch möglich, das Naturwunder der Kaieteur Wasserfälle zu besuchen – per Flugzeug in einem Vierstundentrip. Ich versuchte heute, mich einem solchen Trip anzuschliessen, aber eine Übernachtung im Zelt wäre zwar möglich gewesen (um der Touristengruppe zu entkommen), aber ich hätte den doppelten Flugpreis bezahlen müssen (je 166 US$); dies war mir dann doch etwas zu viel, zudem waren die Flüge am Wochenende schon ausgebucht.
Dies war ohnehin nicht meine Hauptabsicht heute, vielmehr hoffte ich, dass die Zeit vor dem Wochenende reicht, zu all den Papieren zu kommen, die für die weitere Reise notwendig sind. Zuerst besuchte ich das nahe Amt für Motorfahrzeuge, indem schon um acht Uhr von Menschen nur so wimmelte. Zuerst wurde ich gleich dreimal an falsche Schalter verwiesen, bis die Dame bei der Rezeption endlich verstand, was ich wollte. Und dann ging es erstaunlich schnell. Im ersten Stock in einem Grossraumbüro, das mich ans Hauptquartier des Krimis „Die Strassen von San Franzisco“ erinnerte, wurde ich schnell bedient, die provisorische Fahrbewilligung für mein Motorrad wurde in eine definitive umgewandelt – für 14 Tage.
Dann ging ich in der bereits drückenden Morgenhitze zu Fuss zum Konsulat Surinames, wo es kaum zwanzig Minuten dauerte, bis ich (auch als EU-Nichtmitglied-Staatsangehöriger) zu einer Touristenkarte kam, die mich halt die Kleinigkeit von 35 US$ kostete. Dank der iOverlander-Einträge wusste ich auch exakt den Ort, wo ich eine Fahrzeugversicherung für Suriname abschliessen kann. Ich hatte das Assuria-Büro bald erreicht, und auch hier wusste man sofort, was ich wollte, und ich hielt eine Monatsversicherung in der Hand – für ganze sieben Franken… Und es war erst Viertel nach zehn Uhr! Dies alles hatte ich mir tatsächlich komplizierter vorgestellt. Das momentan grösste Fragezeichen besteht in Französisch Guayana, wo ich noch nicht weiss, wie ich mein Fahrzeug versichern kann. Wird die grüne Karte meiner Schweizer Versicherung reichen (die ich heute telefonisch nochmals bestellte und per Mail endlich bekam), weil das Land ja eine französische Provinz ist. Ich wollte deshalb die französische Botschaft erreichen und eine Antwort auf diese Frage kriegen. Aber das Konsulat war aufgegeben worden, ich fand keine Ersatzadresse, sodass ich dieser Frage dann in Paramaribo, der Hauptstadt Surinames, nachgehen werde.
Ich fand jetzt prima Zeit, mich meinem Töff etwas zu widmen, die Kette zu reinigen und zu schmieren. Später machte ich etwas, was ich sonst eigentlich verabscheue, nämlich einen Zoo zu besuchen. Ich hatte die letzten Tage immer wieder Tiere vorbeihuschen oder -fliegen gesehen. Ich wollte herausfinden, was ich gesehen hatte. Natürlich tat es weh, die Pumas eng eingepfercht gefangen zu sehen, aber immerhin sah ich endlich einen Cayman von nah, den Riesenstorch, dessen zwei Doppelgänger am Morgen meiner Zeltnacht erhaben davonflogen. Auf einem Ast lag ein fauler Jungjaguar, der in der Wildnis so nah nur schwer zu sehen ist. Lange beobachtete ich diverse Vögel an einem überwucherten Teich in der schönen Anlage und genoss die Ruhe.
Km: 84‘126 (15)
Sa, 28.10.2017: Religionsauswüchse
Eigentlich ist es ein gutes Zeichen für ein so bunt durchmischtes Volk und zeugt von dessen grosser Toleranz, wenn Gotteshäuser aller Gattungen in den dörflichen Siedlungen entlang des Atlantiks quasi benachbart sind und quasi einträchtig nebeneinander stehen. Da gibt es Moscheen und Minarette (von denen jedoch keine Muezzins aktiv am Gesangsbeten sind, man sieht auch keine verschleierten Frauen), gleich daneben pastellfarbene hinduistische Tempel, sogar buddhistische Anlagen habe ich gesehen und natürlich vielerlei christliche Stätten in grosser Konzentration.
Als ich am frühen Nachmittag Georgetown auf der einzigen Hauptstrasse Richtung Südosten verliess, staunte ich erstens über eine einzige, beinahe unendlich lange Strassensiedlung, Dorf reiht sich an Dorf. Die Unterschiede im Lebensstandard sind riesig. Viele Menschen leben in einfachen, auf Stelzen stehenden Bretterverschlägen. In diesem Land ist es aber offenbar auch möglich, zu viel Geld zu kommen (Erdöl, -gas, Drogen?), denn die einfachen Hütten wechseln sich munter ab mit verspielt verzierten, grosszügig angelegten, steinernen und fein säuberlich verputzten Villen, vor denen fette Autos stehen. Ich habe aber auch noch nie so viele Möglichkeiten gesehen, wie man das Christentum pflegen kann. Erstens habe ich viele Gotteshäuser von mir bekannten Sekten gesehen, zweitens gibt es da jedoch noch viele andere mit den unmöglichsten Namen. Und alle diese Häuser sind perfekt ausgebaut, überall steht: „You are welcome!“, es handelt sich um reine Menschenfängerei, oder es sind die typischen religiösen, menschgemachten Auswüchse, die mir zuwider sind. Es scheint, dass man über den Glauben zu Reichtum oder einem besseren Leben zu kommen hofft – gar nicht mein Ding.
Den Atlantik bekam ich auf der Fahrt kaum einmal zu sehen, die Küste ist hier definitiv kein Hingucker, das Wasser erscheint mir vielleicht wegen der viel Wasser führenden Flüsse rot-braun-grau. Ich wollte heute den Grenzfluss zu Suriname erreichen, über den nur einmal pro Tag eine Fähre führt, der grosse administrative Zauber erwartet mich dann morgen. Die Fahrt war anstrengend, weil ich kaum einmal durchs Grüne fuhr, zudem fahren die Guyaner erbarmungslos frech wie die Henker, man hatte brutal auf der Hut zu sein. Man passierte Dorf für Dorf mit teils ziemlich abenteuerlichen Namen – würdest du gerne in Glacier’s Lust oder in Experiment wohnen? Auf halbem Weg bei Rosignol überquerte ich auf der neuen Ponton-Brücke den Berbice River. Natürlich überlegte ich mir immer wieder, wo ich nur übernachten würde. Schliesslich erreichte ich die Fähranlegestelle und wurde positiv überrascht. Die Behörden haben hier einen offenen Warteraum mit WC und eine Wiese bereitgestellt, auf der ich mein Zelt aufstellte. Zum ersten Mal seit einiger Zeit wurde ich bei der Dämmerung wieder einmal von Moskitos belästigt. Guyana hat seine Trümpfe eindeutig im Dschungel und nicht an der Küste oder der Hauptstadt, deshalb ist es Zeit, morgen mein 42. Land auf dieser Reise zu besuchen – Suriname!
Km: 84‘317 (191)
So, 29.10.2017: Im Lande der „drempels“
Es war die erwartet langwierige Prozedur, Guyana heute Morgen zu verlassen und mit der Fähre über den Courantyne River nach Suriname zu fahren. Aber ich hatte gut vorgesorgt, alle meine schon in Georgetown organisierten Papiere waren in Ordnung. Tatsächlich wurde auch noch meine Impfkarte für Gelbfieber verlangt, womit ich mich damals in Santiago doch nicht unnötig habe impfen lassen. Der Prozess war kompliziert und zeitaufwändig, ich musste sogar meine Machete vom Töff demontieren, weil diese als Waffe betrachtet wurde. Dann war ich endlich berechtigt, ein Fährticket zu kaufen – gestohlene 27 Fr. für eine zwanzig Minuten dauernde Fahrt. Offenbar versucht man die Menschen zu vergrämen, diese Grenze zu oft zu überschreiten, wohl deshalb führt auch nur eine Fähre pro Tag über den Fluss.
Jetzt hiess es einmal, lange Zeit zu warten. Um elf Uhr erschien die Fähre von Suriname, und dann durften die Fahrzeuge als Erstes auf den Metallkahn gebracht werden, bevor auch die vielen Passagiere aufs Boot kamen. Die Administration in Suriname war bald erledigt, vor allem weil ich als Erster die Fähre verliess und demnach auch als Erster bei der Passkontrolle erschien. Ein TIP (Bewilligung für den Töff) war schnell von Hand ausgefüllt. Zuletzt übergab man mir auch die Machete wieder – und los konnte die Fahrt gehen Richtung Osten. Ich vermisste die Strassensiedlungen Guyanas keineswegs. Nur selten durchquerte ich ein verschlafenes Nest mit so eigenartig fremden Namen wie Wageningen oder Groningen. Es ist unschwer zu erkennen, wer dieses Land einmal kolonialisiert hat. Das flache Land nahe am Meer ist auch von Kanälen durchzogen, auf denen wohl die grossen Ernten des fruchtbaren Landes eingefahren wurden. Ich möchte gar nicht wissen, wie diese Kanäle vor hundert oder zweihundert Jahren gebaut wurden. Heute scheinen sie voller Fische zu sein. Eine offenbar beliebte Sonntagsbeschäftigung der Einheimischen ist es, aufs Land zu fahren und unter einem Sonnenschirm mit Bambusstecken zu fischen. Einige waren aber auch mit Netzen unterwegs und bis zum Hals im Wasser. Ich amüsierte mich immer wieder an den Holländisch angeschriebenen Strassenschildern. In diesem Land hat es auch wieder die bekannten verkehrsberuhigenden Bodenwellen, so wunderhübsch drempel genannt.
Bereits am frühen Nachmittag erreichte ich die Hauptstadt Paramaribo, steuerte gleich ein typisch holländisches Hostel an: De Kleine Historie. Ich wurde überaus nett empfangen und bewohne ein einfaches Zimmer für 15 US$. Geradezu überschwänglich wurde ich, als ich einen Salat mit holländisch getrockneten Fischen mit Hochgenuss verschlang. Die europäische Küche fehlt mir offenbar schon etwas. Ich verliess diesen angenehmen Ort bis zum Abend nicht mehr, genoss die europäische Stimmung und Lebenshaltung und schliesslich eine ruhige Nacht in meinem Zimmer.
Km: 84‘581 (264)
Mo, 30.10.2017: Holländische Glockenklänge und eine unwissende französische Botschaft
Ich geniesse es hier, einen Hauch von (wenn auch tropischem) Europa zu erleben. Zwar erscheinen viele der typischen Holzhäuser etwas heruntergekommen, aber es hat auch fein renovierte darunter. Vor allem genoss ich es am Morgen, mit einem herrlichem Kaffee und einem Schinken-Käse-Sandwich mit dunklem Brot bedient zu werden.
Dann machte ich mich auf die Suche nach der französischen Botschaft, um zu erfahren, wie ich meinen Töff versicherungstechnisch nach Französisch Guayana bringe. Unglaublicherweise wusste man dort nicht, wie ich zu verfahren hatte, schickte mich stattdessen zur Assuria Versicherung, wo man mich nett und professionell bediente, mir aber mitteilte, dass für Autos ein kurzzeitiger Versicherungsabschluss machbar wäre, aber nicht für Motorräder. Deshalb fuhr ich nochmals zur Botschaft und wollte mich nicht mehr abwimmeln lassen. Aber offenbar besteht hier eine Gesetzeslücke, es besteht tatsächlich die Chance, dass meine unterdessen ausgedruckte grüne Versicherungskarte ausreichen wird, um mit Fahrzeug über die Grenze zu kommen. Ich werde es dann morgen sehen, wie es wirklich ist…
Ich war heute einige Zeit zu Fuss in Paramaribo unterwegs. Lustigerweise sprechen auch viele Chinesen und Inder Holländisch, das die offizielle Amtssprache zu sein scheint. Ich besuchte die vollkommen aus Holz gebaute, sehenswerte Kathedrale, wunderte mich über die vielen Casinos, die an jeder Strassenecke stehen und dir versuchen, die letzten Suriname Dollars aus der Tasche zu ziehen. Ich verlor nur deren zehn (etwa 1.50 Fr.)… Weil sich meine T-Shirts allmählich in ihre Einzelteile auflösen, kaufte ich mir zwei neue Exemplare, später auch noch ein karibisch-modisches, rotes Hemd für kaum 15 Fr. Im Waaghaus (!) trank ich ein erstes kaltes Bier, später im De Kleine Historie noch ein zweites, das mich müde machte, sodass ich reif für eine Siesta war.
Am Abend besuchte ich ein indisches Restaurant und traf dort auf einen 66-jährigen interessanten, weit gereisten Schotten, mit dem es sich prächtig übers Reisen diskutieren liess, zudem waren das Mutton Masala und die Naan und der Lassi-Drink ausgezeichnet. Allerdings rumpelt’s jetzt wieder einmal etwas in meinem Magen – ein notfallmässiger WC-Aufenthalt ist nicht mehr fern. Auf dem Weg passierte ich ein uraltes holländisches Glockenspiel, das offenbar überraschenderweise immer noch funktioniert, auch wenn die Klänge rau sind und etwas scheppern. Diese Stadt hat wirklich ihren Reiz, weil ein Stück Europa hierher verpflanzt wurde, man hat überhaupt nicht mehr den Eindruck, in Südamerika zu sein.
Km: 84‘593 (12)
Di, 31.10.2017: Als ob Frankreich an Holland grenzt
In der Ferne donnert’s, vielleicht wird mein Zelt auch diese Nacht auf Wasserdichtigkeit geprüft, französisch-guayanische Frösche tönen seltsam heiser und scheinen meinem Schlafplatz immer näher zu kommen, gleich wie das Gewitter. Die Moskitos haben wieder einmal volle Arbeit geleistet, sodass ich schon vor acht Uhr im schützenden Zelt liege. Es war ziemlich mühsam, gleichzeitig Mücken zu erschlagen und zu kochen oder gar Brotteig zu kneten. Ich schützte mich mit einem Feuer, das zwar geholfen hat, dafür bin ich in dieser Tropenhitze zusätzlich beinahe geschmolzen. Eigentlich wollte ich ja noch Cayenne, die Hauptstadt Französisch-Guayanas erreichen, aber weil die Preise hier inklusive Hotelkosten eher noch teurer als in Europa sind (!), entschloss ich mich kurzfristig, einen jener Carbets anzufahren, hergerichtete Lagerstätten, die von den Einheimischen für Tagesausflüge benutzt werden. Carbet de la Crique Canceler heisst es hier ziemlich kunstvoll, die Tagesgäste sind längst gegangen, sodass ich wunderbar mein Zelt aufstellen und ein Feuer machen konnte (was eigentlich beides verboten wäre). Ein rötlich-brauner Bach hat mich bei der Ankunft zu einem Bad eingeladen. Was für eine herrliche Erfrischung! Aber irgendein Getier hat mich am Oberschenkel gepackt, es hat sich wie ein leichter elektrischer Schlag angefühlt, aber keine Verletzung war irgendwo zu erkennen.
Am Morgen haute ich nicht gleich ab, weil ich es gestern versäumt hatte, das alte Fort Zeelandia anzuschauen, ein geschichtsträchtiger, nur einseitig vom Fluss geschützter Ort mit einer Festung, schwierig zu verteidigen und immer wieder von neuen Machthabern erobert. Noch bis 1982 unterstand Suriname einer Militärdiktatur, und noch in diesem Jahr wurden fünfzehn einflussreiche Einheimische auf diesem Platz hingerichtet. Heute sind die alten Gebäude rund um dieses Fort besonders gepflegt, man hat Sicht auf die gewaltige Wijdenboschbrug, die ich wenig später (ohne Gebühr) überfuhr und mich auf den Weg zur Ostgrenze des Landes machte. Nochmals amüsierte ich mich über die vielen drempels oder Holländisch tönende Ortschaften. Schliesslich erreichte ich nach knapp 150 km Albina. Ich erreichte den Hafen mit unzähligen Pirogues, dessen Fahrer mich überreden wollten, mit ihnen den Maroni-Fluss zu überqueren. Es wäre wohl eine ziemliche Herausforderung gewesen, meinen Töff auf eines dieser kleinen Boote zu schaffen.
Ich erreichte die offizielle Grenzstelle, wo ich überaus unkompliziert den notwendigen Passstempel bekam und den TIP am Zoll abgab. Und schon konnte ich aufs Hafengelände fahren, wo ich allerdings zweieinhalb Stunden warten musste, bis die Fähre aus St.Laurent-du-Maroni endlich erschien. Ich war gespannt auf die Zollabwicklung im französischen Guayana – und ich wurde überrascht. Sofort erhielt ich den Stempel im Pass, man wollte meinen Fahr- und Fahrzeugausweis sehen, aber niemand insistierte wegen einer Versicherung oder einer temporären Bewilligung, die Strassen dieses Landes befahren zu dürfen. De facto befinde ich mich jetzt in Frankreich, keine Ahnung, ob meine Schweizer Versicherung zum ersten Mal seit über zwei Jahren tatsächlich wieder einmal etwas nützt. Lieber verzichte ich auf einen Versuch, dies zu testen…
Schnell huschte ich davon und verschwand im Dschungel Guayanas, der vor allem am Anfang beeindruckend dicht und wild war. Wie meist am Nachmittag zogen sich auch heute schwarze Wolken zusammen, aber ich hatte Glück, dass die Strasse sich nahe der Küste befindet und die Gewitterregen weiter landeinwärts niedergingen. Der heftigste Schauer dauerte auch heute genau zehn Sekunden, und dann war ich ihm entkommen. Es ist schon ein eigenartiges Gefühl, gleich nach Holland direkt in Frankreich eingefahren zu sein. Hier wird wieder rechts gefahren, die Strassenschilder sehen aus wie in Frankreich, die Autos besitzen französische Nummernschilder. Auch dieses Land ist kaum besiedelt und deshalb überaus verkehrsarm. Ich kam gut vorwärts, das Wetter beruhigte sich, sodass ich mich schliesslich entschloss, nach einem wilden Zeltplatz Ausschau zu halten – und dank iOverlander fündig wurde.
Km: 84‘879 (286)
Mi, 01.11.2017: Ein bisschen Dekadenz muss sein
Einmal im Jahr gestatte ich mir, etwas dekadent zu sein (letztes Jahr war’s an meinem Geburtstag in Singapore). Cayenne, die Hauptstadt Französisch Guayanas, eignet sich bestens dazu. Diese Stadt ist keineswegs ein Bijoux, aber gewisse europäische Standard sind hier definitiv vorhanden. Bei der Einfahrt in die Stadt passierte ich ein riesiges Carrefour-Einkaufszentrum, einige Peugeot- und Citroën-Garagen, neben vielen einfachen, hölzernen, manchmal ziemlich heruntergekommenen Wohnhäusern aber auch perfekt ausgebaute Villen und Wohnsiedlungen.
Weil ich Cayenne schon früh erreichte, hatte ich Zeit, per Motorrad die Stadt zu durchstreifen und zu erkunden, natürlich auf der Suche nach einer Unterkunft, die einigermassen zahlbar ist. Zuerst fuhr ich aber endlich einmal an die Küste und sah zum ersten Mal (!) den Atlantik, wie erwartet mit braun-grauem Wasser, das wenig motivierte für einen Schwumm. Hier entdeckte ich auch das Hotel des Amandiers mit hübscher Gartenbar, aber für das Zimmer wurden tatsächlich 79 € verlangt! Ich machte mich auf die Suche nach günstigeren Varianten, wurde aber nicht wirklich fündig. Und wie ich vor Monaten schon einmal abgehandelt hatte, war genau heute einer jener Tage, an dem ich es mir gut gehen lassen wollte, sodass ich mich tatsächlich entschloss, am teuren netten Ort mit grossem, klimatisiertem Zimmer einzuchecken. Notabene: Dies ist die teuerste Unterkunft meiner ganzen, fast zweieinhalb Jahre dauernden Reise! Ich schloss mich also der Dekadenz der reichen Oberschicht – oder vor allem der Franzosen an und wollte den reichen, westeuropäischen Lebensstil wieder einmal vollauf geniessen. Das kann wohl nicht jeder: Noch gestern Abend liess ich mich von Horden von Moskitos vor dem Zelt am Feuer verstechen (erst heute realisiere ich die Menge der juckenden Stellen), heute geniesse ich eine Spur von Luxus. Wie schön, dass ich für beides fähig und zahlungskräftig genug bin. Die seit zweieinhalb Jahren mitgeschleppten Not-Euros (die ich damals noch für unter einem Franken gekauft hatte…) bekamen heute endlich ihre Bestimmung.
Heute Abend ist das Gartenrestaurant voller französischer Touristen, einige flanieren entlang der etwas heruntergekommenen Parkanlage am Meer, ganz Gruppen sind auf vorgezeichneten Feldern mit dem Boule-Spiel (!) beschäftigt. Um der Dekadenz noch den i-Punkt aufzusetzen, besuchte ich eben ein japanisches Restaurant, wo ich mir Sashimi und Sushi vom Feinsten bestellte. Natürlich – ziemlich unvernünftig, halt eben dekadent, wenn man weiss, wie weit der frische Tuna oder Lachs gereist sind. Aber halt eben doch geil-gut! Braucht es noch weiterer Beweise, dass ich doch nicht ganz verwildert bin?
Schon morgen werde ich dieses angenehme europäische Leben wieder für einige Zeit verlassen, weil ich hoffe, Brasilien zu erreichen. Heute Morgen liess ich mir viel Zeit, backte Brot, kochte Kaffee und vergnügte mich an einem vor langer Zeit gestauten Bach mit einem Bad, um mich etwas abzukühlen. Heute waren die Gewitter wesentlich früher unterwegs, es begann schon um zehn Uhr zu schütten, sodass ich Zeit fand, die Nähte der Taschen meiner Töffhose wieder zu vernähen. Die Regenfälle waren aber noch nicht vorbei, als ich endlich abfuhr. Aber meist hatte ich Glück und streifte die Schauer nur mehr, sodass ich mehrheitlich trocken über die Runden kam. Aber die Regenzeit scheint sich hier bereits ihr Stell-dich-ein zu geben. Ich bin froh, die Strecke nach Georgetown bereits hinter mir zu haben, denn die Wetterkarten verheissen für jene Region definitiv nichts Gutes. Vielleicht würde ich heute dort im Schlamm stecken bleiben…
Km: 85‘021 (142)
Do, 02.11.2017: Dschungelmüdigkeit
Um mit dem dekadenten Lebensstil wieder für eine Weile abzuschliessen, fuhr ich heute Morgen am Stadtrand das riesige Carrefour-Einkaufszentrum an. Als ich ankam, wurde es um halb neun Uhr gerade geöffnet. Was für eine Auswahl an Produkten, die ich schon lange nicht mehr gesehen hatte! Ich hielt mich jedoch zurück, weil ich nur noch 40 € Bargeld hatte. Als ich jedoch die schon seit Ewigkeiten gesuchten, zwar unverschämt teuren Rasierklingen sah, konnte ich mich nicht zurückhalten – und bezahlte schliesslich mit der Kreditkarte… Noch auf dem Parkplatz genoss ich ein frisches Baguette und frischen Speck und versäumte somit wohl die Zeit, die mir später fehlen würde.
Eigentlich hoffte ich, dass zweieinhalb Stunden für 200 km reichen würden, um vor zwölf Uhr die Grenze zu überqueren. Die Strasse war auch weiterhin perfekt ausgebaut, aber überraschenderweise war die Fahrt durch den erneut unberührten und dichten Dschungel kurvenreich, weil das Gelände mit Hügeln durchsetzt war. Dazu bremste mich ein Checkpoint mit zwar sehr netten französischen Polizisten, die nur meinen Pass sehen wollten. Aber als ich die grosse Brücke über den Rio Oyapoque erreichte, war diese gesperrt, weil die brasilianischen Behörden offenbar nur bis Mittag arbeiten. Damit hatte ich mich schliesslich vergeblich beeilt, fuhr zurück in den guayanischen Grenzort St.Georges (ist ja wenigstens ein netter Name, der mich an zu Hause erinnert). Zu gerne wäre ich noch weitergefahren, um mehr von der langen Distanz bis Macapa zu schaffen. So trank ich in einer Kneipe zwei Bier, wollte mir aber eine weitere teure Unterkunft nicht mehr leisten, fuhr deshalb zurück zu einem Fluss, wo ich mein Zelt aufstellen und etwas baden wollte. Aber ganz St.Georges schien dieselbe Idee zu haben, sodass ich mich im Fluss nur kurz abkühlte und dann weiter zurückfuhr bis zu einem iOverlander-Platz, einem Wildcamp mitten im Dschungel, wo ich schon vor drei Uhr einigermassen unmotiviert mein Zelt aufstellte.
Ja tatsächlich, vielleicht ist da eine leichte Krise im Anzug, nicht ganz erstaunlich nach einem Tag wie gestern. Zudem sind die Strecken, die mich erwarten, immens und kompliziert. Bald werde ich den Amazonas bei der Mündung in den Atlantik wieder antreffen, wo ich wieder für eine Weile mit der Fähre unterwegs sein werde. Wenigstens bleibt mein fahrbarer Untersatz nach wie vor zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk. Werde ich es tatsächlich schaffen, ohne grössere Panne bis nach Hause durchzukommen? In drei Monaten werde ich wohl zu Hause sein, noch einige tausend Kilometer warten auf mich. Zuerst freue ich mich aber auf die brasilianischen Strände, an denen ich die Zeit wieder etwas mehr geniessen kann. Jetzt sitze ich im Zelt, geschützt vor den Moskitos, die Luft steht, es ist stickig-tropisch heiss. Für mich gilt nur eines: Ich möchte diesen unberührten Dschungel endlich hinter mir lassen…
Km: 85‘254 (233)
Fr, 03.11.2017: Ein Tag, auf den ich hätte verzichten können – oder wie Abenteuer entstehen
Der Tag im Dschungel begann harmonisch mit Kaffee und frischen Brötchen. Ich liess mir wie immer Zeit am Morgen und war erst um acht Uhr unterwegs zur Grenze, erreichte die Oyapoque-Brücke wenig später, hatte einen kurzen Schwatz mit dem französischen Zollbeamten und kriegte nicht einmal einen Stempel, dass ich Frankreich oder Guayana wieder verliess. Man kann sich also streiten, ob Guayana mein 43. Land dieser Reise ist (ausser ich zähle es jetzt schon als Frankreich, mit dem ich eigentlich erst später rechnete).
Der brasilianische Zoll ist erst im Aufbau. Man wollte nur meinen Pass sehen, schickte mich jedoch ins nahe Dorf Oyapoque, wo ich die brasilianische Immigrationsbehörde dank iOverlander schnell fand und den benötigten Stempel bekam. Die Aduana war ebenfalls nah, allerdings verlangte man Kopien von Pass und Fahrzeugausweis, die schnell besorgt waren. Der Zollbeamte erklärte mir in schnellem Portugiesisch irgendein Problem, mein Fahrzeug mit ins Land zu bringen, ich wusste bis zum Schluss nicht, was genau die Schwierigkeit war. Aber ich wartete lange, bis dann das erforderliche Papier zur temporären Einreise meiner Yamaha doch plötzlich zur Stelle war – und wieder erhielt ich neunzig Tage Aufenthalt.
Nach dem Tanken freute ich mich, heute möglichst viele Kilometer bis Macapa am Amazonas zu schaffen, die Stadt vielleicht sogar zu erreichen. Die geteerte Strasse liess mich einige Zeit daran glauben. Das Land war nicht mehr so wild wie noch in Guayana, das stärker bewirtschaftet wird, manchmal brennen ganze Felder, die urbar gemacht werden wollen.
Als wieder längere Abschnitte durch den unberührten Dschungel zu befahren waren, wurde ich doch ziemlich überrascht von der dramatisch schlechter werdenden Strasse, dies hatte ich nicht erwartet. Da waren sie wieder, die Schotterpiste mit den Schlaglöchern, die überraschend stabilen, schmalen, hölzernen Brücken, aber hier war die Strasse staubig, weil es offenbar schon längere Zeit nicht mehr geregnet hatte. Bei einer solchen Brücke wich ich einem Loch aus, und nur wenige Meter später versuchte mich mein Hinterrad aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sofort war klar, was los war. Plattfuss hinten, verflucht! Diesmal hatte die Taktik also nicht funktioniert, immer mit möglichst gut erhaltenen Pneus unterwegs zu sein und solche Pannen zu vermeiden.
An der prallen Sonne schaffte ich es, mein Motorrad hinzustellen und erst mal sämtliches Gepäck abzuladen. Das Rad war schnell demontiert, der Reifen gelöst. Der Schlauch sah aus wie nach einer Riesenexplosion – mit einem irreparablen Riesenloch – deshalb verlor der Reifen auch so schnell sämtliche Luft, dies ist normalerweise nicht ungefährlich, aber glücklicherweise konnte ich mich im Gleichgewicht halten, weil ich nicht zu schnell unterwegs war. Schnell war mein Ersatzschlauch zur Hand, der jetzt eingesetzt wurde. Zwei junge Einheimische waren genug neugierig, um meine Arbeit zu verfolgen und bald mitzuhelfen, denn den Reifen wieder auf die Felge zu bringen, bereitete uns doch einige Schwierigkeiten. Mit der Gewalt meiner drei Reifenschlüssel brachten wir ihn auf die Felge, aber beim Pumpen merkte ich schnell, dass wir beim Montieren wohl den Schlauch verletzt hatten. Also wie auch schon gehabt: Pneu wieder weg, Loch suchen, das schnell gefunden war, reparieren und den Pneu wieder auf die Felge würgen – und dies ging jetzt überraschenderweise viel leichter. Und der Schlauch blieb dicht! Halleluja! Jetzt war ich froh um Hilfe, denn mit zwei Händen vier Teile zu halten, Bremse wieder an den richtigen Ort zu bringen, Achse einzufädeln, ist alleine (zumindest für mich) beinahe nicht möglich. Aber schliesslich war es geschafft! Ich lud mein Material wieder auf, verabschiedete mich von meinen Helfern mit einer 50 R$-Note – und los ging es wieder. Ich war froh, über den Fahrtwind wieder etwas abkühlen zu können… Aber dies sollte mich nicht lange erfreuen.
Das Fahrgefühl trügte nicht. Irgendwie rumpelte es, und dies war nicht der Strasse zuzuschreiben. Ich kam kaum einen Kilometer, als mein Hinterrad wieder zu schwaddern begann, dann die Explosion – untrügliches Zeichen, dass auch dieser Schlauch das Zeitliche gesegnet hatte. Jetzt hatte es mich also doch noch erwischt, nämlich an einer unmöglichen Stelle weit abseits jeglicher menschlichen Zivilisation in der Affentropenhitze gefangen zu sein, ohne dass ich mir selber helfen kann.
Unterdessen realisierte ich, dass ich in den letzten zwei Stunden fast nichts getrunken hatte, es wurde mir schwarz vor den Augen, Anzeichen eines Sonnenstichs! Immerhin schaffte ich es noch, das Gepäck abzuladen und den Töff an den Strassenrand zu schieben. Gleich zwei brasilianische Partien hielten an und wollten helfen, wussten aber auch keinen Rat, ich fühlte mich so nudelfertig und am Ende, dass ich zu keiner Aktivität Lust hatte. Ich wollte nur dasitzen und trinken. Und Wasser hatte ich ja noch genug.
Es dauerte nicht lange, als erneut zwei Brasilianer in ihrem Lastwagen anhielten – Pablo und Ivan, die sofort checkten, dass es mir nicht gut ging. Sie brachten wir eine Flasche eisigen Wassers, schauten sich den Schlauch an (ohne das Rad zu demontieren), der ebenfalls ein so grosses Loch aufwies, dass meine Flicke nicht genügend gross waren, um zu helfen. Die zwei heckten eine brasilianische Improvisationslösung aus, banden mit einem starken Silch die defekten Stellen des Schlauches ab, und zwar auf beiden Seiten, sodass mir das Loch nur noch blöd entgegenglotzte… Erstaunlicherweise schafften es die zwei, mit Hilfe von Abwaschmittel, den Pneu wieder auf die Felge zu bringen, ohne das Rad demontieren zu müssen. Warum dies so leicht ging, sollte ich erst später realisieren. Wir pumpten auf, und die Taktik schien aufzugehen, zumindest für die kurze Probefahrt. Ich wollte die nächsten sechzig Kilometer ohne Gepäck fahren und dort im nächsten grösseren Ort zu einem neuen Schlauch kommen. Pablo nahm mein sämtliches Gepäck mit, sodass der Pneu weniger Gewicht auszuhalten hatte. Sie fuhren voraus – etwas zu weit, denn nach nur zweihundert Metern löste sich der Pneu wieder von der Felge, der festgepumpte Schlauch kam zum Vorschein und versuchte wie ein Pirelli-Männchen den Pneu zu verdrängen.
Jetzt war schon klar, was das Problem war. Tatsächlich sah ich bei meinem Metzeler-Reifen zwei leicht verletzte Stellen an den Kanten, sodass die Spannung nicht mehr genügend gross war, um auf der Felge zu bleiben. Deshalb brachte ich das zweite Mal den Reifen ohne zu würgen auf die Felge, und die beiden schafften dies gar, ohne das Rad wegzunehmen. Aber jetzt stand ich eine ganze Weile alleine da, ohne Gepäck und Wasser, nur den Pass und die Kreditkarten und mein Handy hatte ich noch dabei. Sollte ich jetzt definitiv vollauf verarscht werden? Wo blieben die zwei?
Aber nein, meine Menschenkenntnis sollte mich nicht trügen. Nach einiger Zeit kehrten die beiden in ihrem Truck zurück. Es war jetzt klar, was zu tun ist. Der Töff musste ich das beinahe leere Innere, aber wie zum Teufel bringt man eine zweihundert Kilogramm schwere Maschine ohne Hebebühne auf die Ladefläche? Pneu und Felge wurden jetzt noch ein letztes Mal gequält, indem wir den Töff auf eine Anhöhe am Strassenrand stiessen, der Motor half dabei netterweise gut mit – und der Metzeler wurde noch total zerschlissen. Und wir schafften es tatsächlich! Die Maschine wurde jetzt mehrfach festgebunden, denn die Strasse sollte im Folgenden nicht besser werden, im Gegenteil.
Das mit der Kommunikation war so eine Sache. Ich war mir nach wie vor nicht sicher, wie weit die beiden fahren würden, vielleicht tatsächlich über die ganze Nacht bis nach Macapa? Aber ihr Verhalten deutete nicht darauf hin. Wir hielten immer wieder an, halfen einem Lastwagen, aus seiner Pannenlage zu kommen, hielten einen Schwatz in einem Dorf. In Carnot hätten wir sogar einen halbwegs passenden Schlauch gefunden, aber mittlerweile sahen wir, dass der Pneu noch mehr Schaden genommen hatte, die Kanten-Rand-Drähtchen standen wie zum Protest für die miese Behandlung auf. Es war klar, ich brauchte einen neuen Reifen. Und dann machten wir gar einen Halt an einem Tümpel, denn Ivan hatte darin zwei Caymane gesehen. Einige Zeit beobachteten wir die Tiere, normalerweise hätte ich eine Riesenfreude an einem solchen Erlebnis – aber nicht heute. Ich wollte möglichst schnell wissen, wie ich mich diesmal aus dieser Situation würde winden können.
Unterdessen ging der Vollmond auf und verzauberte die Landschaft mit der untergehenden Sonne in ein unwirkliches Licht. Ich genoss die Szenerie von der Führerkabine aus, aber die Müdigkeit liess mich immer wieder einnicken. Ich liess mich einfach gehen, was blieb mir auch anderes übrig? Ich hatte keine Ahnung, wo es mich heute noch hinschlägt, wo wir schlafen, ob wir essen – keine Ahnung. Ich war durstig und hungrig, und noch immer waren wir unterwegs – da musste ich jetzt einfach durch. Ich erinnerte mich an jenen Bootstrip in Papua Neuguinea, der sich über einen ganzen Tag und eine ganze Nacht hinzog. Ich wusste, irgendwann werden wir irgendwo ankommen.
Es war schon lange dunkel, als wir Calçoene, ein kleines Städtchen erreichten, wo wir einen kleinen Motorradhändler anfuhren, der natürlich nicht über einen so grossen, neuen Reifen verfügte, aber immerhin über ein billiges brasilianisches Produkt in der Grösse 120-90-17 (statt 130-80-17) – und der wird mir morgen montiert, um hoffentlich unbeschadet Macapa zu erreichen, das immer noch 360 km entfernt ist.
Ich stieg in der Pousada Dom Pedro ab, verabschiedete mich von den beiden so hilfsbereiten brasilianischen Truckfahrern und belohnte sie mit einem grosszügigen Trinkgeld. Die ersten Punkte haben die Brasilianer somit zurückerobert... Nicht weit entfernt bekam ich sogar mein Bier (was für goldene Tropfen!) und ein einfaches Essen.
Ja, es ist schon so, auf solche Erlebnisse würde ich eigentlich gerne verzichten, aber so entstehen halt neue Abenteuer oder vielleicht gar Heldengeschichten, die man später so gerne erzählt…
Km: 85‘368 (114, plus etwa 120 im Lastwagen)
Sa, 04.11.2017: Ein Eiertanz bis zum Hafen von Santana
Ich schlief im klimatisierten Zimmer ausgezeichnet. Was für ein wunderbarer Jungbrunnen doch Schlafen ist! Ich fühlte mich am Morgen definitiv genügend fit, um mich dem nächsten Teil meiner Reise zu widmen. Aber zuerst musste der Töff ja wieder fahrtüchtig gemacht werden. Der Mechaniker schien auf mich zu warten. Tatsächlich verwendete er nicht nur einen eigentlich unpassenden Reifen, sondern auch einen etwas zu kleinen, billigen China-Schlauch, den der Brasilianer etwas in die Länge zu ziehen versuchte. Und ich schaute ihm einen Trick ab. Er stopfte den noch leicht gepumpten Schlauch in den Reifen, sodass er unverdreht an diesem anlag und beim Pumpen nicht verletzt werden kann.
Meine Maschine war bald fahrbereit, ich war weitere 300 R$ los (etwa 100 Fr.). Weil der Reifen etwas schmaler ist, wirkt sich das auch aufs Fahrgefühl aus, die Balance muss etwas konzentrierter gehalten werden. Ein weiteres Mal richtete ich meine grosse Ladung, und dann ging es los Richtung Süden. Es kam mir vor wie ein Eiertanz, diesem Billigprodukt vertrauen zu können, deshalb fuhr zuerst deutlich unter 100 km/h, denn ich wollte mir nicht ausdenken, was passiert, wenn es den Pneu bei hohen Tempi erneut von der Felge schleudert. Aber je länger ich fuhr, desto mutiger wurde ich, ich begann dem Reifen zu vertrauen. Zudem wollte ich schneller unterwegs sein, weil ich eine absolut reizlose Landschaft mit vielen kahlen, verbrannten Feldern, aber auch riesige Holzplantagen mit immer denselben Bäumen durchfuhr. Die Brasilianer haben hier in Nova Brasil ganze Arbeit geleistet und den Urwald ziemlich definitiv vernichtet. Schliesslich erreichte ich nach langweiliger Fahrt endlich Macapa und machte mich auf die Suche nach dem Hafen. Zufällig entdeckte ich ein grösseres Motorradgeschäft, wo man tatsächlich Pneus in der verlangten Grösse gehabt hätte, aber ich wollte nicht ein Billigprodukt durch ein anderes Billigprodukt ersetzen.
Dafür stand ich jetzt brav Modell für eine Fotosession und erfuhr, dass sich der Hafen für die Fähren nach Belém in Santana, 26 km entfernt, befindet. Also liess ich die eigentlich reizvollere Stadt Macapa am Amazonas links liegen, weil ich so schnell wie möglich herausfinden wollte, wann die nächste Fähre nach Belém ablegt – vielleicht schon heute? Für so viel Glück reichte es dann doch nicht, aber ich fand dank der Hilfe einiger Einheimischer den richtigen Hafen, wo man mich sofort stürmisch empfing. Aber ich hasse es, von Schleppern abgefangen zu werden, die mir ziemlich aggressiv (und meist mit übersetzten Preisen) ein Ticket zu verkaufen versuchen. Ich fuhr wieder aus dem Hafen heraus und fragte bei einem kleinen Reisebüro nach, wo man selbstverständlich bereit war, mir ein Ticket für die morgige, vierundzwanzigstündige Fahrt zu verkaufen – und erst noch etwas billiger – aber immer noch recht teuer – 330 R$, gute hundert Franken, inklusive Töfftransport. Ich war in einem Familienunternehmen gelandet und wurde jetzt gleich zum Hotel der Mutter des netten Verkäufers gelotst (Tabajos, 50 R$ AC), alles ganz sympathisch. Das Zimmer ist zwar sehr spartanisch, aber sauber – und ich befinde mich nur zweihundert Meter von der Fähranlegestelle entfernt, auch nicht schlecht, zudem ist mein Töff im Souvenirladen diebstahlsicher eingesperrt. Denn tatsächlich gärt’s in diesem Hafen so ziemlich, es ist schmutzig, Nutten hängen herum, es ist wohl besser, sich des Nachts nicht in die dunklen Gassen zu begeben.
So sitze ich jetzt auf der vergitterten Terrasse. Morgen gibt’s eine weitere längere Fährfahrt auf dem Amazonas, und darauf freue ich mich tatsächlich. Vielleicht sind einige Tropfen des Wassers des Rio Napo unterdessen auch schon hier angelangt. Teile des Flosses habe ich bis jetzt noch nicht ausmachen können, die scheinen wohl tatsächlich in Tabatinga geblieben zu sein.
Km: 85‘767 (399)
So, 05.11.2017: Im Amazonas-Labyrinth
Schon vor neun Uhr stand ich vor dem dreistöckigen Schiff mit nur wenigen Kabinen für reichere Personen. In Brasilien reist man auf Deck, und auch hier bot sich mir ein lustiges Bild, weil der erste Stock schon voll war mit bunten, grösseren und kleineren Hängematten, in denen es sich die Menschen bequem gemacht hatten. Es war diesmal ein Leichtes, mit dem beladenen Töff auf das Schiff zu fahren und einen gedeckten Parkplatz zu besetzen. Ich wunderte mich schon, dass das oberste, ruhigere und sauberere Deck noch kaum mit Fahrgästen besetzt war. Natürlich richtete ich mich dort oben ein, es hatte noch Platz zur Genüge. Aber diese Herrlichkeit währte nicht lange, aus irgendeinem Grund wurden alle Passagiere ins mittlere Deck gepfercht (am Nachmittag wusste ich warum – die oberen Teile des Schiffes wurden einer Generalreinigung unterzogen).
Ich fand noch einen freien Hängeplatz mitten in der Menschenmenge, es ist ja schon eine spassige Reiseart, es mitten unter so vielen Hängematten bequem zu machen. Pünktlich um elf Uhr verliessen wir Santana, erreichten bald eine viel breitere Stelle des Amazonas. Ohne Navigationsgerät wäre es für einen Neuling allerdings absolut unmöglich, sich zu orientieren, denn der Amazonas ist nahe des Einflusses in den Atlantik ein wahrer Irrgarten mit Hunderten, wenn nicht Tausenden von verschiedenen Flussarmen, die natürlich unzählige Flussinseln bilden. Hier befindet sich auch die grösste, von Süsswasser umgebene Insel der Welt – die Ilha de Marajó, in etwa so gross wie die Schweiz… Wir fuhren jetzt Richtung Süden, aber nicht etwa in den breitesten Stellen, sondern meist in schmalen Verbindungsflüssen, die aber offenbar genügend tief sind, um passieren zu können. Die Szenerie ist idyllisch: An der Palmenküste am Wasser wohnen die Menschen in etwas konfortableren Häusern als noch im Oberlauf des Amazonas. Immer wieder fuhren uns motorisierte Kleinboote entgegen, dessen Fahrer offensichtlich darauf aus waren, etwas Spass in den entstehenden Wellen zu haben. Überhaupt sind die Wellen wohl wegen des Windes so gross, dass wir mit unserem Floss wohl etwas zu kämpfen gehabt hätten – aber so weit zu kommen war ja gar nicht geplant. Und doch richtete sich mein Blick immer wieder auf den Fluss. Flusslesen könnte noch mein Hobby werden.
Gegen Abend sass ich lange auf dem Dach des Schiffes, hörte Musik, genoss das Gefühl der Freiheit und den Wind, der mir die Haare aus dem Gesicht wehte. Wieder einmal: Das Leben könnte schlechter sein, vor allem wenn man auch noch ein Bier in der Hand hat. Ich genoss die Abendstimmung und beobachtete die Sonne, wie sie hinter einer Wolkenwand verschwand, welche die warme Kräftigkeit der Farben des Flussdschungels verschluckte. Aber wenig später wurde sie wieder freigegeben, gerade recht, um wieder einmal einen prachtvollen Sonnenuntergang zu erleben. Dann genoss ich etwas französisches Essen, Camonbert, Salami, einen Becher Bordeaux-Wein, alles in Cayenne gekauft und natürlich ein kulinarisches Highlight.
Es ist noch nicht neun Uhr, nur noch das Schwachlicht brennt, die meisten Brasilianer haben sich für die Nacht eingerichtet. Ich werde mich wieder auf meiner Exped-Matte einrichten und hoffentlich eine gute Nacht verbringen. Leider ist diesmal der Motor etwas nahe. Aber Eintönigkeit, wenn auch laute, schläfert einen bekanntlich ein. Babys können dies ja auch, wieso nicht auch ich?
Km: 85‘768 (1)
Di, 07.11.2017: Erfolglos Pneu und Schlauch gesucht
Als ich am Morgen aufstand, wusste ich eigentlich nicht wirklich, was ich in dieser Stadt noch machen will. Aber schliesslich war ich doch unterwegs zu zwei weiteren Motorradgeschäften, um Pneu und Schlauch zu finden, erstaunlicherweise erneut ohne Erfolg! Das ist wohl ein Zeichen, dass ich dem brasilianischen Leverim doch vertrauen soll – und dies werde ich vorerst auch machen.
Am Nachmittag war ich an Beléms Malecon. Drei riesige, alte Lagergebäude wurden perfekt renoviert, in denen heute auf vergrösserten Postkarten der Geschichte der Stadt nachgegangen werden kann. Belém war einst Dreh- und Angelpunkt der Portugiesen bei der Ausbeutung der Amazonas-Region. Die Hauptsache in diesen direkt am Fluss liegenden Hallen sind aber die verschiedenen Restaurants, in denen à discretion ab einem reichhaltigen Buffet gegessen werden kann – und dies netterweise von den regionalen Spezialitäten. Dies liess ich mir nicht entgehen, auch wenn dies überhaupt nicht billig war, aber daran werde ich mich in Brasilien wohl gewöhnen müssen. Schliesslich zahlte ich sogar für meinen Töffparkplatz drei Franken, da hätte ich dann doch besser die Flucht über das Trottoir ergreifen sollen, aber diesmal blieb ich brav.
Zurück im Guesthouse trank ich zwei Bier, genoss den allerdings etwas muffigen Swimmingpool. Am Abend wurde ich überraschend eingeladen vom einen Besitzer des Hostels, der seinen 30. Geburtstag feierte, ein kleines, ungezwungenes Fest, an dem nur die Kommunikation die Herausforderung war, weil nur wenige Brasilianer Englisch, Französisch oder Spanisch reden. Vor allem das gesprochene Portugiesisch erscheint mir wirklich als Riesengemauschel, während ich bei geschriebenen Texten schon recht viel verstehe.
Km: 85‘833 (33)
Mi, 08.11.2017: Verluste
Weil es gestern Nacht doch etwas später als normal wurde, stand ich auch nicht so früh wie geplant auf. Nach dem Frühstück packte ich in aller Ruhe und wurde von den Hostel-Mitarbeitern überaus nett verabschiedet. Zuerst musste ich mich einmal aus der Stadt kämpfen, immer wieder eine Herausforderung, den ziemlich aggressiven Fahrstil der Südamerikaner zu adaptieren, um wenigstens einigermassen vorwärtszukommen. Ich machte nochmals Halt bei einem recht grossen Töffgeschäft, aber wiederum wurde ich wegen eines passenden Pneus nicht fündig.
Erneut bekam ich die grossen Distanzen Brasiliens zu spüren. Kilometerweit fuhr ich geradeaus durch eine Gegend, an der eigentlich nichts attraktiv ist ausser die Kokospalmen, wenigstens die wurden stehen gelassen, denn Rinderfarm reihte sich an Rinderfarm, die mit langen Zäunen fein säuberlich abgetrennt sind. Ich war schon früh am Sondieren, wie ich heute zu einem wilden Campingplatz kommen würde und realisierte, dass dies heute gar nicht einfach werden würde.
Wenigstens nahm der Verkehr immer mehr ab, und ich kam prima vorwärts. Schon seit einiger Zeit ärgere ich mich über die Benzinzufuhr (?) meiner Yamaha, weil mir der Motor an den unmöglichsten Stellen unvermutet abstellt, vor allem wenn ich kupple und nicht schnell unterwegs bin. Es ist schon krass. Seit ich vor bald 4000 km in Manaus wieder gestartet bin, ist mir noch kein motorisierter Tourist entgegengekommen, schon gar nicht auf dem Motorrad. Ich bin also auf einer extrem selten befahrenen Strecke unterwegs, manchmal ist mir kaum bewusst, dass nur schon diese Streckenplanung ein Abenteuer für sich ist.
Am frühen Nachmittag machte ich einen Halt an einem Tümpel, der sich überraschend auch für ein Bad eignete. Was für eine herrliche Erfrischung! Allerdings hatte dieser Halt gleich einen dreifachen Verlust zur Folge. Zuerst sank der Töffständer im offenbar weichen Teer ein, sodass sich meine Maschine wieder einmal (zum ersten Mal seit Ecuador) zur Ruhe legen wollte – mit unangenehmen Folgen: Die Seite des Windschutzes landete exakt auf der metallenen Strassenbegrenzung, sodass ein Teil abbrach. Genau jetzt fuhr auf einem einzigen Kleinschnepper eine vierköpfige Familie heran, die im Tümpel fischen und baden wollten – der Vater half mir natürlich beim Aufstellen der Maschine. Wegen eines zweiten Fehlers wurde ich gnadenlos bestraft: Ich liess den obersten Reissverschluss meines grossen Rucksackes offen, und es ging wohl nicht lange, dass sowohl meine violetten Crocs als auch meine geliebte Badehose die Freiheit auf der Strasse meinem Weitertransport vorzogen – dies realisierte ich erst am Abend! Was für ein Ärger!
Dafür wurde ich schliesslich fündig mit einem ruhigen, abgelegenen Zeltplatz im Busch, wo ich wieder einmal über dem Feuer kochte und die Ruhe der Natur genoss, auch wenn diese hier nicht grossartig ist. Zu viel Land wird hier bewirtschaftet. Es ist teil steppenhaft trocken, vielleicht auch weil wir am Ende der Trockenzeit sind, aber dies darf durchaus noch eine Weile so bleiben…
Km: 86‘200 (367)
Do, 09.11.2017: Alcântara – Kultur- und Naturwunder