Teil 37: Der grosse Flosstrip auf dem Rio Napo und dem Amazonas

Viele Freunde und Bekannte fiebern wohl seit einigen Wochen mit mir mit, wie das mit diesem etwas wahnsinnigen Trip per Floss in Amazonien nur herausgekommen ist. Und ich kann mit Freuden mitteilen: Ich lebe noch! Es war wie erwartet das ultimative Abenteuer mit Erlebnissen, die uns dauernd auf Trab hielten. Wir sassen 16 Tage auf Sand fest, weil über Nacht der Wasserstand des Flusses um einen Meter zurückging. Es war nicht klar, ob wir hier überhaupt je wegkommen würden. Dann kämpften wir fast täglich mit technischen Problemen des Antriebs, sodass wir uns oft auf dem Fluss nur treiben liessen, dafür die grandiose Dschungelnatur während vierzig Tagen hautnah erleben konnten. Der Flosstrip endete abrupt an der brasilianischen Grenze, wo wir vom Militär gestoppt wurden. Wir waren wahnsinnig genug, einen Fluchtversuch zu wagen, aber wir wurden kurz vor der peruanischen Grenze gefasst, mit Maschinengewehren bedroht und verhaftet und von gegen zwanzig dilettantischen Militärköpfen schikaniert und wie Schwerverbrecher behandelt. Nur Drogen fanden sie natürlich nicht. Es blieb uns nichts anderes übrig, als nach genau 1307 km den Flosstrip abzubrechen. Dies war der Endpunkt von Sams Reise, der unterdessen bereits in die Schweiz zurückgekehrt ist. Ich reiste in vier Tagen auf einem grossen Schiff nach Manaus, wo ich mich neu orientiere. Die Guyanas im Norden Südamerikas sind das nächste Ziel, dann geht es in Richtung Osten nochmals nach Brasilien, von wo ich wohl anfangs 2018 meine Mission geschafft haben werde, nämlich per Motorrad die Erde umrundet zu haben…

 

Mi, 30.08.2017: Benzin-Pipeline und Pink statt Rot

Es war heute Morgen wenig motivierend aufzustehen, weil es erneut intensiv regnete. Es war unmöglich, meine Hütte endlich wasserdicht zu machen. Dies ärgerte mich, weil die Sperrholzplatten von der extremen Feuchtigkeit bereits zu grauen anfangen. Sam war lange vor mir wach und transportierte die vier 200-Liter-Plastikfässer zur Holztreppe nahe unseres Flosses. Als ich aufstand, war er mit dem Schlauch beschäftigt, den er bis zu unseren vier bereits auf dem Floss bereiten Metallfässern legte.

Aber der Durchgang durch den Schlauch war verstopft, sodass wir versuchten, ihn mit Hilfe von Pressluft freizukriegen. Schliesslich rann Wasser aus dem Schlauch, aber von festen Materialien war nichts zu sehen. Sam saugte von unten den Schlauch an. Dies war wenig unangenehm, weil vorerst nur Wasser kam. Als endlich Benzin aus dem Schlauch strömte, begann er die Fässer eines nach dem andern zu füllen. Ich stand oben bei den Fässern, hielt die Fässer schräg, um den letzten Rest Treibstoff aus dem Fass zu kriegen. Beim Füllen des dritten Fasses wurde die Pipeline unterbrochen, und jetzt war es weit schwieriger, sie wieder in Gang zu setzen. Von den eingesogenen Benzindämpfen bekamen wir beinahe einen Flash. Wohl wegen der Luft im Schlauch war es schwierig, unsere Leitung wieder zum Laufen zu bringen. Wiederum nutzten wir die Pressluft, um einen Überdruck im Benzinfass oben zu erzeugen. Ein Plastiksack und ein T-Shirt genügten, um genügend Benzin in den Schlauch zu „drücken“, dass die Leitung wieder in Gang kam. 840 Liter Benzin wanderten auf diese Weise in unsere Fässer ganz vorne auf unserem Floss, und die Balsas reagierten mit einem weiteren Absinken auf das zusätzliche Gewicht. Wir werden morgen versuchen, mit weiteren 10-m-Bambussen für zusätzliche Schwimmhilfe zu sorgen.

Es war eine Freude, dass sich gegen Mittag die Wolken endlich verzogen, die Bretter meiner Hütte bald abtrockneten, sodass ich mit dem Verdichten des Daches beginnen konnte. Dazu machte ich Brea, harten Teer über dem Feuer flüssig, mit dem ich die Spalten zwischen den Sperrholzplatten füllte. Darüber klebte ich ein Teerband, das sich sofort mit dem flüssigen Teer verband. Dieser kühlte jedoch ziemlich schnell wieder ab, sodass ich ihn erneut über dem Feuer erhitzen musste. Schliesslich waren Spalten geschlossen und hoffentlich verdichtet. Erst der nächste Regen wird zeigen, wie erfolgreich der Schutz wirklich ist. Jetzt konnte ich endlich die rote Farbe zücken, mit der ich meine Hütte streichen wollte. Schweizerkreuze waren bereits abgeklebt, aber als ich mit dem Malen begann, war schnell klar, dass mein Rot kein Schweizer Rot war (wie ich es gewünscht hatte), sondern vielmehr ein Pink, das uns aber nicht wirklich stört – schräg bleibt schräg – und schwul sind wir ja nicht…

Sam wechselte seinen Schlafplatz bereit auf unser Boot, ich war noch nicht ganz so weit, denn die grauen Stellen möchte ich morgen mit derselben Farbe auch noch überstreichen. Am Abend fuhren wir zur Stadt in ein chinesisches Restaurant. Hier freute ich mich auf die vielen Rückmeldungen über unser Flossprojekt, am meisten über Isos langes Mail, das ich gleich mehrmals las.

Die Tage sind und bleiben anstrengend. Ich war nudelfertig am Abend und schon vor zehn Uhr in meinem Zelt. Klack – und schon schlief ich.

Km: 81‘186 (0)

Do, 31.08.2017: Weitere Bambusse als Schwimmhilfe

Seit gestern lagern im Eingangsbereich Witoto’s 16 Bambusstangen, die wir heute in mühseliger Arbeit unter die Balsas schoben. Diesmal setzten wir den dickeren, mehr tragenderen Teil vorne am Floss, um das Gewicht des vielen Benzins aufzufangen. Die erfreulich positive Hebwirkung war mit jedem Bambus grösser, aber mit jedem neuen wurde es auch schwieriger, ihn festzubinden. Ich tauchte zwischen den Balsas durch, weilte unter der Bretterfläche, befreite das Floss dort von Unrat, der immer wieder angeschwemmt wird und verschnürte jeden neuen Bambus an den bestehenden Querstangen. Das Wasser war nach den vielen Niederschlägen kühl und hatte einiges an Strömung, nur eine Anakonda war auch heute nirgends zu entdecken – glücklicherweise…

Um die Mittagszeit malte ich mit derselben Farbe auch noch den Innenraum, wo mein Zelt zu stehen kommt. Dann postierten wir weitere acht Bambusse. Das Floss hat jetzt wieder an Höhe gewonnen, eine beruhigende Feststellung. Gegen Abend brachte auch ich das meiste meines Materials zum Floss, stellte meinen Moskito-Schutz in meine jetzt hoffentlich wasserdichte Hütte und konstruierte einen schützenden Verschlag, dass mein Raum nicht von den Abgasen der Yamaha verpestet wird. Auf dickere Ablenkschläuche verzichten wir, um die Maschine nicht wieder zu überhitzen.

Das Floss ist jetzt beinahe reisefertig, jetzt gilt es noch, die Vorräte aufzustocken – wohl meine morgige Arbeit. Wir hoffen, am Samstag loszulegen.

Und noch etwas: Mein treuester Begleiter meiner Reise ist mein Computer, der trotz der vielen Abenteuer und Erschütterungen unermüdlich arbeitet. Zwar mehren sich die Luftblasen (?) auf dem Bildschirm, und vor links unten breitet sich immer mehr ein Lichtfehler aus, aber noch lassen sich problemlos mit ihm Bilder bearbeiten, Texte schreiben oder im Internet surfen. Über fünfjährig ist die Kiste mittlerweile und noch kein bisschen müde. Er lässt sich so schnell starten wie am ersten Tag!

Km: 81‘186 (0)

Fr, 01.09.2017: Letzte Vorbereitungen

Heute widmeten wir uns ein letztes Mal der schwierigen Frage, wie wir unsere Motorräder legal aus Ecuador schaffen können. Deshalb besuchten wir aus freien Stücken die Marina auf der Suche nach einer Zollstelle, um wenigstens Sams Honda nach Gesetz abzumelden. Aber auch dies gelang nicht, wir wurden zur Polizeistelle weitergeleitet, die wir aber nicht besuchten. Es wird womöglich spannend sein, ein nächstes Mal nach Ecuador zu reisen, weil unsere Maschinen nicht ordnungsgemäss abgemeldet wurden. Vielleicht wird mir helfen, eine neue Passnummer zu haben (der alte Pass ist in Kürze voll).

 Während Sam einer letzten Schweisser-Arbeit nachging, nämlich eine (etwas kleinere) Ersatzschraube herzustellen, kümmerte ich mich um den vielen Proviant. 8 kg Mehl, Teigwaren, Reis, Gemüse, Früchte, Kartoffeln, Süssigkeiten, Kaffee und vor allem viel Wasser, das ich in mehreren Fahrten vom Tia zu Witoto’s brachte, insgesamt 90 Liter. Andere Gefässe wurden mit Hahnenwasser gefüllt, das perfekt geeignet ist zu kochen. Ich besuchte auch einen Stoffladen, wo ich roten und weissen Stoff kaufte, woraus ich mir in einer Näherei eine Schweizer Fahne nähen liess – etwas Patriotismus muss ja schon sein. Eine kleinere ecuadorianische Flagge hatten wir am Morgen schon gekauft. Zudem nagelte ich als zusätzlichen Regenschutz eine nette, geblümt-transparente Plastikfolie an den Rand des Daches. Am Flossrennen würden wir schon fast als Flowerpower durchgehen…

Am Nachmittag begann ich, das viele Material zum Floss zu schaffen, hatte noch einen Termin beim Näher, um die Flagge abzuholen. Ich bastelte einen Führersitz, der mit einem Kissen gepolstert wird. Am Abend kochte Sam eine 7-Eier-Riesenomelette, die aber wegen meiner neu gekauften Billig-Alu-Pfanne zum Rührei mutierte. Ich nähte die beiden Flaggen an einen dünnen Bambus, der dann morgen früh als Erstes zu oberst an den Mast montiert wird.

Wir sassen einige Zeit Zuckerrohrschnaps trinkend auf unserem fertigen Hausboot, genau vier Wochen haben wir gebraucht, um dieses Bijoux fertigzustellen. Aber jetzt sind wir bereit. Morgen kann’s losgehen. Es wird spannend sein zu erleben, so viele Stunden „nichts“ zu tun, zu geniessen, zu beobachten. Die grossen Fragen bleiben: Wie schaffen wir es über die Landesgrenzen? Hält meine Yamaha durch? Ist Sams Konstruktion genügend stark? Oder werden wir gar Menschenfressern begegnen und im Kochtopf landen? Zumindest davon gehen wir einmal nicht aus…

Km: 81‘206 (20 Flusskilometer)

Sa, 02.09.2017: Regenbogen über dem Rio Napo – der erste Tag eines grossen Abenteuers

Ich bin heute genau 56½-jährig und vom Unfug einer solch waghalsigen Expedition nach wie vor nicht verschont, und die kindliche Vorfreude ist umso grösser, je verrückter das Projekt ist. Am Morgen montierte ich die beiden Fähnchen an die Spitze unseres Riesenmastes, dann galt es, das letzte Material zum Floss zu schaffen, vor allem Sams Honda, die er jetzt in Coca doch nicht verkaufen konnte. Dafür parkierte Sam das Floss um, aber der Zugang, wo ich meine Yamaha schon vor Wochen aufs Floss geschafft hatte, war heute von den kürzlichen Hochwassern zu schlammig, sodass wir sie viert die marode Holztreppe und über zwei Bretter zum Floss schafften.

Freddy und Raul, die uns bis Rocafuerte begleiten sollten, waren gleichzeitig mit uns bereit in ihrem kleinen Motorboot. Die Begleitung kostet uns je weitere 400 $. Wir verabschiedeten uns von Carola und Enrique, und schon waren wir unterwegs auf dem Rio Payamino – zum ersten Mal flussabwärts. Nach zwei Schlaufen erreichten wir schnell den viel mächtigeren Rio Napo und die riesige Brücke, die wir ohne Probleme unterquerten. Kurz bevor wir die Marina von Coca erreichten, stellten wir den Motor ab und liessen uns proformahalber von Freddys Boot schleppen, dass es auch wirklich wie ein echter, geführter Touristentrip aussieht… Tatsächlich passierten wir die erste heikle Stelle unbehelligt und liessen uns vom stärker als erwartet strömenden Rio Napo mitschleppen. Wir waren immer wieder mit 10 km/h oder sogar etwas mehr unterwegs, einiges mehr, als wir erwartet hatten. Das sind gute Neuigkeiten, denn so kommen wir schneller voran als gedacht.

Nachdem ich auf dem Boot Ordnung in unser Küchenmaterial und den Proviant geschaffen hatte, stieg ich auf den Mast, genoss dort oben die relative Ruhe und liess den Dschungel wie in Zeitlupe an mir vorüberziehen. Nach 15 km bemerkte Sam ein regelmässig quietschendes Geräusch und ölte den noch vorhandenen Kardan direkt beim Ausgang des Motors. Wieder gut! Kurz nach Mittag hatten wir schon fast 30 km zurückgelegt, den Sattel hatten wir entfernt, um den Motor auch über die Luft noch etwas zu kühlen, zudem leisteten die beiden von der Schiffsschraube angetriebenen Wasserschläuche perfekte Dienste, die Maschine läuft wie ein „Örgeli“…

Ich kann nicht sagen, dass ich mich nicht getraut hätte, selbständig auf diesem Fluss zu navigieren, die Slalomfahrerei unserer beiden Führer empfand ich allerdings etwas übertrieben. Wahrscheinlich hätten mehrere Wege nach Rom (oder flussabwärts) geführt, aber natürlich hielten wir uns jetzt strikte an die Vorgaben der beiden. Ich genoss ein erstes Mal die Aussicht vom Mast, aber die Wärme trieb mich wieder hinunter. Die Kraxlerei an der Bambus-Strickleiter ist nach wie vor nicht ohne. Wenn nur nie einer dieser kurzen Bambusabschnitte reisst! Ärgerlich war, dass sich beim Aufstieg das Maps-me-App selbständig machte und sich definitiv vom Handy verabschiedete.

Am Nachmittag fungierte ich lange Zeit als Kapitän; die Steuerung reagiert äusserst sensibel, und dies ist gut so, Sam hat mit seiner Schnur- und Umlenkrollentechnik also voll überzeugt. Gegen Abend war ich nochmals lange auf dem Mast und beobachtete, wie sich das Grün des Dschungels mit jeder Minute veränderte und der Kontrast zum schwarzen Gewitterhimmel immer noch grösser wurde, der uns mit einem Regenbogen, der immer intensiver wurde, süss schmeichelte und anzulocken versuchte. Natürlich fielen wir auf diese Falle herein (ging allerdings auch nicht anders, der Fluss ist quasi Einbahn). Als es zu dunkeln begann, fuhren wir geradewegs in den Gewittersturm. Wir wollten Halt machen bei Verwandten Freddys, aber das Anlegen war nicht leicht, wir wurden etwas abgetrieben und mussten volle Motorenleistung geben, bis der Auspuff zu glühen begann! Aber schliesslich konnten wir problemlos anlegen.

Jetzt bin ich alleine auf dem Boot, es ist stockdunkel, die andern drei sind unterwegs zu Bekannten, bei denen wir wohl zu Essen kommen werden. Sie kehrten bald zurück, ich hatte unterdessen Unterschlupf im Zelt gefunden, das Dach blieb glücklicherweise dicht, und das Innenzelt schützte vor den wenigen Moskitos. Die Motivation, selber zu kochen, war klein, weil sämtliches Holz tropfnass war, das von den dreien gebrachte Essen war einfach, aber zweckmässig, Reis mit warmen Bananen…

Km: 81‘282 (76)

So, 03.09.2017: In Rekordtempo den Rio Napo hinunter

Sobald es hell wurde, liefen die Maschinen bereits wieder auf Volltouren – es war erst sechs Uhr morgens. Vielleicht hatte das gestrige Gewitter den Wasserpegel etwas ansteigen lassen – oder wir fanden jene Stellen, wo die Strömung besser war, auf jeden Fall kamen wir sofort um einiges schneller vorwärts als gestern, manchmal mit bis zu 12 km/h. Der Dschungel Ecuadors ist reich an Bodenschätzen, es werden riesige Vorkommen von Erdöl vermutet, weshalb wir einige perfekt ausgebaute Anlegestellen passierten, von denen aus Strassen in den Urwald führen. Ich möchte gar nicht wissen, wie es dort aussieht, wo tatsächlich irgendwelche Mineralien abgebaut werden. Es begegneten uns auch mit Lastwagen beladene, erstaunlich grosse Fähren, die von einem dreistöckigen Kraftboot gestossen wurden. Ich amüsierte mich über die Namen dieser Fähren: „Myleidi Elisabeth VII.“, zum Beispiel…

Ich war bald am Feuer machen, um unser Feuerfass endlich einzuweihen. Ich kochte Kaffee, bereitete Rührei für vier Personen, und vor allem backte ich frisches Brot, der Teig war über Nacht rekordverdächtig aufgegangen. Sam hatte tatsächlich einen kleinen Bagre aus dem Fluss geholt, der schnell ausgenommen war und auf dem Grill landete.

Dann hackte ich Holz in feuergerechte Abschnitte und stapelte es auf der vorderen Plattform einigermassen organisiert auf. Derweil waren Sam und Freddy mit dem kleinen Boot unterwegs,  um drei frische Bambusstämme zu besorgen, denn die Honda hatte vorne etwas Schieflage erhalten, und das Unterlegen eines Vierkantholzes brachte nichts, weil es brach. Es war aber auch nicht einfach, die Bambusse unter die Bretter zu würgen. Aber mit etwas Gewalt funktionierte es schliesslich doch. Ich montierte in dieser Zeit meine noch in Coca gekaufte Hängematte. Aber die Sonne brannte zu erbarmungslos, um sie gleich sofort längere Zeit zu nutzen.

Nach wie vor mussten wir auf der Hut sein, auf dem Fluss die richtige Spur zu finden. Je breiter der Fluss ist, umso heimtückiger sind die seichten Stellen, wenn man aber eine gute Strömung (meist nahe des Ufers) erwischt, kommt man gut vorwärts. Und doch glaube ich nicht, dass wir diesen ersten Teil nicht auch alleine problemlos geschafft hätten.

Am Nachmittag war ich ebenfalls mit Freddys Kleinboot unterwegs. Auf einer sandigen Flussinsel besorgten wir einen Haufen Schwemmholz, das der Fluss bei einem Hochwasser hier zurückgelassen hatte. Ich habe momentan noch keinen sonnenfreien Lieblingsplatz auf dem Floss. Obwohl ich meine Hütte recht gut abgedichtet hatte, ist es im Vorraum wegen der Abgase der Yamaha sehr warm und auch etwas muffig. Auf dem Dach der Hütte ist es zwar windig, auch auf dem Hochsitz, aber ich bin der Sonne ziemlich extrem ausgesetzt. Gegen Abend lag ich in meiner Hängematte und schützte mich mit einem Regenschirm (!) gegen die erbarmungslos stechende Sonne. Gleich zweimal wurden wir von kleineren Gruppen auf unserem Boot besucht, der Chef der zweiten Gruppe war Sicherheitsbeauftragter einer Ölfirma und wünschte unsere Pässe zu sehen, die gleich auch fotografiert wurden. Hoffentlich durchkreuzt der eigentlich nette Herr nicht unsere Pläne, wie wir die Grenze überfahren wollen, indem er die Marina in Rocafuerte vorinformiert.

Die schönste Zeit des Tages ist bestimmt der Abend, wenn weit im Westen die Sonne gleichsam unter dem Fluss verschwindet. Wir legten heute etwas früher an als gestern. Auf einer Sandbank anzulegen kann gefährlich sein, weil man nie weiss, wie sich der Wasserstand des Flusses entwickelt, deshalb nutzten wir die maximale Länge eines Doppelseiles, um uns im Sand anzubinden. Die beiden dünnen Staken steckten wir in den Sand, zudem stoppten wir das Floss mit zusätzlichen Staken zwischen den Balsas. Dann versuchten Sam und Freddy ihr Fischerglück – leider ohne Erfolg.

Ich beobachtete das immer intensiver werdende Wetterleuchten, und die Blitze schienen näher zu kommen. Das Feuer brannte bereits, um Nudeln zu kochen, aber wir wollten noch etwas abwarten, ob doch noch ein Fisch anbeisst. Dies war des Zögern zu lange, denn von einer Sekunde auf die andere frischte der Wind auf, der tropische Dampfkochtopf kam gleichsam zum Explodieren. Es ist wohl die grösste Gefahr für unser Floss, wenn Wind aufkommt und an der Hütte und an Sams Plastikdach zu rütteln beginnt. Dann begann es heftig zu schütten, wir deckten die Glut, nur sahen wir bald, dass das Grillfass noch optimiert werden muss, weil Wasser Zugang ins Innere des Fasses gefunden hatte. Freddy und Raul hatten sich unterdessen in ihr Boot verzogen und suchten Schutz vor den unglaublichen Wassermassen, die vom Himmel stürzten. Sam genoss eines seiner Süssgetränke, ich chilenischen Rotwein, und trotz Regens war es ziemlich lustig. Sam holte seinen Benzinkocher. Zuerst wurde das geschnetzelte Gemüse gegart, dann kam ein Riesentopf mit Spaghetti auf die Benzinflamme. Dies dauerte seine Zeit. Wir waren unterdessen tropfnass, auf Sams Dach hatten sich riesige Wassermengen gesammelt, die entfernt werden mussten, indem man von unten gegen den Plastik drückt und so das Wasser verdrängt, das jetzt in wahren Wasserfällen in den Fluss stürzte. Aber alles war jetzt ziemlich lustig, das heftige Gewitter liess uns einigermassen kühl, obwohl kühl war es in keiner Weise, vielmehr schien Petrus seinen Urintopf vom Himmel zu leeren – und göttlicher Urin kann ja nicht kalt sein…

Schliesslich waren die Spaghetti bereit. Nach dem Essen stoppte der Regen, und wir sassen noch einige Zeit vor meinem Zelt. Das Gute an der Geschichte: Mein Holzdach hielt auch dieser Belastung stand, es bleibt wasserdicht. Was mir mehr zu denken gibt, ist mein Knie, das ich mir heute verdrehte, als ich in den Fluss sprang und glaubte, es sei ein Meter tief, aber es waren nur deren dreissig Zentimeter. O Schreck, so reisst man sich Kreuzbänder…, aber ist wohl nur eine leichte Innenbandzerrung…

Auch in der Nacht kam nochmals ein Sturm auf, aber eine neue Regenwand verzog sich, alles blieb ruhig.

Km: 81‘379 (97)

Mo, 04.09.2017: Aus Ecuador getrickst und von Flussdelfinen empfangen

Etwa so habe ich mir das vorgestellt. Rund um uns herum hat es nur Wasser und Wald. Wir haben im stillen Wasser einer Sandbank angelegt, ich höre das leise Plätschern und Fliessen des grösser gewordenen Rio Napo. Ich lausche dem mannigfachen Wundergetöse des ecuadorianischen oder peruanischen Dschungels. Der Mond ist beinahe voll und spiegelt sich im friedlichen, unaufhörlich dahinfliessenden Strom. Wir haben die Zivilisation definitiv verlassen, versuchen eins zu werden mit der Natur, die rund um uns herum so gewaltig und stark ist. Das Ankommen an diesem zauberhaften Ort war ein Riesenerlebnis, erstens weil die Szenerie beinahe nicht zu toppen ist, und zweitens weil wir zum ersten Mal selbständig einen Übernachtungsplatz anfahren mussten.

Auf Sandbänken anzulegen beinhaltet immer eine gewisse Gefahr, denn der Wasserstand kann sich innert Stunden um Meter verändern, sodass du hoffnungslos stecken bleibst oder sich der gesetzte Staken löst und du unkontrolliert den Fluss hinunterdüst. Dies war auch Freddys Angst heute Morgen, als er beim Dämmern schon beinahe hyperaktiv den Lagerplatz verlassen wollte, dabei war es ein Klacks wegzukommen. Das etwas stressige Aufstehen war etwas ärgerlich, sodass wir die Maschine nicht starteten und uns vom Fluss treiben liessen – mit immerhin über 5 km/h. Während Sam noch in seinem Zelt blieb (er hatte etwas länger Ruhe nötig als sonst…), kümmerte ich mich ums Feuer, bereitete Kaffee, Eier.

Die heutige Fahrt verlief nicht ganz ohne Probleme. Rund um die Schiffsschraube begann es auf einmal zu scheppern. Sam stellte bald fest, dass wohl irgendein Holzstück das Metallblech, das verhindern soll, dass Luft angesogen wird, verbogen hatte, sodass es die Schraube leicht touchierte. Das Teil wurde mit einem Seil hochgebunden und die Störung damit mindestens provisorisch unterbunden.

Der spannendste Teil des Tages fand aber in Rocafuerte statt, dem trostlosen Grenzort mit genau zwei gepflästerten Strassen, vielen ärmlichen Holzhäusern, aber einer top ausgebauten Schule, die wohl von irgendjemand gesponsort wurde. Es war irgendwie ein beklemmendes Gefühl, als einzige Touristen durch diese Strassen zu flanieren und skeptisch begafft zu werden. Zuerst suchten wir die Marina auf. Hier spannte man uns auf die Folter, wir warteten lange, bis endlich der Chef persönlich erschien und über unseren Trip nicht besonders erfreut schien. Aber jetzt half uns Freddy, der angab, dass er uns bis zur Grenze Peru begleiten werde und dass wir dort von neuem begleitet würden. Und die Taktik ging auf! Dann besuchten wir die scheinbar verlassene Immigration, die Polizeistation, wo niemand zu sein schien. Aber dann erschien ein schläfriger Beamter und stempelte unsere Pässe ziemlich unmotiviert ab. Womit wir Ecuador offiziell verlassen hatten. Zumindest wir als Personen – von den Motorrädern auf dem Floss erzählten wir natürlich nichts, deshalb waren wir auch in Freddys kleinem Boot unterwegs, das uns jetzt schnurstracks zurück zum Floss brachte. Es war wie ein Ankommen zu Hause.

Noch eine halbe Stunde begleitete uns Freddy und Raul, bevor sie sich auf den Rückweg nach Coca machten. Zum ersten Mal waren wir für unser Boot selbst verantwortlich. Gleichsam im Niemandsland wollten wir nach einem Lagerplatz suchen, um erst morgen früh Pantoja in Peru anzusteuern. Der Fluss war jetzt Grenze zwischen Ecuador und Peru, und kaum waren wir alleine, wurden wir von einer Gruppe riesiger, grauer Flussdelfine begrüsst, die immer wieder auftauchten, als ob sie uns viel Glück wünschen oder in Peru willkommen heissen würden.

Das Anlegen an eine Sandbank war leichter als erwartet. Jetzt hoffen wir nur noch, dass der Wasserstand einigermassen gleich bleibt. Es ist tiefe Nacht, Sam liegt in der Hängematte und liest – ich bin am Schreiben, diese Kapitel sind lang und werden unvergesslich sein…

Km: 81‘457 (78)

Di, 05.09.2017: Drei heikle Klippen überstanden

Die Überraschung am Morgen war gross, als von der Sandbank, auf der wir angelegt hatten, nichts mehr zu sehen war. Der Wasserstand des Flusses hatte sich um etwa einen Meter erhöht. Glücklicherweise hielt der tief in den Sand gerammte Staken und hinderte das Floss unkontrolliert davonzuschwimmen.

Natürlicherweise waren wir erneut sehr früh unterwegs, ich genoss die herrliche Morgenstimmung, indem ich mit meiner GoPro ein kleines Filmchen drehte, während sich Sam ums Feuer kümmerte, um schnell Glut für den vorbereiteten Teig zu bekommen. Dieser unaufmerksame Moment reichte, um direkt in Richtung eines im Fluss steckenden Palmstammes zu fahren. Zwar startete Sam die Maschine in Rekordtempo, aber die Strömung war zu stark, um diesem in Wasser wie eine Schaukel federnden Holzungetüm auszuweichen. Wir rammten den Stamm mit der vorderen Seite des Buges. Er schliff wie eine Riesenfeile entlang des Balsastammes, riss unser Grillfass um und schlug am Mast auf, wo der Hochsitz dafür sorgte, dass der Stamm hängen blieb, der aber auch bedrohlich an meiner Hütte rüttelte und riss. Wer sollte stärker sein, der Baumstamm oder unser Mast?

Unterdessen gab Sam unserer Maschine den letzten Rest, und er kam tatsächlich an gegen die Strömung. Zentimeter für Zentimeter begann sich der Stamm auszuschlaufen, und mit einem Ruck spickte er schliesslich zur Seite. Sofort waren wir gleich mehrere Meter entfernt vom Stamm, wir waren frei! Und hatten Glück, dass die Unaufmerksamkeit keine böse Folgen hatte.

Die Strömung war wegen des gefallenen Regens in der Nacht grösser und machte den Fluss heimtückischer. Erneut fuhren wir direkt auf einen noch dickeren, aber weniger hoch aus dem Wasser aufragenden Stamm zu, aber diesmal waren wir gewappnet und starteten die Maschine genug früh. Gleichwohl fehlten nur fünf Meter, diesen noch viel stärkeren Stamm zu rammen – mit unabsehbaren Folgen.

Pantoja war jetzt das Ziel, das schon aus fünf Kilometern Distanz sichtbar wurde. Zuerst passierten wir die Militärbasis. Einige Geschütze sind weit oben am Hang in Stellung gebracht. Wir wussten, dass wir hier nicht anlegen mussten. Kaum ein Kilometer weiter erreichten wir das Dorf, das sogleich einen viel sympathischeren Eindruck als Rocafuerte machte. Wir peilten ein uraltes, rostiges Versorgungsschiff an, das ebenfalls im Hafen angelegt hatte. In eleganter Kurve näherten wir uns von unten der Anlegestelle. Sofort war ein Junge bereit, das geworfene Seil zu übernehmen und an einer Hütte (!) festzubinden. Gleich Dutzende von neugierigen oder ungläubigen Augen starrten uns an. Ein solch eigenartiges Gefährt hatten sie wohl noch nie gesehen auf dem Fluss. Sofort waren gleich mehrere Interessierte auf dem Floss, darunter zwei Polizisten, denen ich unseren etwas eigenwilligen Antrieb des Bootes erklären musste. Tatsächlich hatte wohl gestern Pantoja ein Versorgungsschiff aus Iquitos erreicht. Es wurden mir gleich ein Riesenpack von Mini-Cocas angeboten, die ich kaufte – zusätzlich sechs peruanische Flaschen Cristal-Bier.

Unterdessen war Sam unterwegs zur Immigrationsstelle. Und wie erhofft mahlen die Behörden in Peru etwas weniger strikt und europäisch als in Ecuador (die zahlen ja auch mit US-Dollars). Zwar hatte er einige Zeit zu warten, weil die überaus hübsche Zollbeamtin am Mittagessen war, aber dann bekam er einen Einreisestempel, allerdings nur gültig für dreissig Tage. Ich hatte unterdessen unser Floss bewacht und mein Spanisch angewandt, um all die Fragen der neugierigen Einheimischen zu beantworten. Dann spazierte auch ich hoch zur Immigration, und im Nu hatte auch ich einen gültigen Einreisestempel.

Am Morgen hatte ich noch die peruanische Flagge fertiggenäht, und jetzt bemerkte ich das peinliche Missgeschick: Meine Flagge sah aus wie die österreichische, die ich am Morgen bereits auf dem Mast postiert hatte, um einen guten Eindruck zu machen, aber wenigstens war es windstill, sodass man zwar Rot und Weiss erkennen konnte, aber nicht wirklich sehen konnte, dass es sich nicht um die peruanische Flagge handelt. Deshalb kaufte ich in einem Laden eine kleine Schiffsflagge, in Peru-Proportionen, die jetzt bereits oberhalb des Mastes flattert.

Offensichtlich interessierte sich kaum einer für unsere mitgeführten Motorräder. Einer der Polizisten wollte zwar meinen Fahrzeugausweis sehen, aber wohl mehr, weil er sich für meine Yamaha an sich interessierte.

So überstanden wir auch die dritte, vermeintlich schwierigste Klippe des Tages. Und dies war überraschend leicht! Das Gefühl der Freiheit war grenzenlos, als wir das kleine Kaff Pantoja souverän verliessen. Dies musste mit einem ersten Bier begossen werden. Weil sich bei Pantoja die beiden mächtigen Flüsse Rio Napo und Rio Aguarico vereinten, verfügten wir jetzt über wesentlich mehr Wasser, was das Navigieren im Fluss leichter macht. Die Freude ist gross, dass wir jetzt auch ohne Motor zwischen 5 und 8 km/h schnell unterwegs sind – nur mit Hilfe der Strömung. Dies macht das Reisen viel angenehmer und vor allem ruhiger, halt gemütlicher. Und zudem kann unsere Maschine geschont werden, und wir verbrauchen kein Benzin! Extraprima! Deshalb war die Nachmittagsfahrt überaus genussreich. Wiederum schien der Wald wie in Zeitlupe an uns vorbeizuschweben. Ganz selten passierten wir eine kleine Siedlung, manchmal nur ein einzelnes Haus. Was muss das für ein Leben sein, wenn man in ein solches Gebiet hineingeboren wird! Aber wenn man nichts anderes kennt, dürfte dies eigentlich ganz angenehm sein, solange man gesund bleibt.

Der Rio Napo ist hier ein mächtiger Fluss und wird immer wieder unterbrochen durch Inseln, bei denen man sich entscheiden muss, auf welcher Seite ein Vorwärtskommen schneller oder idealer ist. Nur selten liessen wir die Maschinen laufen, um einem Hindernis auszuweichen. Aber wir sind jetzt unterwegs auf dem vielleicht vermeintlich schwierigsten Abschnitt dieses Abenteuers, weil das Land hier kaum besiedelt ist. Wir sind wirklich auf uns alleine gestellt. Wir müssen uns wirklich Sorge tragen, hier darf kein Unfall passieren oder uns eine Krankheit ereilen.

Wir gingen während der Fahrt kleineren Arbeiten nach, testeten bei einem Anflug von etwas Wind sogar einmal das Segel, der sich dann aber doch als zu schwach oder unregelmässig erwies. Gleich mehrfach entkamen wir heute Gewittern. Erst am Abend fuhren wir geradewegs in eine schwarze Wand, legten an am Schlammufer eines kleinen Seitenarms des Hauptstroms. Die grösste wettermässige Gefahr auf dieser Reise scheint nicht der Regen, sondern der Wind zu sein, der mit seinen heftigen Böen ziemlich heftig an unseren Bauten herumreisst. Das Kochen über dem Feuer hatten wir regiemässig erneut verpasst, weil bald ein heftiger Regen herunterprasselte und das von mir mühevoll neu montierte Grillfass mit Wasser füllte. Wir blieben kulinarisch flexibel, Thon, Zwiebel, Brot, ein Glas Rotwein, auch nicht schlecht, aber dann trafen die Mücken überfallartig ein und trieben mich in mein Zelt…

Km: 81‘513 (56)

Mi, 06.09.2017: Bösartig-lästige und lieblich-verspielte Tiere und ein technisches Problem

In der Nacht hatte ein Landregen eingesetzt, der bis in die frühen Morgenstunden dauerte. Die Niederschläge und der nahe Wald, vor allem aber unser menschliches Blut zogen Horden von Moskitos an. Nur im Innenzelt war man vor ihnen sicher, wenn man es dann schliessen kann. Denn auch mein Zelt beginnt Auflösungserscheinungen zu zeigen, der Reissverschluss lässt sich nur noch mit Tricks (die unregelmässig funktionioren) schliessen, und dies wäre gerade jetzt eminent wichtig, vor allem dass dieser häufige Arbeitsgang schnell erledigt ist. Denn der Drang der Moskitos ist unerbittlich, sodass sich nicht vermeiden lässt, dass einige dieser Vieher eindringen und innert Sekunden zustechen. Dies wird sichtbar, wenn man sich nach dem Schliessen des Vorhangs auf die Suche nach Eindringlingen macht, um sie zu erschlagen. Wenn man dies geschafft hat, bleibt immer ein roter Fleck auf der Haut zurück. Zudem haben Moskitos das Talent, sich gut verstecken zu können, wenn man sie sucht.

Am Morgen war es trüb, die höchsten Baumwipfel verschwanden im Nebel, das eigenartig gurrende und variantenreich singende Rufen der Vögel – es war überhaupt kein Zwitschern – weckte uns schon früh, und wir wollten die Zeit nutzen, uns schon früh den Rio Napo hinuntertreiben zu lassen. Schnell waren die beiden Seile gelöst, die das Floss etwa an der gewünschten Stelle festhalten sollten. Jetzt hatten wir kaum zweihundert Meter aus diesem Seitenarm des Flusses gegen die Strömung zu fahren. Dies war gleich eine Herausforderung, denn die Kraft des Flusses versuchte uns ans gegenüberliegende Ufer zu drängen, aber wir schafften es und fanden uns bald in ruhigeren Gefilden des Hauptflusses wieder.

Meist bestimmte jetzt die natürliche Strömung, welchen Weg das Floss (und somit wir) nehmen. Ein Verirren ist trotz mangelnder Landkarte ein Ding der Unmöglichkeit – nur immer schön dem Fluss folgen. Maps Me ist in der Tat keine grosse Hilfe, sich zu orientieren. Zuweilen fährt man laut Karte auf dem Land, was nun definitiv nicht wirklich der Fall ist.

Wenn man sich treiben lässt, muss mindestens einer von uns konstant extrem auf der Hut sein, denn steckengebliebene Baumstämme, die, wenn sie nett sind, hoch aus dem Wasser ragen, bergen – wie gestern erlebt – grosse Gefahren, und denen muss ausgewichen werden. Dann kommt der Yamaha-Motor zum Einsatz, und mit der Steuerung lässt sich die Richtung einigermassen gut bestimmen. Dabei ist es immer ratsam, den Fluss zu „lesen“, zu beobachten, wie die natürliche Strömung verläuft und dem Hindernis auf der entsprechenden Seite auszuweichen. Auch heute waren einige solche Klippen zu meistern, unsere Erfahrung steigert sich von Tag zu Tag, und dies ist von Vorteil.

Es war heute Morgen nicht leicht, wegen der beinahe hundertprozentigen Feuchtigkeit ein Feuer hinzukriegen, um frisches Brot zu backen. Im Verlaufe des Tages hellte es auf, die tropische Urwaldsonne gleisste ohne Erbarmen vom Himmel und brachte Sams Dachplastik beinahe zum Schmelzen. Wie durch einen Zauberspruch gerufen, flatterten plötzlich Dutzende derselben Schmetterlingsart rund um unser Floss, und diese lieblichen, neugierigen Tiere liessen sich auch durch den Motor nicht stören, landeten auf unserer Haut, um von unseren Ausdünstungen zu kosten oder setzten sich gleich zu fünft auf Sams Teddybär, der für sie eine andere besondere Ausstrahlung haben musste. Wir wurden aber keineswegs belästigt von diesen Insekten, vielmehr freuten wir uns, wie sie unserem Floss in erstaunlicher Schnelligkeit nachflatterten. Und so schnell, wie sie gekommen waren, verschwanden sie nach zwei Stunden wieder.

Wir passierten heute überraschend viele kleine Dörfer, manchmal nur einsam am Ufer stehende, einsame Strohhütten, aus denen die neugierigen Menschen geeilt kamen, um unser Vorbeifahren zu beobachten. Die grösseren Weiler verfügen über eine Schule, dies ist meist das am besten gebaute Haus der ganzen Siedlung.

Und dann stoppte uns eines jener unangenehm scheppernden Geräusche in der Nähe der Schiffsschraube. Die Yamaha wurde abgestellt, und Sam stellte schnell fest, dass diesmal der Schaden wesentlich grösser als letztes Mal ist. Offensichtlich waren die Kugellager nahe der Schiffsschraube während der letzten Tage so beansprucht worden, dass eines von beiden bereits sämtliche Kugeln verloren hat, sodass sich der Eingang des Rohrs des vom Fluss stammenden Kühlwassers zu nahe an die drehende Schiffsschraube kam und das Geräusch auslöste. Mit einem Spannset wurde dieser Eingangsstutzen nach hinten gebunden, was natürlich nur Symptombekämpfung ist. Aber die Maschine war wieder funktionstüchtig, aber nur noch für Notfälle zu gebrauchen, wenn einem Hindernis ausgewichen werden muss. Weitere dreieinhalb Stunden liessen wir uns auf dem Fluss treiben, den Motor nutzten wir nur zweimal, um dem Floss die richtige Richtung zu geben. Kurz vor dem Dämmern legten wir auf der Lee-Seite einer Insel an, demontierten die ganze Antriebsinstallation, um die Bestätigung für die bereits gemachten Vermutungen zu bekommen. Beide Lager sind zerschlissen. Schade hat Sam nicht auf mich gehört, als ich ihm sagte, ich würde Ersatzlager für sämtliche Teile mitnehmen. Es wird jetzt morgen eine Knacknuss sein, wie wir der Welle wieder die nötige Stabilität verleihen werden. Sicher ist, dass wir unbedingt auf den Motor zurückgreifen wollen, weil ein Treibenlassen ohne einfach zu gefährlich ist. Weniger 300 km sind es noch bis Mazan, einem grösseren Ort am Fluss, von wo es leicht ist, Iquitos zu erreichen, wo wir die gesuchten Ersatzteile wohl auch bekommen werden.

Schon am Nachmittag hatte ich eine Portion Nudeln gekocht, sodass wir jetzt schon vor acht Uhr im Zelt liegen, um vor den Moskitos geschützt zu sein. Eben ist der tiefrote Vollmond aufgegangen, aber ich war zu faul, an Land zu schwimmen, um das perfekte Urwald-Vollmond-Bild zu schiessen.

Km: 81‘590 (77)

Do, 07.09.2017: Auf Sand gesetzt

Wir wussten bereits, als wir aufstanden, dass heute zwei Herausforderungen anstanden, nämlich erstens eine Ersatzlösung für das defekte Kugellager zu finden und zweitens gut von hier wieder wegzukommen. Ich hatte schon gestern Bedenken geäussert, dass wir bei sinkendem Wasserstand hier nicht mehr wegkommen könnten. Und wir setzten die Prioritäten verkehrt. Zuerst suchten wir gemeinsam den nahen Wald auf und fanden tatsächlich bald von jenem beinahe metallharten Holz, dessen Stammteil uns als Ersatzlager dienen sollte. Wir nahmen gleich auch einige weitere Schilfrohrstecken mit, mit denen sich das Floss gut im Sand anbinden lässt. Während sich Sam um die Säge- und Schnitzarbeiten kümmerte, versuchte ich mit dem Hartholz-Palo, unser bereits leicht festsitzendes Floss zumindest von der Stelle zu rühren und Richtung Seitenarm des Rio Napo zu stemmen. Dabei war ich wenig erfolgreich, weil das Floss bereits im Sand festzustecken schien. Deshalb wurden die Prioritäten kurzum gewechselt, und Sam half mir fortan beim Bewegen des Flosses.

Es war offensichtlich, dass sich der Wasserstand des Flusses im Verlaufe des Tages weiterhin dramatisch vermindern würde. Sam schlug vor, die Benzinfässer vom Floss zu nehmen, damit das damit leichtere Gefährt leichter von der Stelle zu rühren ist. Ich wollte mir Hilfe holen von einem nahen Dorf. Mit einigen kraftvollen Männern sollte das Boot doch in tiefere Gefilde gebracht werden können. Schliesslich machten wir beides.

Ich machte mich auf die Suche nach einem Dorf, das ich auf der Insel ennet des Seitenarms vermutete. Recht schnell fand ich eine Siedlung, in der Menschen in einer Einfachheit leben, die ich noch selten gesehen habe. Fünf Personen bewohnen eine Strohhütte, die Kinder sind offensichtlich mangelernährt, weil deren Bauch aufgedunsen ist. Natürlich waren die Leute überrascht über mein Erscheinen und versteckten sich mehr in der Hütte, als sie mich empfangen wollten, aber schliesslich kam der Vater der Familie aus der Hütte, der gleich wenig Spanisch spricht wie ich, aber wir hatten uns schnell verstanden. Sofort mobilisierte er seinen im Wald arbeitenden Sohn, und zu dritt kehrten wir zum Floss zurück. Von einem Dorf hatte ich nichts gesehen, nur dieses einzelne Haus mitten im Dschungel war mir begegnet.

Der Junge sah bald, dass wir zwei weitere Palos benötigen, und im Nu kam er mit zwei starken Stämmen aus dem Wald zurück. Zu viert hatten wir viel mehr Energie, das Floss Richtung Fluss zu bewegen. Aber dieser arbeitete gegen uns und war weiter gesunken. Wir schafften es, das Floss sechs Meter von der immer grösser werdenden Sandbank zu entfernen in Richtung Fluss, aber dies reichte nicht. Zwar schaufelten wir geschätzte Tonnen von Sand von Hand Richtung Flussmitte, um dann das Floss wieder um zwanzig bis sechzig Zentimeter zu verschieben. Aber schliesslich verliessen Sam und mich die Energie, und wir ergaben uns dem Schicksal. Wir stecken im Sand fest und kommen vorderhand nicht mehr weg. Was wir brauchen, ist ein heftiger Regen in den Bergen, damit der Wasserstand wieder ansteigt und wir eine Chance haben, hier überhaupt wieder wegzukommen. Wir haben zwar recht gut vorgesorgt mit Proviant und könnten wohl zwei Wochen hier warten, aber wollen wir das wirklich? Ab sofort sind wir von den Launen des Wetters und des peruanischen Urwaldes abhängig, und viel weiter von der Zivilisation können wir gar nicht entfernt sein.

Sam setzte einen weiteren Palo, um zu beobachten, wie sich der Wasserstand verhält. In zwei Stunden sank er um weitere zehn Zentimeter. Zwischen den Auslegern des Flosses türmt sich mittlerweile ein Sandhügel, an ein Wegkommen ist vorderhand nicht zu denken. Zudem haben sich heute sämtliche Gewitterwolken verzogen, die Trockenzeit scheint voll eingeschlagen zu haben… Es scheint ein Geduldsspiel zu werden, wer zuerst aufgibt, wir oder das Wetter, das uns mit Niederschlägen in den Anden so sehr helfen könnte.

Zur Nebensächlichkeit geworden ist das Problem mit den Lagern der Welle. Das hölzerne Werkstück ist fertiggestellt und dürstet danach, ausprobiert zu werden, aber mit so wenig Wasser geht das leider nicht. Die beiden Helfer verabschiedete ich mit einem Fresspaket, das ihnen hoffentlich über die nächsten Tage wenigstens zu etwas kulinarischer Abwechslung und Freude verhilft.

Ich kochte eine weitere Portion Nudeln – das Gemüse geht allmählich zur Neige, aber wie gesagt, wir haben gut vorgesorgt und halten es eine ganze Weile hier aus.

Ein Ärgernis den ganzen Tag über waren die überaus vielen Sandfliegen und aggressiven Bremsen, die uns mit ihren elend juckenden Stichen den ganzen Tag über plagten. Jetzt liege ich im Zelt, noch kann ich am Computer Tagebuch schreiben. Die Frage ist, wie lange noch? Denn ohne zu fahren lassen sich auch die technischen Geräte nicht mit Strom versorgen…

Km: 81‘590 (0)

Fr, 08.09.2017: In den Sand gesetzt…

Weil ich während der Dämmerung erwachte und längst ausgeschlafen war, stand ich schon sehr früh auf, obwohl dies eigentlich gar nicht nötig gewesen wäre. Denn wir werden wohl noch einige Zeit hier festsitzen. Unterdessen kann man sich fragen, wie man es schaffen kann, ein solch schweres Flussgefährt vollkommen in den Sand zu setzen. Wir brauchten dazu nicht mal grosse Baumaschinen oder einen Kran. Tatsächlich war unser Floss heute Morgen umgeben von schwarzem Sand und Schlick, der Wasserstand war erneut dramatisch zurückgegangen und liess uns zur Lachnummer der ganz wenigen Passanten in ihren kleinen Peque-Peque-Bötchen werden. Es fragt sich, ob wir diesen Trip wirklich in den Sand gesetzt haben. Wie ums Himmelswillen kommen wir hier nur wieder weg?

Es war schon frühmorgens beinahe wolkenlos, keine Spur von rettendem Wasser, dafür war es bald unerträglich schwül und heiss, dazu ärgerten uns die verschiedenen Arten von lästigen Sandfliegen. Natürlich fragen wir uns, wie lange wir es hier aushalten werden. Wir sind hoffnungslos blockiert, und doch wollen wir so gerne die zauberhafte Reise auf dem Fluss fortsetzen. Verpflegungstechnisch haben wir uns gut gerüstet. Und bald kam Sam mit einem 2-kg-Brocken von einem wunderschönen Bagre anmarschiert. Es war noch dunkel, als ich den verzweifelten Kampf des Fisches um sein Leben gehört hatte – und am Morgen versuchte sich schon eine ganze Schar von Vögeln am Opfer gütlich zu tun.

Der Fisch war bald ausgenommen, gewürzt und brutzelte auf dem Grill, einem Fischfrühstück stand nichts im Wege. Natürlich wird es interessant sein, hier die unerhört viele Zeit sinnvoll totzuschlagen. Ich begann mein Zelt abzubauen und nahm mich dem so wichtigen Reissverschluss an, der sich nicht mehr richtig schliessen lässt. Aber alle Tricks fruchteten nichts. Das Teil scheint durch das häufige Verwenden einfach zu sehr abgenutzt und seine Halbwärtszeit erreicht zu haben. Deshalb machte ich mich auf die Suche nach Ersatzreissverschlüssen – und tatsächlich fand ich gleich zwei brauchbare, den einen von meiner alten Regenjacke, den zweiten an meiner Töffjacke, der als Verbindung zu meiner Töffhose dient. Zuerst galt es, die beiden Reissverschlüsse zu lösen, dann begann ich, in mühseliger Handarbeit die beiden Teile anzunähen.

Gegen Mittag nahm die Bewölkung zu, und o Wunder: Bald begann es zu regnen, ein deftiges Gewitter ging nieder, allerdings ohne Auswirkungen auf den Wasserstand des Flusses zu haben, der immer noch mehr Wasser zu verlieren scheint. Aber die noch viel zu schwachen Niederschläge reichen bei weitem nicht, uns wieder fahrtüchtig zu machen. Immerhin besteht die Hoffnung, dass es in den Anden stärker regnet, und der Wasserschwall unseren Ort morgen oder übermorgen erreicht.

Am Nachmittag montieren wir die Welle wieder ans Floss, um tatsächlich bereit zu sein, wenn nötig schon in der Nacht von hier abzuhauen. Aber die Hoffnung auf dieses Schicksal ist momentan klein. Es wird wohl ein Geduldsspiel geben. Wer gibt zuerst auf? Wir oder der Fluss?

Am Abend holte Sam einen weiteren Bagre aus dem Fluss. Wenigstens verpflegungstechnisch sind wir noch lange nicht am Anschlag. Am Nachmittag backte Sam drei perfekt gelungene Brötchen, die wir zusammen mit gekochten (nicht süssen) Bananen als späten Vesper verzehrten. Pünktlich zur Dämmerung startete die nächste Plage. Die Moskitos schafften es tatsächlich, durch meine Wintersocken hindurchzustechen, dabei wollte ich unbedingt auch noch den vierten Teil des Reissverschlusses annähen, aber die Plagegeister trieben mich ins Zelt – diese Arbeit muss bis morgen warten…

Km: 81‘590 (0)

Sa, 09.09.2017: Robinson

Schon den dritten Tag sind wir schiffsbrüchig, diese Definition passt ja zwar nicht exakt, aber tatsächlich sind wir gleichsam auf einer Insel gelandet, weitab von jeglicher Zivilisation. Wir sind wohl auch schon das Thema der versteckten umliegenden Kleinsiedlungen, und immer wieder erscheint ein Freitag, manchmal sind es Einzelpersonen, meist aber kleine Gruppen, die sich neugierig unserem seltsamen, gestrandeten Gefährt nähern. Heute erschien der gestrige Freitag, dem Sam eine Rolle Silch mitgegeben hatte und für die er uns ein Büschel Kochbananen versprochen hatte. Heute erschienen sie gleich zu dritt per Einbaum, tatsächlich mit einer Riesentrupple von grünen Bananen, die jetzt auf dem Floss aufgehängt sind.

Die Gefühlsschwankungen, die wir momentan durchleben, sind bei Robinson wohl nicht anders gewesen. Wir sind zufrieden, dass wir gesund und fit sind. Wir haben unser Haus schon mitgebracht und sind nicht gezwungen, zurück aufs Meer (oder den Fluss) zurückzukehren, um möglichst viel nützliches Material zu sichern, aber auch wir sind blockiert und warten auf die Rettung, aber (vorderhand) nicht ein anderes Schiff – genau eines ist heute flussaufwärts gefahren – sondern auf Hochwasser, das uns zurück auf den Fluss bringen soll. Und glücklicherweise sind die Kontakte mit den „wilden“ Einheimischen bis jetzt durchwegs positiv. Die meisten stehen einfach nur da und beobachten uns. Wenn wir sie mit der Hand begrüssen, realisieren wir, dass sie noch weniger Spanisch als wir sprechen. Heute ist zum ersten Mal auch eine Mädchengruppe erschienen, kam aber nie näher als dreissig Meter zum Boot. Natürlich wissen wir, dass wir hier etwas ausgesetzt sind. Es wäre ein Leichtes, uns auszunehmen. Wir sind Hunderte von Kilometern von der nächsten Polizeistation entfernt und auf das Wohlwollen der Einheimischen angewiesen, die sich bis jetzt mehrheitlich sehr schüchtern, aber sehr freundlich verhalten.

Noch ist uns keinesfalls langweilig. Und der Morgen begann prima, denn schon gestern fing Sam einen weiteren, diesmal etwas kleineren Bagre, der die Nacht im Kessel aber nicht überlebte und somit sofort auf den Grill geworfen wurde. Was für ein herrliches Frühstück, und was für ein zartes Fleisch – und wie lecker gewürzt mit viel Knoblauch!

Ich brachte heute Morgen meine Näharbeiten zu Ende, nähte auch noch den vierten Teil des Reissverschlusses ans Zelt an. Dieses hatte sich schon gestern von meiner Töffjacke entfernt, wodurch ein grosses Loch im Futter entstanden ist, sodass ich dieses ebenfalls wieder schliessen musste. Sam war bald unterwegs, unsere Holzvorräte aufzustocken und lange beschäftigt, die grossen Teile zu zersägen und mit der Machete zu zerkleinern. Er stellte zwei hölzerne Ersatzlager her, die wir hoffentlich auf der weiteren Fahrt nie benötigen werden. Überhaupt stellt sich die Frage, wie das gestern montierte Holzlager sich mit dem Motor der Yamaha verträgt, denn die Welle läuft durch ein Kugellager als durch ein Holzstück. Hoffentlich wird die Belastung des Motors nicht zu gross sein.

Ein riesiges Ärgernis waren den ganzen Tag die Horden von verschiedenartigen Sandfliegen, die man nie bemerkt, wenn sie landen (ausser man sieht sie – dann sind sie aber überaus flink und schnell wieder weg), aber einen eigentümlichen Juckreiz auslösen, wenn sie zustechen. Dann sind sie zwar schnell und problemlos erschlagen, aber den Juckreiz behält man für einige Tage. Und mittlerweile bin ich dutzendfach, wenn nicht hundertfach verstochen. Wenn man mit Kratzen beginnt, fliesst schnell Blut, weshalb man damit gar nicht erst anfangen sollte. In der Nacht ist dies beinahe nicht zu schaffen, weil man auf den juckenden Stellen liegt.

Am Nachmittag begann ich mit einer Arbeit, über deren Sinn man sich streiten kann. Ich begann, mit meiner kirgisisch-chinesischen Pfanne (ein billiges 2-$-Produkt, das sich schon so lange bewährt hat), Sand zwischen den Auslegern herauszuschaufeln. Dieser liegt hier besonders hoch. Später grub ich auch am Ende des Flosses weitere Löcher, die so gross werden sollen, dass eine Rinne entsteht. Auf der Talseite des Flosses wächst mittlerweile ein Sandberg, der uns als Damm dienen soll, wenn das Wasser dann endlich wieder kommt. Heute wurde übrigens der tiefste Wasserstand erreicht. Im Verlaufe des Nachmittags begann der Pegel wieder ganz leicht anzusteigen. Aber wir vermissen den Regen, es war schwülwarm heute im peruanischen Dschungel, und wir hoffen, dass die vorbeiziehenden Wolken in den Anden viel Wasser gelassen haben.

Der Tag endet jeweils während der Dämmerung, wenn die Luft zu schwirren beginnt und ein Grossangriff der Moskitos erfolgt, und von diesen Biestern möchte ich mich keinesfalls stechen lassen, deshalb ist der frühe Gang ins Zelt angesagt. Heute liessen es auch die beiden „neuen“ Reissverschlüsse zu, das Zelt schnell moskitosicher zu schliessen. Jetzt werde ich noch etwas lesen, aber sämtliche mit Strom betriebene Geräte werden bald den Geist aufgeben, weil wir hier keinen Zugang zu Strom haben, ausser über unsere eigenen Motoren. Deshalb wird dies wohl der letzte Tagebucheintrag sein, den ich direkt digital schreiben kann.

Km: 81‘590 (0)

So, 10.09.2017: Warten als Tugend oder wie eine Auszeit im Kloster

Noch hat mein Handy Strom, und deshalb kann ich ersehen, dass heute Sonntag ist. Und am Sonntag sollte man ja ruhen. Aber dies würde hier wohl auch für einen Werktag gelten. Denn die vermeintlich wichtigen Arbeiten gehen uns allmählich aus. Eigentlich wären wir längst wieder startklar.

Es ist Mittag, brütend heiss. Eben war ich im braunen, träge vor sich hin schleichenden Fluss, um mich etwas zu erfrischen. Ich habe gleich noch zwei T-Shirts und meine Bade-Shorts mitgenommen und ausgewaschen. Letztere hat typisch tropisch-feucht zu stinken begonnen. Wehret den Anfängen!

Am schlimmsten erscheint mir unsere Blockade immer am Morgen, wenn es heisst zu planen, was heute zu erledigen ist. Auch ich bin ein Mensch, der sich gerne verplant, auch während des Reisens, wie in den vergangenen Monaten erlebt. Aber jetzt stecken wir fest, im wahrsten Sinne des Wortes. Natürlich ist es schön zu beobachten, wie sich zwanzig verschiedenartige, in ihrer Buntheit kaum zu übertreffende Schmetterlinge immer an denselben Stellen im Sand niedersetzen. Man findet Zeit, dem Grund für dieses Verhalten nachzugehen, ohne aber die Begründung dessen auch wirklich zu erhalten. Es ist schon hart mitanzusehen, wie nur fünfzig Meter entfernt das Wasser des Rio Napo friedlich und in gemächlichem Tempo dahinfliesst. Wie gerne würde ich mich diesem Strom wieder anschliessen!

Wir sind gezwungen, die Tugend des Wartens, des Verharrens, des Nichtstuns zu lernen. Aber ist dies wirklich ein Zwang? Es soll ja Manager und ausgebrannte, dem Stress verfallene Menschen geben, die sich für viel Geld eine Auszeit im Kloster gönnen, um einmal etwas zur Ruhe zu kommen oder ein Burnout zu kurieren. Vielleicht brauchen genau dies auch wir einmal, und wir brauchen dafür nicht einmal etwas zu bezahlen. Aber in dieser Zeit drinzustecken kann wahrlich hart sein, vor allem dann, wenn man nicht genau weiss, wie lange diese Auszeit dauern wird und vor allem wie und ob wir hier wieder wegkommen.

Heute Morgen versüsste auch kein weiterer gefangener Fisch unseren frühen Sonntagsbrunch, dafür begann ich bald, Kochbananen zu fritieren. Der beigegebene Zucker sorgte für ein feines caramelisiertes Aroma. Mit einem Ei wurden die Resten der Nudeln von gestern aufgekocht. Schliesslich landeten kleine Teigklümpchen auf dem Grill, diesmal verfeinert mit weiteren Kochbananen, deren verschiedene Gebrauchsarten ich gerade am Ausprobieren bin.

Sam lag bald in seiner Hängematte und las, ich verzog mich ins vor Sandfliegen sichere Zelt und las endlich den dritten Band der „Chroniken von Thomas Covenant, Die letzte Walstatt“ zu Ende. Am Nachmittag suchte ich den nahen Wald auf, um weitere Zweige unseres vor Tagen gefällten Baumes mitzunehmen, aus denen ich begann, Schachfiguren zu schnitzen. Aber die unzähligen lästigen Sandfliegen liessen mich nicht in Ruhe arbeiten. Ich wurde heute wohl hundertfach verstochen. Die Schachfiguren wurden jedoch gleichwohl fertig. Sam hatte unterdessen in seinem Kofferdeckel ein Schachbrett vorbereitet, aber die Zeit war zu sehr fortgeschritten, um bereits eine erste Partie zu spielen.

Stattdessen begannen wir zu kochen, Bratkartoffeln mit Kochbananen, gewürzt mit Zwiebel – die Menus werden einfacher…

Am Abend erhielten wir Besuch von einem angenehmen, freundlichen Einheimischen mit seinen drei Söhnen, der sich für unser Floss interessierte und uns immerhin etwas Hoffnung machen konnte, als er meinte, es sei normal, dass der Flusspegel derart unterschiedlich sei. In kurzer Zeit könne sich der jetzige tiefe Stand aber auch wieder ändern.

Es ist noch nicht sieben Uhr, ich liege im Zelt, das mich vor den momentan aggressiven Moskitos schützt. Die Gretchenfrage bleibt: Wann (und wie) kommen wir von hier weg?

Km: 81‘590 (0)

Mo, 11.09.2017: Fitzgeralds Idee des Wahnsinns

Schon bei der Morgendämmerung war ich hellwach und zermarterte mir den Kopf, wie wir uns von der Wetterabhängigkeit lösen und unser Schicksal selber aktiv bestimmen können. Ich erinnerte mich an die Geschichte Fitzgeralds, der ebenfall im Dschungel Perus versuchte, mit Hilfe von Eingeborenen, also viel Manneskraft, sein Schiff über einen Bergrücken eines Nebenflusses des Amazonas zu transportieren.

Der Weg, den wir bis zum Fluss zurückzulegen hätten, ist vergleichsweise kurz und viel einfacher. Ich kann mich erinnern, dass in der Verfilmung Rundhölzer verwendet wurden, um das Schiff zu bewegen. Sollte ich mich heute an die Arbeit machen und beginnen, unser Floss auszugraben, mit Holztremeln zu bestücken und nachher mit der baren Kraft von Männern zu versuchen, unser Boot Stück für Stück gegen den Fluss zu schieben?

Sam ist momentan noch gegen diese Idee und meint, wir sollten noch etwas länger ausharren und auf den Tag des nächsten Hochwassers warten. Davon sind wir momentan jedoch weit entfernt, denn heute sank der Pegel um ein weiteres Stück.

Statt Erd- oder Sandbewegungen vorzunehmen, weihten wir das gestern gebastelte Schach ein, spielten zwei Partien (1:1) – ein guter Zeitvertreib. Am Nachmittag wurde die drückende Hitze schier unerträglich, bis sich aus Nordosten ein Gewitter zusammenzog. Die damit verbundenen Böen waren zwar heftig, aber doch nicht genügend stark, um uns zum Fluss zu blasen. Der Regen war nur ein kurzer Segen, der wenigstens etwas Abkühlung brachte, aber bei weitem nicht genug Wasser, um uns aus der Patsche zu helfen.

Gegen Abend kam Sam einmal mehr erfolgreich von seinen gesteckten Angelhaken zurück. Der mittelgrosse Wels (bagre) war zwar etwas verwurmt. Deshalb wurde er umso genauer ausgenommen und etwas länger auf dem Grill gelassen. Hervorragender Znacht, der nach gar keinem Gemüse verlangt, das uns unterdessen ausgegangen ist.

Auch heute wurden wir besucht von neugierigen Einheimischen, der Nachmittagsbesuch eines ziemlich betrunkenen Jünglings war eher unangenehm und etwas beklemmend. Die überaus sympathische Familie, die sich am Abend für uns interessierte, war nicht nur gut Spanisch sprechend, sondern auch überaus freundlich und angenehm. Es zeigte sich, dass es kein Problem wäre, das billige ecuadorianische Benzin hier zu verkaufen. Vielleicht werden wir darauf zurückkommen, wenn uns irgendwann die Lebensmittel ausgehen.

Wiederum verschwanden wir schon um halb sieben Uhr in unseren Zelten. Der peruanische Tropendschungel musiziert vom Feinsten. Gerne würde ich nur einige dieser Tiere kennen lernen, die dieses zauberhafte Konzert veranstalten.

Km: 81‘590 (0)

Di, 12.09.2017: Betrachtungen zur Lage der Nation

Es ist Mittag. Ich sitze zum ersten Mal seit einer Woche auf dem Mast und versuche mir ein Bild unserer Lage zu machen.

Der Sand um unser Floss trocknet allmählich ab, ich sehe darin viele Spuren, die meisten sind von uns. Die verhängnisvollste Spur ist wohl die erste, als wir im nahen Wald nach jenem Hartholz Ausschau hielten, das wir später als hölzerne Ersatzlager für unseren Antrieb verwenden wollten und wodurch wir wohl genau jene entscheidende Zeit verloren haben, dass wir hier seit einer Woche gefangen sind.

Der schmaler gewordene Fluss, dreissig Meter entfernt, schleicht gemächlich dahin, wir kämen ohne Motor nicht schnell vorwärts, aber würde mich dies kümmern? Auch heute zieht sich im Nordosten ein Hitzegewitter zusammen, dessen Regengüsse wohl nicht reichen werden, dass es endlich zu einer neuen Flut kommt. Unter mir stecken im Sand die aus dem Wald besorgten zwei mal zwei Rohrhölzer, an Seilen befestigt, die uns im Seitenarm des Nebenflusses halten sollen, wenn das Wasser morgen oder in einer Woche oder gar einem Monat tatsächlich wieder ansteigt. Auf diesem jetzt vollkommen ausgetrockneten Gewässer liess sich auch leicht den Hauptfluss erreichen, falls unser Motor (der ja zuerst ausprobiert werden müsste) sich nicht als genügend stark herausstellt.

Es stecken einige Hölzer als Markierungen im Sand, entweder um einen Angelhaken zu sichern – oder dann sind es Stellen, an denen sich der Rand des Flusses einmal befand. Der erste Stab steht drei Meter vom Bug des Flosses entfernt. Der Wasserstand an den liebevoll, mit einem Filzstift gesetzten Markierungen war nie höher als bei 0 cm, dabei hat sich Sam die Mühe gemacht, sie bis auf 70 cm einzuzeichnen. Schon nach weniger als einem Tag stak der Dünnpfahl vom Wasser verlassen einsam im Sand. Nur mehr ein Mahnmal…

Sam ist eindeutig der Jäger unseres Teams. Regelmässig macht er einen Rundgang und kontrolliert, ob ein Wels gebissen hat. Dies war auch heute Morgen der Fall, aber er war zu spät, mehr als die Hälfte des Fisches war schon von anderen Flussräubern verzehrt worden. Unterdessen interessieren sich fast jeden Morgen Geier für uns (?), auf jeden Fall erscheinen sie immer dann im Sand, wenn wir am Grillieren eines Fisches sind, in der Hoffnung, etwas von den Fischabfällen abzubekommen. Ich gehe nicht davon aus, dass die Tiere darauf warten, dass wir selber zu Opfern werden… Vielleicht freuen sie sich aber einfach nur über die Morgensonne, um ihr über Nacht feucht gewordenes Federkleid zu trocknen und zu wärmen.

Heute Morgen hat Sam eine klassische Vogelfalle mit Falltür gebastelt, die jetzt mit jenem halben Fisch von heute Morgen scharf gemacht wurde. Genau heute glänzen die Vögel jedoch durch Abwesenheit, dabei denken wir, dass Geier ja vergammelten Fisch lieben – aber das kommt schon noch…

Wo eigentlich der Einfluss des Seitenarms ist, liegen im Sand drei vermoderte Baumstrünke, die wir bei der Einfahrt noch locker überfahren haben. Einen davon wollte ich einmal als Flosssicherungsanker gebrauchen, aber diese Holzdinger sind definitiv zu morsch, um nur etwas Sicherheit oder Standfestigkeit zu bieten.

Auch heute liegen an den Gestaden des Seitenarms drei Rinder (!), der schwarze Stier hat Hörner und scheint definitiv der Chef der drei zu sein. Schon seit Tagen verweilen sie immer an derselben Stelle, blicken sehr oft in unsere Richtung, als ob der Spass hier stattfindet. Wenn Kühe lachen könnten, würden die drei wohl vor Bauchweh sterben (und uns als Steakspender dienen)…

Vom Wasser des Seitenarms im Osten ist nur noch ein Weiher mit überraschend klarem Wasser übrig geblieben. Der Plan war es auch einmal, vorbei an den aus dem Wasser ragenden Hölzern einen Fluchtweg zu finden, aber auch dafür waren wir zu spät.

Von hier oben sehe ich im Süden die Fortsetzung des Rio Napo, der silbern glänzend eine unendliche Ruhe ausstrahlt, an der jetzt auch wir teilhaben (müssen). Ich sehe jene Büsche, an denen sich unser Floss leicht hätte anbinden lassen, um am nächsten Morgen problemlos wieder wegzukommen. Ich befinde mich fast zehn Meter über dem Floss, hier oben habe ich meine Ruhe vor den Sandfliegen, von deren Stichen vor allem meine Beine und der Rücken dutzendfach übersät sind. Gestern erst begann ich dagegen erstmals Sams „Moskito Repellent“ zu benutzen, und ich musste tatsächlich feststellen, dass er doch etwas nützt.

Auch heute Morgen bekamen wir Besuch von einer Familie einer nahen Siedlung. Der Mann brachte ein lebendes Huhn mit und wollte dafür drei Gallonen Benzin haben. Hier kennt man offenbar nur Tauschhandel. Wir kamen tatsächlich ins Geschäft. An einem Bein ist es jetzt mit einem dünnen Seil angebunden, hat gleich begonnen, sich an unseren gestrigen Fischabfällen gütlich zu tun und sich unterdessen unter das schattige Floss verzogen, um dort seine letzten Lebensstunden zu verbringen.

Nach einem zweiten, diesmal klaren Sieg im Schach kochte ich eine wohl gelungene Rösti, dann bastelte ich an einem Wind- und Regenschutz, denn wenn ein Regensturm die Front unseres Flosses trifft, möchte ich verhindern, dass der waagrecht daherpeitschende Niederschlag das Innere meines Häuschen befeuchtet. Gegen Abend setzte tatsächlich Regen ein, der sich ein bisschen anhört wie Landregen. Vielleicht kommt jetzt die entscheidende Wassermenge vom Himmel.

Unser Huhn hat es sich unter dem Floss bequem gemacht gemacht. Es tut etwas weh, dass seine Stunden auf dieser Welt gezählt sind.

Km: 81‘590 (0)

Mi, 13.09.2017: Schicksal eines Huhns

Zwei Chancen hätte heute Morgen unser Huhn unter unserem Floss gehabt, einen weiteren Tag zu überleben. Entweder hätte einer der heute wieder um die gestellte Falle schleichenden Geier, welche die gestern gelegten Fischabfälle nur zu gut witterten, in die Falle tappen müssen – oder das Wasser des Flusses hätte dermassen ansteigen müssen, dass wir genug zu tun gehabt hätten, möglichst schnell von hier wegzukommen. Aber weder die eine noch die andere Chance wurde vom Huhn genutzt, auch wenn schon klar ist, dass die beiden Chancen nicht wirklich fair waren.

Aber ich fieberte in der Nacht mit dem Tier mit und hätte ihm noch so gerne weitere Lebenstage gegönnt, auch wenn das mit einer artgerechten Haltung auf einem Floss auch nicht leicht umzusetzen gewesen wäre. Aber ich litt dennoch mit der armen Kreatur mit, weil ich mitverantwortlich sein sollte, dass es heute sein Leben verliert. Dies sind dann Momente, während denen man die Haltung eines Vegetariers durchaus verstehen kann und mit barer Vernunft eigentlich selber umsetzen müsste, denn wer gibt einem das Recht, einem anderen Lebewesen das Leben zu nehmen und es gar zu essen? Das Gegenargument ist klar: Ich finde Fleisch, vor allem als Abwechslung genossen, einfach zu schmackhaft und lecker, um darauf zu verzichten. Aber es wäre wohl gut, wenn sich jeder Fleischesser eine Fleischlizenz holen müsste, deren Prüfung etwa so abläuft wie die im Folgenden beschriebenen Erlebnisse.

Das Huhn hatte sich unter dem Floss ordentlich bewegt, natürlich in ziemlich chaotischer Weise, sodass das Seil immer kürzer und der Bewegungsradius des Tiers kleiner wurde. So war es nicht leicht, das Tier hervorzukriegen. Als es dann an der Sonne stand, ging es schnell. Die Machete war zur Hand, das Huhn legte seinen Hals typischerweise schön brav auf das Holzscheit, ein Schlag, und der Kopf war weg. Es ist auch normal, dass jetzt der Hühnerkörper verrückt spielt und wie aus letztem Protest davonzufliegen versucht – offenbar nerven die Nerven, aber darauf waren wir vorbereitet. Es wurde in meinen leeren, schwarzen Töffkoffer gesteckt, bis sich nichts mehr bewegte und der definitive Tod eingetreten war.

Unterdessen war ich schon unterwegs zum Fluss und begann dort im Wasser mit der wenig angenehmen Prozedur des Entfederns. Eigentlich ginge dies besser, wenn man den Körper kurz in kochendes Wasser taucht, aber ich verzichtete darauf. Danach galt es, das Huhn auszunehmen, möglichst Darm und Magen nicht zu verletzen und die schmackhaften Teile der Innereien wie Herz, Niere und vor allem Leber beiseite zu legen. Gemeinsam schafften wir diese Arbeiten ganz gut, obwohl wir dies beide noch nie gemacht hatten.

Schon früher hatte ich ein Feuer vorbereitet, sodass die Glut genau jetzt perfekt war. Das Huhn, das jetzt wie ein Poulet aussah, allerdings ein etwas dünnes, wurde gewürzt, die letzte Ölung wurde verabreicht. Als Vorspeise gab es gezwiebelte Innereien, hervorragend. Die Erfahrung aus vielen Schullagern konnte ich jetzt anwenden. Das ganze Poulet wurde jetzt auf einen Holzspiess mit einer Astgabelung in der Mitte gesteckt, die verhindern soll, dass es sich über der Glut unkontrolliert dreht.

Das Poulet war so dünn, dass es kaum eine Stunde ging, bis es gar war. Unterdessen fand ich Zeit, den Teig für ein Bananenbrot vorzubereiten. Ich fügte zum Mehl acht kleine, fein gehackte Kochbananen bei (natürlich mit genügend Salz und Trockenhefe). Die Bananen gaben so viel Feuchtigkeit ab, dass ich nur wenig Wasser beimischen musste, sodass bald ein feiner, gelblicher Brotteig entstand. Ein Teil kam gleich auf den Grill und war die perfekte Beilage für unser erstes Fleischmahl auf diesem Trip. Das Fleisch schmeckte ultrabio, war ziemlich fest – es handelte sich wohl nicht mehr um das jüngste Tier – „Gummiadler“ kam mir unverzüglich in den Sinn, aber dies hat bestimmt nichts mit meiner Kochkunst zu tun. Wir wurden aber beide trotzdem bestens satt, waren jetzt im Besitze neuer Köder für den Fischfang – und dies funktionierte bestens. Bis zum Abend bissen gleich zwei Welse an, die jetzt in Sams Riesenkoffer schwimmen und uns morgen als perfektes Frühstück dienen werden.

Auch heute erhielten wir Besuch von einer einheimischen Familie – wiederum ein sehr netter Kontakt, aber Petrol konnten wir zum Verkauf nicht anbieten. Die normale Tageshitze wurde unterbrochen durch zwei Wärmegewitter, die uns etwas Abkühlung zu verschaffen vermochten, vor allem aber die lästigen Sandfliegen vertrieben.

Jetzt liege ich erneut früh im Zelt. Wiederum ertönt wie schon seit Tagen derselbe quakartige Ruf aus dem Wald. Dieses Tier scheint nimmer müde zu werden. Das Dschungelkonzert ist aber vielfältiger als ein Symphonieorchester. Der Wald lebt, wir auch – noch sind wir ganz zufrieden…

Km: 81‘590 (0)

Do, 14.09.2017: Ertragen oder Geniessen?

Die Umstände könnten trister sein. Die Sonne scheint, der Sandstrand wird jeden Tag grösser, das Wasser hat um die 26°C und eignet sich bestens für eine leichte Abkühlung, eigentlich beste Voraussetzungen, Zeit, Natur und die so lange schmerzlich vermisste Wärme zu geniessen.

Aber es ist doch nicht ganz einfach, mich voll und ganz der durchaus sehenswerten Dschungel-Szenerie zu ergötzen, denn es nagen doch einige schwere Unsicherheiten am unbeschwerten Geniessen dieses wirklich speziellen Abenteuers.

Die beiden Fische, die wir gestern noch quicklebendig in Sams 80-Liter-Koffer gesetzt hatten, überstanden die Nacht nicht lebend – Sauerstoffmangel? Sie wurden jetzt am Fluss schnell ausgenommen und lagen schon bald exquisit gewürzt auf dem Grill für ein deftiges Frühstück.

Ich beobachtete lange die beiden Geier, die sich rund um die gestellte Falle über unsere Köder hermachten. Sie waren kaum zwanzig Meter von uns entfernt, aber überaus wachsam und vorsichtig. Es soll ja sehr intelligente Vögel geben, und Geier scheinen dazuzugehören (wie auch wir;-). Der Eingang der Falle wurde um keinen Zentimeter überschritten, obwohl die besten Stücke im Innern der Rohrsteckenfalle lagen und mit einem Mechanismus versehen sind, dass sich die Falltür schliesst, wenn diese Leckerbissen berührt werden. Also kein Glück und kein Geierfrass!

Sam beschäftigte sich mit einigen Mechaniker-Arbeiten an seinem Töff, während ich vorerst dem Nichtstun frönte und im Schatten auf dem Führersitz unseres Flosses lag. Wir hatten den Eindruck, dass sich das Wetter heute etwas verändert hatte, denn mit der Morgendämmerung kam ein Sturm auf, es begann jedoch nicht zu regnen. Es blieb lange bedeckt, aber im Laufe des Morgens verzogen sich die Wolken, es wurde gewohnt drückend heiss. Ich beschäftigte mich mit dem Besorgen weiteren Brennholzes, beobachtete lange Zeit einige kunstvoll farbige Schmetterlinge im Sand, bevor ich einen neuen Brotteig vorbereitete, diesmal mit Bananen und frischen Kokosschnipseln. Sam stellte hierfür eigens ein Raffelinstrument her aus einem Stück Hartholz und einem darauf geschraubten Bierdeckel. Die Rafflerei funktionierte wirklich einwandfrei.

Am Nachmittag spielten wir zwei Schach, eine ideale Beschäftigung, Zeit verstreichen zu lassen. Fische fingen wir keine mehr. Wir verkochten unsere letzte Tomate, zusammen mit Oliven, noch sind die Vorräte und Zutaten einigermassen vielfältig, weshalb das Pasta-Menu wunderbar gelang.

Es geht uns nach wie vor bestens, wir sind gesund und satt, eigentlich beste Voraussetzungen, unseren momentanen Aufenthaltsort zu geniessen, und doch macht uns der Fluss schon einige Sorgen. Wenn der Sandstrand grösser wird, zieht sich der Fluss zurück, auch heute wieder um zwei Meter. Momentan sind wir weit davon entfernt, von hier wegzukommen, und dies wäre doch wirklich mein Hauptwunsch. Wie lange werden wir hier nur gefangen bleiben?

Km: 81‘590 (0)

Fr, 15.09.2017: Cangrejo und Orangen

Als ich im Dämmerlicht aufwachte und meine 56-jährigen Glieder bewegte (die schon wesentlich runder liefen, wie ich jeden Morgen bemerke), und aus meinem Moskitonetz einen ersten Blick auf die uns umgebende Wüste warf, schienen die Wettergötter des Dschungels die letzten Tropfen des Flusses dazu verwendet zu haben, Wald und Fluss unter einen grauen Schleier zu legen. Tatsächlich sah man kaum bis zum Fluss, dessen Pegel über Nacht noch einmal gefallen schien.

Immer am Morgen stelle ich diese Unternehmung am meisten in Frage. Weil ich so lange schlafe, erinnere ich mich an übermässig viele Träume, die sich momentan fast nur über mein Zuhause drehen, das gerade jetzt weiter denn je entfernt ist.

Aber noch habe ich genügend ecuadorianischen Kaffee, der mich jeweils relativ schnell in die Gänge bringt. Ich versuche aus dem gemahlenen Kaffeepulver möglichst viele Aromastoffe herauszuholen, indem ich es ins kochende Wasser schütte, das dann bereits leicht abgekühlt nochmals aufs Feuer kommt, sodass das Kaffeewasser sofort zu brodeln beginnt und wie glühende Lava aus dem Krater schiessen will. Den Vulkan kann ich jedoch beeinflussen, indem ich das Kaffeepfännchen sofort vom Feuer reisse und hinstelle, bis sich das Pulver gesetzt hat und der fast reine Kaffee genossen werden kann.

Recht früh am Morgen bekamen wir schon Besuch von einer weiteren Familie, die sich natürlich auch über unser Schicksal amüsierte. Dieser Kontakt war besonders angenehm, weil uns frische Orangen und Süssbananen angeboten wurden. Deshalb begleitete Sam die Familie in ihrem kleinen Boot in das vermeintliche Dorf Samuna bestimmt drei Kilometer flussaufwärts. Aber da war nichts von einem Dorf mit 400 Einwohnern. Wir erfuhren, dass es sich um eine Comunidad, eine Gemeinde handelt, deren Häuser und Familien zehn Kilometer flussauf- und abwärts verstreut sind. Nach über einer Stunde kehrten Sam und die ganze Familie zurück, mit einem Sack Orangen, aber leider ohne Eier. Bezahlt wurde natürlich mit Benzin.

In derselben Zeit legte unweit unseres Flosses auf unserer Sandbank ein Hausboot an, das im Schneckentempo flussaufwärts unterwegs war. Es handelte sich offenbar um ein Versorgungsschiff, über das die verstreuten Einheimischen zu den wichtigsten Lebensmitteln kommen. Zu spät kam mir in den Sinn, dass ich Bier hätte kaufen können.

Vom Vater der Familie erfuhr Sam, dass der Fluss reich an Flusskrebsen (Cangrejos) ist. Und dies brachte ihn auf den Plan, eine zwei mal ein Meter grosse Reuse zu basteln. Zuerst machte er aber einen Rundgang zu unseren gelegten Fischerhaken. Der Zufall wollte es, dass an einem der Hühnerfussköder eine grosse Krabbe hing, aber nicht etwa am Haken, sondern vielmehr wollte sich das Tier die Hühnerfussdelikatesse nicht mehr wegnehmen lassen. Peruanische Krabben müssen Chinesen sein…

Deshalb schaffte es Sam, das sture Tier bis fast ans Ufer zu schleppen. Die letzten drei Meter behalf er sich eines Steckens, bis der 20-cm-Krebs im Sand lag. Ich war unterdessen mit einem Kessel angerückt, und da lag sie jetzt gefangen. Habgier hat manchmal ihre Tücken… Dieses Erlebnis ermunterte Sam noch mehr, sofort mit dem Bau der Reuse zu beginnen, derweil ich aus denselben aus dem Wald geholten Rohrstecken eine Halterung an der Decke meiner Hütte bastelte, in der die scheinbar etwas unreifen Orangen noch etwas nachreifen können.

Von unseren Besuchern erfuhren wir auch, dass es normal ist, dass der Pegel des Flusses dermassen unterschiedlich sein kann. Wir befinden uns am Ende der Trockenzeit, die im Moment gerade ziemlich extrem durchschlägt. Der Grossvater der Besucher meinte, dass das nächste Hochwasser wohl innerhalb einer Woche heranrauschen werde – wenn’s dann wirklich so kommt…

Aber was bedeutet hier Zeit, die im Überfluss vorhanden ist? Unsere Kultur ist wohl degeneriert, in der nur Produktivität verbunden mit grossem Stress zählt. Auch wenn aus dieser Woche ein Monat wird, ist dies wirklich entscheidend? Wir sind auch hier genug lebensfähig, erste Kontakte zu Einheimischen sind geknüpft, sodass wir hier bestimmt nicht verhungern müssen. Zudem lernen wir mit jedem weiteren Tag, uns in dieser Umgebung zurechtzufinden. Im Oktober beginnt in Ecuador die Regenzeit, also werden wir schon noch genug früh den Fluss hinuntergespült. Die Einheimischen haben sich längst an die Verhältnisse angepasst, brauchen für ihre Boote den Motor meist nur flussaufwärts, während sie sich abwärts treiben lassen.

Am Abend hatte auch die Flusskrabbe ihr Leben verwirkt und wurde ins heisse Wasser geworfen. Wir freuten uns an der Delikatesse, auch wenn sie uns nie satt machen konnte. Deshalb gab es zum ersten Mal Pasta an einer Bananensauce, eine etwas süsse Angelegenheit und etwas gewöhnungsbedürftig.

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Sa, 16.09.2017: Töff als Generator

Noch nutzen wir einige der technischen Geräte, deren Akkus wir während der letzten Fahrt über meine Yamaha geladen haben. Ein guter Zeitvertreib, vor allem nach der abendlichen Dämmerung, ist es zu lesen. Wenn man aber so lange unterwegs und der Platz beschränkt ist, bedient man sich der digitalen Mittel zu lesen, vor allem wenn man auf diese Weise Hunderte von Büchern, natürlich inklusive Reiseführern, dabeihaben kann. Mein Tolino-e-Reader ist bereits vor beinahe zwei Jahren ausgestiegen, weshalb ich seither über mein iPhone 6 lese. Zwar habe ich sämtliche stromfressenden Komponenten unterdessen deaktiviert, aber ein Leseabend frisst mir zehn bis zwanzig Prozent des Akkus, der unterdessen fast leer ist.

Deshalb war heute eine besondere Aktion angesagt. Sams Honda wurde nämlich reaktiviert. Er fuhr vom trocken gelegten Floss über ein Verbindungsbrett auf den Sandstrand und vor dort zum und ins Wasser. Wir wollten den Motor der Honda ebenfalls mit Wasser kühlen, mussten aber achtgeben, sie nicht im schier flüssigen Treibsand irreparabel zu versenken. Wir waren vorerst auf dem besten Weg dazu, brachten die Maschine aber mit Hängen und Würgen wieder aus dem Fluss, um sie danach rückwärts auf das fette, leider zerbrochene Brett zu schieben und sie auf den Zentralständer zu stellen. Wir mussten aber feststellen, dass die Wasserverdrängung durch das laufende Rad nicht genug gross war, um das Wasser über einen Schlauch bis zum Kühler zum Laufen zu bringen. Die etwas unsichere Übung wurde abgebrochen und die Maschine am Strand im Leergang laufen gelassen – ohne Kühlung. Leider produzierte die Honda zu wenig Strom, um auch die 110-Volt-Geräte wie Computer zu laden. Aber die wichtigsten Kleingeräte liessen sich bis zum Abend über USB tatsächlich laden. Ein Motorrad lässt sich also auch als Generator nutzen, auch wenn der Wirkungsgrad vom verbrannten Benzin bis zur Ladung der Geräte wohl miserabel ist. Und: Die Honda lief gute drei Stunden und zeigte keine Überhitzungserscheinungen.

Erst in der Dämmerung fuhr Sam seinen Töff zurück zum Floss, aber nicht mehr aufs Floss, diese Aktion wäre zu heikel gewesen, denn in der Zwischenzeit hatte er über eine halbe Flasche eines leicht alkoholhaltigen Süssgetränks intus. Ich blieb bei meinem chilenischen Wein, mit dem ich allmählich sparsam umgehen muss – die wichtigsten Lebensmittel gehen zur Neige… Sam war im gewohnt gesprächsseligen Zustand, wenn er etwas Alkohol gekriegt hat und war noch am Erzählen, als wir längst in unseren moskitosicheren Zelten lagen.

Die Wetterlage scheint sich allmählich zu verändern. Schon am Morgen regnete es zu unserer Freude wiederholt, sodass wir von Sams Plastikdach unsere Trinkwasservorräte wieder aufstocken konnten. Etwas staubiges Insekten-Regenwasser, meist leicht grünlich wohl wegen einer Urwaldalge verfärbt, ist bestimmt besser als Flusswasser, um es als Trinkwasser zu verwenden.

Gegen Abend setzte neuer Regen ein (dies ist für uns gutes Wetter!); allerdings sind noch keine Auswirkungen auf den Wasserstand des Rios festzustellen.

Wir verbrachten heute einen eher faulen Tag. Sam meinte immer wieder, dass er „faul“ sei, und deshalb mochte er auch nicht an seinen Kleinprojekten weiterarbeiten. Ich war aber nicht viel besser. Wir beobachteten lange die Geier und einen etwas viferen, unvorsichtigeren Vogel, die das Aas in der Falle witterten, aber einfach nicht in sie tappten. Auch fischtechnisch sind wir momentan wenig erfolgreich. Noch haben wir genügend Pasta: Spaghetti aglio-olio waren heute angesagt, Dessert Bananen…

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So, 17.09.2017: Rondom - grau

Es ist erst sechs Uhr abends, rondom graut’s, aber es ist kein Grauen für mich, sondern erfüllt mich mit Hoffnung. Wir befinden uns auf nur 1° südlicher Breite im tiefsten Dschungel, aber der immense Wald scheint klimaausgleichend zu wirken. Zwar kann es auf unserer Sandbank ordentlich heiss und schwül werden, wenn die Sonne gnadenlos vom Himmel brennt, aber seit gestern ist alles anders: Der Horizont verschmilzt mit der fahlen Waldfarbe, beide erscheinen in Grautönen. Eine kleine Front löst die nächste ab, sodass es immer wieder regnet, unsere Wasservorräte sind längst wieder alle nachgefüllt.

Nur etwas passt noch nicht zu den regelmässig fallenden Niederschlägen: Der Wasserpegel des Rio Napo, der sich momentan kaum verändert. Aber Grau erfreut momentan durchaus unsere Herzen, denn die Tendenz scheint zu steigen, dass es auch in den Anden regnet und uns das nächste Hochwasser bald bevorsteht.

Wir geniessen die deutlich kühleren Temperaturen. Heute frischte der Wind vor einem weiteren Schauer dermassen auf, dass ich gar den dünnen Pullover anziehen musste, um nicht zu frösteln, notabene im tropischen Urwald auf nicht einmal 200 m.ü.M.

Es ist ein idyllisch-angenehm-romantisches Gefühl, auf meiner Exped-Matte im Zelt zu liegen, den Tausenden auf mein (immer noch) dichtes Sperrholz-Dach prasselnden Regentropfen zu lauschen und mich auf die nächste lange Nacht vorzubereiten.

Wir waren auch heute nicht besonders aktiv, stockten am Morgen während einer Regenpause unsere Holzvorräte auf. Dann machte ich mich mit Machete bewaffnet auf einen Spaziergang in den nahen Dschungel, erreichte überraschend bald einen braun-grauen Tümpel, gefüllt mit viel vermodertem Holz, aber Caymane bekam ich keine zu Gesicht. Auf dem Rückweg fällte ich einen kleineren Baum, mit dessen Stamm ich eine neue Verbindung zur vorderen Plattform unseres Flosses schuf. In der Zeit war Sam am Schnitzen einer Gabel aus Bambus, die bereits am Abend beim erneuten Spaghetti-Essen zum Einsatz kam.

Momentan kämpfen wir etwas unglücklich mit dem Fischen. Das Jagdglück scheint uns verlassen zu haben, weshalb wir momentan von den Vorräten leben, allerdings nicht schlecht: Am Morgen backte ich Brot, später fritierte ich Bananen, ich bekam meinen Kaffee und mein Spiegelei. Wenn man den Tag auf diese Weise beginnen kann, ist die Welt durchaus in Ordnung.

Auch heute bekamen wir Besuch von einer kleinen Gruppe Einheimischer, die sich für unser Schicksal interessierte. Bald sollten wir in den Besitz von Papayas, frischen Eiern und einem speziellen einheimischen Gemüse kommen, natürlich wieder im Tausch gegen Benzin.

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Mo, 18.09.2017: Zwischen Hoffen und Bangen

Die teilweise intensiven Regengüsse während der Nacht, die erst gegen Morgen nachliessen, gaben uns Grund zur Hoffnung, dass der Pegel des Flusses endlich zu steigen beginnt. Aber das immer sonniger werdende Wetter während des Tages erhöhte das Bangen, auch wenn der Rio Napo jetzt langsam, aber kontinuierlich zu steigen begonnen hat. Ich habe Linien in den Sand gezeichnet, um das Grösserwerden des Flusses zu beobachten. Verschwunden ist im Laufe des Tages jener Ast, der seit einigen Tagen wie ein Mahnmal aus dem Wasser lugte, endlich versunken im undurchschaubaren, sedimentreichen Lebensnerv des Landes.

Natürlich beginnt man zu kalkulieren, wenn der Fluss steigt. Angenommen, es hat auch in den Anden intensiv geregnet, erreicht uns das grosse Hochwasser erst in einigen Tagen, wenn man annimmt, dass die Fliessgeschwindigkeit des Flusses etwa 5 km/h beträgt. Aber wer weiss schon, was sich in den Bergen zugetragen hat? Noch steigen die Wasser, noch habe ich jedoch die typischen, hellbraunen, schnell fliessenden Schaumkronen nicht gesehen, die ein Hochwasser ankündigen. Zu gerne sähe ich, dass der Fluss voller Schwemmholz ist, dass ganze Bäume in der Strömung mitschwimmen, denn dann wäre der Wasserstand bestimmt genug hoch, um von hier wegzukommen. Da wäre es dann egal, dass das Navigieren auf dem Fluss bei Hochwasserverhältnissen gefährlicher und keinesfalls einfacher ist.

Es wird sich wohl während der Nacht vorentscheiden, wie unser Schicksal für die nächsten Tage aussehen wird, ob wir wirklich die Riesenfreude der Weiterfahrt werden erleben können – oder ob wir weiterhin auf unbestimmte Zeit hier festgehalten werden.

Wir waren auch heute wenig aktiv, weil wir mit der morgigen Weiterfahrt liebäugeln. Ich las lange in Donaldsons Covenant Band 4, in dem momentan von einem Sonnenübel die Rede ist, welche das Land versengt – genau dies wollen wir auch hier nicht. Wir spielten ein weiteres Schach, das ich gewann.

Das viele Liegen und Sitzen verursacht mir immer mehr Rückenschmerzen, sodass ich mich entschloss, körperlich etwas zu arbeiten. Ich begann, mit meiner kirgisischen Pfanne (!), riesige Mengen von Sand auf der Rückseite des Flosses zu entfernen, in Fliessrichtung des Seitenarms des Flusses den Sandwall zu erhöhen, vor allem aber die vermutliche Richtung des Flosses, wenn es sich dann einmal bewegt, freizuschaufeln. Ich habe keine Ahnung, ob dies auch wirklich etwas bringt, aber ich bin von meiner Absicht im Gegensatz zu Sam doch einigermassen überzeugt, der mich in der Hängematte liegend alleine arbeiten liess. Ich denke einfach, dass sich der Sand jetzt leichter bewegen lässt, solange er noch trocken ist. Man wird dann sehen, ob meine Idee wirklich etwas gebracht hat. Ich hoffe einfach, dass wir nicht ein zweites Mal knapp scheitern, weil wir uns während der letzten Tage einfach zu wenig (ernsthaft) um die Idee des Ausgrabens gekümmert haben.

Seit das Wasser steigt, scheinen auch die lästigen Sandfliegen wiederzuerwachen, nachdem sie uns während zweier Tage nur noch wenig geplagt haben. Auch heute lebten wir von unseren Vorräten. Am Morgen besuchten gleich mehrere Vögel unsere Falle, die aber wegen des Regens während der Nacht nicht scharfgestellt war. Auch mit Fischen bleiben wir seit Tagen glücklos. Noch ist unsere Lage bezüglich Essen nicht bedrohlich, erneut gab es Teigwaren mit Knoblauch, diesmal sogar noch verfeinert mit ecuadorianischem Parmesan. Dazu fritiere ich immer am Morgen vier oder mehr längs halbierte Bananen, die uns zusammen mit dem gebackenen Brot über den Tag bringen. Aber das Gemüse ist längst aufgebraucht, unsere Vitamine holen wir uns über eine grüne Orange, deren Fruchtfleisch überaus frisch und durstlöschend ist, aber die Häutchen, welche das Fruchtfleisch zusammenhalten, sind so zäh, dass es eine ziemlich Prozedur ist, diese zu lösen und zum zarten Teil zu kommen. Aber an Zeit mangelt’s uns ja nicht.

Wiederum liege ich früh im Zelt. Ich hoffe, in der Nacht das Plätschern des Flusses zu vernehmen wie damals in der ersten Nacht, als wir hier nichts ahnend angelegt haben. Wird das Glückspendel auf unsere Seite ausschlagen?

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Di, 19.09.2017: Bubenspiele und Zweifel

Ich verbrachte eine äusserst unruhige Nacht, denn ich konnte es kaum erwarten, das Plätschern des Flusses, in der allerersten Nacht erlebt, zu hören – und wenn möglich schon in der Nacht von hier wegzukommen. Zweimal stand ich auf, um den Wasserstand zu kontrollieren. Ich stellte fest, dass der Wasserstand zwar weiterhin steigt, aber nicht im erhofften Tempo. Am Morgen fehlten noch immer geschätzte achtzig Zentimeter, um eine Chance zu haben wegzukommen. Die guten Neuigkeiten waren, dass der Fluss auch am Morgen noch am Steigen war, aber der Anstieg scheint sich allmählich zu verlangsamen.

Wiederum stärkten wir uns mit einem guten Frühstück mit frischem Brot und fritierten Bananen und Schokoladen-Brotaufstrich (!), dann war ich bald am Fluss, um genau zu beobachten, ob und in welcher Geschwindigkeit der Pegel noch steigt. Noch lag ein Baumstrunk ohne Wasserverbindung im Sand, aber ich sah, dass der Fluss schon durch den Sand drückte. Es war ein wunderbares Bubenspiel, zwischen Fluss und immer grösser werdenden See rund um den Strunk mit dem Fuss eine Wasserverbindung zu schaffen und zu sehen, wie sich der niedrigere Wasserspiegel beim Strunk demjenigen des Flusses anpasst. Dasselbe machte Sam bei einem etwas höher gelegenen anderen, im Sand steckenden Holzstück. Er legte aber Kurven an. Das Wasser im Miniflüsschen schien vorerst immer wieder zu versickern, bis es sich endlich einen Durchgang verschafft hatte. Im Kleinen konnte man beobachten, wie sich ein Fluss sein Gelände holt, Land untergräbt, bis es einstürzt, wie Inseln entstehen oder veritable Abbrüche den Fluss stauen, bis das Wasser genügend Energie entwickelt hat, um als Flutwelle das nächste Gelände zu überfluten.

Es war ein durchaus interessanter Tag zu beobachten, wie sich der Seitenarm, in den wir fälschlicherweise vor zwei Wochen gefahren waren, sich allmählich wieder mit Wasser füllt. Unterdessen führt ein untiefes Rinnsal quer über unsere Sandwüste, bis zu den kleinen Tümpeln im Nebenfluss. Und noch immer steigt der Fluss und holt sich Zentimeter um Zentimeter des verlorenen Landes zurück. Aber es lasten schwere Zweifel auf uns, denn wir sind mehr als unsicher, ob der Fluss noch genügend steigen wird, um uns aus der Patsche zu helfen. Noch immer fehlen wohl 60 cm, und der Pegel steigt einen Zentimeter pro Stunde. Natürlich hoffen wir weiter, dass die gefallenen Niederschläge, die vor zwei Tagen in den Anden gefallen sind, uns morgen erreichen und nochmals einen grossen Wasserschub bringen, aber die Zuversicht war schon grösser, dass wir tatsächlich bald wegkommen.

Stimmungsheber sind momentan vor allem die einfachen, aber sorgfältig zubereiteten Mahle – heute briet ich wieder einmal eine Rösti, aber Sam beginnt wieder intensiv von zu Hause zu träumen, und zwar nicht während der Nacht, sondern am Tag. Was werden wir nur tun, wenn der Wasserstand wieder zu sinken beginnt? Aufgeben oder endlich aktiv werden und à la Fitzgerald das Floss mit helfenden Einheimischen zu bewegen versuchen?

Ausserdem lief heute während fünf Stunden meine Yamaha, die diesmal als Stromlieferant und Generator diente. Weniger als drei Liter Benzin wurden verbraucht, und alle Geräte sind wieder brauchbar, auch die 110-Volt-Geräte, also auch mein Computer, sodass ich heute das Tagebuch wieder digital schreiben kann. Ich war sogar schon eine ganze Weile daran, die ersten handgeschriebenen Tage per Word nachzuschreiben, aber noch bin ich nicht fertig – dies mache ich dann, wenn wir wieder auf dem Fluss sind…

Je näher das Wasser an das Floss reicht, umso ärgerlicher und nerviger sind die Sandfliegen, die heute bei lästig strahlendem Wetter ihre alten Untaten fortsetzten. Es war überaus mühsam, Kartoffeln zu schälen und die Rösti vorzubereiten. Wiederum befinde ich mich auch heute früh im Zelt, wohl nicht gut für meinen Rücken, der mir vor allem am Morgen Beschwerden macht. Ich liege einfach zu lange herum – und dann noch auf einer Luftmatratze, ich sehne mich tatsächlich nach meinem Bett zu Hause, in dieser Hinsicht geht es mir nicht anders als Sam, und doch möchte ich keinesfalls aufgeben. Wiederum diskutierten wir über Lösungsansätze, aktiv unser Floss aus dem Schlammassel zu befreien – mittels unter das Floss gesetzten Palos, um es mit Hilfe von Einheimischen aus dem Sand zu rollen…

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Mi, 20.09.2017: Bagger und Lastwagen

Es dämmerte gerade, als ich erwachte. Trotz Rückenschmerzen wollte ich liegen bleiben, denn ich hatte wenig Hoffnung, dass der Pegel des Flusses während der Nacht weiter gestiegen war. Als ich dann aber doch aufstand, allerdings etwas griesgrämig, wurde ich überrascht, denn das Wasser war auch über Nacht in beinahe gleich bleibendem Tempo gestiegen. Meine gestern in den Sand gesetzten Markierungen waren bis zu acht von zehn Linien überschwemmt und befanden sich bereits höher als die vor zwei Wochen gesetzten Rohrstecken, die ein unkontrolliertes Wegdriften verhindern sollen.

Erfreulicherweise schlug Sam, mit Sandbewegungen rund um das Floss zu beginnen. Diesen Vorschlag schlug ich natürlich keinesfalls aus. Wir beschlossen, zuerst die Sandbank am Heck abzugraben, weil wir erwarteten, dass das steigende Wasser diesen Teil des Seitenarms bald zurückerobern würde. Dies hätten wir zwar besser schon vor einigen Tagen gemacht, als der Sand noch furztrocken war. Jetzt drückte bereits die Feuchtigkeit durch die obersten Schichten des Sandes, sodass für die Sandbewegungen mehr Kraftaufwand zu leisten war. Mein Rücken schien sich zu weigern, Gewicht im Kessel herumzuschleppen, sodass ich als Bagger fungierte und mit meiner unglaublichen, schier unzerstörbaren kirgisischen Pfanne zu graben anfing und jeweils einen der beiden Kessel füllte. Sam arbeitete gleichsam als Lastwagen und schleppte das schwere Material einige Meter flussabwärts. Bald kroch ich auch unter das Floss, um möglichst viel Sand herauszukratzen, ich hoffte, damit ich die Arbeit für den Fluss zu erleichtern. Weiterhin stieg das Flusswasser kontinuierlich. Schliesslich war die ganze Fläche hinter dem Floss vom Fluss bereits wieder zurückgewonnen worden. Allerdings war es noch undenkbar, jetzt schon herauszukommen, weil das Floss nach wie vor auf Tonnen von Sand stand, es wäre sinnlos gewesen zu versuchen, unser Gefährt bereits zu verschieben.

Nach einer Pause mit zwei erfrischenden Orangen machten wir uns erneut an die Arbeit. Diesmal deckten sich meine und Sams Absichten nicht. Er wollte den Graben auf der Talseite verbreitern, weil er fürchtete, das Wasser würde den konstant abbrechenden Sand wieder unter das Floss spülen. Ich zog es vor, in immenser Arbeit einen schmaleren Graben auszuheben mit dem Ziel, dass das Floss rund herum von Wasser umgeben war. Unermüdlich grub ich Meter für Meter mit meiner kleinen Pfanne einen Graben bis zum Grundwasser. Ich stellte fest, dass vorne das Floss vom Sand wie einbetoniert war, es war überaus mühselig, unter dem äussersten Balsastamm den beinahe steinharten Sand bis zum ersten Bambus hervorzukratzen. Unterdessen hatte sich der Fluss auf der anderen Seite des Flosses bereits sein Land wieder zurückgeholt. Mein Ziel war es jetzt, den Graben bis rund um das Floss zu ziehen, sodass sich rund um das Floss gleichsam ein Wassergraben bildet. Mit viel Wille und Fleiss schaffte ich tatsächlich den Durchstich, derweil Sam den Graben verbreiterte, eine Arbeit, auf die ich wohl verzichtet hätte. Aber es ist bestimmt besser, zu viel als zu wenig Sand wegzunehmen.

Nach wie vor waren wir uns nicht ganz einig, welche Arbeiten als nächstes am dringendsten waren. Und ich wusste genau, dass mein jetziger Plan nicht demjenigen Sams entsprach. Ich bin mir sicher, dass sich das Wasser des Flusses nicht gleich verhält, wenn es steigt, als wenn es sinkt. Wenn es sinkt, werden unangenehme Mengen von Sand an den unmöglichsten Orten abgeladen, während beim Steigen des Wassers aus meiner Sicht eher Sand weggespült wird. Deshalb wollte ich meine etwas verwegene Idee umsetzen, vom Fluss einen Kanal zum Bug des Flosses zu ziehen, damit irgendwann eine Strömung entsteht, welche uns hilft, den unter dem Floss lagernden Sand allmählich wegzuspülen. Es fielen nicht die nettesten Worte, als ich mit der Umsetzung meiner Idee begann. Sam kann extrem anstrengend sein mit seiner Besserwisserei, und mittlerweile habe ich gelernt, dass er es definitiv nicht immer besser weiss, auch wenn er noch so davon überzeugt ist. Sam setzte seine Arbeit mit meiner kirgisischen Pfanne fort, und er kam ganz gut vorwärts, während ich mit einem Teller (!) begann, einen Kanal vom Fluss zu unserem Floss auszuheben. Mittlerweile schmerzten meine Finger, die Hände klagten über einige Blasen, aber vor allem schienen uns die Sandfliegen und grünen Bremsen zum Abschied auffressen zu wollen. Meine Füsse waren am Abend rot gepunktet, viel Selbstdisziplin wird nötig sein, um mich während der Nacht nicht blutig zu kratzen.

Wer mich kennt, weiss, wie viel Energie ich entwickeln kann, wenn ich etwas will. Es war tatsächlich etwas hirnrissig einen bis zu 40 cm tiefen Kanal bis zu unserem Floss zu ziehen. Aber ich schaffte auch das! Quer über den Sandstrand bringt jetzt ein dreissig Zentimeter breites Rinnsal Frischwasser zum Bug des Flosses. Lange Zeit versickerte das meiste des angeströmten Wassers im Sand, aber jetzt hat der Fluss begonnen und hilft hoffentlich, vor allem wenn das Wasser weiter ansteigt, unser Floss etwas vom lagernden Sand zu befreien.

Schon am Mittag hatte ich einen Rohrstecken gesetzt, gleich neben Sams bereits seit zwei Wochen dort stehenden, bei der die Scala von Null an aufwärts geht. Mein Mass geht ins Minus. Als der Stecken stand und ich einen Zugangsgraben ausgehoben hatte, stand der Pegel bei minus 45. Bis zum Abend stieg der Pegel auf minus 30. Also noch mindestens dreissig Zentimeter sollte das Wasser über Nacht ansteigen, damit wir eine reelle Chance haben, morgen von hier wegzukommen. Tatsächlich steigt der Fluss in langsamer Regelmässigkeit, sodass er bis morgen früh auf Null stehen sollte. Wiederum erwartet uns deshalb eine spannende Nacht, und die Hoffnung ist gross, dass wir morgen tatsächlich von hier wegkommen.

Wir beide haben die Gabe, dass nach Meinungsverschiedenheiten das Kriegsbeil schnell wieder begraben ist. Einträchtig waren wir am späten Nachmittag am Kochen. Ich bereitete einen weiteren Brotteig vor, Sam fertigte aus sechs Eiern eine Omelettenmischung. Drei kleine, aber fette und gut gelungene Miniomeletten entstanden daraus. Woher wir denn die Eier hatten? Einer unserer beiden Eiermänner erschien heute Morgen in seinem kleinen Boot und brachte uns acht Eier, die wir mit einem guten Liter Benzin bezahlten.

Zum ersten Mal seit einiger Zeit bin ich körperlich ziemlich müde. Es ist schwül-heiss im Zelt, seit drei Tagen fehlen die Wärmegewitter, gleichwohl steigt der Fluss nach wie vor. Dieser Fluss ist ein Mysterium…

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Do, 21.09.2017: Wenn die Wassergötter sich plötzlich gegen dich verschwören…

Ich verbrachte eine nervöse Nacht, lauschte dem leisen Plätschern des Wasser rund um unser Floss und hoffte, dass das Wasser in derselben Regelmässigkeit wie die letzten Tage steigt, sodass einer Weiterfahrt nichts mehr im Wege stehen würde. Als ich um zwei Uhr nachts aufstand, war der Pegel um weitere neun Zentimeter gestiegen, aber ich merkte schon, dass sich das Ansteigen allmählich verlangsamt.

Die Sonne erhob sich um sechs Uhr rot glühend über das östliche Firmament, als ob sie in ihrem Glühen die Wasserreserven des Flusses anzapfen wolle. Nur noch zwei Zentimeter höher war der Fluss gestiegen. Weite Teile der Umgebung des Flosses standen mittlerweile unter Wasser, aber noch stand der Pegel erst bei minus 19, es fehlten also noch 19 cm, um eine Chance zu haben, das Floss aus dem Sand zu stemmen oder dass es sich gar selbständig macht. Natürlich versuchten wir es gleichwohl, das Floss Richtung tieferes Wasser zu hebeln, später noch mit zwei einheimischen Hilfen, aber keinen Millimeter konnten wir es verschieben, der linke Teil des Hecks stand nach wie vor viel zu hoch, offensichtlich noch tief im Sand, wie einbetoniert. Moralischer Tiefpunkt! All die gestrigen Hoffnungen tief im Sand begraben!

Die Wassergötter schienen sich heute gleich mehrfach gegen uns verschworen zu haben. Der Pegel stieg um keinen einzigen Zentimeter mehr. All unsere gestrigen Bemühungen relativierten sich massiv, das Zerschinden der Hände hatte sich scheinbar nicht gelohnt. Zudem war vor allem Sam von Hunderten roten Einstichen übersät – die Sandfliegen hatten ganze Arbeit geleistet. Aber noch stehen wir im Wasser, sahen davon ab, das Floss weiter auszugraben, sondern warteten auf eines der unregelmässig vorbeiziehenden grösseren Boote, ein niederes Taxiboot für Passagiere oder die Versorgungsfähre, die es vielleicht schaffen würden, uns aus dem Schlammassel herauszuziehen.

Der Morgen war bei heiss-sonnigem Wetter überaus ruhig, nicht einmal ein kleines Peque-peque-Boot passierte. Erst am Nachmittag hörten wir schon von fern das Geknatter dreier Boote, alle gefüllt mit Schülern. Aber die gewünschten grösseren Boote schienen heute nicht unterwegs zu sein. Und dann kündigte sich das erwünschte Wärmegewitter an und brauste mit voller Wucht über Fluss und Dschungel. Genau in dieser Zeit entdeckten wir auf der anderen Seite des Flusses das benötigte, etwas schwerere, vermutlich genügend starke Versorgungsboot, das uns hätte helfen können. Aber das Gewitter war so stark, dass der Kapitän uns gar nicht bemerkte, wie wir im strömenden Regen mit roter Fahne winkten und um Hilfe riefen. Weil der Wasserstand wieder höher ist, überquerte das Boot den Strom ausnahmsweise nicht. Die Wassergötter schienen sich heute gegen uns verschworen zu haben.

Damit war die Chance des Tages verwirkt. Zwar begann der Pegel den ganzen Tag über nicht zu sinken und verblieb bei minus 19. Allmählich begannen wir uns damit abzufinden, dass wir vielleicht doch weitere Tage und Wochen (?!) hier verbringen werden. Zwar werden unsere Vorräte allmählich knapp, aber wir wollen keinesfalls aufgeben. Mit etwas Glück werden wir vielleicht schon morgen von hier wegkommen.

Durch das Gewitter hatte es angenehm abgekühlt, wir lasen, ich nähte um ein T-Shirt herum – aus zwei mach eins… Dann assen wir uns mit einer weiteren Portion Pasta satt. Die Abendstimmung war zauberhaft, aber lieber wären wir heute von hier weggekommen. Wie viel Geduld wird wohl von uns verlangt werden?

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Fr, 22.09.2017: Befreit

Heute ging es Schlag auf Schlag. Ich hatte gleich nach dem Aufstehen gar keine Zeit, im eigenen Missmut zu versinken. Beim kräftigen Nachtgewitter wurde ich nämlich von oben getauft – oder mein Sperrholzdach wird allmählich undicht, auf jeden Fall tropfte es genau auf mein Handy, das glücklicherweise ohne Schaden überlebte. Tatsächlich war der Pegel über Nacht nicht unerwartet um fünf Zentimeter gesunken. Gestern hatte kein einziges grösseres Boot unsere Stelle passiert, und wir wussten, dass es mit jedem gesunkenen Zentimeter Wasser je länger desto unmöglicher sein, unser Floss aus dem Sand zu ziehen. Aber noch hofften wir, dass uns ein solches Boot aus der Patsche hilft.

Und dann kam tatsächlich ein Boot, ein riesiges sogar, wie wir es in Peru in den letzten zwei Wochen noch gar nie gesehen hatten. Eine dünne Fähre, beladen mit Kohle (?), wurde von einem Kraftprotz von Maschine gestossen. Sam war eben daran, seinen Angelstellen nachzugehen und rief mir zu, dass ein riesiger Wels gebissen hätte. Dies interessierte mich jetzt aber wenig. Mit dem roten T-Shirt winkte und rief ich, Sam unternahm ebenfalls alles, dass der Kapitän des Bootes uns beachtet. Aber es hielt nicht an.

Sam hatte gerade ein Feuer für ein Fischfrühstück entfacht, da näherte sich uns flussaufwärts ein weiteres grosses Boot, diesmal tatsächlich ein grosses Versorgungsschiff, das auf unser Winken sofort reagierte. Es war Sam, der dem Kapitän unser Problem schilderte, dass wir zu gerne aus dem Sand gezogen würden, weil wir schon seit über zwei Wochen hier stecken geblieben seien und dass der Wasserpegel wieder dramatisch am Sinken sei. Und tatsächlich war man bereit, uns aus der Patsche zu helfen. Dies freute mich natürlich, aber ich wusste gleichzeitig, dass dies der Tag sein könnte, dass unser Flosstrip hier sein Ende findet. Hatten wir tatsächlich genug stabil gebaut, dass es die ganze Konstruktion nicht einfach zerriss, die zwar noch im Wasser auf viel Sand lag, aber kaum mehr dreissig Zentimeter tief?

Schnell war klar, dass unser Seil erstens zu kurz und zweitens wohl zu schwach war, um viele Tonnen über den Sand zu zerren. Das dicke Hanfseil des Schiffes schien genügend stark zu sein, aber es war nicht einfach, dem Kapitän klar zu machen, wie wir das Floss gerne herausgezogen hätten, auf jeden Fall nicht im rechten Winkel! Deshalb fuhr das Schiff jetzt zurück, sodass das Seil einigermassen in einer Linie mit dem Floss stand. Sam und ein Crew-Mitglied versuchten mit Palos mitzuschieben, als das Schiff zu einem ersten Ziehen ansetzte. Dreissig Zentimeter wurde das Floss tatsächlich Richtung tieferes Wasser des Seitenarms gezogen. Einige weitere Versuche misslangen, vielleicht verhakten sich die Bambus-Schwimmhilfen, die wir zuletzt in Coca noch montiert hatten, im Sand – oder der linke Teil des Hecks stand einfach zu tief im Sand.

Die Schiffscrew stellte jetzt ein Metallseil zur Verfügung. Es tat mir im Herzen weh, wenn das Schiff mit Vollgas retourfuhr, das Seil sich spannte und die Kraft sich aufs Floss fortsetzte und es beinahe zerriss. Aber tatsächlich wurden auf diese Weise weitere Meter gewonnen. Das eine der diagonalen Seile des Flosses war zum Zerreissen gespannt, die Querverbindungen zu den je vier Balsastämmen standen in gefährlich krumm-ungesundem Winkel. Noch ein weiterer Ruck, und das Floss hätte es wohl zerrissen. Also wurden jetzt auf beiden Seiten des Hecks des Flosses Seile montiert, vor allem das metallene Seile auf jener Seite, die sich bis jetzt weniger bewegt und den ungesunden Winkel verursacht hatte. Ich war mir aber nicht sicher, ob dies reicht, denn direkt hinter dem Floss hatten wir vorgestern grosses Mengen von Sand weggeschafft, sodass die Balsas und Bambusse sich nicht so sehr in den Sand hineinbohren konnten. Jetzt stand aber die seichteste Stelle, deutlich weniger als knietief bevor. Wiederum versuchte das Schiff Anlauf zu holen, um unser Gefährt mit einem Ruck von der Stelle zu bewegen. Und tatsächlich funktionierte dies, ohne dass es zu grösseren Schäden kam. Nur vier Bambusse, wohl diejenigen, die am tiefsten montiert waren, riss es weg, die mit jedem Ruck mehr sichtbar wurden und schliesslich wie entwurzelt dalagen oder versuchten, in den Seitenarm des Flusses abzuhauen. Ich war zur Stelle und rettete sie – aber später zeigte sich, dass wir ohne sie weiterfahren würden.

Nach mehreren weiteren Ruck-Kraftakten des Schiffes schwamm unser Floss tatsächlich im seichten Wasser des Seitenarms des Rio Napo. Sam startete die Maschine, aber die Schiffsschraube war noch nicht genügend ins Wasser abgesenkt worden, sodass wir nicht genügend Leistung aufbringen konnten, um selbständig zum Hauptfluss zurückzufahren. Aber auch jetzt stellten sich das Schiff und dessen Kapitän in unseren Dienst. Das Floss wurde etwas flussaufwärts gezogen bis zu einer Stelle, wo der Grund des Flusses recht steil abfällt.

Jetzt war Zeit für einen Rum. Diese Flasche hatten wir wohlweislich noch nicht angerührt, die ich jetzt aufs Schiff brachte, wo jeder der Helfer mit einem kräftigen Schluck des Feuerwassers gestärkt wurde. Natürlich waren wir dem Kapitän und seiner schwer arbeitenden und helfenden Crew extrem dankbar, dass die Aktion auf Messers Schneide gut ausgegangen war und wir heute unser Abenteuer endlich fortsetzen konnten. Was für ein Freudentag! Der Kapitän wollte für seine Hilfe nicht einmal etwas annehmen, aber ein Trinkgeld von 60 $ für die gesamte Mannschaft wollten wir unbedingt geben. Wir konnten dazu auch noch unsere allmählich zur Neige gehenden Vorräte wieder etwas aufstocken – 3 kg Reis, acht Kartoffeln, drei Zwiebeln, acht Eier für weniger als 5 Fr.

Es ist wohl leicht, sich vorzustellen, mit welcher Erleichterung und Dankbarkeit wir das Schiff und die überaus nette Crew verliessen. Es legte sofort ab, und wir waren wieder alleine, natürlich hungrig, weil wir noch keine Zeit hatten zu frühstücken – und dabei war es unterdessen schon nach zehn Uhr.

Während Sam sich ums Feuer und das Vorbereiten des Flosses für die Weiterfahrt kümmerte, bereitete ich den riesigen Fisch vor. Was für ein Festschmaus an diesem hervorragend wundervollen Tag! Natürlich konnte ich auf weiteren Rum nicht verzichten.

Es waren aber noch einige Arbeiten zu verrichten, bis wir endlich wegkamen. Die Benzinfässer waren zum Floss zu bringen, was flussaufwärts nicht so leicht ist, auch wenn Benzin leichter als Wasser ist und die Fässer ganz gut schwammen. Sam brachte seine Honda zurück zum Floss. Über ein schmales Brett wurde sie auf die vordere Plattform gefahren. Teamwork war gefragt, immer wieder hatte ich den hinteren Teil der Maschine zu heben, damit das Rad beim Wenden nicht vom Brett fiel. Das Erstaunlichste war aber bestimmt, dass das Floss die Prozedur beinahe vollständig heil überstanden hatte. Wir verloren vier Bambus, die Steuervorrichtung fürs Segeln ist verbogen und muss wohl ersetzt werden.

Aber noch ein banger Moment war zu überstehen, als ich das Floss am Seil dem Hauptstrom entlangzog und es beinahe nochmals in den Seitenarm abgetrieben wurde. Nochmals ein kleiner Kraftakt, und los konnte es gehen! Der Antrieb mit dem neuen hölzernen Lager funktionierte ganz gut, vor allem auch deshalb, weil das eine der beiden metallenen Kugellager noch einigermassen intakt ist. Wir passierten einige kleine Dörfer und viele am Fluss stehende Siedlungen, wurden besucht vom Vater einer siebenköpfigen Familie in ihrem Peque-peque-Einbaum, der uns etwas Benzin abbettelte. Während dieser Aktion trieb es uns beinahe in einige aus dem Fluss ragende, fette Äste, aber im letzten Moment konnten wir eine vielleicht verhängnisvolle Karambolage verhindern. Wir waren recht lange mit Motorenhilfe unterwegs, die Kugellager an der Welle inklusive das hölzerne scheinen nach wie vor zu halten. Auf de letzten Kilometern war aber ein neues abnormes Geräusch zu vernehmen. Der vordere (unterdessen einzige) Kardan scheint irgendwo zu reiben und Wärme zu produzieren. Das sofortige Ölen half nur für kurze Zeit, noch können wir problemlos navigieren, und dies ist das Wichtigste.

Am Abend fuhren wir geradewegs in ein Gewitter – was für eine zauberhafte Stimmung, bevor der grosse Regen kam! Auf jeden Fall wollten wir beim Anlegen eine Sandbank vermeiden. Jetzt ist unser Floss am Rande einer Insel, aus der es urwaldig-wunderlich tönt, an einem im Wasser steckenden Baum sowie einem starken Strauch an Land festgezurrt. Wir sind wieder unterwegs! Was für ein Abenteuer! Die Geduld hat sich gelohnt!

Km: 81‘624 (34)

Sa, 23.09.2017: Pinke Riesendelphine

Eigentlich ist geplant, gleich bei der Dämmerung aufzustehen, das Floss loszubinden und mit dem nächsten Abschnitt zu starten. Es war jedoch stark bewölkt, es regnete, zeitweise waagrecht, und dies ist sehr unangenehm, weil auch das Innere des Flosses nass wird. Deshalb starteten wir etwas verspätet erst um zwanzig nach sechs Uhr, kamen problemlos weg von unserer Lagerstelle, stellten den Motor sofort ab und liessen uns treiben. Es ist klar: Wenn wir wirklich Manaus erreichen wollen, müssen wir extrem motor- beziehungsweise antriebsschonend fahren. Es zeigt sich entgegen meinen Befürchtungen, dass der Schwachpunkt der ganzen Antriebskonstruktion nicht etwa der Motor meiner Yahama ist, sondern Sams Antriebswelle, die nur vermeintlich schier unzerstörbar gebaut ist.

Es geht jetzt darum, in gemächlichem Tempo Mazan nahe Iquitos und der Einmündung in den Amazonas zu erreichen, von wo es leicht und wenig zeitraubend ist, ein Taxiboot nach Iquitos zu nehmen und die nötigen Ersatzteile zu finden. Der Problemkardan tat heute zwar keinen Mucks, erstens weil Sam alles versuchte, ihn zu ölen und zweitens weil wir nur 1¼ Stunden ununterbrochen mit Motor fuhren, um elektrische Geräte aufzuladen. Sonst wurde der Motor nur dann gestartet, wenn wir einem Problembaumstamm ausweichen mussten, war also nur mehr Navigationsgerät. Einmal kamen wir in eine dumme Situation, als wir in ein Rückwasser des Flusses gerieten und gleichzeitig die Steuerung aussetzte, die sich gestern beim Herauswürgen des Flosses etwas verändert hatte, sodass Sam mit einem Staken verhindern musste, dass wir mit dem Heck am Ufer anschlugen. Schliesslich konnten wir uns aber problemlos aus der etwas heiklen Situation befreien.

Grundsätzlich war der Tag in der schier unberührten Natur ein Riesengenuss. In weiten Windungen schlängelt sich der Rio Napo durch den scheinbar unendlichen Regenwald. Manchmal verzweigt sich der Fluss in mehrere Arme, sodass man sich entscheiden muss, welchen wir für unsere Durchfahrt wählen. Die Erfahrung wird jeden Tag grösser. Dabei heisst es nicht, dass die kürzeste Verbindung auch die schnellste ist. Häufig treibt einem der Fluss automatisch an die Stellen mit dem meisten Zug. Auch ohne Antrieb sind wir manchmal mit 10 km/h unterwegs. Es gibt aber auch Stellen, da schleichen wir dahin und erreichen kaum 4 km/h. Aber es hat nicht nur Wald. Wir passierten auch heute gleich mehrere Siedlungen, meist nur einzelne Häuser, aber auch kleine Dörfer, deren wichtigstes und am besten gebautes Gebäude immer die Schule ist. Und immer weht am prominentesten Ort eine peruanische Flagge. Der grösste Ort war Puerto Elvira, indem es gar einen grossen Funkmast gab und das aus vielleicht zwanzig Gebäuden besteht. Natürlich waren wir auch heute die Überraschung oder Sensation des Tages. Wir wurden von weitem begrüsst oder einfach nur von weitem beobachtet.

Im Verlaufe des Tages klarte es auf, und es wurde endlich wärmer. Mit Regen kann es auch hier tatsächlich klamm-feucht-kühl sein. Um endlich meine Füsse aufzuwärmen, legte ich mit aufs herrlich warme, sonnenbeschiene Dach meiner Hütte und versuchte meinen immer noch leicht schmerzenden Rücken zu entlasten und aufzuwärmen, als mit Sam weckte und mich auf drei riesige, gleich vor unserem Floss schwimmende, pinke Flussdelphine aufmerksam zu machen. Die Tiere tauchten immer wieder auf und zeigten uns ihre sympathischen Gesichter. Halt typisch Delphine! Die Tiere sind unglaublich gross und sind wohl zwischen zwei und drei Metern lang, die Rückenflossen haben ebenfalls gewaltige Ausmasse. Leider dauerte es zu lange, bis meine Kamera schussbereit war, um ein wirklich gutes Bild zu schiessen. Die Tiere schienen uns nur kurz „Hallo!“ sagen zu wollen, und zogen unverzüglich weiter flussaufwärts.

Gegen Abend kam es zu einer neuen, kleinen Panne, als sich das Blech löste, das verhindern soll, dass von der Schiffsschraube Luft angesogen wird. Zwar funktioniert der Antrieb trotzdem, aber Sam musste ein weiteres Mal improvisieren, indem er aus Bambus (!) und Draht eine neue Befestigung bastelte, die dann morgen auf Herz und Nieren geprüft wird.

Noch vor sechs Uhr suchten wir erneut einen Lagerplatz am Ende einer Insel bei einem steilen Bord. Sam fuhr gegen die Strömung zu einem nahen Baum, um den ich das Seil führte und dann am Floss befestigte, sodass ich morgen nur einen Knoten öffnen muss, sodass es gleich wieder weitergehen kann.

Km: 81‘689 (65)

So, 24.09.2017: Ein Fluss mit tausend Gesichtern

Der Rio Napo zeigte uns heute gleich einige seiner vielen Gesichter. Als wir bereits um zehn nach fünf Uhr aufstanden, diesmal etwas zu früh, weil sich in der Dämmerung die Moskitos noch nicht verzogen hatten, zeigte sich uns ein trüb-grauer Himmel, der aus seinen Drüsen feinste Partikel von Feuchtigkeit versprühte. Nachdem Sam die vier (leider leeren) Fischerhaken eingeholt hatte, starteten wir sofort zum nächsten Teil, kamen problemlos weg, stellten den Motor aber bald wieder ab, um uns treiben zu lassen und die Ruhe zu geniessen.

Ich war mir unsicher, ob es Sinn macht, überhaupt ein Feuer anzumachen, weil wir gleich in ein fürchterliches Loch hineinzufahren schienen, aber ich war schneller als der einfallende Regen und schaffte es noch, Kaffee, Ei und fritierte Bananen zuzubereiten. Aber dann schien sich der Fluss in ein noch intensiveres Grau zu verwandeln, die fernen Uferwälder verschwanden gespenstisch hinter den Millionen von Tropfen, je weiter weg, desto hellgrauer. Der Regen dauerte aber nicht lange. Der Fluss schien jetzt mit dem Himmel zu verschmelzen, wir fuhren geradewegs in dichten Nebel, und wir waren froh, wenigstens die beiden Ufer des Flusses erkennen zu können.

Erst allmählich hellte es etwas auf und wärmte die Luft etwas auf. Als ich unsere Essutensilien im Fluss abwusch, erschien mir dieses Wasser lau. Sam war daran, das hintere Segelruder zu reparieren, das beim Herauszerren aus dem Sand Schaden genommen hatte. Gleichzeitig stellte er fest, dass ein Bambus unter Wasser im Dreissiggrad-Winkel vom Fluss abstand und band ihn wieder an den Balsas fest. Ich fungierte unterdessen als Kapitän. Der Fluss verhielt sich uns gegenüber heute etwas bösartig, weil seine Strömung uns immer wieder zu aus dem Wasser ragenden Baumstämmen leitete, sodass der Motor angestellt werden musste, um den Hindernissen auszuweichen. Einmal versagte kurzerhand die Steuerung, weil sich das Steuerseil an der Steuerradnabe verklemmt hatte – eine ziemlich gefährliche Situation, weil ich das Floss gerne aus dem Einflussbereich eines mächtigen Baumstammes, der uns immer näher kam, entfernt hätte. Wir konnten einen vielleicht verhängnisvollen Aufprall erst im letzten Moment verhindern, nachdem Sam das Steuerseil wieder entwickelt hatte. Wenn man gut beobachtet und dank der immer grösseren Erfahrung wichen wir allen Hindernissen jedoch problemlos aus. Aber genau bei solchen Ereignissen zeigt sich, wie wertvoll der Motor ist, den wir heute nur dazu nutzten zu navigieren. Die Antriebswelle ist unterdessen gleich mit drei Unsicherheiten belastet, sodass wir uns entschlossen, den Motor nur noch dann zu gebrauchen, wenn ein Gerät Strom benötigt, beim An- oder Ablegen an einer Lagerplatz oder um einem Hindernis auszuweichen. Dies hat erstens den Vorteil, den Fluss wegen der Ruhe viel mehr geniessen zu können, zweitens den Antrieb zu schonen und drittens Benzin zu sparen. Es scheint unterdessen, dass wir viel zu viel Treibstoff dabei haben.

Am Mittag zeigte sich der Fluss von seiner lieblichen Seite, als wir bei Sonnenschein einige kleine Dörfer passierten und ich die Sonne auf dem Dach meiner Hütte genoss. Aber von Westen ereilte uns eine nächste Regenfront, und die hatte es in sich, weil Böen bedrohlich an unseren Aufbauten rüttelten und vor allem kleine, an Nägeln hängende Utensilien davonzublasen versuchte. Wir hatten alle Hände voll zu tun, um alle Gegenstände zu sichern. Leider blies der Wind erneut gegen uns, dies ist ärgerlich, weil wir gerne einmal unsere Segel ausprobieren würden, aber der Wind bremste offensichtlich auch unser Floss, sodass wir im Fluss beinahe stehen blieben. Und dann begann der grosse Regen, der uns von Norden Meter für Meter näher kam, uns schliesslich erreichte und uns mit dem Flusswasser zu verschmelzen versuchte. Aber jetzt hatte der Wind etwas nachgelassen, wir fühlten uns ganz wohl und sicher unter unseren Dächern, kredenzten einige Rum-Cola, bis es nur noch lustig war, dass es den Regentropfen nicht gelang, uns ernsthaft zu ärgern. Mehr Ärger hatte wohl ein Einheimischer in hellblauem Hemd, der in seinem Boot einen ausgewachsenen Büffel transportierte, dessen Beine zusammengebunden waren. Und dann überholte uns eine ganze Fussballmannschaft in ihren schlanken Booten, einige versuchten sich mit Regenschirmen vor der Feuchtigkeit zu schützen. Offenbar finden auch hier im peruanischen Busch des Sonntags regionale Fussball-Meisterschaftsspiele statt.

Der Regen kühlte die Luft so sehr ab, dass ich mich mit einer Jacke und Kniesocken (!) vor der Kälte schützte, aber die Fahrt gegen Südosten wurde natürlich nicht unterbrochen. Vor sechs Uhr fanden wir erneut einen idealen Anlegeplatz, aber noch regnete es, weshalb wir ausnahmsweise aufs Feuermachen verzichteten und auf dem Benzinkocher eine Suppe zubereiteten.

Ich hoffe doch sehr, dass sich der Fluss morgen wieder mit einem etwas freundlicheren Gesicht zeigt. Und doch ist es überaus eindrücklich, wie verschieden die Ausblicke und die Farben des Wassers sein können, aber was bleibt: Man muss konstant äusserst auf der Hut sein, denn der Fluss kann nicht nur sehr unterschiedlich im Aussehen sein, sondern versucht zuweilen mit aller Heimtücke, uns einen Streich zu spielen.

Km: 81‘755 (66)

Mo, 25.09.2017: Verwunderte Amazonier in Santa Clothilde

Wir gewöhnen uns daran, dass sich die feuchte Tropenluft während der Nacht in diesigen Dunst oder gar Nebel verwandelt. Kaum aufgestanden, waren wir bereits wieder unterwegs auf dem Fluss, diesmal während dreieinhalb Stunden mit Motor, dessen Komponenten heute alle einwandfrei funktionierten. Wieder einmal hatten wir unsere technischen Geräte mit Strom zu versorgen.

Auch heute Morgen zeigte der Rio Napo ein neues Gesicht. Das Dunkelgrün des Regenwaldes schien sich mit dem Grau der Flusskobolde zu vermengen, sodass nicht mehr eindeutig klar war, ob wir direkt in eine Wand des Waldes fahren oder hinter dem Grau in den Tiefen der Flusswelt versinken. Aber allmählich tauchten zwischen den Baumriesen einige verwunschene, kleine Strohhäuschen auf, die bereits Opfer der Waldgeister geworden zu sein schienen. Die Szenerie war einfach zu mystisch und zog mich in den Bann, sodass ich froh war, dass Sam das Floss führte und durch den Nebel leitete. Allmählich wurden die Sumpfgeister und Waldschrate von der aufkommenden Sonne aufgesogen, und es erwartete uns ein heiterer Tag.

Ich war sehr aktiv am Morgen, fritierte Bananen, kochte Reis, backte Brot, wusch einige Kleidungsstücke aus und gönnte meinem Körper bei laufendem Motor etwas frisches Flusswasser und Seife. Dabei hatte ich mich gut festzuhalten, wenn ich ins Wasser sprang, um mich von der Seife zu befreien, damit mir das fahrende Floss kein Schnippchen schlug und mich stehen liess. Wir erreichten die erste grössere Ortschaft seit einiger Zeit mit dem unglaublich netten Namen Santa Clothilde. Der Pier war voller neugieriger Menschen, ein grosses Versorgungsschiff hielt unmittelbar vor uns, aber die verwunderten Blicke galten jetzt natürlich uns, was zum Geier diese beiden Europäer nur auf diesem unheimlichen Gefährt machen. Wir legten souverän an und begrüssten die vielen Einheimischen mit einem Winken. Während Sam im Versorgungsschiff nach einer Fettpumpe für unser Kardangelenk nachfragte, wollte ich unsere Vorräte wieder so weit aufstocken, dass wir es wenn wirklich notwendig weitere Wochen auf einer anderen Sandbank flussabwärts aushalten würden… Leider war kein Gemüse erhältlich, dafür fand ich Mehl, Spaghetti, Kartoffeln, Zwiebeln, Knoblauch, eine Flasche Soya-Öl, einige Konserven, einige Liter Cola und vor allem sechs Flaschen kalten Bieres, auf die ich mich besonders freute. Santa Clothilde ist tatsächlich ein Zentrum der Region mit einfachen Kleiderläden, einigen kleinen Restaurant, sogar einem Hostal, einer Stelle, wo man Geld einzahlen kann. Ich machte einen kleinen Rundgang durch den Ort, wunderte mich über einige kleine Motorräder und freute mich über viele freundliche Menschen, die mich begrüssten und ein paar Worte mit mir wechseln wollten, wenn sie dann nicht zu schüchtern waren.

Nach einer Stunde legten wir aber bereits wieder ab, liessen uns auf dem Fluss treiben, verbunden mit verstärkter Wachsamkeit, denn regelmässig peilten wir direkt aus dem Wasser ragende, feststeckende Baumstämme an, denen ausgewichen werden musste. Ein grosser Genuss und Heidenspass war es aber, gleich je zwei eiskalte Crystal zu trinken, weshalb der Mittag und frühe Nachmittag ganz lustig wurde. Auch heute begegnete uns eine Gruppe von pinken Delphinen, die viel grösser als die grauen sind, pufften Wasser durch die Luft, als ob in ihrem Innern ein Ballon geplatzt wäre, sagten uns kurz „Grüezi!“ – und zogen zufrieden flussaufwärts von dannen.

Scheinbar aus dem Nichts besuchte uns ein junger Mann mit seiner Schwester in seinem äusserst flach im Wasser liegenden Bötchen und bot uns zwei grosse, frisch gepflückte Sauerorangen an. Wir fragten nach Bananen, und sofort führte er uns ans verwachsene Ufer, wo wir das Floss festbanden und dem Jüngling folgten. Wir kehrten zurück aus dem Urwald mit einer Riesentrupple grünen Kochbananen, vier Papayas, einigen langen, bohnenförmigen Guava-Früchten, dessen Gefaser im Innern süss schmeckt, alle Früchte gleich frisch gepflückt – 50 Soles, 15 Fr.

Als wir weiterfuhren, gerieten wir in den obligaten Gewitterschauer, aber dann motivierte uns der seitlich einfallende Wind dazu, endlich unsere Segel zu testen. Der Fluss war hier besonders breit, nachdem ein weiterer Nebenfluss zusätzliches Wasser gebracht hatte, aber an der Fliessgeschwindigkeit nicht wirklich etwas änderte. Tatsächlich kamen wir während einiger weniger Kilometer die Kleinigkeit schneller vorwärts, damit wir dem nächsten aufziehenden Gewitter gerade noch entkamen.

Wiederum fanden wir am Abend eine perfekte Anlegestelle, die zu einer kleinen Strohhütte gehört, aus der eben zwei ältere Erwachsene verwundert nach uns Ausschau hielten, aber uns an ihrem Hafen problemlos tolerieren. Schon zuvor hatten wir Nasi Goreng gegessen, sodass wir exakt bei der Dämmerung unsere Zelte aufsuchen konnten, um den erwachenden Mücken auszuweichen. Jetzt liege ich im Zelt, es hat zu regnen begonnen, ein überaus beruhigendes Gefühl, bei milden Temperaturen im Trockenen zu liegen. Allerdings frage ich mich, wie lange mein Sperrholzdach wirklich noch dicht bleibt, erste Verwitterungsspuren sind trotz Farbe bereits zu sehen.

Km: 81‘825 (70)

Di, 26.09.2017: Strassenlaternen und gedeckte Verbindungsbrücklein

Das Reisen auf dem Fluss wird zur Routine. Nach dem Aufstehen verstreichen nur wenige Minuten, bis wir wieder auf dem Fluss sind. Dazu bedient Sam jeweils den Motor, ich löse das Seil und stosse die Front des Flosses vom meist recht steilen Ufer ab, sodass wir sofort im tiefen Wasser schwimmen. Heute liessen wir den Motor meist ruhen, wir genossen die Ruhe auf dem Fluss und liessen uns treiben.

Allmählich wird es einfacher einzuschätzen, wenn der Motor zu starten ist, wenn ein Hindernis in unserem Weg liegt. Wichtiger als das Erkennen von feststeckenden Hölzern ist es, dass das Floss richtig im Fluss liegt, das heisst es ist suboptimal, wenn der Bug gegen das nahe Ufer gerichtet ist, weil dann der Fluchtweg wesentlich länger wird, weil es meist besser ist, gegen die Strömung zu fahren, abzudrehen und dann im Nu ausweichen zu können. Nur einmal war Sam heute zu spät und touchierte einen morschen Baumstamm, der uns wenigstens half, das Floss in die richtige Richtung zu drehen, sodass wir schliesslich doch unbeschadet wegfahren konnten.

Es ist interessant zu beobachten, in welcher Weise die immense Kraft des Flusses auf das Floss wirkt. Es ist häufig schwierig einzuschätzen, ob wir einer der vielen Flussinseln links oder rechts ausweichen. Sobald man sich nahe des Ufers bewegt, wird man meist schneller, aber dann hat man bestimmt einem Stamm auszuweichen, vor allem wenn das Ufer nicht geradlinig verläuft. Durch die verschiedenen Zuflüsse ist der Rio Napo unterdessen deutlich breiter geworden. Manchmal sitzt man nur auf Deck, am besten auf dem Dach meiner Hütte, weil die Strömung das Floss konstant dreht und man von hier oben die beste Rundsicht hat, denn wachsam hat man immer zu bleiben, Hindernisse erscheinen manchmal verblüffend schnell.

Auch heute passierten wir einige kleine Dörfer, die allmählich etwas grösser werden. Viele sind mit farbigen Fahnen „geschmückt“, mit denen für Kandidaten der kommenden Wahlen geworben wird. Sehr speziell sind die immer selben Verbindungsbrücklein über kleinere Bäche, die wohl auch ganz wild daherkommen können, die Stege sind auf hölzernen Stelzen gebaut, verfügen über eine Holzplattform, vor allem sind sie aber eigenartigerweise mit Wellblech gedeckt, während die meisten Häuser nur mit Palmblättern gedeckt sind. Entweder sind es wohl Hilfsorganisationen oder es ist der Staat, welche für diese vergleichsweise luxuriösen Brücken besorgt sind. Unterdessen passierten wir auch drei grössere Dörfer – heute war es Urca Negra, erstaunlich hoch auf einer über zehn Meter hohen Böschung und über zwei Kilometer entlang des Flusses gelegen – das über eine Stromversorgung verfügt, angetrieben wohl über einen Generator. Dies finde ich ja fortschrittlich und durchaus vernünftig, auch wenn es wohl nur zwischen fünf und acht Uhr abends Strom gibt, dass aber entlang der Wege alle fünfzig Meter eine Strassenlaterne steht, finde ich schon einigermassen erstaunlich. Man will dem Ort wohl einen Hauch von Stadt geben. Urca Negra empfand ich aber als überaus gepflegten Ort mit verbreitet wiesigem Gelände, ich sah sogar einen Mann, der den Rasen gemäht hat. Ich sah viele Pferde (!), Büffel und Kühe weiden, da hat ein findiger Dorfältester wohl eine kluge Geschäftsidee umgesetzt. Ich sah auch zwei Sportplätze mit kleinen, gedeckten Tribünen, der FC Niederstetten könnte sich davon durchaus noch eine Scheibe abschneiden… Drei Sportarten scheinen „in“ zu sein: Fussball, Volleyball, Basketball – wenig erstaunlich.

Der Fluss war heute recht kurvenreich, sodass wir es nicht ganz schafften, den halben Weg bis Mazan zu schaffen. Dies wäre mit mehr Motoreinsatz bestimmt möglich gewesen, aber darauf wollen wir auch Sicherheits- und Schongründen möglichst viel verzichten, auch wenn allmählich klar wird, dass wir mit zu viel Benzin unterwegs sind.

Am Abend legten wir bei einem winzigen Dörfchen an einer steilen Böschung an. Die Einheimischen scheinen sehr schüchtern zu sein. Sie guckten zwar verwundert aus ihren Häusern, suchten das Gespräch mit uns jedoch nicht.

Heute war ein fast vollständig trockener Tag, aber die Sonne und die vielen, immer grösser werdenden Sandbänke bringen vermehrt Sandfliegen zum Floss – ein altes Ärgernis, dem wir nur entfliehen könnten, wenn wir mit dem Motor fahren würden. Ohne Gewitter ist es des Abends wesentlich wärmer, halt ganz normal tropisch feucht-heiss. Die Benzinfässer finden die Hitze wohl wenig angenehm, immer am Abend kühlt das von der Sonne aufgeheizte Benzin ab, sodass die Fässer die schon fast traditionellen Gong-Töne abgeben, wenn sich nämlich auch das Metall abkühlt und sich wieder zusammenzieht.

Km: 81‘887 (62)

Mi, 27.09.2017: Gehisste Segel

Nach einer sternenklaren Nacht erwartete uns ein zauberhafter Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen sich durch das Dickicht des Ostdschungels kämpften und die Nebelschwaden im Wald wie eingeschüchtert in Bewegung gerieten und alsbald von der aufkommenden Wärme aufgesogen wurden.

Die Morgen gleichen sich, die Automatismen spielen sich immer mehr ein. Sam übernimmt das Steuer, entfernt unser Floss von der Anlegestelle, während ich beginne, das Feuer anzufachen, um das perfekte Frühstück vorzubereiten. Das warme Morgenlicht verwandelte die Farben der Flusslandschaft in keck-modische Herbstfarben, aber das immer stärker leuchtende Grün des Dschungels erinnert mich doch wieder eher an den Sommer, zumal es schnell wärmer wird. Wir wollten heute möglichst nahe an Mazan herankommen, erwarteten wegen der zu grossen Distanz jedoch nicht, dass wir diesen Ort nahe Iquitos heute erreichen.

Sam beschäftigte sich heute mich einigen Näharbeiten, während ich meist faul im neu gebauten Führersessel lag. Mein bekanntermassen perfekt bequemer Töffsattel wurde an die harte Holzpritsche angepasst, sodass Ergonomie-Experten den Prototypen dieses Modells wohl in ihre Kollektion ihrer Sitzgarnituren aufnehmen würden. Am Mittag kochte ich eine grosse Portion Pasta mit Knoblauch und Olivenöl, ich trank ein Bier, beschäftigte mich mit meinem Cyclometer-App auf meinem Handy, wo ich genaues Tempo und aktuelle Geschwindigkeit genauestens verfolgen kann.

Richtig spannend wurde es erst am Nachmittag, als überraschend der Wind drehte und plötzlich von hinten gegen unser Floss drückte. Sofort wurden die beiden Segel gehisst. Als wir endlich richtig im Wind standen und Sam auch das Ruder für die Richtungsgebung optimiert hatte, war es eine Freude zu beobachten, wie die Segel prall im Wind standen und offensichtlich ein Gewinn in der Geschwindigkeit erzielt werden konnte. Das Wasser drängte über unsere Querverbindungen, obwohl dies sonst nur bei laufendem Motor geschieht. Als ich ins Wasser sprang, musste ich achtgeben, dass mir das Floss nicht davonschwimmt, offensichtlich war das Floss schneller als die Strömung unterwegs. Natürlich hätten wir uns noch einen etwas stärkeren Wind gewünscht, der den Tonnen unseres Flosses noch etwas mehr Schub verliehen hätte, aber die positive Wirkung der Segel war unverkennbar, und die wurden notabene von zwei Segelbanausen bedient. Hoffen wir, dass auf dem Amazonas bei mehr Wasserfläche noch mehr Rückenwind aufkommt, sodass wir noch weniger Benzin verbrauchen.

Nach fünf Uhr genossen wir eine herrliche Papaya, etwas nachgesäuert mit einer mir nicht bekannten, unglaublich sauren Zitrusfrucht, die wir kürzlich von jenem jungen Mann im Dschungel erstanden hatten. Herrlich frisch-gesunder Znacht! Wiederum lagern wir an einer steilen Stelle am Ufer des Flusses. Während Sam mit seiner Kapitäns-Erfahrung das Floss souverän ans Ufer gelenkt hatte, legte ich das Seil einfach um einen auf der Böschung stehenden, starken Baum, sodass wir morgen problemlos früh am Morgen wieder ablegen können.

Km: 81‘954 (67)

Do, 28.09.2017: Capitania de Marina de Guerra de Mazan

Wir hatten ein klares Ziel heute Morgen, nämlich möglichst schnell die 18 km bis Mazan zurückzulegen. Zuerst fuhren wir durch dichten Nebel, der das Navigieren schwierig machte. Aus der verschwommenen Düsternis tauchten schmale, von jungen Männern gesteuerte, mit Bananen schwer beladene Holzboote auf mit bunt gekleideten Frauen an Bord. Wiederum schien die Mitte des Bootes vermeintlich unter dem Wasserspiegel zu liegen. Nur etwas schwerer bepackt, würden die Boote augenblicklich in den Fluten versinken, deshalb sieht man auch häufig Personen mit einem Plastikgefäss Wasser aus dem Innern des Bootes schöpfen.

In Mazan wurden wir wie Prominente empfangen. Am Rand der hohen, betonierten Hafenmole drängten sich erstaunte Einheimische, welche die Einfahrt unseres Flosses miterleben wollten. Es war nicht ganz einfach, einen freien Anlegeplatz zu finden. Ich musste einige kleine Bötchen leicht verschieben, um Zugang zum Ufer zu erhalten und das Floss um einen Metallpfahl der Aufgangstreppe festbinden zu können. Wir wussten, dass wir hier wohl mindestens einen Tag würden verbringen müssen.

Erstens werden wir länger als die in Pantoja gegebenen dreissig Tage in Peru bleiben, sodass wir die Visumstage verlängern wollten. Deshalb suchte Sam sofort die Capitania de Marina de Guerra de Mazan auf, der das Problem sofort sah, ihn aber nach Iquitos, der nächsten Stadt verwies. Dorthin wollte Sam ohnehin fahren, um für Ersatz für die defekten Kugellager zu sorgen. Deshalb war er bald unterwegs in einem der typischen, chinesischen, im Überfluss herumstehenden Töfflitaxis, um über die schmale Verbindung zum Amazonas zu fahren und von dort mit einem Bootstaxi zur Stadt zu fahren.

Ich bewachte während dieser Zeit unser Floss, das wir sehr ungerne unbeaufsichtigt im Hafen stehen lassen. Natürlich wurde ich immer noch von den vielen Neugierigen beäugt, zwei Personen hatten den Mut, mich auf dem Floss zu besuchen. Der erste junge Mann interessierte sich einfach für unsere Reise und wollte wissen, wie wir hierher gekommen seien. Er berichtete auch von aggressiven Kleinfischen stromabwärts, die ganze Teile von Fleisch aus einem Bein beissen können, vor allem wenn man irgendwo blutet. Der Besuch des zweiten Mannes war eher unangenehm, weil er mit weinerlichem Ausdruck um Essen bettelte. Um ihn loszuwerden, gab ich ihm ein Päckchen Biscuits, die er lachend auf der Mole zusammen mit seiner Mutter verspies, um gleich wieder herunterzukommen und mehr zu verlangen. Mit einem entschiedenen „Stopp!“ liess ich ihn aber nicht mehr aufs Floss.

Später bekam ich Besuch vom Chef der Capitania, der mir ziemlich arrogant klarmachen wollte, dass wir auf dem Fluss ungesetzlich unterwegs seien. Er zitierte mich in sein Büro, wo er schon viel verständnisvoller klang und meinte, wir müssten hier in Mazan eine zeitweilige Bewilligung für das Befahren der Flüsse in Peru kaufen. Er entliess mich mit der Aufforderung, dass wir am Nachmittag bitte nochmals zu zweit auf dem Büro erscheinen sollen.

Tatsächlich kehrte Sam vom fast autofreien Iquitos zurück, erstens mit den erforderlichen neuen Lagern und zweitens mit dem Bescheid der Immigration, dass das Überziehen des Visums nur 4.05 Soles pro Tag und Person kostet, als etwas mehr als einen Franken – und dies ist wohl nicht tragisch.

Nochmals bei der Capitania erklärte der etwas komplizierte Oberindianer nochmals den ganzen Sachverhalt in Sachen Bewilligung und meinte, dass diese bis sechs Uhr abends fertiggestellt sei. In der Zwischenzeit fuhren wir unser Floss zu einer Bootswerkstatt nahe des Hafens, wo wir den Antrieb vom Töff entfernten und vor allem die Rostplatte entfernten, die sich auf der Fahrt wegen des Aufpralls grosser Holzstämme gelöst hatte und neu geschweisst werden muss. Am Abend erhielten wir tatsächlich gleich zwei handgeschriebene Bewilligungen, für jeden von uns eine (!), die je 93 Soles (30 $) kosteten. Ich wurde den Eindruck nicht los, dass diese Gebühr einer Gehaltsaufbesserung der grossen Oberchefs dient, den wir später lachend auf den wenigen Gassen Mazans sahen. Mit Geld kann man ja in den Ausgang oder die zwielichtige Discothek gehen…

Wir waren ebenso im Regen Mazans unterwegs, suchten Öl und WD40 in einer Ferreteria und assen einen einfachen Znacht mit Reis, Poulet und Wurst für ganze 5 Soles (1.50 Fr.). Nach einem Bier ging’s zurück zum Hafen, die Holztreppe und der Bretterzugang über den Fluss zur schwimmenden Werkstatt waren überaus glitschig. Der Übernachtungsplatz ist perfekt hier, weil für eine ganz gute soziale Kontrolle gesorgt ist. Aber die Nacht dürfte wohl nicht die ruhigste werden…

Km: 81‘972 (18)

Fr, 29.09.2017: Ein Hauch von Hobbingen im Auenland

Ich wäre nicht erstaunt gewesen, wenn die Menschen der gemütlich von den wiesigen Hängen des Flusses gelegenen Behausungen mit  behaarten Füssen hinunter zum Fluss oder ihrem Aussichtshügel spaziert wären, um unsere stille Vorbeifahrt an ihrem Dorf zu beobachten. Natürlich bewohnen die Selva-Peruaner auch keine Hobbit-Höhlen, aber die Beschaulichkeit und Idylle erinnerten mich gleichwohl an eine Szene im Auenland. Kühe weiden auf den saftig-grünen Hängen, aus einigen Häusern ertönt seichte Musik, Strom wird produziert mit kleinen Photovoltaik-Anlagen, den Menschen hier geht es eine Spur besser als denjenigen am oberen Rio Napo.

Nach einem leichten Abendessen mit peruanischen Salami und Käse, von Sam gestern in Iquitos gekauft, suchen wir jeweils um halb sechs Uhr nach einer geeigneten Anlegestelle und peilten diese bereits an, als Sam ein Versagen der Steuerung feststellte, ein geschweisster Teil am Steuerruder war abgebrochen. Trotzdem schafften wir es, das Ufer an einer geeigneten Stelle zu erreichen, heute wieder einmal bei einer kleinen Siedlung, bei der wir sofort von drei Männern begrüsst wurden, es war aber nicht genau ersichtlich, wie willkommen wir wirklich sind. Dazu stank einer der drei penetrant nach Urin, und genau der wollte nicht mehr aufhören, mir die Hand zu schütteln. Aber jetzt liegen wir im Moskitozelt, es lohnt sich definitiv nicht zu warten, bis die Dämmerung einsetzt, weil dann wie aus dem Nichts unzählige blutrünstige Moskitos auftauchen und gleich zum Angriff ansetzen. Deshalb stoppte Sam gleich seine ersten Reparatur-Arbeiten. Ich staune wirklich über seine seit der Kindheit angeeignete Improvisationskunst, wenn es darum geht, etwas zu reparieren oder auszutüfteln. Heute schloss er direkt an meinem Licht mein 110-Volt-Ladegerät an mit einem Nagel als Sicherung und Kontaktschaffer für das Schliessen des Stromkreises. Zwar beklagte ich auch bei dieser Ladeart einen Wackel, sodass er den Strom direkt von der Batterie abzwackte – und jetzt funktioniert das Laden einwandfrei.

Am Morgen war es wenig erstaunlich, dass schon sehr früh viele Peque-peques unterwegs waren, die uns mit ihrem Riesenlärm natürlich weckten. Schon kurz nach sechs Uhr wurden die Teile geschweisst, die defekt waren. Die neuen Lager wurden eingebaut und der Antrieb wieder an die Yamaha angehängt. Ich war in der Zwischenzeit noch für einige Frischprodukte an Land gegangen. Was für ein buntes Treiben! Büschelweise wurden Bananen, sackweise tropische Früchte an Land gebracht, Hühner in engen Käfigen eingesperrt, warteten darauf, gekauft zu werden, ein riesiges, an einem massiven Holz an den Beinen gebundenes Schwein wurde zu einem Töfftaxi getragen und weggefahren. Auf dem Markt staunte ich über die Vielfalt der Flussfische, die ganz frisch feilgeboten werden. Ich war vielmehr auf der Suche nach Tomaten und Gemüse, und ich wurde fündig. Eigenartige Minitomaten, Rüebli, zwei Gurken und zwei riesige Ananas brachte ich zurück zu unserem Floss.

Schon vor acht Uhr waren wir bereits wieder unterwegs auf dem Fluss, der aber kaum Strömung aufwies, sodass wir uns kaum vom Fleck bewegten. Tatsächlich waren wir in einen schmaleren, weniger Wasser führenden Seitenarm eingefahren und fuhren plötzlich direkt in Richtung eines riesigen, auf dem Sand liegenden Baumes, dem wir zwar ausweichen konnten, jedoch im Wasser auf Sand liefen. Mit zwei Palos hievten wir uns jedoch aus der ungemütlichen Situation, ein ziemlicher Kraftakt, aber der Schlamm und Sand aufwirbelnde Motor half uns dabei, aus der Patsche zu kommen.

Im Verlaufe des Tages ging es immer schneller vorwärts, weil wir jetzt eine gute Nase bewiesen und die richtige Strömung fanden. Ich genoss wieder einmal etwas Musik (gestern hatte ich meine Musik-App wieder laden können), liess die Landschaft revue passieren. Erst gegen Abend zog sich ein Gewitter zusammen, aber wir entkamen ihm. Wir sind wieder unterwegs, morgen sollten wir den Amazonas erreichen.

Km: 82‘023 (51)

Sa, 30.09.2017: Zu Besuch auf der El Manati

Die Steuerung wurde heute Morgen behelfsmässig mit dem Draht des Kessels wieder in Stand gestellt, aber von dieser Lösung wussten wir, dass sie bestimmt nicht dauerhaft sein würde. Deshalb wollten wir Francisco de Orellana am Rio Napo ansteuern, wo wir hofften, eine Möglichkeit zu schweissen zu finden.

Zuerst nutzten wir am Morgen den leichten Rückenwind, um segelnd unsere Geschwindigkeit etwas zu erhöhen, aber der Spass währte nur kurz, weil erstens der Wind schnell wieder nachliess und zweitens die erste grosse Kurve des Final-S des Rio Napo uns den Wind aus den Segeln nahm. Wiederum mussten wir in der Kurve achtgeben, nicht einen der vielen aus dem Wasser ragenden Hölzer zu rammen, die wie erbärmliche, nackte Marionetten durch die Strömung immer dieselbe Bewegung machen, als ob sie uns mahnen wollten, ihnen nicht zu nahe zu kommen. Und diesen Ratschlag befolgten wir gerne. Kurz vor Francisco de Orellana steuerte Sam unser Floss nochmals auf eine Sandbank, sodass wir es mit unseren Palos wieder aus der seichten Stelle würgen mussten. Mit einigem Kraftaufwand gelang uns dies recht gut.

Schon von weiten sahen wir einen Sendemast, der uns anzeigte, wo der angepeilte Ort liegt, aber wir mussten feststellen, dass er unterdessen nicht mehr am Fluss liegt und nur noch über ein Rinnsal erreichbar ist, aber ganz sicher nicht mit unserem Floss. Schliesslich erreichten wir den mächtigen Amazonas, ohne eine vernünftige Zufahrt zu diesem Ort, der gleich gross wie Mazan sein soll, zu finden. Aber unterdessen war unser Blick auf ein riesiges Schiff gerichtet, das scheinbar in einem Hafen liegt, auf jeden Fall schien es sich nicht zu bewegen. Allerdings hatten wir zuerst einige weitere seichte Stellen zu durchfahren. Sam prüfte den Wasserstand, während ich versuchte, den aus dem Wasser ragenden Ästen und liegenden Bäumen möglichst gut auszuweichen. Dabei musste die improvisierte Steuerung möglichst schonend behandelt werden, um sie wenigstens überhaupt nutzen zu können.

Jetzt verfolgten wir eine neue Absicht, nämlich jenes riesige Schiff zu erreichen, das im Sand steckengeblieben zu sein schien, denn dort erwarteten wir, dass eine Schweissanlage nutzbar ist. Wir hatten den Amazonas längst erreicht und begossen dieses Ereignis mit einem Rum-Cola und versuchten jetzt, uns sehr vorsichtig diesem Öldampfer zu nähern. Der Amazonas war auch in der Nähe des still stehenden Schiffes erfreulich tief, sodass es kein Problem war, am kleinen, aber kräftigen Steuerhilfsboot anzulegen. Zuerst war man nicht besonders erfreut über unsere Ankunft, aber man rief den Kapitän, als wir unser Problem schilderten. Ein Mitarbeiter hatte uns unterdessen längst mitgeteilt, dass sie ganz in der Nähe über ein gutes Schweissgerät verfügen würden, aber der Kapitän lehnte vorerst eine Hilfe kategorisch ab. Erst als Sam das Steuerruder ausgebaut hatte und das wirklich minime Problem zeigte und der kooperative Matrose ihn aufgeklärt hatte, dass ein Schweissgerät in unmittelbarer Nähe betriebsbereit sei, stimmte er unserer Anfrage zu. Während der Matrose die Schweissarbeit eigenhändig erledigte, interessierte sich jetzt der Kapitän umso mehr für unseren Abenteuertrip („expedition“). Er klärte uns auch auf, dass Manaus nur flussaufwärts über den Rio Negro erreichbar sei – wir fanden später heraus, dass dies tatsächlich stimmt, aber es handelt sich nur um 15 km, die wir auch flussaufwärts schaffen sollten. Wir fanden auch heraus, dass die El Manati nicht etwa auf Sand aufgelaufen, sondern beim Einfluss des Rio Napo in den Amazonas in ein schweres Gewitter gekommen ist, sodass der Anker weggerissen wurde (!) und das riesige Schiff deshalb auf Sand aufgelaufen ist. Jetzt wartet der Kapitän wie damals wir auf ein Hochwasser, sodass sich das Schiff wieder bewegen lässt.

Unterdessen wurde das abgerissene Teil netterweise wunderbar wieder angeschweisst, sodass die Steuerung wieder perfekt eingerichtet werden konnte. Es war nicht ganz leicht, wegen der Strömung, die unter dem Schiff durchführte, ohne Schaden zu nehmen wieder wegzukommen, aber schliesslich schafften wir es, entgegen der Strömung in den riesig breiten Hauptstrom des Amazonas zu navigieren. Ich sass unterdessen auf dem Mast, um einige Bilder des gewaltigen Schiffes zu schiessen, und dann konnten wir uns wieder treiben lassen, und dies in erstaunlicher Geschwindigkeit. Zeitweise waren wir mit 9 km/h unterwegs, so schnell wie sonst nur mit dem Gebrauch des Motors.

Das ruhig dahinfliessende Wasser des jetzt viel breiteren Stromes und die Freude, unser technisches Problem auf so elegante Weise gelöst zu haben, lud natürlich ein, weitere Rum-Colas zu trinken. Dazu schien die Sonne, der Amazonas zeigte uns heute sein freundlichstes Gesicht. Er lud mich auch ein für ein reinigendes und erfrischendes Bad, bevor wir uns nochmals einfach mit Käse und peruanischem Salami verpflegten. Das Anlegen am Amazonas war nicht schwieriger als am Rio Napo. Das die tropischen Temperaturen etwas herunterkühlende Gewitter blieb heute aus, jedoch nicht die Moskitos, die uns just zur Dämmerzeit wieder in unsere moskitosicheren Zelte trieben.

Was für ein erhabenes Gefühl, die Strecke auf dem Rio Napo geschafft und den mächtigsten Fluss der Welt erreicht zu haben! Die Strecke in den nächsten Tagen sollte etwas geradliniger verlaufen, sodass wir erwarten, schneller vorwärts zu kommen und vielleicht sogar noch Peru rechtzeitig verlassen zu können.

Km: 82‘087 (64)

So, 01.10.2017: Einfach nur viele pink-monströse und grau-elegante Delphine

Als mitten in der Nacht ein kleines Schnellboot nur dreissig Meter neben unserer Anlegestelle vorbeiraste, wurde ein Wellenschlag ausgelöst, der mich sofort aus dem Schlaf riss, sodass ich beinahe von meiner Luftmatratze kullerte. In diesem Moment hörte ich aber das Brummen eines grossen Schiffes, das direkt auf uns zuzukommen schien. Wie sollte das Floss nur diese bestimmt noch viel höheren Wellen heil überstehen? Tatsächlich passierte eine Nachtfähre in nächster Nähe. Es vergingen nur Momente, das schlugen die Wellen auch schon mit voller Wucht seitlich gegen die Balsas. Erfahrungsgemäss macht unsere Konstruktion aber die Bewegungen der Wellen mit, aber diesmal knarrte das Holz meiner Hütte bedrohlich. Ich fürchtete um meine Kücheneinrichtung – und tatsächlich verlor die Cola-Flasche das Gleichgewicht und stürzte mit einem Knall auf den Tisch und rollte gegen mein Zelt. Nach der ersten Wellenwand wurde es für kurze Zeit ruhig, bevor gleichsam des Echos eine zweite Wellenwand von der anderen Seite des Flusses gegen unser Floss prallte. Dies geschah gleich mehrere Male, aber mit jedem weiteren Ankommen der Wellen wurden sie gleichzeitig schwächer. Ich möchte noch gar nicht wissen, wie das auf dem noch viel breiteren Amazonas flussabwärts in Brasilien sein wird. Werden wir von Wellen überrollt werden?

Am Morgen waren wir erneut innert weniger Minuten wieder auf dem Fluss und liessen uns treiben. Aber die Dimensionen sind wesentlich grösser geworden. Ich hoffte natürlich auf eine ähnlich gute Strömung wie gestern, ich wurde jedoch enttäuscht. Lange Zeit dümpelten wir mit deutlich weniger als 5 km/h über die grosse Wasserfläche. Als wir dann langsamer wurden, startete ich den Motor und machte mich auf die Suche nach besserer Strömung. Erfahrungsgemäss lässt sich diese meist am Rande des Flusses finden, wenn das Wasser an der steilen Böschung versucht, weiteres Land abzugraben. Wenn mit Motor die 9-km/h-Grenze überschritten wird, kann man davon ausgehen, dass man ohne Motor mit 6 km/h unterwegs, und dies wäre eigentlich perfekt. Aber immer wieder gerieten wir in ruhige Wasser und kamen weniger gut vorwärts als ich mir erhofft hatte.

Natürlich gibt es in dieser abgelegenen Region der Erde kaum Tourismus. Bald erreichen wir aber das Dreiländereck zwischen Peru, Kolumbien und Peru mit seinen drei Ortschaften, die per Flug erreicht werden können und die Ausgangspunkt zu einigen einfachen Dschungelabenteuern sind. Unter anderem wird ein See angefahren, in dem man meist graue und pinke Delphine beobachten kann. Das erschien uns vor allem heute schon beinahe lächerlich, weil wir gleich mehrere Male diesen beiden Spezies begegneten. Die grauen, kleineren Tiere erscheinen meist in Gruppen in typischer Bogenform in grosser Anmut und Eleganz über dem Wasser, um sogleich wieder abzutauchen und sich unbestimmte Meter weit entfernt erneut zeigen. Die pinken Exemplare sind häufig monströs gross, sodass man beinahe Angst bekommt, wenn die riesigen, pinken Fleischberge die Wasseroberfläche durchbrechen. Meist sind sie schon von weitem zu hören, wenn sie die typischen Pfuff-Geräusche von sich geben und eher öfters auftauchen als die grauen. Allerdings ist es beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, die Tiere zu fotografieren, weil man nie weiss, wo sie das nächste Mal auftauchen. Wenn die Kamera schussbereit ist, sind sie bereits wieder abgetaucht oder schnell zu weit entfernt. Es ist natürlich schon grossartig, wenn man quasi en passant diesen Tiere immer wieder, heute gleich mehrmals, begegnet. Natürlich hilft es, wenn wir uns treiben lassen und der Motor nicht läuft, so kann es gut vorkommen, dass sie unmittelbar vor dem Floss nach Luft schnappen.

Die Fahrt an sich war wenig ereignisreich, der Fluss ist weit und riesig und scheinbar einfacher zu befahren, vor allem wenn die Strömung nicht grösser ist. Ich war lange Zeit am Musik hören, begann später die Unfallversicherung für unsere Motorräder, die im im Februar in Santiago abgeschlossen und schon seit Monaten abgelaufen ist, per Photoshop zu fälschen – aus einer 4-Monate-Versicherung wird eine Ganzjahresversicherung, die uns vor allem in Brasilien einiges an Kosten sparen wird.

Schon am Mittag kochte ich eine grosse Portion Pasta, wieder einmal. Ich war so satt, dass ich mit einem Bier nachspülen musste. Wiederum war es leicht, einen Ankerplatz zu finden. Die letzte Stunde vor der Dämmerung ist immer die schönste, weil sich die Sonne hinter dem orange-gelb-blau-purpur leuchtenden Amazonas versinkt. Gleichzeitig sollten jedoch alle kleinen Arbeiten erledigt sein, denn wir wissen, dass die Mücken wie auf ein Signal in Heerscharen wie aus dem Nichts auftauchen, und dann ist es empfehlenswert, sich bereits im Zelt verkrochen zu haben.

Km: 82‘155 (68)

Mo, 02.10.2017: Segelnd Rekordweite geschafft

Es ist ein Buch mit sieben Siegeln herauszufinden, wo die Strömung im Amazonas am stärksten ist. Gleich am Morgen waren wir sehr langsam unterwegs; dies war weiter nicht schlimm, weil ohnehin die kulinarischen Routinearbeiten anstanden. Wir wollten möglichst rasch Pebas erreichen, einen kleinen Ort mit Flughafen (!), wo der Amazonas wieder eine starke Biegung nach Süden macht.

Schon zuvor startete ich den Motor, um endlich etwas Strecke zu machen und die Elektrogeräte wieder etwas aufzuladen. Schnell hatte ich eine gute Strömung gefunden und war mit über 9 km/h unterwegs. Jetzt frischte der Wind von Norden auf, und dies bewog mich, noch etwas weiter mit Motor zu fahren, bis nach der Flussbiegung der Wind fast perfekt von hinten kam. Wir hissten die Segel, und erfreulicherweise blies es weiterhin von Norden und gab uns ordentlich Schubhilfe, sodass der Geschwindigkeitsdurchschnitt stetig stieg und schliesslich 6 km/h erreichte. Nachdem der Wind allmählich etwas nachgelassen hatte, blieb die Strömung aber dennoch erfreulich, sodass wir einen grossen Schritt gegen Süden machten und zehn Kilometer weiter als üblich kamen.

Auch heute hatten wir zweimal Glück mit seichten Stellen. Die erste konnten wir per Motor gleich noch rechtzeitig umschiffen, die zweite bemerkten wir beim Anlegen am Abend, sodass wir bei der Dämmung nochmals den Fluss überqueren mussten und jetzt nahe San José de Cochiquinas bei einem Haufen Altholz angelegt haben. Kreti und Pleti strömte zum Fluss, als wir unser Floss an einem alten, aus dem Wasser ragenden Baumstamm anbanden. Der übliche Small talk war angesagt, während sich die Moskitos allmählich über uns hermachten und wir deswegen bald unsere Zelte aufsuchten.

Erstaunlicherweise durchfuhren wir heute eine Region mit überaus wenigen Siedlungen, und auch der Schiffsverkehr war sehr minimal. Auch heute war ein wettermässig herrlicher Tag mit viel Sonnenschein. Lange sahen wir heute keine Delphine. Erst am Abend zeigten sie sich uns beim Zusammenfliessen zweier Flussarme gleich im Multipack. Es schien hier eine veritable Delphin-Zusammenkunft stattzufinden, und dies sogar beider Arten; wir kamen aus dem Staunen und Schauen kaum mehr heraus, nur das mit dem Fotografieren klappte auch heute nicht wirklich.

Und noch etwas: Heute haben wir den tausendsten Kilometer auf dem Wasser zurückgelegt!

Km: 82‘230 (75)

Di, 03.10.2017: Gefahren und Risiken

Natürlich stellte ich mir vor diesem Trip die Frage, wie ich mich am besten gegen Gefahren und Risiken dieses Abenteuers wappnen kann. Würden die Kontakte mit „wilden“ Einheimischen problematisch sein? Würden wir gesund bleiben oder übersteht mein Töff die Strapazen des Energiegebers oder ist das Floss genügend stabil gebaut?

Unterdessen habe ich am meisten Respekt vor Gewittern und den damit verbundenen, böenartigen Stürmen. Im Dampfkochtopf des Dschungels hatte sich in den letzten, wettermässig ruhigen, aber immer heisser werdenden Tagen der Druck permanent erhöht. Und je länger der Druck zurückgehalten wird, desto massiver ist die Entladung, die heute zur grossen Herausforderung werden sollte.

Der Tag begann fast wolkenlos mit einer über dem ruhig und friedlich fliessenden Amazonas herrlich aufgehenden Sonne. Wir waren noch nie früher wieder unterwegs, weil Sam noch früher als sonst aufstand – er hatte schlecht geschlafen und fühlte sich grippig und fiebrig, sodass ich heute die Führung des Flosses fast vollständig übernahm. Wiederum war es mein Ziel, mit effizient genutztem Energieaufwand möglichst weit zu kommen. Dazu nutzte ich den Motor, wenn die Strömung sehr flau war und machte mich auf die Suche nach grösserer Fliessgeschwindigkeit des Flusses. Dies gelang mir meist ganz gut. Zuweilen ist der Amazonas durch grosse Inseln in mehrere Arme geteilt, sodass man sich entscheiden muss, welcher die beste Strömung bietet. Es ist ein Buch mit sieben Siegeln, dies verstandesmässig herauszufinden, denn der Fluss hat unterdessen kaum noch Gefälle, wir befinden uns auf deutlich unter 100 m.ü.M. – notabene: Der Fluss ist noch mindestens 4000 km unterwegs bis in den Atlantik.

Zum ersten Mal passierten wir einige etwas besser entwickelte Dörfer, in dessen Hinterland riesige grau-braune Rauchschwaden den Himmel verdüsterten – offensichtlich wird hier Holzabbau betrieben, hoffentlich nicht in übertriebenem Mass. Am Mittag bekamen wir überraschend Besuch von zwei überaus netten, jungen Damen, die mit ihrem besseren Motorboot hinaus zu unserem dahintreibenden Floss fuhren. Unser Gefährt und natürlich auch wir wurden hundertfach fotografiert – wir werden wohl für die Titelstory irgendeines Käseblattes der Region hinhalten müssen. Wir waren überrascht über den mutigen, aufgeschlossenen Auftritt der beiden Hübschen, mit denen wir einige Zeit tratschten, die uns aber viel zu schnell wieder verliessen, zu gerne hätten wir die beiden gleich behalten.

Der Himmel schien sich für das Vergrauen des Himmels durch Feuer rächen zu wollen, als sich gleich mehrere Gewitter zusammenzogen. Ich war noch damit beschäftigt herauszufinden, ob der viel kleinere Flussarm uns schneller vorwärtsbringt und entschied mich im letzten Moment doch noch um, wohl wissend, dass sich vor mir die schwarzen Wolken besonders auftürmten. Ich dachte mir, dass das Gewitter vorüberzieht, bis ich jene grosse Kurve nach Süden erreiche. Tatsächlich blieb es auf meiner Linie lange Zeit hell, aber der Wind begann aufzufrischen und an unserem Floss zu rütteln. Aber dies war erst der Anfang. Als ich die andere Flussseite bei der Biegung nicht mehr erkennen konnte und die graue Wand uns rasend schnell entgegenpretschte, wusste ich, dass wir diesem Unwetter nicht ausweichen konnten. Ich wählte eine Linie nahe der Flussinsel, um notfalls landen zu können. Tatsächlich musste all unser Material, das nicht niet- und nagelfest war, in Sicherheit gebracht werden, aber im Nu wurde klar, dass der Wind nur eine Komponente der Gefahr ist, denn genau dieser schien das grossflächige Amazonaswasser in einen brodelnden Pfuhl zu verwandeln. Zusätzlich zum Wind begannen die immer höher werdenden Wellen an unserem Floss zu zerren. Dabei wurde ein offensichtlicher Schwachpunkt deutlich wahrnehmbar – unser Mast, der zwar mit fünf Seilen ins Gleichgewicht gebracht wurde. Aber dies reicht offensichtlich nicht. Diese Extremität des Flosses versuchte die Bewegungen der Wellen mitzumachen, die sich in der Höhe nochmals verstärkten. Der Mast riss jetzt an meiner Hütte, die bedrohlich knarrte und auseinanderzureissen drohte.

Da war sie also, die Gefahr, vor der ich mich am meisten fürchte. Der Wind blies in Orkanstärke direkt über den Fluss und schien immer noch höhere Wellen zu produzieren, welche unsere Balsas überschwemmten, an den Benzinfässern und Sams Töff rüttelten. Zwischen den Spalten unseres Bretterbodens spritzte Wasser wie in Fontänen nach oben. Wie lange sollte das Floss diesen Extrembelastungen standhalten? Anzulegen wäre wohl keine gute Idee gewesen, weshalb Sam mit der Flucht nach vorne begann, direkt gegen die Wellen zu stechen, sodass das Floss weniger grossen Belastungen ausgesetzt ist und vor allem die andere Seite des Flusses zu erreichen, wo das Wasser im Windschatten des Waldes steht. Aber der Amazonas ist breit, dazu hatten wir Gegenwind, und dies dauerte seine Zeit. Glücklicherweise zog jetzt aber das graue Regenband weiter, sodass mein Innenzelt nicht noch nässer wurde.

Tatsächlich erreichten wir die andere Flussseite wohlbehalten und gerieten sofort in eine unglaublich starke Strömung, die aussah wie eine kleine Stromschnelle. Der Sturm schien das Wasser in beschleunigenden Wellen stromabwärts zu heulen. Aber offensichtlich hatten wir das Schlimmste überstanden und navigierten dem steilen Sandufer entlang Richtung Süden. Natürlich wurde durch dieses noch einmal gut ausgegangene Erlebnis klar, dass der Mast dringend verstärkt werden muss, wollen wir das nächste Mal nicht in einer Katastrophe enden, denn eigentlich hatten wir noch Glück, weil das Gewitter uns nur am Rande erwischt hatte. Wir müssen auch überlegen, wie wir vermeiden wollen, dass sich die Blitze nicht unseren Mast als Ableiter verwenden, dies wäre nicht wirklich in unserem Sinn.

Unterdessen hat sich das Wetter längst beruhigt, wir haben am Flussrand angelegt; ein aus dem Wasser ragender Baumstamm hält unser Floss in der Strömung, sodass wir morgen nur ein Seil lösen müssen, um schnell weiterzureisen.

Km: 82‘307 (77)

Mi, 04.10.2017: Gefilzt

Als ich um halb drei Uhr bei einem Piss-Pitstop von unserer Bretter-Plattform mich meines gestauten Wassers entledigte, vernahm ich das Rauschen des Waldes, in den es intensiv hineinschüttete. Kaum hatte ich mich trockenen Fusses wieder in meinem Zelt in der Hütte bequem eingerichtet, erreichte der Schauer mit grosser Intensität unser Floss. Bei jedem starken Regen frage ich mich, wie lange mein genageltes Sperrholzdach wohl noch dicht hält. Aber auch diesen Morgen blieb es im Moskitoschutz meines Zeltes angenehm trocken, auch wenn es während Stunden nicht aufgehört hatte zu regnen.

Obwohl Sam sich nach wie vor nicht fit fühlte, stand er vor mir auf, zog die Fischerhaken an Land (und hatte sogar einen Mini-Bagre an der Angel), schnürte das Floss los und fuhr ohne meine Hilfe hinaus in den Strom. Ich hatte wenig Grund aufzustehen, denn draussen war es kühl und feucht, undenkbar, ein Feuer anzufachen und das übliche Frühstück zuzubereiten. Aber natürlich war ich längst ausgeschlafen, sodass ich doch bald aufstand. Ich schälte eine überreife Ananas, die als Vorfrühstück diente. Dann begann ich wegen des langsamen Tempos bald mit Motor zu fahren. Aber es blieb lange Zeit weiterhin grau. Der Horizont schien sich mit dem Grau des Niederschlags zu verschmelzen.

Es regnete immer noch leicht, als ich nach dem Entleeren des Wassers in unserem halben Fass endlich ein Feuer zustande brachte. Ein Vormittagskaffee ist auch nicht zu verachten. Dazu fritierte ich einmal mehr Bananen und kochte Kartoffeln für eine währschafte Rösti am Abend. Die wenigen Dörfer am Flussrand schienen von den Sumpfgeistern eingenommen worden zu sein und machten einen trostlosen Eindruck. Wiederum war ich auf der Suche nach der perfekten Strömung, die uns schneller vorwärtsbringt, meist wurde ich bald fündig. Am Nachmittag hellte es endlich etwas auf. Wir liessen uns an der schmaleren Stelle des Flusses friedlich treiben, als in Höllentempo ein Motorboot direkt auf unser Floss zufuhr, während ich auf dem Dach ein Bier trank.

Schnell war klar, dass wir kontrolliert würden. Drei mit Kämpferuniformen bekleidete, ziemlich unfreundliche und arrogante Soldaten legten an unser Floss an und betraten ohne zu fragen unser Floss. Der Oberchef meinte, dass wir in Chimbote hätten anlegen müssen, weil es sich hier um einen Checkpoint handle. Tatsächlich wussten wir von der Capitania de Mazan von diesem Ort, aber wie hätten wir herausfinden sollen, dass wir genau hier in Chimbote a

 angekommen sind? Natürlich wurden Pass und Fahrbewilligung auf dem Fluss verlangt, jetzt stellte sich heraus, dass es doch gut war, in Mazan zu einer solchen Bewilligung gekommen zu sein. Die Gesichter der Polizisten wurden jetzt noch griesgrämiger, und man suchte offensichtlich einen Grund, uns etwas Geld abzunehmen. Deshalb fiel die Diskussion auf das viele mitgeschleppte Benzin, für die eine Quittung verlangt wurde und die wir natürlich nicht vorweisen konnten.

Ich hätte wohl etwas geschmiert, um schnell wegzukommen, aber Sam spielte den Unwissenden und ging nicht darauf ein – mit dem Risiko, in Chimbote auf der Capitania festgehalten zu werden. Zudem suchte man an allen Ecken und Enden nach etwas, was wir nicht hätten dabeihaben sollen – zum Beispiel Drogen, aber natürlich wurde man nicht fündig. Zudem wären wir ja nicht blöd, solcherlei Dinge in unseren Koffern mitzutransportieren. Da gäbe es bestimmt viel bessere Verstecke, zum Beispiel unter dem Floss. Aber wir hatten diesbezüglich definitiv ein gutes Gewissen. Schliesslich sahen es die drei Aggressivlinge ein, dass hier nichts zu holen ist und zogen missmutig von dannen. Wir fuhren noch Weile weiter, befinden uns jetzt ganz nahe der kolumbianischen Grenze. Wir kommen momentan ausgezeichnet vorwärts. Übermorgen sollten wir die brasilianische Grenze erreicht haben.

Km: 82‘383 (76)

Do, 05.10.2017: Im Gewittersturm in Kolumbien ein Fass Benzin verkauft

Da soll mir doch mal einer sagen, dass er in Kolumbien schon ein Fass Benzin verkauft hat, ohne offiziell in diesem Land gewesen zu sein. Aber genau dies haben wir heute geschafft. Schon seit einigen Tagen versuchen wir mehr oder weniger ernsthaft, eines unserer gefüllten Benzinfässer loszuwerden, aus drei Gründen: Erstens um etwas leichter zu werden, um vor allem die linke Seite des Flosses etwas zu entlasten, zweitens weil wir nicht wissen, wie man an der brasilianischen Grenze reagieren wird, wenn wir mit drei vollständig gefüllten Fässern Benzin erscheinen – und schliesslich drittens weil es scheint, dass wir wirklich mit zu viel Benzin unterwegs sind, das wir bis Manaus nicht verbrauchen werden.

Nach einem überaus ruhigen Fahrtag mit angenehm zügiger Strömung vorbei an Caballococha in Peru und Puerto Nariño in Kolumbien – der Amazonas ist hier Grenzfluss – dachte ich eigentlich, dass wir den sich im Osten zusammenziehenden, rabenschwarzen Wolken ausweichen können. Aber dann ging es ganz schnell. Im Norden sah ich untrügliche Zeichen, dass uns ein neuer Sturm erreicht, denn ganze Sandbänke schien es hoch in die Luft zu ziehen. Ich hätte etwas schneller reagieren müssen und dem Sturm über den Fluss entgegenfahren sollen, denn mit den augenblicklich aufbrausenden Böen wurden die Wellen sofort unangenehm unruhig und immer grösser. Wir hatten am Morgen gut daran getan, den Mast mit zwei rechtwinklig zu den Balsas laufenden Seilen und zwei Spannseten zusätzlich zu sichern, um ihm bei Bewegungen des Flosses im Wasser weniger Bewegungsspielraum zu geben. Aber gleichwohl war es erneut ein banges Gefühl, gegen den Sturm beinahe mit Vollgas anzukämpfen und die andere Flussseite zu erreichen. Die je vier Balsastämme machen die Bewegungen der Wellen eigentlich prima mit, aber das Knarren der Hütte schmerzt in meinen Ohren, und immer frage ich mich, ob unsere Konstruktion auch diese Sturmesgewalt heil überstehen wird. Und noch ist der Amazonas nicht unendlich breit, sodass wir es tatsächlich schafften, die ruhigeren Wasser auf der kolumbianischen Seite des Flusses zu erreichen. Jetzt schüttete es dafür wie aus Kübeln, in Sams Plastikplanendach hatte sich im Nu literweise Wasser angesammelt, das über ein Loch wie ein Wasserfall zu Boden stürzte. In kurzer Zeit hatte ich vier längst leer getrunkene Zehnliter-Flaschen mit frischem Regenwasser gefüllt. Eigentlich sind wir konstant am Wassersammeln, aber das Regenwasser kann vor allem am Licht nicht zu lange gelagert werden, weil sich wegen sich vermehrenden Algen das Wasser leicht hellgrün verfärbt.

Wiederum hatten wir uns im letzten Moment aus einer schwierigen Gewittersituation befreit, die Wettergewalten sind momentan wirklich das einzige, was mir Sorgen bereitet. Wird es uns gelingen, immer so elegant auszuweichen oder Wind und Wetter ohne ernsthafte Probleme zu überstehen? Ist das Floss wirklich genug stark gebaut, um einen noch schwereren Sturm unbeschadet zu überstehen. Dabei habe ich natürlich weniger Angst um das Floss als vielmehr um uns und unser Material.

Auf der kolumbianschen Seite folgten wir im darniederprasselnden Gewitterregen dem Fluss Richtung Süden, erreichten bald die ersten Häuser von Santa Sofia und vermuteten, dass im schwimmenden Haus am Ufer des Ortes eine Fluss-Tankstelle sein könnte. Zwar war die Strömung hier sehr stark, und erst im letzten Moment konnten wir an das schwimmende Tankstellen-Haus anlegen. Sam fragte nach dem Gallonenpreis für Benzin – 12‘000 kolumbianische Pesos. Der nette Kolumbianer war schliesslich bereit, uns ein Fass für knapp 8000 Pesos pro Gallone abzukaufen, gegenseitig ein erfreuliches Geschäft. Wir nahmen 130 Fr. ein – in Ecuador hatten wir nur 110 Fr. bezahlt, und vor allem verloren wir das Gewicht eines ganzen Fasses Benzin. Das Zahlen war eine andere Geschichte, denn im Dreiländereck Peru – Kolumbien – Brasilien wird mit drei verschiedenen Währungen bezahlt – und so verschiedenartig sahen die Geldscheine, mit denen bezahlt wurden, auch aus. Wenigstens sind die momentanen Wertverhältnisse nicht allzu kompliziert. 1 US$ ist etwa so viel wert wie 3 Peru-Soles, 3 brasilianische Riais oder 3000 kolumbianische Pesos. Der Tankwart hatte nicht genug Bargeld, sodass wir uns für das fehlende Bargeld Poker-Bier und eine halbe Flasche Pflaumenschnaps kauften.

Wir verbringen diese Nacht in Kolumbien, weil wir auf dessen Flussseite angelegt haben. Allerdings war dies heute nicht ganz ohne, weil das Wasser hier nicht mehr ganz so tief ist. Ich befestigte das Seil hoch oben auf einem Bord an einem Baum – und eigentlich ist nicht damit zu rechnen, dass der Wasserstand des Flusses so stark sinkt, dass wir morgen von hier nicht mehr wegkommen. Nur noch 27 km trennen uns von Brasilien!

Km: 82‘455 (72)

Fr, 06.10.2017: Dreiländereck

Wir wussten am Morgen, dass wir diese Nacht auf der kolumbianischen Seite des Amazonas nicht am idealen Ort angelegt hatten, weil wir schon gestern gesehen hatten, dass verschiedene Hölzer aus dem Fluss ragen, die auf untiefe Stellen hinweisen. Trotzdem wollten wir nicht mehr flussaufwärts fahren und dort den Strom queren und suchten per Staken jene tiefsten Stellen, um uns zwischen den seichtesten Stellen hindurchschlängeln zu können. Es war ein Spiel mit dem Feuer (oder dem untiefen Wasser), aber schliesslich fanden wir einen Ausgang um Haaresbreite. Was für ein Gefühl, endlich wieder tiefes Gewässer erreicht zu haben.

Aber die Strömung war überaus schwach, und dann hatten wir uns zu entscheiden, welche der drei Möglichkeiten wir wählen wollen, um Santa Rosa in Peru zu erreichen, um dort unseren Pass abstempeln zu lassen. Die vorerst favorisierte, direkteste Zufahrt fiel sehr bald weg, weil der Amazonas sie mit Sand zugeschüttet hatte. Deshalb wählten die jene Strecke über eine weite Biegung in Kolumbien. Weil immer wieder Boote mit Touristen und Einheimischen passierten, waren wir zuversichtlich, auf dem richtigen Weg zu sein.

Auf Santa Rosa sahen wir die Capitania del Peru schon von weitem, wurden hier überaus freundlich empfangen. Unsere Papiere wurden geprüft, es wurde verwundert zur Kenntnis genommen, dass wir für unsere Fahrbewilligung je 93 Soles bezahlen mussten, dies ist gesetzeswidrig und nichts anderes als Korruption – wie ich es damals in Mazan vermutet hatte. Fünfhundert Meter weiter flussabwärts erreichten wir den kleinen Hafen von Santa Rosa. Einige Flosshäuser auf ihren gewaltigen Balsas standen schräg im Hang des Ufers. Es ist ziemlich leicht zu erkennen, mit welcher Gewalt dieser Strom daherkommen und die nächste Umgebung verwüsten kann.

Sam war zuerst unterwegs zur peruanischen Immigration, wo man tatsächlich feststellte, dass wir unser 30-d-Visum um zwei Tage überzogen hatten. Dank des Rechnungsfehlers des Beamten zahlen wir aber nur für einen Tage eine Busse von 4.50 Soles – 1.50 Fr. Leider gelang es Sam nicht, meine vorbereiteten abgeänderten Versicherungspapiere für Brasilien auszudrucken, weil der ganze Ort Stromausfall beklagte. Jetzt war ich an der Reihe und suchte die Immigration auf, während Sam aufs Floss achtgab – gleiche Prozedur, gleiche Busse. Santa Rosa ist kaum ein Besuch wert, ausser man interessiert sich für abendliches Rotlichtmilieu…

Jetzt wollten wir den Fluss queren und das kolumbianische, besser entwickelte Leticia erreichen, um zu diesen Kopien zu kommen. Deshalb fuhren wir im Schritttempo dem peruanischen Ufer des Flusses hoch, um genug Meter zu haben, den Fluss schräg bis ans andere Ufer zu überqueren. Dies klappte bestens, wir steuerten eine moderne Hafen-Entlade-Station an, wo man aber wenig erfreut über unsere Ankunft war und uns wieder wegschickte. Beim nahen Einfluss des Baches zu Leticias Malecon legten wir an einer metallenen, verlassenen Fähre an und wurden sofort freundlich von drei Kolumbianern empfangen, die sogar ein Auge auf unser Floss werfen wollten, wenn wir beide gemeinsam das Floss verlassen wollten. Sam war zu Fuss bald unterwegs zur Stadt, um zu den benötigten Kopien zu kommen, während ich auf dem Floss etwas ruhte (ich habe es ja auch wirklich streng im Moment…). Nach anderthalb Stunden kehrte er verrichteter Dinge wieder zurück. Es war unterdessen zu spät, schon nach Brasilien zu fahren, obwohl es sich nur um Meter gehandelt hätte, aber es ist wohl besser, Beamte am Abend nicht mit schwierigen Problemen zu stressen.

Deshalb suchten wir die Stadt nochmals auf, diesmal zu zweit auf der Suche nach Internet, um zu Hause wieder einmal Meldung abzugeben, wo wir stecken. Aber auch hier ist dieser digitale Service beinahe nicht zu gebrauchen, sodass wir in einem Restaurant landeten, wo wir zwei Filet Mignon und natürlich kaltes Bier bestellten und hier versuchten, uns der hier angenehm fortgeschrittenen Zivilisation wieder etwas anzupassen. Als ein Gewitter aufzukommen schien, machten wir uns über den Zugangsbach, vorbei an vielen auf Stelzen stehenden Häusern oder schräg an der Flussböschung hängenden Balsa-Häusern durch ein düsteres, ausgetrocknetes Flussgebiet zurück zu unserem Floss, das wunderbar noch hier stand und von den Metallbötlern sogar noch etwas bewacht wurde. Nochmals verbringen wir eine Nacht in Kolumbien – ohne offiziell hier eingecheckt zu haben, aber dies ist ziemlich normal. Überall sieht man bunt durchmischt Brasilianer, Peruaner und Kolumbier – und bezahlt wird problemlos mit allen drei Währungen.

Km: 82‘487 (32)

Sa, 07.10.2017: Ausgebremst von der Capitania do Brasil

Trotz des immensen Bootslärms am Morgen am Kanal, der zur Malecon von Leticia führt, schliefen wir (wohl wegen des beruhigenden) strömenden Regens tatsächlich bis fast sieben Uhr. Ich verzichtete wegen der himmlischen Feuchtigkeit auf den Kaffee, sodass wir schon bald ablegten vom auf dem Sand fest sitzenden, flachen Schiffsanhänger. Schnell passierten wir das gelbe, auf Balsas stehende Gebäude, welches die Grenze zwischen Kolumbien und Brasilien signalisiert, passierten im Nu den Ameisenhaufen von Menschen des Kleinhafens von Tabatinga und zogen wohl Hunderte von Blicken auf uns. Diese genossen wir wie immer, vor allem wenn wir die vielen Daumen gegen oben bemerken.

Wir suchten aber nach einer offiziellen Stelle, wo wir unser Floss ordnungsgemäss in Brasilien einführen können. Tatsächlich sahen wir das graue Boot der Policia federal, aber hier wurden wir weiterverwiesen zur noch etwas weiter flussabwärts liegenden Marinha do Brasil. Ziemlich am Schluss der vielen auf Balsas schwimmenden Häuser entdeckten wir den gesuchten Ort tatsächlich und wollten direkt am grauen Metallsteg anlegen, aber man schien uns nicht zu trauen und zeigte uns an, dass wir etwas links daneben an einem schlammigen Hang anlegen sollen. Zuerst sprachen wir mit einem jüngeren Uniformierten; dies war nicht ganz einfach, weil Portugiesisch und Spanisch doch nicht ganz gleich sind. Aber immerhin hörte ich zwei Wörter, die ich gerne und gut verstand: Permiso und temporal. Aber die Freude währte nur kurz, als ein ziemlich arrogant wirkenden Oberindianer in steifem Hut auf uns zutrat und uns mitteilte, dass erstens nach brasilianischem Gesetz Gefährte wie unseres nicht auf so grossen Flüssen unterwegs sein dürfen, und dies zweitens viel zu gefährlich sei, weil der brasilianische Amazonas (der hier übrigens Solimoes heisst) verseucht sei mit Drogenpiraten. Hammerschlag! Sollte unser Flosstrip hier wirklich zu Ende gehen?

So schnell wollten wir aber nicht aufgeben. Vielleicht sollten wir einfach an den falschen Beamten geraten sein. Wir erklärten dem Chef, dass wir zuerst einmal ordnungsgemäss in Brasilien einreisen und die Immigration besuchen wollten. Dies wurde uns gestattet, aber der Weg führte durch militärisches Gebiet, sodass man uns zuerst nicht passieren lassen wollte. Schliesslich wurden wir aber durch das Gelände geleitet, durchquerten ein schmuddelig-armseliges Tabatinga auf der Suche nach der Hauptstrasse nach Leticia und der Policia federal. Als wir hier ankamen, war Stromausfall, sodass man uns nicht einchecken konnte. Meine Stimmung war unterdessen ohnehin auf dem Tiefpunkt, weil ich mir schon Gedanken machte, ob die Risikogrenze jetzt erreicht ist, wenn neben den Unsicherheiten der Seetauglichkeit unseres Flosses uns jetzt auch noch Piraten das Leben schwer machen könnten – im wahrsten Sinne des Wortes.

Wir suchten den offiziellen Fährhafen auf, um uns zu erkundigen, wann tatsächlich die nächsten offiziellen Fähren nach Manaus ablegen – und die fahren tatsächlich beinahe täglich. Wir wollten auch unsere Motorräder offiziell in Brasilien einführen, aber gleich zweimal wurde uns gesagt, dass der Zoll am Wochenende nicht arbeitet. Nahe des Hafens assen wir einen Hamburger, ich trank gleich zwei Bier, um klarer zu sehen, was jetzt zu tun ist. Die Zuversicht, mit dem Floss weiterreisen zu können, ist nicht gross, vor allem als wir offiziell in Brasilien eincheckten und uns der Zollbeamte erneut dringend darauf hinwies, dass eine Fahrt dem Amazonas entlang Richtung Manaus definitiv zu gefährlich sei. Auch hier wurde uns kein Bewilligungspapier ausgestellt.

Etwas missmutig und ratlos wanderten wir zurück zum Floss (mit einem weiteren Halt in einer Bar), das unterdessen verschoben an einem anderen Ort stand. Wir wollten den Militärköpfen anbieten, unser Floss an die richtige Stelle zu rangieren, aber uns wurde gesagt, das sei viel zu gefährlich. Was für eine Schande und Arroganz! Sieht so brasilianische Gastfreundschaft aus? Jetzt stehen wir gleich neben der Marinha, Sam ist am Fischen, ich bin am Schreiben, vielleicht bringt Zeit Rat – wir werden wohl die Nacht hier verbringen. Es ist noch nicht definitiv entschieden, wie wir mit dieser etwas verzwickten Situation umgehen. Zuerst wenden wir einmal die Hinhaltetaktik an, bleiben einfach einmal hier liegen, überlegen uns aber, morgen zurück nach Leticia zu fahren – es sind nur zwei Kilometer flussaufwärts und dort schweren Herzens den ganzen Flosskasumpel möglichst gewinnbringend zu verkaufen. Sam hat den Entscheid etwas auf mich abgeschoben, wenn ich wirklich weiterfahren möchte, wird er mich natürlich begleiten, andernfalls werden sich unsere Wege wohl hier trennen, er wird keinesfalls per Fähre nach Manaus fahren und versuchen, seinen Töff hier zu verkaufen und auf direktem Weg nach Hause zu fliegen.

Wohl ein letztes Mal nutzten wir unser so perfekt und heimelig eingerichtetes Floss für ein ausgiebiges Pasta-Essen. Es ist tatsächlich Endzeitstimmung eingekehrt. Mit Rum versuchten wir, unserem tollen Gefährt die letzte Ehre zu erweisen.

Km: 82‘489 (2)

So, 08.10.2017: Verhaftet und vom brasilianischen Militär schändlich-dilettantisch behandelt…

Es sind die Geschichten, die das Reisen ausmachen, aber manchmal sind sie so haarsträubend und gleichzeitig unangenehm, dass man gerne darauf verzichten würde. Und heute war wieder einmal einer jener Tage, die gleichzeitig Höhe- wie auch Tiefpunkt sind, die man sein Leben lang nicht mehr vergisst.

Ich erwachte am Morgen schon überaus früh, es war noch dunkel, als ich mir schon Gedanken machte, wie meine Reise in nächster Zukunft aussehen wird. Eigentlich bin ich allmählich reif, wieder zu Hause zu sein, aber so billig wie Sam einfach abzuhauen und gleich sofort nach Hause zu fliegen, das will ich dann schon nicht. Die Mission ist noch nicht erfüllt – ich möchte meine Maschine nach Hause bringen, ein Ganzes schaffen, erst dann bin ich zufrieden. Aber noch bin ich so unglaublich weit von der Atlantikküste entfernt. Es war schon gestern Abend klar, dass unser Flosstrip hier sein Ende findet, was einerseits unglaublich wehtut, weil das mit so viel Liebe während eines ganzen Monats geschaffene Floss hier in Tabatinga in Brasilien bleiben wird und es wohl kein grösseres Natur- und Zeitlos-Erlebnis gibt, als sich auf einem Floss auf dem grössten Fluss der Welt während Wochen in Zeitlupe vorwärts zu bewegen. Während Sam heimfliegen wird, werde ich mit der kommerziellen Fähre in vier Tagen und drei Nächten nach Manaus reisen und dort entscheiden, welchen Weg ich nach Hause einschlagen werde.

So galt es heute, unser Floss irgendwo hinzubringen, um zumindest für den Materialwert einen Erlös zu erzielen. Für mich hat dieses zwischenzeitliche, so lieb gewonnene Zuhause einen grossen ideellen Wert erhalten, und gerne mache ich einem Einheimischen hier eine Freude, der unser Floss in Ehren hält. Wir liessen uns Zeit am Morgen, aus drei übrig gebliebenen, gekochten Kartoffeln gab es zusammen mit drei Eiern eine deftige Rösti.

Wir wollten jetzt die zwei Kilometer zurück nach Leticia fahren, um dort unser Floss an eine geeignete Person weiterzugeben. Deshalb informierten wir einen jungen Soldaten der Marinha do Brasil, dass wir jetzt gerne zurück nach Leticia fahren wollten. Aber die Erlaubnis wurde uns trotz langer Diskussion versagt – Sam kam ziemlich entnervt von der grauen Militär-Basis zum Floss zurück und meinte, dass wir genau jetzt schnell und sofort abfahren müssten. Das musste mir keiner zweimal sagen – und schon krochen wir langsam, aber mit Maximaltempo der brasilianischen Amazonas-Küste flussaufwärts zurück nach Kolumbien. Es war ein wahres Spiessrutenlaufen, weil wir jeden Moment erwarteten, dass eine Reaktion des Militärs erfolgt. Und die kam tatsächlich postwendend. Ich erblickte auf dem Dach sitzend das graue, mit zwei 115-PS-Motoren bestückte Motorboot, wie es unser Floss passierte und dann von hinten nahe fuhr und wir aufgefordert wurden anzuhalten. Wie dachten nicht im Traum daran, ihnen diesen Wunsch zu erfüllen und fuhren weiter zielstrebig weiter Richtung rettendes Kolumbien. Aber wir waren zu langsam unterwegs, weil die Strömung zu stark war, als wir einem in den Strom ragenden Schiff ausweichen mussten. Die Situation wurde immer brenzliger, weil das Boot mit den schwer bewaffneten Soldaten uns immer näher kam.

Deshalb änderten wir unsere Taktik und zeigten an zu wenden, aber nicht etwa, um zurück zur Basis zu fahren, sondern den Fluss zu überqueren und das rettende peruanische Ufer der Isla Santa Rosa zu erreichen. Wir waren längst auf peruanischem Staatsgebiet, aber leider immer noch im Fluss, nur noch zwanzig Meter vom rettenden Ufer entfernt, als es den Soldaten zu bunt wurde, die jetzt an unser Floss anlegten und ein Seil um einen stützenden Pfahl meiner Hütte banden, der natürlich genau hier nicht hielt, sodass er beinahe weggerissen wurde. Unterdessen hatte die vierköpfige Besatzung des Militärbootes unser Floss geentert, wir wurden angeschrien und mit mehreren Pistolen und einem Maschinengewehr bedroht. Es wurde definitiv brenzlig, die Luft zitterte vor einer unmittelbaren Eskalation. Und noch immer fehlten wenige Meter bis zum rettenden Ufer. Schliesslich schaffte es einer der Soldaten, den Schlüssel des Motorrades zu drehen, sodass unsere Maschine tot war.

Es blieb uns nichts anderes übrig als aufzugeben, obwohl die Militärs wohl ungesetzlich handelten, weil wir uns bereits deutlich auf der peruanischen Flussseite befanden. So trieben wir jetzt flussabwärts (wie wir dies ja so gerne noch länger getan hätten) und machten natürlich keine Anstalten, den Motor wieder zu starten, um zurück zur Basis zu fahren. Also versuchten die vier Militär-Dilettanten, uns abzuschleppen. Aber sie stellten dies so dämlich an, dass unser Floss immer schräg im Wasser lag, sodass es sich trotz Riesenbestückung an Motorenkraft weiterhin flussabwärts bewegte. Was für ein Lacher! Dann versuchten die drei Schlaumeier, unser Floss seitlich an ihr Boot anzubinden, liessen es aber viel zu locker, sodass wir wieder um keinen Meter Richtung Basis zurückfuhren. Was für ein Lacher! Unterdessen freuten wir uns an gleich mehreren Gruppen von pinken und grauen Delphinen, die grinsend das Schauspiel verfolgten und die brasilianischen HD Läpplis der Lächerlichkeit noch mehr preisgaben.

Natürlich versuchten sie, unsere Maschine zu starten, und schliesslich gelang es ihnen tatsächlich, dass sie das Prinzip mit unserem Holzgriffgas verstanden und sich mit diesem ja anscheinend so gefährlichen Gefährt und unserer Motorenkraft allmählich der Basis zu nähern. Schliesslich fanden die Dilettanten auch heraus, dass die Strömung am Flussrand weniger stark ist. Bravo!

Tatsächlich erreichten wir endlich die Basis, wo wir von einem ganzen Rösslispiel von hohen, grimmig dreinschauenden Militärs empfangen wurden. Gerne hätten wir Pass und Papiere vom Floss an Land mitgenommen, dies wurde uns aber verwehrt. Als wir auf dem Militärsteg ankamen und fragten, ob sie nicht gerne unseren Pass sehen wollten, wurde Sam zurück zum Floss geschickt, um die Papiere zu holen (die Dilettanten wurden mit bösen Blicken der Oberindianer traktiert).

Jetzt wurden wir wie Schwerverbrecher hoch zum bereit stehenden Polizeiauto geleitet, wo ich mich breitbeinig ans Auto stellen musste und grob auf den Hinterkopf gedrückt wurde, während man all meine Taschen durchsuchte. Jetzt wurden Pass, Geld, Kreditkarten, Handy, halt all die Materialien, die wir vom Floss mitgenommen hatten, auf der Motorhaube des Autos ausgebreitet und dutzendfach fotografiert. Das Geld wurde gleich mehrfach gezählt und die Beträge ins Protokollheft aufgenommen, natürlich schafften es die Beamten, mein und Sams Geld zu vermischen…

Anschliessend ging es zurück zum Floss, wo jede Ecke des Flosses nach Drogen abgesucht wurde. Halt, natürlich nicht jede Ecke. Wenn wir Drogen transportieren wollten, hätten die Militärköpfe zumindest ins Wasser springen müssen, um zwischen den Balsas zu suchen. Natürlich kamen Kameras und weiteres Geld zum Vorschein (natürlich nicht unter dem Floss…), vor allem wurde in unsere Effekten ein Riesendurcheinander veranstaltet. Nach wie vor verhielt man sich uns gegenüber überaus aggressiv, ich konnte nur dastehen, wie man den neu genähten Reissverschluss meines Zeltes zerriss – halt brasilianische Gastfreundschaft. Schliesslich hatte man all unsere Wertsachen gefunden und zusammengepackt. Und natürlich war da keine Spur von Drogen. Wir wurden erneut hoch zum Militärauto befohlen – und jetzt kam die nächste schwierige Situation. Ein Auto war mit einem Käfig (1x1x1m) ausgerüstet, und hier sollten wir beide wie Hochkriminelle jetzt Platz nehmen. Und jetzt wurde mein altes Problem zum Problem. Claustrophobia, dieses Wort wusste ich sogar auf Spanisch, und netterweise zwang man mich nicht, in diesen engen, wahren Käfig zu steigen – ich konnte mich eingerahmt von militärisch schwitzenden und dementsprechend riechenden Hilfsindianern in ein anderes Auto setzen.

Wir wurden jetzt zur Polizeistation gefahren, wo sich auch die Immigration befindet. Des Langen und Breiten wurden hier erneut all unsere Besitztümer ausgebreitet, gezählt, hundertfach fotografiert. Allmählich schien man zu erkennen, dass sie da nur zwei wirklich schuld- und harmlose Touristen festhalten. Und doch malte ich mir aus, was für Konsequenzen unsere natürlich durchaus etwas freche Flucht haben würde. Sollte ich des Landes verwiesen und zurück nach Peru reisen müssen? Es gab genau zwei (von wohl 20) Personen, die uns schon eine ganze Weile anständig behandelten und immer wieder das Gespräch suchten. Jetzt auf der Immigration erschienen auch zwei gut Englisch sprechende Beamte mit offensichtlich vergleichsweise übermächtigem Intelligenzquotient, die unsere Situation sofort verstanden und nur den Kopf schüttelten, als wir ihnen unser Vorhaben erklärten, nur weggefahren zu sein, um das Floss zu verkaufen.

Des Dilettantismus Krone wurde jetzt aufgesetzt, als plötzlich sämtliche Militärs verschwanden. Ich hätte zumindest ein Verhör erwartet, aber nichts dergleichen geschah. Wir diskutierten noch eine Weile mit den beiden Immgrationsbeamten über unsere Reisen, bevor einer jener etwas verständnisvolleren Militärs antrabte und uns zurück zum Floss brachte, wo wir eine Stunde Zeit hatten, die wichtigsten Effekten zusammenzupacken. Denn es wurde uns nicht mehr erlaubt, eine weitere Nacht auf dem Floss zu bleiben. Fluchtgefahr…

Dann wurden wir zurück zur Hauptstrasse des schmuddeligen Tabatinga gefahren, und erneut wurde die brasilianische Gastfreundschaft bewiesen, als wir mitten auf der Strasse auszusteigen hatten, um lange auf ein Taxi zu warten, das uns zurück ins viel sympathischere kolumbianische Leticia zurückbrachte, wo wir im Hostal Hippilandia eincheckten. Jetzt fiel die ganze Spannung von mir ab. Was für ein Tag! Was für eine Farce! Noch wissen wir nicht wirklich, wie wir unser Floss oder unsere Motorräder aus dem Militärhafen werden bringen können. Dies wird die Herausforderung für morgen sein. Aber jetzt war ich einfach nur nudelfertig. Nach zwei Bieren legte ich mich aufs Bett – was für ein Gefühl, nach über zwei Monaten wieder einmal in einem Bett zu liegen… – aber ich war noch zu aufgewühlt und schüttelte noch immer ungläubig den Kopf, wie uns heute geschah.

Und noch etwas: Es wundert mich überhaupt nicht, dass der Drogenkriminalität entlang des Amazonas kein Einhalt geboten werden kann, wenn man die ganzen Kräfte dafür verzettelt, zwei harmlose Touristen zu schikanieren und beinahe zu misshandeln anstatt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Km: 82‘493 (4)

Mo, 09.10.2017: Bem Vindos Schikaneria

Es ist Abend, und ich bin nervlich so ziemlich am Ende. Ich habe wohl in meinem ganzen, mittlerweile doch ziemlich langen Leben noch nie so viele Kleinhirne auf so engen Raum erlebt – und notabene: Ich habe nicht wenige Leerläufe in meiner minimalen militärischen Karriere mitgemacht, aber was hier abgeht, schlägt alles bisher Erlebte…

Es ist echt ein Trauerspiel und einfach unfassbar, wie uns geschieht. Es ist tatsächlich verwunderlich, dass wir unterdessen nicht auch noch grundlos in irgendeinem abgelegenen Dschungel-Kittchen gelandet sind. Dabei waren wir eigentlich vorsichtig optimistisch, dass wir heute einen Schritt weiterkommen. Wir fuhren per Taxi nach Tabatinga und erreichten zu Fuss den Eingang zur Militärbasis, wo unser Floss und unsere Motorräder gleichsam eingesperrt sind. Aber der Zutritt wurde uns verwehrt, sodass wir die nächste Querstrasse zum Fluss nahmen und uns über ein Privatgelände und über einen schlammigen Bach Zutritt zum militärischen Gelände verschafften. Tatsächlich wurden wir dabei nicht mit Waffengewalt bedroht. Über das wacklige Zugangsbrett schafften wir uns Zutritt zum Militärboot, wo man natürlich nicht wusste, wie wir jetzt vorzugehen haben, um unser Floss vom militärischen Sperrgebiet zu lösen.

Wir wurden aufgefordert, zum Hauptgelände der Capitania zu gehen und dort nach dem weiteren Vorgehen zu fragen. Dort liess man uns natürlich zuerst einmal lange warten. Aber im Hintergrund sahen wir, dass wohl unser Fall von mehreren Personen besprochen wurde. Wir wurden zu einem gut Spanisch sprechenden Militär gebracht, der uns erklärte, wie gefährlich eine Flossfahrt nach Manaus auf eigene Faust sei. Aber dies war uns ja längst klar, wir wollten endlich Lösungsvorschläge für unser wirkliches Problem haben, nämlich unser Material aus dem Militärhafen auszulösen. Er meinte auch, dass es verboten sei, diesen militärischen Hafen anzufahren, aber wie hätten wir das wissen sollen, wir wurden vorgestern ja wirklich immer wieder dorthin verwiesen.

Irgendwann schien sich tatsächlich eine Lösung anzubahnen, und wir fuhren auf der Ladefläche eines Militärautos zum Militärhafen, wo man uns den Töffschlüssel aushändigte, sodass wir flussaufwärts Richtung unser vorgeschlagenes Ziel, der Prayinha beim Markt fuhren. Aber wir kamen nicht weit. Wir hatten erst das neben dem Militärhafen liegende, mit Sand beladene Riesenboot umquert, als wir schon wieder aufgefordert wurden, an einem steilen, sumpfigen, absolut entvölkerten Wiesenbord anzulegen. Wie sollten wir hier unser Boot, das Benzin an den Mann bringen und vor allem mit unseren Motorrädern an Land kommen – unmöglich! Wir hatten also eine Autorisacion für genau 400 Meter erhalten, reagierten gegenüber dem gestrigen Stümper von Bootsfahrer (der es nicht schaffte, unser Floss zum Hafen zurückzuschaffen) ziemlich ungehalten. Wir wurden schliesslich aufgefordert, das Floss zurück in den Militärhafen zu fahren. Status quo! Wir fühlten uns einmal mehr ziemlich verarscht, weil man uns nicht erlaubte, den einen Kilometer zum Hauptstrand zu fahren, um endlich unser Floss aufzulösen. Deshalb fuhren wir zur Policia federal, aber die Englisch sprechenden Mitarbeiter konnten uns auch nicht wirklich weiterhelfen. Irgendwann erschien ein junger Amerikaner, der sich als Dolmetscher zur Verfügung stellen wollte, aber leider hatte er gerade jetzt keine Zeit, dabei hatten wir einen neuen Termin um 15 Uhr bei der Capitania, der zu einem neuen Ärgernis wurde. Wohl zum zwanzigsten Mal wurde uns gesagt, dass es gefährlich sei, den Amazonas hinunterzufahren. Wussten wir bis anhin noch nicht… Offensichtlich wollte man uns einfach nicht verstehen. Immer wieder wurden dieselben Bedenken geäussert, die längst nicht mehr zutreffen. Zuletzt kam der uns von gestern bekannte Oberindianer und erklärte uns in schnellem Portugiesisch, dass es gefährlich sei, ein solches Floss zu fahren – keine Spur von wirklichem Lösungsansatz.

So liegt unser Floss auch heute Abend alleine im Militärhafen. Morgen um zehn Uhr starten wir einen neuen Lösungsversuch, wenn wir mit einer Dolmetscherin erneut zur Haupt-Capitania fahren werden, um endlich wenigstens unsere Motorräder vom Floss schaffen zu können. Mitterweile bin ich so weit, das Floss einfach den ewigen Jagdgründen des Amazonas zu übergeben, es einfach fliessen zu lassen in ein ungewisses und nicht wie geplant ehrenhaftes Schicksal. Vielleicht schaffen wir es irgendwie, die zwei Fässer Benzin zu verkaufen und die Motorräder vom Floss wegzuschaffen im Sinne von: „Nach mir die Sintflut!“

Aber grundsätzlich war ich heute einfach nur entnervt und begann aktiv über Inkompetenz der Militärgeier zu fluchen, wohl auch nicht die richtige Reaktion, aber es ist einfach zu unsäglich, was hier momentan mit uns geschieht. Und wiederum: „Bem Vindos, Suicos, in Schickaneria!“ Mittlerweile ist mir die Reiselust in Brasilien so ziemlich vollständig vergällt worden. Wenn da nicht diese Art Mission fest verwurzelt in meinem Kopf sässe, würde ich wohl ebenfalls lieber heute als morgen nach Hause fliegen.

Da kam uns gerade recht, dass wir von Luciana, einer gross gewachsenen, netten Argentinierin, eingeladen wurden, beladen mit Aguardiente, einem Anisschnaps und einigen Bieren zu einem idyllisch gelegenen Hostal zu fahren, wo wir auf Simona, die hübsche Italienerin trafen, alles zusammen die perfekte Kombination, die Sorgen feuchtfröhlich hinunterzuspülen. Ich gab wieder einmal ziemlich Vollgas, übertrieben viel, wie ich nach Mitternacht feststellte, als ich schon ziemlich Schlagseite hatte, als ich aufs WC ging und schliesslich ganz ausfiel, der heilende Schlaf hatte mich übermannt… Erst gegen Morgen fuhren wir per Dreiradtaxi zurück nach Leticia, wo ich wie ein Stein gleichsam tot in meine Heja fiel.

Km: 82‘494 (1)

Di, 10.10.2017: Knoten gelöst

Es war ein unmotiviertes Aufstehen heute früh und zwar gleich aus zwei Gründen: Es ist wohl noch übler, sich verkatert um die Lösung eines verzwickten gordischen Knotens zu kümmern als in fittem Zustand. Um zehn Uhr trabten wir erneut beim Hauptquartier der Marinha do Brasil an, diesmal jedoch mit einer Dolmetscherin, der Frau des Amerikaners, der in Tabatinga eine Sprachschule führt.

Unterdessen waren wir von der Idee abgekommen, den Militärhafen fahrend (möglichst bis Leticia) zu verlassen. Deshalb wollten wir heute den Versuch unternehmen, über das private Gelände eines Bauunternehmers, der mit Sand im grossen Stil handelt, wenigstens unsere Motorräder und die beiden vollen Fässer Benzin wegschaffen zu können. Die Dame auf der Marinha stand dieser Idee positiv gegenüber, meinte jedoch, wir müssten mit dem Grundeigentümer zuerst verhandeln, ob wir sein Gelände betreten dürfen (was wir vorgestern bereits gemacht hatten, als wir von hinten über einen Schlammfluss aufs Militärgelände eindrangen).

Es ist wenig verwunderlich, dass uns dort Zutritt gewährt wird, aber erneut ziemlich ärgerlich, dass wir erst um halb drei Uhr nachmittags Zutritt zu unserem Floss erhalten sollten, weil erst dann militärische Wachpersonen verfügbar sind, die beobachten sollten, was wir mit unserem Floss wirklich machen… Womit wir für zweieinhalb Stunden vor dem Eingang zur Militärbasis warteten und wertvolle Zeit verloren, die wir gerne schon jetzt für den Rückbau verwendet hätten.

Aber da erschien das militärische Personal zusammen mit unserer Dolmetscherin endlich. Wir erhielten den Schlüssel meines Motorrades, der immer wieder konfisziert wurde (was nicht wirklich viel nützte, weil ich noch über einen zweiten Schlüssel verfügt hätte) und bewegten unser Floss zum letzten Mal per Motor zur sandig-schlammigen Rampe, wo Sam sofort begann, meine Yamaha wieder zurück in den strassentauglichen Zustand zu zurückzubauen. Es war nicht einfach, den schweren Rahmen von der Stelle zu rühren, um die Räder montieren zu können. Aber erstaunlich schnell stand meine Yamaha fahrbereit auf unserer Bretter-Wohnfläche. Ich hatte unterdessen viele andere Utensilien zusammengepackt, traurig die Fahne vom Mast heruntergeholt. Mit der Dolmetscherin war ich in Tabatinga unterwegs, um einen Ort zu finden, unser Benzin zu verkaufen. Tatsächlich fanden wir eine Person, die interessiert war, aber ich war in einer extrem schwachen Verhandlungsposition, sodass für 440 Liter Benzin nur 600 Reales (weniger als 200 $) herausschauen werden.

Über zwei schwere Bretter bewegten wir dann unsere Motorräder an Land und fuhren zum ersten Mal selbständig durchs brasilianische Amazonien. Das Hallo in unserem Hostal in Leticia war gross, als wir schwer beladen auftauchen. Töffreisende sind in diesem Landstrich halt doch eher selten, weil es keine Strassen gibt, welche diese Verkehrs-Entklave wirklich verlassen.

Während sich Sam am Abend am selben Ort wie gestern Nacht etwas vertiefter um Luciana kümmerte, quasselte ich einige Zeit mit Jessy, einer überaus nett-hübschen Bernerin, die zwar eher nach Jamaica aussieht und die ich am Samstag wohl auf dem Boot nach Manaus begleiten werde.

Km: 82‘508 (14)

Mi, 11.10.2017: Tschüss Floss

Gleich zweimal fuhr ich heute Morgen nochmals hinunter zu Tabatingas Marinha. Zuerst traf ich einen jungen Brasilianer bei der Sandbude, der mit einer altertümlichen Rostlaube eines Landwagens vorfuhr und mir die beiden Fässer Benzin zur Stadt bringen wollte.

Ich hatte Glück, weil ein Bagger daran war, Lastwagen mit Sand zu beladen. Es war ein Leichtes, damit die beiden Fässer vom Floss hochzuheben und auf der Ladefläche des Lastwagens abzuladen. Unter meiner Führung leitete ich den Camion zu einer Baubude, wo wir die beiden Benzinfässer abluden. Der Chef war typisch südamerikanisch geschäftstüchtig und gab mir statt 600 Reals nur deren 500. Zudem zahlte ich 20 dem Bagger- und 100 dem Lastwagenfahrer, sodass nur noch 380 Reales (120 Fr.) übrig blieben, notabene für 440 Liter Benzin – kein wirklich gutes Geschäft, auch wenn wir für das Benzin in Ecuador auch nicht viel bezahlt hatten.

Später fuhren wir zu zweit ein letztes Mal zum Floss, um die letzten Wertsachen wie Seile, Pfannen, Wasser etc. mitzunehmen. Ein letzter trauriger Blick auf das Floss, und vorbei ist diese bewegte Geschichte meiner Reise. Das Floss wird vom Sandunternehmer wohl auseinandergenommen und das Holz für einen neuen Zweck gebraucht.

Am Nachmittag begann ich, mein Material neu zu organisieren, frisch zu packen, endlich einmal meinen Helm auseinanderzunehmen und die stinkenden Textilteile zu waschen.

Am Abend waren wir zu zweit auf der Gasse und begnügten uns mit Streetfood, der mir allerdings nicht besonders gut bekam. Eine Stunde später erwischte mich eine Durchfallattacke. Es war ein Highlight, dass ich in einem Souvenirladen tatsächlich ein Victorinox-Taschenmesser fand, das ich zu Schweizer Preisen kaufte. Dann trafen wir im Legends eine Gruppe Touristen, unter anderen Jessy und einen interessanten Typen, der fünf Monate in British Guyana war. Ich weiss jetzt, dass die Strasse hoch zur Nordküste Südamerikas in schlechtem Zustand, aber landschaftlich überaus reizvoll ist. Wir tranken lange Bier in diesem Pub, kehrten zurück zum Hostel, wo wir zusammen mit Jessy noch weiterdiskutierten – oder vor allem Sam seine ewigen Geschichten zum Besten gab.

Km: 82‘531 (23)

Do, 12.10.2017: Der Verkauf einer Honda

Ich fand heute endlich die Zeit, um meine vielen Fotos des genialen Flosstrips zu sichten und zu bearbeiten und war deshalb meist im Hippilandia. Sam war bald unterwegs mit seiner Honda, um sie möglichst schnell verkaufen zu können. Und tatsächlich schaffte er dies erstaunlich schnell. Wenn man denkt, dass er zu Hause für seine 98-er-Honda nur 3000 Fr. ausgegeben hat und sie unterdessen über 100‘000 km drauf hat, dann sind die zwei Millionen Peso (etwa 670 $) ein ganz akzeptabler Preis, den er dafür noch erzielt hat, vor allem wenn man bedenkt, dass er die Maschine möglichst schnell verkauft haben wollte.

Er kam deshalb ziemlich glücklich zurück zum Hostel und begann sofort mit der Suche nach geeigneten Flügen, aber dies ist hier eine Krux, weil das Internet nicht oder nur überaus langsam funktioniert. Den Flug nach Bogota buchte er deshalb im Hostel, erst in der Nacht, wenn das Internet zuweilen funktioniert, konnte er die weiteren Flüge nach Hause buchen.

Ich kaufte gegen Abend dafür eine alte, 80 cm grosse Holzmaske, die ich Sam morgen mitgeben werde – womit das Übergewicht des Gepäcks noch etwas erhöht wird. Natürlich gingen wir nochmals aus – erneut ins Legend’s, wo es die fettesten Hamburger gibt. Zurück im Hostel, speicherte ich meine Filme und Fotos auf Sams halbleere Festplatte als Backup.

Unsere gemeinsame Reise wird morgen zu Ende gehen. Interessant: Noch nie in meinem Leben war ich mit einer Person so lange unterwegs. Spricht ja schon dafür, dass wir eine gute Zeit verbrachten…

Km: 82‘540 (9)

Fr, 13.10.2017: Sams Abflug und Heimreise

Auf den Tag vor acht Monaten sind Samuel und ich zu unserem gemeinsamen Trip durch Südamerika gestartet, und heute endet dieser Reiseabschnitt. Es hat sich schon einige Zeit abgezeichnet, dass Sam immer reisemüder wird. Er hat sich nur noch für den Flosstrip motivieren können und wäre sonst wohl schon früher nach Hause zurückgekehrt. Es hat sich in Leticia schnell abgezeichnet, dass Sam mich nach Manaus nicht mehr begleiten wird. Und heute Morgen hat seine lange Heimreise mit dem Inlandflug nach Bogota begonnen. Er hat seine beiden riesigen Töffkoffer behalten und sie bis oben mit Material gefüllt – je 23 kg, zusätzlich schleppt er auch noch meine gestern gekaufte, hölzerne, 8 kg schwere Dschungelmaske mit – er wird wohl einiges Gepäcksübergewicht bezahlen müssen.

Kurz nach acht Uhr hiess es Abschied nehmen, es war kurz und schmerzlos, sein verschmitztes Grinsen galt bestimmt nicht mehr mir, sondern all den vielen Freunden, die er so lange nicht mehr gesehen hat und die ihm wohl ein heftiges Wiedersehensfest organieren werden. Tatsächlich haben wir uns in all den Monaten perfekt ergänzt, ich profitierte von seinem technischen Wissen und unglaublichen Improvisationstalent, ich gab ihm bestimmt eine meist angenehme Gesellschaft und zauberte so viele Male kulinarische Köstlichkeiten ins Lagerleben, und vor allem kam es eigentlich nie Diskussionen über die Reiseroute, da deckt sich die Lust zu etwas Wahnsinn fast zu hundert Prozent. Es war erstaunlich, wie wenig Geld wir in dieser Zeit verbraucht haben, natürlich auch, weil wir so häufig gezeltet haben. Dies hat schon ganz gut gepasst, auch wenn ich fast doppelt so alt wie er bin. Zuweilen wünschte ich mir die Fitness des 29-Jährigen, aber es war eigentlich erstaunlich, wie leicht ich habe mithalten können. Natürlich steigert sich die „Zwickhäufigkeit“ ins Alter immer mehr, einmal war’s der Rücken, mein Fuss ist noch immer nicht derselbe wie vor dem Unfall und wird wohl in einigen Monaten einen Arztbesuch bedingen. Im Moment zwickt’s im rechten (Kreuzband-)Knie, aber ich freue mich gleichwohl auf den nächsten Abschnitt – und ich werde zumindest eine Zeitlang nicht alleine sein. Zusammen mit der jungen Ghana-Italien-Bernerin Jessy werde ich ab morgen in vier Tagen nach Manaus reisen, und dort wird zu entscheiden sein, wie es dann wirklich weitergeht – in den Norden Richtung Guyanas, nach Süden Richtung Cuitaba/Buenos Aires oder in Richtung Osten an die Küste zu den Stränden, die ich in den letzten Monaten so vermisst habe. Dies scheint im Moment der Favorit zu sein. Es kann ja schon nicht sein, dass ich schon im November/Dezember nach Hause zurückreise, wenn die besten Strände Südamerikas in Griffweite kommen. Auch wenn ich mir im Moment wohl noch nicht vorstellen kann, wie gross Brasilien wirklich ist. Tausende von Kilometern werden zu fahren sein.

Ich war heute Morgen nochmals am Hafen Tabatingas, um mir ein Ticket für die morgige Schiffsfahrt zu kaufen (200 Reales = 65 Fr.). Dann besuchte ich schon das Boot, um herauszufinden, wie viel mich der Töfftransport kostet (weitere 300 Reales). Zurück im Hostel begann ich mein Material nochmals umzupacken, denn ich will, dass wir morgen zu zweit per Töff zum Hafen fahren, das möchte ich mir dann schon nicht entgehen lassen.

Am Nachmittag arbeitete ich nochmals eine Zeitlang an meinen Fotos, die jetzt fast blogbereit sind. Dann kauften wir gemeinsam einiges an Proviant ein, erfahrungsgemäss ist angebotenes Essen auf Schiffen Schlangenfrass. Dann verwandelte ich die übriggebliebenen Kartoffeln vom Floss in eine Rösti. Überaus netter, zweisamer Abend zusammen mit Jessy.

Km: 82‘546 (6)

Sa, 14.10.2017: Kreuzfahrt in Amazonien

Es war eine ziemlich verzwickte Aufgabe heute Morgen, all unser Gepäck so zu verladen, dass auch alles festgebunden werden konnte. Vor allem das viele Essen liess sich beinahe nicht „drucklos“ verladen. Aber Jessy reist recht schlank, sodass ihr Gepäck problemlos Platz hatte. Schliesslich waren wir kurz vor neun Uhr bereit, natürlich ziemlich schwer beladen, aber wir erreichten Tabatingas Hafen langsam, aber sicher.

Ich fuhr direkt zur Voyager V, wo ich herausfinden wollte, wie und wann ich mit meinem Töff auf das Schiff fahren kann. Es war umso besser, dass dies sogleich geschehen konnte. Diese Fahrt stellte mich vor eine kleine Herausforderung, weil ich unser Schiff gleich über zwei andere Schiffe erreichen musste. Die Brücke zum ersten Schiff war noch leicht zu befahren, die zweite war schon ziemlich schmal, ein Sturz wäre nicht ratsam gewesen. Die dritte, schmale Brücke führte steil hoch, sodass ich mich entschloss, Teile des Gepäcks bereits hier abzuladen. Das Hochfahren stellte sich dann als leichter heraus als erwartet. Mir wurde sofort ein Platz im vorderen, unteren Teil des Schiffes zugewiesen. Ich hatte jetzt eine Kopie der Zolleinreise-Papiere zu besorgen und bekam diese beim nahen Billett-Verkaufsschalter an Land. Hier versuchte man mir für 50 Reales eine Abfertigungsgebühr abzunehmen, aber ich kenne die Tricks der Südamerikaner allmählich und weigerte mich zu bezahlen, und tatsächlich ging es ohne.

Ich brachte die Papiere aufs Boot und wurde gleich zum Motorrad gebeten, wo zwei Marinha-Beamte mit einem Drogenschnüffelhund standen, die mich zuerst gleich mehrere Male fragten, was für Drogen ich dabei hätte. Ich hatte meinen Rucksack, die rote Tasche und einen Koffer komplett auszuräumen, und lustigerweise schien der Hund an einigen Stellen anzugeben, aber gefunden wurde natürlich trotzdem nichts. Nach der ziemlich lästigen Arbeit des Wiedereinräumens kehrte ich zurück zu Jessy, die oben am Hafen wartete, wo jetzt die Drogenhunde das Gepäck der anderen Passagiere untersuchten.

Auf dem Schiff bewohnen wir jetzt das oberste, offene Deck. Man reist hier per Hängematte, die man an Stangen an der Decke befestigt. Auf diese Weise haben in diesem eigentlich grossen Raum erstaunlich wenige Leute Platz, aber diese Reiseart empfinde ich als ziemlich gediegen, vor allem mit der überaus netten Begleitung, die mich zwar etwas zum Rauchen anregt (nach vierzig rauchfreien Tagen auf dem Floss), aber eigentlich passt dies ja so gut zu einer Schifffahrt.

Kurz vor ein Uhr ging der zweite Teil meiner Amazonas-Reise los. Sehr bald erreichten wir die vor Tagen verhängnisvolle Marinha, ich hielt Ausschau nach unserem Floss, das aber schon verschwunden war. Da war der Sandunternehmer aber schnell – oder die Militärs haben dreingefunkt und das ganze nette Boot schon entsorgt. Es war interessant zu beobachten, dass wir mit etwas mehr als der doppelten Geschwindigkeit als mit dem Floss unterwegs waren. Wir machten den Umweg über Benjamin Constant, machten dort einen kurzen Halt. Am Abend erreichten wir einen Posto Control in Cidade Nova, als gleich ein ganzer Schwarm von Marinha-Leuten das Schiff überschwemmte und mehrere Passagiere filzte. Eine überaus hübsche Beamtin kam mir nicht wenig verwunderlich bekannt vor, und tatsächlich erkannte sie auch mich. Wir hatten uns schon in Tabatinga getroffen, und sie erkundigte sich, wo denn mein Reisekumpan geblieben sei. Dabei hatte er sich ja nur in etwas Hübscheres verwandelt… Sie verlangte Pass und Papiere, aber diesmal war alles in Ordnung, dann wurde ich zum Töff gebeten, wo ich auch noch den silbernen Koffer auszuräumen hatte. Der Beamte fand tatsächlich ein weisses Pulver und riss dämlicherweise die Plastiktüte auf, aber auch er merkte, dass es sich nur um Mehl handelt.

Jetzt läuft brasilianische Schnulzenmusik auf dem Schiff, es ist dunkel. Männiglich hängt in den Hängematten, Jessy bereitet netterweise einen Thon-Salat zu, ich trinke ein Bier. Das Leben könnte schlechter sein.

Km: 82‘551 (5)

So, 15.10.2017: Friedlicher Amazonas auf halb gefüllter Voyager V

Während wohl sämtliche Passagiere auf Deck in ihrer Hängematte schliefen, packte ich meine bewährte Exped-Matte aus und zog es vor, in der Waagrechten zu schlafen. Der Wald scheint während der Nacht besonders stark zu atmen und frischt die tropische Luft auf, sodass ich gerne in meinem Seidenschlafsack lag, während Jessy sich in ihrer Hängematte dermassen einwickelte, dass ich glaubte, neben mir liegt eine Mumie. Sie musste in der Nacht aufgestanden sein und sich einen Pullover besorgt haben, um nicht zu frieren.

Sie schlief etwas länger als ich, sodass ich Zeit fand, eine Papaya zu schneiden und ein Müesli (!) zu essen. Jessy imponiert mir mit ihrer schüchtern-zurückhaltenden Art und scheint sich wirklich ernsthaft für meine Reiseerlebnisse zu interessieren. Sie war heute die erste, die meinen Floss-Blog zu lesen bekam, und sie tat dies mit wirklichem Interesse. Wir hatten einen lustigen Nachmittag, als wir am Schatten im Fahrtwind des Schiffes eine Flasche chilenischen Castillo del Diablo leerten. Es ist ja auch nicht ohne, als junge Frau alleine von Guatemala bis hierher gereist zu sein. Und von mir gibt es der Geschichten so viele.

Natürlich habe ich immer wieder den Fluss im Visier, der bis jetzt überhaupt nicht schwer zu befahren gewesen wäre. Der Amazonas (oder in Brasilien Rio Solimoes) ist zwar unterdessen noch etwas breiter geworden, fliesst aber friedlicher denn je dahin. Immer noch versuche ich, den Fluss zu lesen, die beste Strömung ist nach wie vor nicht leicht zu erkennen, aber auch ein grosses Schiff fliesst in der Strömung leichter dahin, um die 25 km/h ist dann die Maximalgeschwindigkeit, ohne Strömung um die 20 km/h. Am Nachmittag hellte es auch endlich etwas auf, wir sahen weit entfernt nochmals gleich zweimal graue Delphine, aber sie machen natürlicherweise einen grossen Bogen um unser Schiff, sodass man sie nur mit Glück erkennen konnte. Nur Piraten sah ich weit und breit keine, aber die wagen wohl auch nicht, ein dermassen grosses Schiff zu entern.

Diese Schiffsreise ist überaus friedlich, das Boot glücklicherweise nur halb gefüllt, sodass man viel Bewegungsspielraum hat. Wiederum begannen die Jungs gegen Abend Fussball zu spielen, zu gerne hätte ich mitgespielt, aber momentan scheue ich eine Verletzung und lasse es lieber bleiben. Eben legen wir in Jutai an; dieser Ort liegt in der Region, wo laut maps me der Amazonas besonders breit sein soll. Davon habe ich jedoch nicht viel gesehen. Der Wasserstand des Stromes ist momentan niedrig, viele Sandbänke sind sichtbar. Wie gesagt, der Amazonas wäre hier unten eigentlich leichter zu befahren gewesen, zumal auch die schweren Gewitter ausbleiben.

Km: 82‘551 (0)

Mo, 16.10.2017: Tausendster Kilometer seit Tabatinga

Touristen werden auf dieser Schiffsreise offensichtlich bevorzugt behandelt, die alle im oberen, überaus sauber gehaltenen Deck reisen. Natürlich kommt man auch in Kontakt mit diesen Leuten. Etwas schräg kommt mir jener Deutsche vor, der seit Jahren unterwegs ist und sich den Lebensunterhalt mit krummen Geschäften verdient, weshalb er auch schon einige Male im Gefängnis landete, aber mir einige Tipps zu den Guyanas geben konnte – ich kam gar zu einer Adresse des deutschen Konsuls in Georgetown. Wir lernten heute auch ein angenehmes, junges französisches Paar kennen, mit denen wir die zweite Flasche Castillo del diablo tranken. Die Lärmemissionen auf unserem Deck sind eigentlich erstaunlich klein, sodass ich recht gut schlafe auf meiner Matte.

Unterdessen haben wir auch vom Schiffsfrass gekostet, der besser ist als erwartet. Gleichwohl versuchen wir unsere Vorräte aufzubrauchen, damit die Ladung vernünftig wird, wenn wir hoffentlich morgen Abend dieses Schiff in Manaus verlassen. Natürlich ist man auf dieser Reise mehrheitlich zum Nichtstun verdammt, das Navigieren übernehmen andere, ich bin zum Passagier mutiert. Unterdessen habe ich trotzdem das Schifffahren allmählich satt, weshalb ich mir ernsthaft überlege, doch in den Norden zu den drei Kleinstaaten zu fahren, nachdem ich erfahren habe, dass nur der (allerdings ziemlich lange) Streckenabschnitt zwischen Lethem und Georgetown in erbärmlichem Zustand sein soll.

Das Reisen mit Jessy ist weiterhin überaus angenehm – mal schauen, ob ich sie noch überreden kann, mich in den Norden zu begleiten. Am Nachmittag streiften wir ein schwaches Gewitter mit einigen Regengüssen, die wir mit unserem Floss bestimmt auch problemlos gemeistert hätten. Unterdessen sind wir schon über tausend Kilometer auf diesem Schiff unterwegs, ich bekomme einen ersten Eindruck, wie gross Brasilien ist. Wir erlebten einen zauberhaften Sonnenuntergang, während die brasilianischen Jungs erneut Fussball auf dem Kleinfeld spielten, ziemlich spassig zuzuschauen.

Km: 82‘551 (0)

Di, 17.10.2017: Das lange Warten auf Manaus – und Jessy ist 27!

Seit Monaten stelle ich mir vor, Manaus im Zentrum des brasilianischen Amazoniens erreicht zu haben, weil ich weiss, dass ich dann einen grossen Schritt in Richtung Europa geschafft ist. Ich habe in den letzten Tagen aber auch erfahren müssen, dass die Distanzen in Brasilien unsäglich gross sind, und noch trennen mich Tausende von Kilometern von der brasilianischen Atlantikküste.

Der vierte Tag der Bootsfahrt war in dem Sinne anstrengend, dass sie schlicht langweilig war und ich es nicht erwarten konnte, endlich anzukommen. Das Getratsche der früh am Morgen wachen Brasilianerinnen weckte mich schon bald, dies hatte aber durchaus seinen Sinn, weil ich dann Zeit fand, für Jessy eine improvisierte Geburtstagstorte vorzubereiten, bestehend aus einer Scheibe Ananas, Bananenscheiben, Nutella, einigen Keksen und natürlich einer Kerze. Jessy erwachte kurz vor der Beendigung meines Werkes und freute sich rührend – 27 – was für ein junges Alter! „Que romantico!“, meinten die Brasilianinnen und liessen es sich nicht nehmen, ein Bild meiner „Torte“ zu schiessen.

Aber sonst war es vor allem ein Warten, Manaus endlich zu erreichen. Noch ein letztes Mal fuhren wir in ein heftiges Gewitter, das etwas Abkühlung brachte, aber die Landschaft mit dem nur wenig breiteren Fluss empfand ich als nicht mehr wirklich interessant. Da blieb nur die Erkenntnis, dass der zweite Teil unseres geplanten Flossabenteuers wesentlich weniger interessant gewesen wäre (ausser wir hätten wirklich Kontakt zu Piraten gehabt), und es wäre wohl wirklich einiges an Durchhaltewillen nötig gewesen. Es stellte sich heraus, dass meine Distanzschätzung von 3000 km fast auf den Punkt stimmte. 2948 km waren es schliesslich, und immerhin 1307 km davon haben wir wirklich per Floss zurückgelegt.

Im Verlaufe des Tages kamen wir auch noch in Kontakt mit drei jungen Travellern, die geknüpfte Armbändchen herstellen und auf diese Weise versuchen, sich ihre Reise zu finanzieren. Ich wurde auch nochmals zugetextet vom schrägen, manchmal delinquenten Deutschen, der mir den Kontakt des deutschen Botschafters in Georgetown/Guyana mitgab, den ich unbedingt besuchen soll. Ja, unterdessen haben sich die Ideen der Weiterreise wieder verändert. Ich werde jetzt doch in den Norden fahren und die drei Guyanas besuchen. Ich bin dann mal gespannt, wie leicht es sein wird, mit eigenem Fahrzeug (mit gefälschter Versicherung) einzureisen.

Gegen halb sechs Uhr erreichten wir die Metropole Amazoniens, und ärgerlicherweise musste ich die 300 Reales für den Töfftransport doch noch bezahlen. Die Abfahrt vom Schiff war nicht ohne, weil ich mit Vollgepäck eine 30-cm-Stufe hinunterzufahren hatte. Dann nahm Jessy auf dem Sozius Platz, und wir fuhren aus dem Hafen, wo ich noch eine Abfertigungsgebühr von 45 Reales für meinen Töff zu bezahlen hatte.

Es war ein Leichtes, das Local Hostel Manaus zu erreichen, schnell hatten wir schnell eingecheckt. Dann liess ich es mir natürlich nicht nehmen, Jessy an ihrem Geburtstag auszuführen. Bei der Opera Placa assen wir im Casa do Pensador (Was für ein Name!) eine hervorragende Pizza. Die vier Tage Schifffahrt lagen aber noch in unserem Gliedern, sodass wir schon früh die Heja aufsuchten.

Km: 82‘555 (4)

Mi, 18.10.17: Zwei Welten

Es war ein guter Schlaf, den ich in unserem klimatisierten Zimmer erlebte. Gleichwohl erwachte ich erstaunlich früh. Ich begann mich nach dem Frühstück meinem Blog Teil 37 zu widmen. Was für eine bewegte Zeit und was für ein Erlebnis, die vielen Bilder und Texte noch einmal zu lesen und mit der Veröffentlichung zu starten! Zum ersten Mal seit über zwei Monaten verfüge ich wieder über ein einigermassen funktionierendes Internet.

Am Mittag machte ich mit Jessy einen kleinen Stadtrundgang. Wir besuchten einen Markt am Hafen, wo wir einen fritierten Amazonas-Fisch assen. Das mit der Verständigung ist so eine Sache. Eigentlich empfinde ich die portugiesische Sprache als sehr melodisch und viel angenehmer und weicher als Spanisch, aber vor allem verständige ich mich hier vor allem mit Händen und Füssen. Jessys Spanisch ist etwas besser als meines und hilft.

Manaus‘ Zentrum ist etwas heruntergekommen und nicht wirklich sehenswert. Es gärt in den Strassen, die Bordelle sind schon am Nachmittag in Betrieb, und die netten Damen versuchten mich trotz meiner Begleitung anzumachen, natürlich ohne Erfolg. Später arbeitete ich nochmals am Blog, bevor wir am Abend nochmals ausgingen. Auf dem Platz von Manaus‘ Opera war die Hölle los, er war voll mit Einheimischen, die einer Hardrock-Band zujubelten, die mich an Hero’s del Silencio erinnerten. Wir tranken unseren ersten brasilianischen Caipirinha, wollten aber ein Fest in Ponta Negra besuchen. Es war ein etwas klammes Gefühl, durch die fast leeren Gassen Manaus‘ zu wandern. Am Hafen entschlossen wir uns, ein Taxi zu nehmen. Zur Ponta Negra war es viel weiter, als wir erwartet hatten, und hier sahen wir die zweite Seite dieser Zweimillionen-Stadt. Es war nicht wirklich ein Fest im Gange. Manaus zeigt hier sein zweites Gesicht, denn es handelt sich um den reichen Stadtteil, das uns eher an Miami als eine Dschungelstadt erinnert. Unglaublich grosszügig angelegte Promenaden sind bevölkert von joggenden oder sonst Sport treibenden Einheimischen, es wurden riesige Mengen von Sand hierher geschafft, um einen weiten Strand zu schaffen, auf dem noch des Nachts Beachvolleyball und Fussball gespielt wird. Wir waren vor allem erstaunt über diese Seite der Stadt, flanierten über die gepflasterten Boulevards. Aber es war eigentlich nicht das, was wir sehen wollten. Ich ass ein hervorragendes Eis, dann sassen wir einige Zeit am wirklich perfekten Flussstrand des Rio Negro, bevor wir per Bus ins alte Zentrum zurückkehrten, wo uns der Bus nahe unserer Unterkunft absetzte.

Km: 82‘555 (0)

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Kommentare: 9
  • #1

    Regula (Freitag, 20 Oktober 2017 22:04)

    hey sturzi –  schön zu lesen, dass du noch lebst! noch bevor ich alles lese – da bin ich wieder tagelang dran, da ich nicht alles auf einmal schaffe – will ich dir einfach sagen, dass ich aus der ferne schon mitgefiebert hatte und im netz sicher 2 mal dem flusslauf nachgegangen bin. und noch was: da war ich doch kürzlich in st.gallen im ultimo bacio und was seh ich da? die verkaufen einen kaffee mit dem namen "rio napo". ich dachte: das glaub ich ja nicht und machte grad ein foto davon (aber die kann ich hier gar nirgends anhängen, seh ich grad). auf die story mit dem tagelang auf einer sandbank sitzen bin ich ja gespannt – das klingt fast wie segeln im wattenmeer. wenn du dich da mit den gezeiten nicht gut auskennst oder zuviel wagst, kann dir sowas auch passieren. weiterhin viel sturziglück! liebe grüsse und alles gute, regula

  • #2

    Hifi (Montag, 23 Oktober 2017 01:38)

    Hola Urs

    Habe heute den ganzen Bericht gelesen und war hin und weg (bin es immer noch)! Es freut mich, dass euer Abenteuertrip zumindest aus 1307 - aus eigener Kraft zurück gelegten - Kilometern bestand.
    Caro und ich wünschen dir eine weitere erlebnisreiche Reise und vielleicht trifft man sich ja noch im Nordosten des Kontinents ;-)

    Liebe Grüsse aus Peru, Hifi

  • #3

    Regula (Dienstag, 24 Oktober 2017 23:05)

    auch ich hab's geschafft und alles gelesen – wow, du bleibst dir treu :-) das eine abenteuer jagt das nächste ...
    mir als skipperin gefiel dieser teil natürlich besonders gut – der unterhaltungswert war sehr hoch und ich nutzte jede freie minute zum weiterlesen – und das trocken liegen erinnert wirklich an zustände im watt. dort sind allerdings die wasserhöhen an die gezeiten gebunden und berechenbar. man weiss genau, wann man wieder freikommt –  ausser es weht tagelang ein wahnsinns westwind, der für höhere wasserstände sorgt.
    ich bin froh, versüsst jessy dir samuels abschied, das wäre ja sonst direkt ein wenig trostlos gewesen. welch ein glücksfall!
    nun wünsche ich dir noch einen fulminanten abschluss mit viel genuss nebst weiteren unvermeidlichen abenteuern. so bin ich ja z.b. gespannt, wie du den atlantik überquerst. ich hätte da noch einen kumpel, der dir mit seiner frachtschiffflotte unter segel zu einem weiteren abenteuer verhelfen könnte. ob's da jedoch eine zeitliche übereinstimmung geben würde, ist fraglich und wäre ein riesenzufall. aber guck dir doch mal seine seite auf fb an: https://www.facebook.com/pg/Fairtransport.Shipping.Trading/services/?service_id=1258779194152303&ref=page_internal
    lieber gruss aus dem herbstlichen riethüsli
    regula

  • #4

    Oli (Donnerstag, 26 Oktober 2017 20:04)

    hey Sturz und Samuel
    ...das war eine grosse Portion bester Unterhaltung! Besser wie jedes Reality TV.
    Wir haben uns immer gefragt ob ihr beiden wahnsinnig seid oder nur besonders naiv ;-) Aber ihr habt die Sesselkleber und Couchexperten mal wieder eines Besseren belehrt und gezeigt, welche Abenteuer auch heute noch möglich sind. Eure Geschichten und eure Bilder sind echt toll, es fasziniert schon zu sehen, wie ihr euch da durchgeschlagen habt. Mit so wenig Mitteln und so viel Improvisationstalent. Euer Floss hat voll besser ausgesehen, als so manches Schiff, dass da auf dem Fluss unterwegs war. Schön, dass wir mitlesen dürfen.
    Ich wünsche dir weiterhin alles Gute und pass auf dein Möfi auf - der Lifemech ist nicht mehr an Bord - jetzt wird's wieder knackiger :-) Auch Samuel wünsch ich alles Gute und gute Resozialisierung im anderen Leben.

  • #5

    yves (Montag, 30 Oktober 2017 06:37)

    Hallo Urs
    Lange mussten wir warten auf den wohl mit am meiste Spannung erwarteten Blog.
    Was ist geschehen in der Wildnis.
    Deine Geschichten wie immer ein Leckerbissen zum lesen. Spannung durch die ganze Geschichte.
    Wir sind froh das es dir gut geht und du deine Reise fortsetzen kannst. Mit Spannung werde ich deinen weiteren Verlauf verfolgen. ich wünsche dir weiterhin eine gute Reise und einen würdigen spannenden Schluss deiner Reise.
    alles gute yves

  • #6

    Caro (Montag, 30 Oktober 2017 16:16)

    Hey ihr beiden verrückten Jungs!
    Auch ich habe den Bericht voller Freude gelesen, nachdem ich wochenlang darauf gehofft habe, etwas von euch zu hören.
    Es freut mich ganz besonders euch kennen gelernt zu haben und dass wir den Anfang eures Wahnsinns-Abenteuers live miterleben durften. Urs, geniess weiterhin deine Reisen, und Sämi das «wieder-zuhause-sein». Wir sehen uns bestimmt mal wieder irgendwo auf dieser Welt – man trifft sich bekanntlich immer dreimal im Leben. ;-)
    Herzlicher Gruss (momentan aus Cusco, Peru)
    Caro Gufliger

  • #7

    iso. (Dienstag, 31 Oktober 2017 20:10)

    Suicos locos. Ich bin sprachlos. Das letzte Abenteuer des 21. Jahrhunderts. Ich lese umso faszinierter, je sicherer ich bin, dass ich das niemals wagen würde. Respeito e parabens! Und ehrlich: wir sind froh, dass ihr nicht in einem Kochtopf gelandet seid. Gute und sichere Weiterreise auf festem Boden!

  • #8

    hjb (Sonntag, 05 November 2017 12:06)

    ... freu mich natürlich auch, dass es dir gut geht und du nicht, wie hier in Oberbüren erzählt wurde, zwei Nächte in einem brasilianischen Gefängnis verbingen musstest.... wobie auch das wieder eine Geschichte wert gewesen wäre..

  • #9

    Ruth und Eugen (Montag, 15 Januar 2018 21:27)

    Hallo Urs,
    voller Spannung haben wir nach unserer Rückkehr aus Australien / Neuseeland Deine weitere Reise verfolgt-
    Wie froh waren wir als wir unterwegs von Christian hörten dass ihr das Floss-Abenteuer schadlos überstanden habt.
    Bei den Olgas haben wir fest an Dich gedacht! Nun sind wir gespannt bis wann Du wieder in der Schweiz ankommst.
    Es ist so unglaublich was Du und Sam so alles erlebt habt und wir denken dass dies kaum zu überbieten ist.
    Danke für all die tollen Bilder und Berichte. Gute Weiterfahrt und komm heil zu Hause an.
    Mit lieben Grüssen und den besten Wünschen für 2018
    Ruth und Eugen