Teil 30: Chile - Argentinien I

Schon über einen Monat befinde ich mich in Südamerika. Nachdem ich sehr unkompliziert am Flughafen Santiago zu meinem Töff kam, reiste ich nach Valparaiso, der grössten Hafenstadt in Chile, wo ich auf Samuel traf, den ich noch von meinem Aufenthalt in Osttimor kannte. Wir warteten zwei Wochen lang auf seine Honda Transalp. Deshalb verzögerte sich die Abfahrt nach Patagonien in den äussersten Süden Südamerikas um zwei Wochen.

Nachdem wir lange Zeit von der angenehm warmen Nordströmung mit viel Rückenwind profitiert haben, kämpfen wir jetzt mit den Vorboten des Winters. Es ist kalt in El Calafate am Lago Argentino. Gestern fuhren wir zum grössten Gletscher Südamerikas, der unterste Teil nur auf 100 m.ü.M. gelegen. Die Landschaft in Patagonien ist wild und genau richtig für abenteuerliche Wochen. Nach fünf Tagen in der Wildnis mit Campieren an den entlegendsten Winkeln des Landes wurden wir zwar knapp vom Schnee verschont, aber es ist schon unangenehm, des Morgens den warmen Schlafsack zu verlassen und das regennasse Zelt zu verpacken und weiterzufahren.

Unterdessen sind wir auf dem Rückweg Richtung Norden, werden bald die Grenze nach Chile erneut überqueren, um 1000 km dem Carreterra Austral, einer ruppigen Schotterpiste in luscher Natur, zu folgen. Wir hoffen, bald wieder in wärmere Gefilde vorzustossen, aber dann warten ja die hohen Anden in Bolivien und Peru, wo es bestimmt auch nicht sehr warm ist.

Di, 31.01.2017: Erster Tag in Santiago in der Villa Wahnsinn…

Man kann sich vorstellen, wie man sich fühlt nach zwei kurzen Nächten im Flugzeug, denn nochmals habe ich heute drei Stunden Zeitverschiebung zu verarbeiten, zusammen seit Südkorea also zwölf Stunden, das Maximale, was überhaupt möglich ist. Die Einreise nach Chile war problemlos, ich fand hier glücklicherweise auch einen Hotspot für Wifi, sodass ich mit Samuel in Kontakt treten konnte, womit ich erfuhr, wie ich seine Bleibe erreichen kann.

Ich fuhr per Bus (1700 Peso) und U-Bahn (680 Peso) zur Station Salvador, und von hier führte mich maps me um sieben Ecken zu einem alten, typisch südamerikanischen Haus mit einem verwunschenen Innenhof. Ich war froh, meine dreissig Kilogramm Gewicht endlich abstellen zu können. Dieses Haus war vor wenigen Monaten noch eine Bleibe für Obdachlose und wird jetzt mit Hilfe von jungen Touristen sanft renoviert – für Kost und Logis. Es hat hier einen kleinen Garten, alles ist aber staubig, die Zimmer und WC-Anlagen sind schmutzig und marod. Schnell war das Begrüssungsbier geöffnet, und wir schwatzten den ganzen Nachmittag über die letzten Reiseabschnitte und unsere nächsten Pläne. Später schleppten wir eine schmuddelige Matratze in Samuels Zimmer, die ich mit einem bereits gebrauchten, einigermassen weissen Leintuch bezog. Ich fand den ganzen Nachmittag und Abend nicht einmal Zeit für eine Dusche, dafür für viele Biere, die hier in Literflaschen verkauft werden (für weniger als 2 Fr.) – und es ist nicht einmal schlecht. Mittels eines grossen Fassgrills gab es das erste Asado, südamerikanisches Grillfleisch. Die Stücke werden als Ganzes gut mariniert über der Glut grilliert und nachher in kleinen Stücken aufgeschnitten. Auch grosse Stücke von Kartoffeln und Zucchetti fanden heute auf dem Grill Platz.

Ich war erstaunt, wie ich trotz riesigen Schlafmankos mit den viel jüngeren Travellern bis tief in die Nacht stundenlang im Zentrum des Innenhofs zusammensass. Das kurze Schläfchen am späteren Nachmittag hatte Wunder bewirkt. Später erschien auch noch André, der Hausherr, begrüsste mich herzlich und machte sich noch spätabend an weitere Arbeiten der Renovation.

Vor allem aber bin ich von Eindrücken überflutet. Erst grad noch im kalten Soeul, dann in heftigster Anspannung in Houston und jetzt in Santiago mitten im Sommer. Es ist nicht übermässig heiss, eigentlich fühlt es sich an wie während des Sommers zu Hause, aber ich bin auch noch an einem ziemlich schrägen Ort gelandet, wo sich Samuel schon seit drei Wochen aufhält. Wie gut man sich während des Reisens so richtig spüren kann!

Mi, 01.02.2017: Töff ausgelöst und die Feier dazu…

Wir waren am Morgen schon recht früh unterwegs Richtung Flughafen, zuerst per U-Bahn, dann per Bus, um ausfindig zu machen, wo mein Töff lagert. Wir hatten von den Terminals nicht weit zu gehen bis zu den verschiedenen Cargo-Lagerschuppen. Dank Samuels passablem Spanisch fragten wir uns durch, bis wir die richtige Zollstation gefunden hatten. An sämtlichen anzulaufenden Stellen war man erstaunlich arbeitsbereit, wir wurden von einem zum nächsten Ort gewiesen. Zuerst zahlte ich irgendeine Lagergebühr über 45‘000 Peso (etwa 70 Fr.), später kriegte ich die verschiedenen Zollpapiere, wofür ich nochmals gut 100 Fr. loswurde.

Dann der grosse Moment: Fast Air lieferte uns das grosse Paket aus, das ich in Australien ja nicht mehr gesehen hatte. Die BMW-Verpackung mit Dachlatten und festem Karton war bald gelöst und das Motorrad wurde sichtbar. Das Vorderrad war nicht demontiert, dafür die Lenkstange in eine Position gestellt, dass der Töff in der Kiste gleich noch Platz hatte. Die Lenkstange wurde wieder gerichtet, vor allem aber die verschiedenen Spannsets gelöst. Der Töff schien einen Seufzer von Erleichterung auszustossen, als vor allem die Gabel zurück in die Höhe schnellte. Durch den Druck war der Vorderreifen beinahe platt, hatte aber gerade noch genug Luft, um fahren zu können. Dann kam die Prozedur der Tankentfernung, um meine neue Batterie wieder anzuschliessen. Wir stellten auch fest, dass der Tank zwar fast, aber nicht ganz leer war. Wir hätten also keine anderthalb Liter Benzin mitnehmen müssen, was gar nicht so einfach war, weil uns der Tankwart verboten hatte, das Benzin in eine Trinkflasche einzufüllen (was wir gleichwohl machten). Schliesslich war die Maschine fahrbereit, und sie lief problemlos an. Beim Ausgang hatte ich ein erstes der diversen, identischen Zollpapiere abzugeben, und schon war ich unterwegs in die Innenstadt Santiagos nach Providencia in die Rua Ramon Díaz in die Villa Wahnsinn. Hier galt es, meine Maschine in den Innenhof zu fahren, über eine steile, dreistufige Treppe. Zuerst wollte ich reinfahren, wollte schliesslich aber doch keinen Sturz riskieren, sodass wir ihn über ein Brett zu dritt hochschoben.

Das Tageswerk war also viel früher als erwartet vollbracht, hoffentlich geht es auch so gut und schnell mit Samuels Bike. Wir fanden jetzt Zeit für Bier und Gespräche, kauften 2.4 kg Rind für ein weiteres Asado. Unterdessen waren Julian, der Engländer, Simon, der Tscheche und ein neu angekommener Franzose fertig mit den Arbeiten am Haus. Es kam ein weiteres Mal zum grossen Fressen und Trinken, aber heute waren wir viel später dran und ich über alle Massen fit, sodass ich mit Simon bis morgens um fünf Uhr übers Reisen, Musik und Leben redete. Simons Ziel ist es, mich einmal mit seinem Vater zusammenzubringen, um ihm zu zeigen, was auch in meinem Alter reisemässig noch alles möglich ist… Lustige Vorstellung!

Km: 57‘979 (23)

Do, 02.02.2017: Von Fremdenlegionären in der Villa Kunterbunt

Es war wenig erstaunlich, dass ich erst nach dem Mittag erwachte. Ich fühlte mich ziemlich fix und foxi, im Moment tue ich alles, um die Rekord-Zeitverschiebung von zwölf Stunden gut zu verarbeiten, ich bin nicht sicher, ob die Methodik die richtige ist… Aber die Lebensgeister kamen schnell zurück. Ich fuhr die kleine Treppe aus unserer „Villa“ herunter aus dem Haus, wo ich begann, mein Motorrad zu beladen, wie ich es mich gewohnt bin. Etwa um drei Uhr ging es los, und ich fuhr in Santiagos Verkehrsdurcheinander. Zuerst hatte ich aber noch zu tanken. In Südamerika zahlt man immer vor dem Tanken oder muss irgendein ID-Dokument abgeben an der Zahlstelle. Dann verpasste ich im engen Strassengewirr der Stadt die Einfahrt auf die Stadtautobahn, versank im Stau vor Baustellen und Lichtsignalen, lernte aber schnell – und verfolgte einige Töfflifahrer Slalom fahrend vorbei an hupenden Autofahrern.

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