Teil 11: China I    Naryn - Lhasa

Das China-Abenteuer ist passé! Zwar hatte ich in dieser grossen Höhe zuweilen mit Atemproblemen zu kämpfen und verbrachte einige beinahe schlaflose Nächte, aber glücklicherweise blieb trotz des extrem gedrängten Programmes gesund - wie auch mein Gefährt(e).

 

Tibet war etwas von Eindrücklichsten, das ich je unternommen habe. Die Landschaften waren zum Teil geradezu unwirklich, manchmal wähnte man sich auf dem Mond. Traurig gestimmt haben mich jedoch die Zustände in dieser Provinz Chinas. Es ist extrem viel Druck und Zwang spürbar. Die Behörden wussten in jedem Moment, wo wir uns gerade aufhalten. Unzählige Checkpoints waren zu überwinden, unserem Guide waren die Hände gebunden, auch nur leicht vom abgemachten Programm abzuweichen.

 

Über 6700 km war ich in 30 Tagen unterwegs, und die brachte mich an den Rand des für mich Machbaren. Es war unglaublich anstrengend, beinahe jeden Tag mehrere 100 km zurückzulegen, aber die Eindrücke waren gleichwohl so fantastisch, dass ich diesen Reiseabschnitt nicht missen möchte.

 

Jetzt bin ich in Muang Namtha in Laos. Die ruhige Art der Menschen in diesem Land brauche ich jetzt genau. Endlich kann ich mein Reisetempo selber bestimmen, auch wenn da noch ein Pferdefuss drückt - meine Kamera ist defekt, und ich werde deshalb wohl bald nach Bangkok reisen müssen. Aber da ist ja dann der Strand nah...

 

HIER kann du dich über das genaue Routing in China informieren.

So, 13.09.2015: Fahrt nach Naryn

Nachdem ich alle meine Siebensachen frisch organisiert und verpackt und auch die getrocknete Wäsche verpackt hatte, kam Edda nach zehn Uhr tatsächlich zum Riverside Guesthouse, und es entwickelte sich ein überaus interessantes Gespräch. Nicht nur Diana, sondern auch André sind äusserst interessiert an Eddas Projekt. André könnte sein Geschäft mit einer Skischule ausbauen, Diana würde gerne als hiesige Skilehrerin arbeiten und wird wohl Edda Skikurs besuchen. Gleich beide werden am Montag bei den Gemeindebehörden vorsprechen und Möglichkeiten abchecken, den Skilift bereits im November laufen lassen zu können.

Dieser Kontakt kam durch gleich drei Zufälle zustande. Erstens hatte ich vor zwei Wochen Edda in Arslanbob kennengelernt, zweitens Diana gestern bei den heissen Quellen und drittens traf ich gestern erneut auf Edda. Und alles lief über mich, und vielleicht bekommt Eddas Projekt dadurch neuen Schub… Zum ersten Mal auf dieser Reise habe ich das Gefühl, dass ich vielleicht irgendwann wieder hier bin, um an diesem Projekt mitzuarbeiten. Vielleicht bin ich momentan auch nur zu euphorisiert. Aber es kann sein, dass ich übernächsten Winter tatsächlich in Bivio, wo Edda als Skilehrerin arbeitet, sowohl sie als auch auf Diana treffen könnte.

Ich musste mich um die Mittagszeit fast zwangsweise aus der interessanten Diskussion lösen, denn es war noch eine üppige Strecke Töfffahrt geplant. Überraschenderweise hielt sich auch das Wetter ganz gut, vom angekündigten Regen war weit und breit nichts zu sehen. Weit nach zwölf Uhr ging’s dann endlich los. Ich folgte der Südküste des Issyk-Kul-Sees, der landschaftlich wesentlich interessanter ist als die Nordküste. Ich passierte einige ganz schöne, teils rötlich-rosa farbene Sandstrände, gleichzeitig beeindrucken aber in Sichtweite weiss gehutete, mit Gletscher bestandene, riesige Berge. Was für ein Gegensatz! Gerne hätte ich noch den „Fairytale-Canyon“ sowie einen Salzsee besucht, fand aber, dass die Zeit dafür nicht mehr reicht. Denn je weiter ich fuhr, desto bedeckter wurde es, aber von „himmlischem Wasser“ sollte ich verschont bleiben. Bald passierte ich jene Abzweigung mit direktem Weg nach Naryn, die ich aber nicht benutzen wollte, weil die Strasse in üblem Zustand sei. So fuhr ich Richtung Westseite des Sees, und mich empfing erneut jener starke, böige, unangenehme Wind, den ich schon bei der Hinfahrt kennengelernt hatte. Ich folgte der Küste über 200 km lang und war froh, endlich die Abzweigung Richtung Kochkor nehmen zu können. In Kochkor war die Polizei schon wieder bereit, um weiteres Bussgeld einzuziehen, aber diesmal war ich gewappnet und nicht zu schnell. Die ausgezeichnet ausgebaute Strasse führte jetzt in südlicher Richtung zum Dolon-Pass (3038 m.ü.M.). Auf der Rückseite des Passes wurde die im Neubau befindliche Strasse sehr schlecht, und ich kam nur noch langsam voran.

Ich erreichte aber Naryn mit seinen rötlich schimmernden Felsen nach sechs Uhr. Unterdessen hatte ich auch wieder Kontakt mit Mathias, die auch schon nach Naryn gefahren waren und sich bereits in eine CBT-Unterkunft eingemietet hatten. Diese ist in der Tat ganz speziell. Wir bewohnen nämlich eine ganze altrussische Plattenbau-Wohnung am Stadtrand. Nett-kitschige Bilder versüssen unser Dasein, wir können auch eine Küche nutzen, und Annika ist jetzt gerade daran, Reis mit Aubergine-Tomaten-Sauce zuzubereiten. Sehr guter Food! Auch das tschechische Zwetschenschnäpsli durfte nicht fehlen.

Jetzt ist China ganz nah. Yep, wir kommen!

Km: 16‘675


Mo, 14.09.2015: Die Ork-Kühe von Tash-Rabat

Nach dem Frühstück in der altrussischen Plattenwohnung ärgerte ich mich zuerst einmal. Mathias und Annika wollten auch heute vorerst ihre eigenen Wege gehen (CBT-Besuch, Honig suchen auf dem Markt,…), sodass ich mich erneut alleine auf den Weg machte Richtung Chinas Grenze.

Die Zufahrt zum Torugart-Pass fand ich zwar sehr schnell, aber Tash-Rabat fand ich weder auf meiner Karte noch auf google maps. Die Fahrt führte auf übler Strasse über den Kyzyl-Bel-Pass (2484 m.ü.M.). Die Passhöhe war bald erreicht, und ab hier war die Strasse auch viel besser ausgebaut. Ich erhielt Ausblick auf ein weites Tal mit massiven Bergen im Hintergrund, die in der Nacht bis tief herab verschneit wurden. Auch hier empfand ich die trockene Landschaft mit beige-rötlichen Hügeln im Vordergrund unwirklich, fremdartig, wunderschön. Je länger ich jetzt in diesem Tal leicht aufwärts fuhr, desto unwohler wurde mir, nicht etwa weil ich die Höhe nicht vertrug, sondern weil ich auf eine Abzweigung Richtung Tash-Rabat wartete. Schliesslich bog ich ab Richtung Kyzyl-Suu, kam in ein staubiges, ärmliches Dorf, wo man mir insofern weiterhelfen konnte, dass ich wieder auf die Hauptstrasse zurückkehren musste. Dies tat ich, aber ich war froh, diesen Fahrweg (?) endlich hinter mich gebracht zu haben. Aufs Geratewohl fuhr ich jetzt weiter Richtung Torugart und erblickte irgendwann kleine Baracken bei einer Kiesgrube, und siehe da, hier war ein Wegweiser Richtung Tash-Rabat. Noch 15 km! Die Schotterpiste führte geradewegs ins Gebirge, der Schnee kam immer näher. Endlich erreichte ich die drei Jurten-Siedlungen auf über 3000 m.ü.M., aber in keiner traf ich auf die beiden. Da machte ich mir tatsächlich schon Sorgen. War ja schon leichtsinnig, dass wir uns einen Tag vor der China-Einreise nochmals getrennt hatten.

Ich wollte warten und mir in dieser Zeit die zwar gut erhaltene, aber schlecht renovierte Caravanserai anschauen (100 Som). Caravanserais sind Übernachtungsstationen an der Seidenstrasse. Ich hatte schon in Armenien und im Iran solche massiv gebaute Anlagen gesehen. Auch hier wurden neben einem runden Zentralraum etliche Nischenräume angelegt, alles aus massivem Stein. Ich kann mir vorstellen, dass hier mancher einigermassen gefroren hat. Diese Anlage wurde bis ins 19. Jahrhundert während Hunderten von Jahren benutzt.

Ich wollte den steinernen Bunker gerade verlassen, als mir die zwei frohgemut entgegentraten. Was konnte ich machen, als auch gute Miene zum bösen Spiel machen? Wir bezogen eine Jurte in der dritten, obersten Siedlung. In der überaus schön eingerichteten Essjurte gab’s Tee, Brot, exquisite Konfitüre, Trauben (!) und andere kleine Leckereien.

Annika und Mathias wollten sich auf einen Biketrip talaufwärts begeben, während ich mein Motorrad vom Gepäck befreite, denn auch ich wollte möglichst weit hochfahren. Nach wenigen Kilometern wurde ich aber gestoppt durch ein Feld mit riesigen Felsbrocken. Genau hier versuchte eine Herde von eigenartigen Kühen, meiner Kameralinse zu entgehen. Diese braunen, grauen, beigen bis schwarzen Geschöpfe sind zum Schreien, sehen mit ihrem langen, zottigen Haar fast furchterregend aus und könnten der Ork-Generation entstammen. Es stellte sich heraus, dass es sich um Yaks handelte. Bald erschien ein Reiter, der die Tiere zusammen- und zu Tal treiben wollte. Die Stiere wurden mit Steinwürfen und Pfiffen talabwärts befördert, aber nicht für lange, denn sie büxten gleich wieder aus und rannten kilometerweit zurück zu ihren Kühen, sodass der Reiter sich nochmals auf dieselbe Prozedur einlassen musste. Es gelang ihm schliesslich, nicht nur die ganze Ork-Kuhherde Richtung Jurten zu bringen, sondern auf viele Pferde und Schafe – der Herbst ist da, die Tiere müssen zu Tal. Ich beobachtete eine ganze Zeitlang weit hinten im Tal dieses Treiben. Gerne wäre ich noch etwas weitergegangen, denn eine frisch verschneite Felswand sah sehr reizvoll aus.

Zurück bei den Jurten fuhr ich weglos die sanften Hänge immer höher, ich war ultravorsichtig, denn jetzt wäre der dümmste Moment eines Unfalls. War aber schon lustig, diese immer steiler werdende Alpweide per Töff zu erklimmen. Bei unserer Jurte genoss ich dann lange die herrliche Abendstimmung. Es dürfte zwar sehr kalt werden diese Nacht, aber eben hat ein Junge den Jurtenofen mit Kohle gefüllt – es wird wohl bald sehr warm in diesem Raum.

Wir assen unser Nachtessen in einem wunderbar beheizten, gut eingerichteten Wagen ohne Räder ein, Auberginen mit Tomaten, Salat, Suppe, Kartoffeln – ganz gut zubereitet. Dann alberte ich mit dem 19 Monate alten, kleinen Sohn Umar der Chefin herum, ganz lustig. In der Jurte hatte ich mir schon meinen Schlafsack zurechtgelegt, denn ich rechnete mit einer sehr kalten Nacht; zusätzlich deckte ich mich noch mit zwei dicken Decken zu.

Km: 16‘805


Di, 15.09.2015: Tag der Gegensätze mit der Einreise nach China über den Torugart-Pass

Es war tatsächlich bitterkalt diese Nacht. Es war äusserst unangenehm, aus der warmen Höhle herauszuschlüpfen. Draussen hatte es Rauhreif, sogar der Sattel des Töffs war gefroren! Nach dem Frühstück im warm geheizten Wagen machten wir uns um halb neun Uhr gemeinsam auf den Weg zur Grenze Chinas. Ich hatte mich beinahe maximal warm angezogen, die Griffheizung tat ihre guten Dienste. Wir hatten die Hauptstrasse Richtung Torugart-Pass bald erreicht und kamen auf der perfekt asphaltierten Strasse gut vorwärts. Allerdings wurde es nicht wärmer, weil die Strasse konstant leicht bergauf führte. Wir erreichten eine erste Passhöhe auf über 3200 m.ü.M., wir waren dem Schnee jetzt schon ganz nah. Und dieser machte die Landschaft extrem reizvoll, vor allem als wir den ersten Pass überschritten hatten. Wir fuhren ein auf eine Hochebene mit steckengeraden Streckenabschnitten. Gestoppt wurden wir vom kirgisischen Checkpoint, wo wir den Pass vorzuweisen hatten und registriert wurden. Das war ein kurzer Zauber, denn bald konnten wir weiterfahren. Ich hätte wohl meine GoPro-Kamera nicht einmal demontieren müssen, niemand interessierte sich für Bilder oder Kameras. Bald erreichten wir den tiefblauen Catyr Kul, einen grossen Bergsee unweit der Passhöhe. Wenn es auf dem Mond Seen geben würde, sähe es wohl so aus…

Kurz vor der Passhöhe des Torugart-Passes auf 3752 m.ü.M. erreichten wir die kirgisische Zollstation, wo unsere Pässe ohne Probleme abgestempelt wurden. Eigentlich hatte ich hier oben noch mehr Schnee erwartet, aber offenbar näherten wir uns jetzt der Lee-Seite des Gebirges, und hier war die Schneegrenze höher. Nahe der Passhöhe erreichten wir die erste Grenzstation Chinas. Hier wurden wir von Adi, unserem Reiseführer bis Yargilik, pünktlich empfangen. Es war gar ein Gaudi, dass wir uns mit den bewaffneten chinesischen Grenzwärtern fotografieren lassen durften… Bald passierten wir eine riesige Kolonne von Lastwagen und waren jetzt von der militärischen Grenzstation nicht mehr weit entfernt. Unsere Pässe wurden hier noch nicht abgestempelt, dafür durften wir ein erstes Mal unser Gepäck zur Durchsicht bereitstellen. Die hatten hier gar einen mobilen Röntgenapparat dabei. Aber auch diese Klippe hatten wir bald überwunden. Wir fuhren jetzt etwa 100 km auf sehr übler Strasse mit tiefen Schlaglöchern Richtung wirkliche chinesische Zollstation. Auf dem Weg machten wir eine kurze Rast für einen kleinen Lunch. Etwas vor halb fünf Uhr (wir hatten unsere Uhren unterdessen um zwei Stunden auf Peking-Zeit umgestellt) erreichten wir den wirklichen Zoll, waren aber etwas zu früh, weil die Beamten gerade am Essen waren und dann auch noch Stromausfall zu beklagen war…

Schliesslich wurden wir von Adi (oder Josh) kompetent von Stelle zu Stelle geführt, hatten bald unseren Stempel im Pass, nur die Customs-Stelle musste noch überwunden werden. Annika und Mathias liessen sie ihre prall gefüllte Essenskiste unbehelligt, mir nahmen sie aus unerfindlichen Gründen zwei Sardinenbüchsen weg… Aber schliesslich liess man uns auch hier passieren.

Es war im Anschluss sofort sehr auffällig, dass es in diesem Land viel mehr Menschen hat. Auch in den ersten Dörfern herrschte unglaublicher Verkehr auf den Strassen. Vor allem vor sehr ruhigen, elektrisch betriebenen Zweirädern hatte man sich sehr in Acht zu nehmen. Je mehr wir uns Kashgar näherten, umso grösser wurde der Betrieb. Es war mir ziemlich recht, unserem Führer einfach nachfahren zu können. Wir checkten ein im Oldtown Youthhostel (6 $). Glücklicherweise hatten wir rechtzeitig reserviert, denn es hatte sehr viele Leute im Innenhof, die offenbar auf ein Bett warteten. Ich belege jetzt ein Bett in einem Sechser-Dormitory. Natürlich hatte ich schon mehrfach meine Reisestory zu erzählen, denn ich hatte einen ziemlich eindrücklichen Auftritt, als ich mit meiner Maschine mit Schweizer Nummer in den Innenhof des Hostels fuhr.

Die Stadt kommt mir noch nicht sehr chinesisch vor, wir befinden uns im Land der Ujguren, wohl auch verwandt mit den Kirgisen. Die chinesische Regierung hat versucht, die Mehrheit der Ujguren in diesem Landstrich durch Zusiedlung von Han-Chinesen zu unterwandern. Immer  wieder kommt es zu schwerwiegenden Zwischenfällen. Mit den „Hans“ kamen nämlich auch Prostituierte ins Land, gut getarnt in Coiffeur-Saloons. Erst kürzlich wurden dreissig dieser chinesischen Freudenmädchen mit langen Messern in ihren Etablissements brutal erstochen – von ujgurischen Einheimischen, die diesen Zustand nicht dulden mochten. Die Mörder wurden gefasst – man kann sich selbst denken, was mit ihnen geschehen ist, Einkerkern war wohl noch die mildeste Massnahme. Ich werde also gleich zwei der chinesischen Provinzen bereisen, in denen es noch immer eine Widerstandsbewegung gibt. Autonomie, Freiheit und Unabhängigkeit ist das Losungswort der Region. Die Chinesen sind daran natürlich überhaupt nicht interessiert, denn hier gibt es besonders viele Bodenschätze, vor allem Erdöl und Erdgas, welche gnadenlos ausgebeutet werden. Die hiesige Bevölkerung hat wenig davon. Als Einheimischer träumt man von Wohlstand und Freiheit à la arabischer Staaten, die dank des Öls viel Geld verdient haben. So versinkt dieses Geld jedoch den Säckeln dieses Riesenstaates. Ich gehe davon aus, dass dieser spürbare Druck in der Bevölkerung in Tibet nicht minder spürbar ist…

Am Abend gingen wir gemeinsam auf die sehr betriebsamen Gassen Kashgars. Nachdem wir einen ATM fanden, der sogar Geld ausspuckte, flanierten wir durch den Markt. Das Essen in einem kleinen Lokal inmitten des Marktes war aber enttäuschend. Jetzt sitze ich im Hostel, es ist noch immer ein grosser Betrieb. Glücklicherweise kann ich aber überall gut schlafen…

Km:  17‘079


Mi, 16.09.2015: Bürokratie in „Ujguristan“

Ich erwachte eher zufällig um Viertel vor acht Uhr – es war noch stockdunkel. Wir haben hier „Beijing-Time“, aber viele der einheimischen Ujguren halten sich nicht daran und leben in der Kirgistan-Zeit. Ich erfuhr heute von Josh, das die Xinjang-Provinz noch immer ein Pulverfass ist. Viel lieber hätte man die Unabhängigkeit von China und könnte wohl dank der riesigen Ölvorkommen viel mehr von den daraus entstehenden Einnahmen profitieren. Letztmals kam es 2014 zu Ausschreitungen mit mehreren Toten. Tibet ist also nicht allein in seinem Schicksal. China versucht derweil, mit Investitionen in Strassenbau etc. die hiesigen Ujguren zu besänftigen, Josh meint aber, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis es zu einem grossen Aufstand käme.

Eigentlich wollten wir schon um halb neun Uhr auf dem Weg zu den Behörden sein, aber Josh verspätete sich. Es war diesig-dunstig heute Morgen, man hätte denken können, es handle sich um Smog, aber Josh meinte, dies sei nur Staub von einem Sturm der nahen Takelamagan-Wüste.

Wir waren darauf vorbereitet, dass es einen Tag des Wartens geben würde, bis alle Papiere in Ordnung waren. Tatsächlich wurde es halb sechs Uhr, bis wir endlich in Besitz von chinesischem Führerausweis und Nummernschild waren, beides billige, laminierte Karten in etwas vergrössertem Kreditkartenformat. Zu einer Prüfung hatte ich nicht anzutreten. Bei Mathias‘ Auto wurde wenigstens eine Testfahrt gemacht, die Bremsen geprüft und ein Feuerlöscher verlangt.

Zurück im Hostel trank ich ein Bier, wusch einige T-Shirts aus und telefonierte mit Hendrik. Der Stand der Lage ist, dass die Strasse bei Bomi immer noch verschüttet ist und wir wohl einen 1000 km langen Umweg in Kauf nehmen müssen.

Am Abend assen wir in einem ujgurischen Restaurant gutes Poulet in Sauce. Jetzt ist es bereits wieder nach Mitternacht – es gelingt noch nicht wirklich, sich an die Peking-Zeit anzupassen…

Km: 17‘144


Do, 17.09.2015: Überraschung – Willkommen im Himalaya

Eigentlich war ein einigermassen geruhsamer Tag geplant mit schliesslichem Hotelaufenthalt in Kargilik, aber jetzt sitze ich auf einer versifften Liege auf über 3900 m.ü.M., dazu stinkt es fürchterlich nach verbranntem Benzin des Generators. Annika hat ihr Daunenkissen hervorgenommen, solchen Luxus muss man sich auf solchen Höhen leisten können…

China hält uns auf Trab, und vieles scheint sehr chaotisch organisiert zu sein. Der Tag begann wenig aufregend. Nochmals freute sich die Belegschaft des Oldtown Youth Hostel (176 Y für 2 Nächte mit Frühstück) an meiner Maschine, dann ging es los Richtung Süden. Wir wollten Kargilik am Fusse des Himalayas erreichen. Hier sollte uns der Tibetführer empfangen. Es war recht kühl am Morgen, zudem wiederum diesig oder beinahe neblig, die teils wüstenhafte Landschaft erschien uns noch trauriger. Auf dem Weg kam bald Konfusion auf, weil es plötzlich hiess, es fehle noch ein Teil des Permits, und wir müssten nochmals zurück nach Kashgar fahren. Ich bekam davon auf dem Töff glücklicherweise nichts mit, schliesslich mussten wir auch nicht umkehren, weil das Problem offenbar doch in Kargilik gelöst werden konnte. Auf gut ausgebauter Autobahn wollten wir zuerst Yarkant ansteuern, erreichten diese wenig Aufsehen erregende Stadt nach dem Mittag. Das Mausoleum beguckten wir nur von aussen, dafür führte uns Josh in ein ausgezeichnetes Restaurant mit hervorragenden chinesisch-ujgurischen Gerichten. Jetzt waren es kaum mehr 80 km bis Kargilik, ich freute mich auf einen ruhigen Abend. Aber soweit sollte es nicht kommen.

Thoobten, unser Tibet-Führer, fuhr uns nicht etwa zum K2-Hotel, sondern zu einer Tankstelle, wo wir unsere Fahrzeuge mit Benzin zu versorgen hatten. Wir warteten hier einige Zeit, denn Thoobten besuchte nochmals irgendein Amt, um noch ein spezielles Permit zu ergattern. Als er zurückkam, bestand er darauf, dass wir uns schon auf den Weg Richtung Tibet machen sollten, weil die Aufenthaltsbewilligung für Xinjiang offenbar heute ausläuft. 150 weitere Kilometer sollten wir fahren bis zu einem militärischen Checkpoint, um dann in Tibet zu sein (was sich schliesslich auch als falsch herausstellen sollte). Bald fuhren wir in die Ausläufer des Himalaya-Gebirges ein. Grüne Grasbüschel wuchsen auf steinig-sandigem Hügeln. Sehr bald wurde es jedoch sehr gebirgig, und es ging steil bergauf zum Akezi-Pass (3350 m.ü.M.). Die Abfahrt auf der anderen Seite des Passes war beinahe noch imposanter, weil wir in eine veritable Schlucht einfuhren. Lange Zeit fuhren wir jetzt durch ein Tal, stiegen konstant leicht an und erreichten endlich den Checkpoint. Grimmige Gesichter empfingen uns, Thoobten war die Nervosität ins Gesicht geschrieben. Über ein Walky-talky wurde mit uns kommuniziert – eiskalte Stimmung. Aber unsere Papiere waren schliesslich doch genügend, passieren zu können. Eigentlich wollte ich jetzt möglichst bald irgendwo mein Zelt aufschlagen, Thoobten fand dies jedoch keine gute Idee, er meint, noch befänden wir uns in militärischem Sperrgebiet. Wenigstens heiterten uns einige auf der Strasse stehende, wuchtige, sympathische Kamele etwas auf. Was für Prachtsexemplare!

Aber mir graute vor dem, was mich jetzt erwartete. Die Strasse mit vielen kaum sichtbaren Schlaglöchern und den dauernden schweren Unebenheiten stieg jetzt gnadenlos an. Zudem wurde es immer kälter und dunkler, ja tatsächlich, es nachtete bereits ein. Zudem drohten schwere Wolken in den immer mächtiger werdenden Bergen, sich im nächsten Moment über uns zu entleeren. Die Strasse war nass und glitschig, viel Vorsicht war geboten. Je höher wir aufstiegen, desto dunkler wurde es. Die Unebenheiten auf der Strasse waren kaum mehr sichtbar, und ich musste das Tempo drosseln. Ich war jetzt scheinbar im wahren Mordor gelandet. Schwarze Felsen schienen einem die letzte Zuversicht zu rauben. Aber es kam noch schlimmer: Es begann zu nieseln, und der Nieselregen ging bald in leichten Schneefall über. Es war unterdessen stockdunkel, und noch immer stieg die Strasse an. Es musste hier erst vor kurzer Zeit massiv geschneit haben, denn die Hänge waren weiss überpudert. Glücklicherweise war die Strasse aber noch schneefrei, aber der Respekt davor blieb gross. Wenn sich da irgendwo ein Eislein bildet, ist die Katastrophe perfekt. Schliesslich erreichten wir endlich die Passhöhe auf 4950 m.ü.M. Es hatte unterdessen minus 4 Grad. Ich hatte kalte Füsse und eine linke kalte Hand, weil hier die Griffheizung ausgestiegen war.

Jetzt nur noch hinunter! Die Strasse war glücklicherweise erstaunlich gut. Es war steil, unaufhörlich ging es steil hinunter. Im Nu waren wir tausend Höhenmeter tiefer. Bei der erstbesten Siedlung machten wir Halt. Erbärmliche Hütten, aber wenigstens mit Kohle geheizt, standen hier. Eine Frau mit schmutziger Schürze empfing uns und zeigte uns einen besseren Bretterverschlag mit lausigen Matratzen, wo wir übernachten sollten. Jaja, das gehört wohl dazu, wenn man auf diese Weise reist. Bald waren wir im geheizten Gemeinschaftsraum, wo uns eine gute Gemüse-Nudelsuppe und Grüntee serviert wurde.

Es ist 01.15 Uhr, es ist kalt und ungemütlich hier, aber wenigstens gibt der Schlafsack etwas warm. Wenn ich mir hier nur keine Flöhe hole! Und um acht Uhr gibt’s schon wieder Frühstück, morgen dürfte uns eine weitere lange und kalte Fahrt erwarten…

Km: 17‘666


Fr, 18.09.2015: Wie abgelegen! Wie atemberaubend schön! Aber wie anstrengend!

Wenn wir in dieser Pace weiterfahren, können wir China in weniger als zehn Tagen verlassen. Aber das ist ja definitiv nicht das Ziel. Auch heute fuhren wir wesentlich weiter als ursprünglich geplant und befinden uns in Duoma, sind unterdessen definitiv im Tibet angekommen. Nach den gestrigen 522 kamen heute nochmals 598 km hinzu. Wie das? Tatsächlich müssen wir uns im Moment etwas sputen, denn die Durchreise auf der Südroute über Bomi während des zweiten Teiles unseres Chinaaufenthaltes wird wohl nicht möglich sein, weshalb wir einen beträchtlichen Umweg Richtung Norden in Kauf nehmen müssen.

Wir verliessen Mazar erst nach zehn Uhr, nachdem wir einige Konfusionen in den verschiedenen Reiseprogrammen klären mussten. Zudem wurde das Frühstück später als angekündigt serviert – Porridge und eine Art frittierte Brotstücke. Wir überquerten heute gleich mehrere Pässe, mindestens drei davon waren über 5000 m hoch. Wir folgten ab Mazar einem weiten Flusstal, bevor wir auf einer vorerst guten Strasse Richtung Passhöhe (4907 m.ü.M.) fuhren. Vor der Passhöhe war die Strasse noch im Bau, deshalb war wieder einmal Schotter fahren angesagt.

Auch heute war es so eine Sache mit dem Fotografieren; weil wir uns noch immer in militärischem Sperrgebiet befanden,  sollte eigentlich nicht fotografiert werden. Gleichwohl schossen wir natürlich unsere Bilder, aber immer in Abwesenheit von irgendwelchen Vierfruchtmenschen. Tatsächlich passierten wir auch Übungsfelder des Militärs, mit Haufen von Lastwagen, Kanonen und ganzen Kompanien von Soldaten.

In Xaidullao hätten wir eigentlich tanken müssen, man verlangte aber das Dreifache des normalen Preises. Ich hätte wohl trotzdem getankt, Mathias und Annika aufgrund des überrissenen Preises lieber nicht – so konnte ich mal testen, wie weit meine Reserve wirklich reicht. Tatsächlich reichte mein Benzin bis zum 140 km entfernten nächsten maroden Dorf, und natürlich verlangte man hier den gleichen Preis. So zahlte ich für eine vollständige Tankfüllung rekordverdächtige 300 Y. (fast 50 Fr.). Und noch immer waren ab diesem Dorf 360 km zu fahren. Wir durchquerten riesige Hochebenen, kamen kaum mehr unter 4000 Meter Meereshöhe. Die Landschaft ist extrem karg, aber doch abwechslungsreich, weil die überraschend gut ausgebaute Strasse immer wieder ansteigt und neue überraschende Aussichten freigibt. Die Strassen sind in den Flusstälern erhöht gebaut, damit die wilden Wasser bei schlechtem Wetter den Strassen nichts antun können. Schliesslich erreichten wir endlich den Checkpoint, von dem aus wir definitiv nach Tibet einreisen konnten. Es war unterdessen schon ziemlich spät, aber das immer wieder wechselnde Panorama erschien jetzt im besten Licht. Wir umfuhren einen hohen schneebestandenen, riesigen Berg und wurden überrascht durch den grossen, tief- bis türkisblauen Songxi-Gebirgssee auf weit über 4000 m.ü.M.. Dann wieder durchfuhren wir eine eher hügelige Landschaft, die im Abendlicht wie Perlmutt leuchtete. Das Gebirge leuchtete in den verschiedensten Farben – von grünlich über rot-rosa, beige bis schwarz. Unglaublich eindrücklich war aber vor allem, dass kaum eine Menschenseele dieses riesige Land berührt. Man fährt Dutzende Kilometer und trifft weder auf eine Siedlung noch auf einen Menschen. Wenn allerdings Menschen in der Nähe sind, herrscht das pure Chaos, Abfall an allen Ecken und Enden, in den maroden und schmutzigen Siedlungen gibt es keine Toiletten… Auch Verkehr gibt es praktisch keinen; nur einige Lastwagen mit zusätzlichen Fässern mit Diesel auf den Dächern und ganz wenige Personenautos begegneten uns; zudem auch einige wahnsinnige chinesische Radfahrer. Für Westtouristen ist diese Route gesperrt, ausser man reist geführt. Und dann waren da natürlich auch immer wieder militärische Fahrzeuge, die in irgendwelche Übungen verwickelt waren.

Ich konnte mich kaum sattsehen an dieser Landschaft, musste immer wieder anhalten für ein Foto. Und ich montierte verbotenerweise zum ersten Mal meine GoPro. Als die Sonne untergegangen war, sollten wir immer noch über 100 km zurücklegen. Dies ging jetzt im Eilzugstempo vonstatten. Kurz vor dem Einnachten erreichten wir Duoma. Wieder war ein Checkpoint zu bewältigen. Ich war absolut nudelfertig. Alles schmerzt, der Nacken von der kalten Luft (natürlich war es in diesen grossen Höhen empfindlich kalt), die Knie, die Handgelenke und der kleine linke Finger sowieso, den ich seit einiger Zeit nur noch mit Knacksen biegen kann.

Wir bewohnen eine saubere Unterkunft mit wohl acht Betten in einem Zimmer für je 70 Y. Annika versuchte sich einmal mehr im Herunterhandeln – brachte aber nichts ein. Dann gab’s ein Bier und Reis und Gemüse. Jetzt sitze ich im Bett, bin todmüde und möchte nur noch schlafen.

Km: 18‘264


Sa, 19.09.2015: Atemlos…

…durch die Nacht… Das war dann so eine Sache mit dem Schlafen. Zwar schlief ich wohl bald ein, aber ich erwachte schon um halb zwei Uhr und fand danach kaum mehr Schlaf. Offenbar setzt mir die Höhe dieses Ortes auf über 4300 m.ü.M. doch mehr zu, als mir lieb ist. Mein Körper setzt da wohl Warnsignale am falschen Ort ein. Denn kaum bin ich beinahe wieder eingeschlafen, meldet das Hirn Sauerstoffmangel und lässt mich aufschrecken, um geradezu nach Luft zu japsen. Dieser Vorgang wiederholt sich im Minutentakt, weshalb ich einfach keine Ruhe mehr fand. Ich versuchte alle möglichen Schlafstellungen aus, aber nichts funktionierte. Erst gegen Morgen dürfte ich nochmals für kurze Zeit weggedriftet sein. Aufgrund der Peking-Zeit wird es hier erst um acht Uhr hell, und ich war immer noch todmüde.

Missmutig und unzufrieden packte ich meine Waren zusammen und überlegte mir, wie ich nur diese Tausenden von Kilometern auf diesen Höhen überstehen würde. Zudem habe ich unterdessen die Änderung des Reiseprogramms studiert, und mir graut vor den unheimlich vielen Kilometern, die mich erwarten. Das wird eine Tour der Torturen, wenn nicht noch ein Wunder geschieht.

Heute war vergleichsweise ein ruhiger Tag, weil nur 230 km zurückzulegen waren. Aber ich war müde und nicht fit, die Höhe setzt mir wirklich grausam zu. Wenn ich nur in der folgenden Nacht meinen Schlaf wieder finden kann! Zudem war es bitterkalt heute Morgen, aber wenigstens schien glücklicherweise lange Zeit die Sonne, die mich wenigstens ein bisschen aufwärmen konnte. Und die Freude kam bald zurück, denn wir durchfuhren eine landschaftlich zuckersüsse Strecke. Vor allem die Gegend um einen riesigen See, den Zumunang Co, der bis nach Indien reicht, ist wunderschön. An den schönsten Stellen wehten zum ersten Mal die tibetanischen Fähnchen. Was für ein Bild: die farbigen Fähnchen vor dem tiefblauen See!

In Ali stiessen wir auf einen weiteren Checkpoint, danach bewölkte sich der Himmel immer mehr. Hier konnte ich auch nochmals auftanken. Nochmals führte die Strecke bis auf 5179 m.ü.M.. Kein Wunder, dass ich trotz meiner wärmsten Ausrüstung zu frieren begann. Gleichwohl erreichten wir Namru schon nach dem Mittag. Wir fanden im Hotel Post eine allerdings teure Unterkunft (280 Y pro Zimmer – fast 50 Fr.). Die Ruhe, das geräumige Zimmer und die herrlich heisse Dusche waren den Preis aber allemal wert. In einem nahen kleinen Restaurant assen wir einen ausgezeichneten Lunch. Jetzt versuche ich mich zu erholen, so gut es geht, denn die nächsten Höhepunkte folgen Schlag auf Schlag. Ich weiss nur eines: Dieser Trip wird mich wohl an meine Grenzen führen… Auf unserer Streckenführung hat es überhaupt keine Touristen mehr – kein Wunder, denn es werden einem viele Steine in den Weg gelegt, diese entlegene Region zu besuchen. Von den Landschaften bin ich tatsächlich begeistert, weniger vom Volk, von dem man sich wenig willkommen fühlt. In erster Linie versucht man, sich an uns zu bereichern. Es scheint, dass es zugezogene Chinesen sind, welche hier im Westen des Tibets geschäftlich am Ruder sind.

Zudem nerven die unsäglichen Checkpoints, welche ein beschwingtes Reisen so erschweren. Man realisiert, dass man sich in einer heiklen Region befindet. Tibets Menschen fühlen sich noch immer nicht als Teil von China. Aber der Staat unternimmt alles, dass die Landesgrenzen so bleiben, wie sie sind. Nicht einmal auf eine gewisse Autonomität können die Einheimischen hier hoffen. Es herrscht Kontrolle pur – big brother is watching you! Und solche Kontrollen und Einschränkungen der Freiheit liebe ich überhaupt nicht. Man ist den Behörden ausgeliefert, die jederzeit wissen, wo wir uns gerade befinden. Und eins macht mir etwas Angst: Dieses Land ist so unglaublich gross, wir haben erst einen Bruchteil der ganzen Strecke bewältigt. Wenigstens macht das Wetter bis anhin mit. Ich mag nicht daran denken, wenn es auch noch regnen oder schneien würde…

Km: 18‘495


So, 20.09.2015: Zanda

Ich schlief wiederum nicht gut und lag in dieser Nacht während wohl mindestens drei Stunden wach. Um vier Uhr schlief ich aber nochmals ein, erwachte aber schon um 7.15 Uhr in stockdunkler Nacht, wiederum machte mir die dünne Luft hier oben über alle Massen zu schaffen. So stand ich auf und begann, meine Sachen zusammenzupacken, aber ich fühlte mich schwach und unmotiviert. Ich hatte zum Glück alle Zeit der Welt, besorgte mir ein ganz einfaches Frühstück aus einem Laden. Es war stark bewölkt heute Morgen, es hatte in der Nacht gar geregnet, die nahen Gipfel waren weiss überpudert. Ich stellte mich auf eine kalte Fahrt ein und zog alles an, was irgendwie warm gibt.

Um 10.40 Uhr ging es dann los Richtung Namru. Gleich ging es hoch auf einen 4700 m.ü.M. gelegenen Pass, die verschneiten Berge waren hinter Nebelschwaden fast vollständig verdeckt. Je weiter wir Richtung Süden fuhren, desto mehr hellte es auf. Bald war Namru erreicht – natürlich war hier erneut ein Checkpoint, aber Thoobten, unser tibetanischer Führer, machte seine Sache auch diesmal gut. Wir zweigten hier von der Hauptstrasse ab Richtung Zanda, weil wir morgen Guge Kingdom besuchen wollen. Diese zusätzlichen 117 km waren überaus sehenswert. Zuerst stieg die Strasse bis zu einem 4900 m.ü.M. hohen Pass in vielen Haarnadelkurven hoch. Auf der Passhöhe war die Aussicht auf das Tal bei Namru überwältigend. Es wehten auch hier oben Dutzende von tibetanischen Gebetsfahnen. Wir fuhren ein in ein weites, trockenes Tal, dessen Seitentäler in vielen Kurven umfahren werden mussten. Der Höhepunkt sollte aber noch folgen. Nach einem weiteren Checkpoint etwa 20 km vor Zanda durchfuhren wir schroff-steile, von Erosion verwitterte Felsformationen, die etwas an Cappadocia erinnern. Nur  erschienen mir diese Berge noch viel massiver als in der Türkei. Unterdessen hatte es erfreulich aufgeklart, in der Ferne waren weisse 7000-er zu sehen. Wir schlängelten uns durch diese unwirklich erscheinenden Felsen und kamen immer tiefer, bis wir Zanda auf 3800 m.ü.M. erreicht hatten. Unterdessen war es richtiggehend warm geworden, und meine Pirelli-Männchen-Ausrüstung liess mich innerlich schmelzen. Zanda ist ein touristisch bekannter Ort, aber wegen seiner Abgelegenheit vor allem für Chinesen, aber die Preise sind hier deutlich höher als bisher. Für ein Hotelzimmer mit drei Betten, verteilt auf zwei Räume, bezahlen wir 500 Yuan (80 $). Ich begleitete Thoobten zur Polizeistation, wo wir registriert werden mussten. Man möchte konstant wissen, wo genau wir uns aufhalten. Das Wetter hatte einen guten Einfluss auf mein Befinden, ich fühle mich besser und hoffe, mich bald an diese Höhenlage gewöhnt zu haben. Wir diskutierten einige Zeit über das Routing der nächsten Tage und informierten Thoobten darüber.

Annika klagt seit gestern Mittag über eine Magenverstimmung, weshalb ich am Abend nur mit Mathias zum Essen ging. Ausgezeichnetes Poulet (inclusive Hühnerkopf und -füsse) und Gemüse, aber recht happig im Preis (180 Yuan).

Km: 18‘750


Mo, 21.09.2015: Guge Kingdom

Nachdem ich endlich wieder einmal gut geschlafen hatte (ich scheine mich an die Höhe zu gewöhnen), waren wir schon um halb neun Uhr unterwegs zum 18 km von Zanda entfernt gelegenen Guge Kingdom (Eintritt 200 Y. = 30 Fr.!), das im 10. Jahrhundert ein wichtiges Handelszentrum zwischen Indien und Tibet gewesen war. 10‘000 Menschen lebten in dieser um einen Felsen gebauten Stadt, häufig in Höhlen. Rinchen Zangpo, einer der grossen Machthaber, studierte in Indien während 17 Jahren Sanskrit, war in dieser Zeit einer der wichtigsten Übersetzer dessen und brachte den Buddhismus in die Gegend. Diese Religion blieb fortan hier erhalten, währenddem sie in Indien an Wichtigkeit verlor.

Heute ist Guge Kingdom vor allem eine Ruinenstadt. Nur wenige Gebäude wurden renoviert, unter anderem das Kloster auf dem Gipfel, in dem jedoch keine Mönche leben. Während der Kulturrevolution Chinas in Tibet 1959 wurden viele Klosteranlagen in Tibet zerstört, auch Gebäude in Guge. Für Besucher interessant sind die unzähligen, in den Stein gehauenen Höhlen und die absolut geniale Lage inmitten schroffer Sandsteinfelsen, in denen man mit etwas Fantasie riesige menschliche Skulpturen erkennen kann – eine besondere Laune der Natur. Wir genossen die Anlage bei herrlichem Morgenlicht, die auch von vielen chinesischen Gruppentouristen besucht wurde. Ich war mit meiner wilden Frisur wohl eine der meist fotografierten Personen an diesem Tag… Wir stiegen hoch vorbei an drei Klöstern und vielen Ruinen bis zum Gipfel und genossen die herrliche Aussicht.

Wir verbrachten einen ruhigen Nachmittag in Zanda. Wir kochten im Hotel etwas Gemüse, dann kümmerte ich mich um die Griffheizung des Töffs. Beim Stufenschalter hatte sich ein Kontakt gelöst, den ich am Abend löten konnte. In ein schwerwiegendes Problem laufe ich mit meinem Bargeld. Zwar hat es hier eine Bank mit mehreren Bancomaten. Aber keiner wollte auch nur eine meiner vielen Karten akzeptieren, und unglaublicherweise wollte man auch keine Bardollars wechseln! Glücklicherweise haben Annika und Mathias noch genügend Bargeld, sodass sie mir aushelfen können. Herzlichen Dank! Hoffen wir, dass das vorhandene „gemeinsame“ Geld reicht bis Lhasa. Ein unangenehmes Gefühl, von jemand finanziell abhängig zu sein. Ist mir wahrlich noch nie passiert, dass mir das Bargeld ausgeht, zumindest die Lokalwährung.

Am Abend gab es nochmals Gemüse, diesmal mit Couscous, selbst gekocht von Annika – eine kostengünstigere Ernährungsmöglichkeit. Es war ein ruhiger Tag, aber die nächsten Tage werden sehr intensiv!

Km: 18‘794


Di, 22.09.2015: Campen am Manasarovar-See auf über 4557 m.ü.M. – und Bomi-Good-News

Schon um halb neun Uhr ging es schon los für den nächsten Abschnitt – der Mount Kailash war das Ziel. Zuerst durchfuhren wir nochmals die Schluchten dieser einzigartigen Sandstein-Felsen. Die aufgehende Sonne liess die zerklüfteten Felsen orange-gelb leuchten, der Schattenwurf der vielen Rippen sah aus wie die Ränder von dünnen Scheiben Tête-de-Moine-Käses.

Wir hatten dieselben 117 km zurückzulegen, die wir schon vorgestern gefahren waren. Der Checkpoint-Beamte hatte sich für uns eine besondere Art von Geschwindigkeitskontrolle auferlegt. Wir durften den nächsten Checkpoint nach 85 km an der Kreuzung erst zwei Stunden später erreichen. Womit man automatisch langsam fuhr – nicht aber ich. Die kurvenreiche Strasse und der nicht-existente Verkehr ermunterten mich, mich nicht zu sehr zurückzuhalten. Auf dem fast 5000 m hohen Pass machte ich dafür eine Pause, um auf Annikas und Mathias‘ Auto zu warten. Nach dem Checkpoint durchfuhren wir eine karge Hochebene mit kilometerlanger, gerader Strassenführung – und das auf 4500 m.ü.M… Wir kamen deshalb schneller voran als erwartet.

Und da erschien er, der legendäre, pyramidenförmige Mount Kailash (6714 m.ü.M., auch Kang Rinpoche oder „Kostbares Schneejuwel“ genannt), den wir in den kommenden Tagen zu Fuss zu umrunden versuchen. Für Buddhisten ist der Kailash der Aufenthaltsort von Demchok, die zornige Erscheinung Sakyamunis. Für Hindus ist er das Reich von Shiva, dem Zerstörer und Erneuerer. Der Berg wird deshalb nie erklommen, weil er den Menschen zu heilig ist. Ich habe heute Menschen mitten auf dem Feld gesehen, wie sie den Berg anbeten. Der Kailash ist aber auch geografisch magisch, denn hier entspringen die vier riesigen Ströme Ganges, Brahmaputra, Indus und Sutlej.

Wir holten gleich die Permission, die „kora“, die heilige Umrundung dieses Berges begehen zu dürfen und zahlten 150 Y (25 $). Den Nachmittag wollten wir aber am Manasarovar-See verbringen, einem tief- bis türkisblauen Gewässer auf über 4500 m.ü.M., flankiert von schneeweissen, ganz nahen 7000-m-Bergriesen. Auch der Besuch dieses Sees kostete uns 150 Y., dafür können wir jetzt direkt am See campen. Es war sonnig heute Nachmittag und recht warm. Nachdem ich das Zelt aufgestellt hatte, wollte ich per Töff gleich die Küste erkunden, allerdings auf sehr schwierigem Untergrund, der Fahrweg führte wegen der nahen Felsen manchmal via See… An einer engen Stelle passierte es: Mein linker Koffer blieb an einem Felsblock hängen, ich verlor das Gleichgewicht und flog in hohem Bogen in den nicht gerade warmen See. Ich war jetzt zwar nass, aber absolut unverletzt. Es war ein besonderer Würg, den Töff wieder aufzustellen, aber weil ich beinahe ohne Gepäck unterwegs war, schaffte ich es, ohne meinen Rücken wieder zu schädigen. Etwas abbekommen hatte jedoch mein neuer, schwarzer Koffer, dessen Verankerung verbogen war. Notdürftig machte ich das Case mit einem Spannset am Rahmen fest. Dann fuhr ich weiter auf eine Anhöhe, von der man eine traumhafte Aussicht auf Berge und See hat.

Zurück im Camp machte ich mich gleich daran, den Haltemechanismus des schwarzen Koffers zu demontieren. Dies ging dank Mathias‘ passender Torx-Schlüssel. Mit dem Hammer bog ich das Teil wieder zurecht, und tatsächlich: Der Koffer hält jetzt wieder tadellos in seiner Verankerung. Dass meine mechanische Begabung doch nicht immer so hervorragend ist, merkte ich heute Morgen nach 100 km, als meine linke Griffheizung wieder aussetzte – meine Lötkenntnisse sind also noch zu verbessern. Jetzt machte ich mich daran, den morgigen Starttag für den Kailash-Trip vorzubereiten. Viele Einheimische passierten unsere Camping-Stelle, die wohl auf der „kora“ rund um den See sind, denn dieser See ist den Gläubigen auch heilig.

Dann kam über Thoobten die tolle Mitteilung, dass wir jetzt wohl doch über Bomi die wesentlich kürzere Strecke befahren können. Ich telefonierte lange mit Hendrik, der überzeugt ist, dass die Strasse geöffnet wird, bis wir kommen. Yeeessss!

Am Abend kochte ich Spaghetti Aglio-Olio-Peperoncini, allerdings waren die kirgisischen Spaghetti pappig. Dafür konnten wir die magische Abendstimmung an diesem See geniessen. Viele Chinesen sind hierher gepilgert, um zu fotografieren. Ganz lustig wurde es mit zwei etwas exaltierten Chinesinnen, die einen Riesenplausch hatten, sich auf meinem Motorrad fotografieren zu lassen…

Jetzt sitze ich im dunklen Zelt nur fünf Meter vom See entfernt. Ich bin ja mal gespannt, wie ich die Nacht überstehe, denn es dürfte ordentlich kalt werden – werde ich auf dieser Höhe wohl schlafen können?

Km: 19‘069


Mi, 23.09.2015: Mount-Kailash-Trekk Tag 1: Weg zum Camp 1

Die Kälte war auch diese Nacht nicht das vorherrschende Problem, es ist die Höhe, die mir extrem zu schaffen macht. Wiederum schlief ich nicht gut, es fehlte erneut der gesunde Atem, gut einschlafen zu können. Es war ein unangenehmes Aufstehen in stockdunkler Nacht. Ich hatte mich gestern Abend wenigstens recht gut vorbereitet, aber es ist nie angenehm, im Dunkeln ein Zelt zusammenzupacken. Bald wurden auch die schweren Wolken über dem Manasarovar-See sichtbar. In den Bergen regnete es offensichtlich, und einige Tropfen verirrten sich auch auf mein Haupt.

30 km waren zu fahren bis Darchen, dem Ausgangspunkt unseres dreitägigen Mount-Kailash-Abenteuers. Vom Kailash war an diesem Morgen überhaupt nichts zu sehen – er war im Nebel und schwarzen Wolken verschwunden. Trotzdem rüsteten wir uns bei einem Guesthouse für den Trip aus; hier konnten wir auch unsere Fahrzeuge stehen lassen (50 Y. – für alles wird hier Geld verlangt…). Annika und Mathias marschierten bald los, Thoobten und ich wollten uns die ersten acht Kilometer schenken, und wir bestiegen einen Minibus (50 Y.). Wir fuhren ein in ein breites, langes Tal mit scheinbar leicht zu bewältigenden Höhenmetern. Aber ich war offensichtlich nicht fit heute, denn ich kam nur mühsam voran. Jede kleinste Steigung mutierte zur Qual, die Höhe setzte mir extrem zu. Aber natürlich wollte ich keinesfalls aufgeben, auch wenn ich wusste, dass ich es morgen über einen Pass von über 5600 m.ü.M. schaffen musste. Ich hatte bald einen Rückstand auf Thoobten, zudem wurde ich von Annika und Mathias überholt. Aber ich wusste, dass ich einfach mein eigenes Tempo gehen musste. Immer wieder setzte ich mich hin, japste nach Luft, atmete tief ein und aus und kämpfte mich Meter um Meter vorwärts. Die Strecke war zudem landschaftlich nicht überaus reizvoll. Erst als der weisse Gott Kailash sich hinter den Wolken zeigte, änderte sich dies. Ganz nahe war ich jetzt diesem eindrucksvollen, blütenweissen Gebirgsbrocken. Zwar war es auch gegen Mittag noch kalt, aber allmählich schienen sich die Wolken zu verziehen, und immer mehr blaue Flecken wurden am Himmel sichtbar.

20 Kilometer waren heute zu gehen, und ich wurde Dutzende Male überholt, nur von Einheimischen, die als Pilger diesen majestätischen Berg umrunden. Ich sah Menschen niederknien von diesem Berg, Gebetssprüche wurden beim Passieren gemurmelt, die mystische Stimmung auf diesem Weg war noch eindrücklicher als die landschaftliche. Schliesslich hatte auch ich Camp 1 auf 5080 m.ü.M. erreicht. Die Nordwand des Kailash ist hier ganz nah. Ich bezog ein Bett im ganz einfachen, aber noch recht neuen Guesthouse. Ich erklomm mit Ach und Krach einen nahen, mit Hunderten Gebetsfahnen belegten Hügel, von dem aus man die ganze Macht des Kailash noch besser sehen kann. Dann beobachtete ich ankommende einheimische Pilger jeglichen Alters mit ihren ganz einfachen Ausrüstungen. Fast alle sind im Uhrzeigersinn um den Berg unterwegs. Nur die „Bon“, Vorgänger-Kult-Gläubige des Buddhismus, umwandern den Berg im Gegenuhrzeigersinn.

Unterdessen war es richtig sonnig geworden. Mächtige Schneefahnen wurden vom Wind über die Eiskanten des Berges geblasen. Gleich auf der anderen Talseite liegt ein tibetanisches Kloster, davor ein etwas besseres Guesthouse, offenbar nur für indische Pilger gedacht.

Ich war froh, Zeit zu haben, die Menschen zu beobachten, mich zu erholen. Ebenso nett war es, dass Annika und Mathias die Initiative ergriffen, das Nachtessen mit von mir mitgebrachtem Gemüse zuzubereiten. Ganz gut! Ich sass dann noch einige Zeit im angenehm geheizten Gemeinschaftsraum, diskutierte mit einem österreichischen Paar und ihrer deutschen Begleiterin übers Reisen, Brot und Käse (…).

Und dann folgte die Nacht, und da sollte ich schlafen. Sollte.

Km: 19‘107


Do, 24.09.2015: Mount-Kailash-Trekk Tag 2: Über den Drölma-la-Pass (5630 m.ü.M.) zum Camp 2

Ich hatte schon am Vorabend angekündigt, dass ich mich ganz früh alleine auf den zweiten Teil machen wollte. Dies war auch deshalb gut, weil ich auch diese Nacht kaum ein Auge zubekam. Wenigstens war ich von neun bis zwölf Uhr einigermassen weg. So stand ich um sechs Uhr auf (was sollte ich anderes tun, wenn ich ohnehin nicht schlafen kann?). Ich ass zwei dick-gekochte Eier und ein Fladenbrot, um wenigstens insofern gerüstet zu sein.

Es war noch stockdunkel um zehn vor sieben Uhr, als ich startete. Meine billige, chinesische Stirnlampe tat ihre guten Dienste. Allerdings war es nicht einfach, den richtigen Weg zu finden. Da waren verschiedene Tracks, welche alle in dieselbe Richtung wiesen. Gleichwohl verpasste ich den Brückenübergang und kämpfte mich über einen Wildbach. Dann aber erblickte ich die Brücke – eine andere Gruppe überquerte sie in diesem Moment. Ich war jetzt auf dem richtigen Weg und war erstaunt, dass ich ganz gut vorwärtskam. Ich hatte mir vorgenommen, ganz langsam unterwegs zu sein. Eine erste Steigung war bald überwunden, ich erreichte 5200 m.ü.M. Endlich begann es zu dämmern, der Kailash lugte mir eisig-blau entgegen, er wurde mit jedem Moment heller, aber noch hatte ihn der erste Sonnenstrahl nicht erreicht. Ich stieg in aller Gemütlichkeit weiter auf, bis das Leben im Kailash erwachte. Zuerst verfärbte sich nur die Spitze hellorange, aber wie ein Flächenbrand breitete sich dieses Leben auf dem ganzen Berg von der Spitze aus. Was für ein Schauspiel!

Ich folgte jetzt einem Bach in ein kleineres Tal, der Kailash verschwand fast vollständig hinter einem braunen Bergrücken. Dann war die nächste Stufe zu erklimmen. Die Gebetsfahnen wehten im eisigen Wind und erschienen mir mehr Hohn und Spott denn Segen. Jeder Höhenmeter wurde anstrengender, die Pausen folgten in immer kürzeren Abständen. Aber auch diese Stufe hatte ich schliesslich geschafft. Jetzt wurde der Pass von weitem sichtbar. Ich erreichte den Fuss des letzten Aufstiegs. Hier holte mich Thoobten ein. Es ist einfacher, gemeinsam eine solche Tortur durchzustehen. Aber er musste Geduld mit mir haben, denn je höher es ging, desto weniger Atem fand ich. Die Luft ist hier so dünn und sauerstoffarm, dass man nicht einmal um Hilfe schreien könnte. Und es stellte sich heraus, dass der Pass ein „Hund“ ist. Ja, jetzt nur noch dieses kleine Stück, dann ist es geschafft, um nur den  nächsten Felsbrocken zu sehen, dass noch einige weitere Meter anstehen. Dies geschah gleich mehrmals. Aber irgendwann ist auch ein Hund nur noch Hündchen und kann einem nichts mehr anhaben. Ein Meer von Gebetsfahnen wehen auf dem Pass, Eis behindert das Vorwärtskommen. Aber jupieee, ich hab’s geschafft! Aber Drölma-La ist nicht Demavand. Damals im Iran konnte man in kurzer Zeit viel Höhe verlieren, und mit jedem verlorenen Höhenmeter (damals über Schneefelder) fühlte man sich besser. Aber diesmal wusste ich, dass ich nicht innert weniger Stunden wieder auf 2500 m.ü.M. bin. Zwar ging es auch jetzt – vorbei an einem kleinen, tiefblauen Bergsee in rauher, felsiger Landschaft, netterweise abwärts. Tatsächlich brachten nur schon wenige Höhenmeter einiges. Nach einer weiteren Stunde erreichten wir das Tal, aber immer noch auf 5200 m.ü.M. gelegen. Nach einer kurzen Rast wollte ich starten zum langen Marsch ausgangs Tal. Es war zwar noch immer kalt, aber die Sonne schien. Meist ging es leicht bergab, und ich staunte, wie gut es mir jetzt ging. Ich war wieder vorausgegangen, aber eingeholt wurde ich nur von Tibetern in ihren farbigen Umhängen. Schliesslich holte mich Thoobten doch ein, der sich Sorgen um Mathias und Annika machte, die nicht beim Tea-House erschienen waren. Als wir beim Camp 2 eingetroffen waren, ging es aber nicht lange, bis auch die zwei anmarschiert kamen.

Wie jetzt weiter? Sollten wir noch heute bis nach Darchen zurückkehren? Tatsächlich fühlte ich mich dazu überraschenderweise noch fähig. Wir entschlossen uns aber, hier zu übernachten. Nicht ganz einig waren wir uns, wie es morgen weitergeht. Annika wollte unbedingt Saga erreichen, um wieder einmal in einem Hotel schlafen zu können, Thoobten und ich finden diese Strecke zu weit. Pinjang sollte morgen der Ort sein, wo wir hinfahren werden – gute hundert Kilometer – ganz in meinem Sinn, denn ich weiss nicht, wie gut ich morgen in Form bin.

Nach dem Essen mit Spaghetti und Tomatensauce traf ich am Abend erneut auf die beiden Österreicher, die ihr Gepäck per Yak über den Pass hatten transportieren lassen. Ganz lustiger Abend mit zwei Büchsen Bier!

Km: 19‘107


Fr, 25.09.2015: Mount-Kailash-Trekk Tag 3: Vollendung der Umrundung und Weiterreise nach Zhongba

Dass ich mich gestern auf über 5600 m.ü.M. befunden habe, hat mir offenbar gut getan, denn ich schlief im Camp 2 auf über 4800 m.ü.M. endlich wieder einmal recht gut. Ich beobachtete mitten in der Nacht eine tibetanische Pilgerfamilie, wie sie sich über dem Feuer, gefüttert von Kuhfladen (!), eine warme Mahlzeit zubereiteten. Ein Kleinkind weinte jämmerlich auf dem Rücken der Mutter – kein Wunder, es war saukalt. Offenbar wird hier auch nachts gepilgert.

Als ich am Morgen beim Hellwerden meine Blase entleerte, war es schon nach acht Uhr. Der Koch des österreichischen Paares bereitete mir ein Spiegelei zu, zudem hatte ich von gestern noch etwas Brot. Es war sehr kalt heute Morgen, Mathias‘ Zelt war mit einer Eisschicht überzogen, weshalb sie sich entschlossen, etwas später als geplant aus dem Tal herauszulaufen. Ich war zusammen mit Thoobten schon etwas früher unterwegs. Lange Zeit wanderten wir noch am Schatten, wo es sehr kalt war. Ich hatte all meine Siebensachen angezogen und überlegte mir, wie dieser Trip wohl gewesen wäre, wenn es Eis und Schnee gehabt hätte; dann wäre ich definitiv zu schlecht ausgerüstet gewesen. T-Shirt, dünner Pullover, Armada-Shirt, Töff-Innenjacke sowie der windabweisende Regenschutz hielten mich gerade genügend warm.

Der Marsch aus dem Tal heraus war wenig attraktiv, aber wieder begrüsste uns ein wolkenloser Himmel, der vereiste Bach schlängelte sich friedlich durchs Tal, das von immer weniger hohen Bergen flankiert wird. Weit entfernt war schon die weite Ebene bei Darchen sichtbar. Wir überholten eine bunt gekleidete Frauengruppe und erreichten den Weiler ausgangs des Tales bald. Von hier fuhr ich mit einem Minibus zurück nach Darchen (4 km = 50 Y!). Sofort begann ich, meine Bagage wieder reisefertig herzurichten. Zuerst besuchte ich aber den Public Shower. Herrlich, das reichliche warme Wasser über die Haut rinnen zu lassen. Ich fühlte mich wie frisch geboren.

Am Morgen wurde das Reiseprogramm nochmals geändert. Statt nur bis Panjang wollten wir jetzt doch dem Originalprogramm folgen und bis nach Zhongba fahren. Wie schon in den vergangenen Tagen ist es hier unmöglich, sich zu verirren, denn auf diesen vielen Quadratkilometern führt nur genau diese Strasse gegen Osten. Nach einem Tankstop (zu vernünftigen Preisen) und während der Fahrt über eine weite, trockene, karge Hochebene erblickten wir südlich mächtige, verschneite 7000-er, die bereits zu Nepal gehören. Wir unterschritten heute niemals die Meereshöhe von 4500 m.ü.M., umso erstaunlicher, dass viele Streckenabschnitte steckengerade waren und wir deshalb auf der gut ausgebauten Strasse gut vorwärts kamen. Wir passierten mehrmals eisblaue Seen und nach einer guten Stunde Fahrt einen überaus hohen Pass (5211 m.ü.M.). Dabei hatten wir kaum bemerkt, wirklich angestiegen zu sein. Auch hier wehte ein Meer von tibetanischen Gebetsfahnen. Hier auf dieser Mondlandschaft montierte ich wieder einmal meine GoPro, aber ich tat gut daran, sie bald wieder vom Helm zu entfernen, denn wir erreichten einen besonders scharfen Checkpoint, wir befanden uns ganz nahe sowohl an der indischen als auch der nepalesischen Grenze. Weit in der Ferne wurde jetzt ein Riesenmonster von einem Berg sichtbar, wohl der berüchtigte Dhaulagiri (8167 m.ü.M.). Unterdessen war der Südwind unangenehm stark geworden, der auf diesem Hochplateau hellbeige Sanddünen aufgeworfen hatte. Was für ein Bild: Eine trockene, steppenartige Ebene, in der riesige Dünen scheinbar hingesetzt sind. Als dann in der Ferne auch noch ein tiefblauer See mit riesigen, verschneiten 7000-ern im Hintergrund erschien, war die Szenerie (und Freude) perfekt. Ich liess es mir nicht nehmen, im Eilzugstempo eine dieser Dünen zu erklimmen. Für einmal hatte ich vergessen, auf welcher Meereshöhe ich mich befinde – und ich erlitt beinahe einen Herzstillstand – ich war schlicht zu schnell unterwegs und riss mir förmlich die enge Jacke auf, riss den Schal vom Hals, um wieder Atem zu finden. Diese unterdessen bekannte Atemnot empfinde ich je länger desto mehr klaustophobisch, man ist wie gefangen in der sauerstoffarmen Luft und versucht, dieser zu entkommen.

Schliesslich erreichten wir endlich Zhongba, ein kleines Nest, wie alle Dörfer hier eher unsympathisch und lieblos in die Steinwüste gebaut. Wir bewohnen diese Nacht zwei Zimmer eines Hotels, das sich noch im Bau befindet. Dafür ist es günstig (80 Y.). Bevor wir das Zimmer bezogen, assen wir in einem traditionell, liebevoll eingerichteten, beinahe wie eine tibetanische Stube aussehenden Restaurant ein gutes Essen. Yak-Fleisch schmeckt ausgezeichnet, das Gemüse mit Knoblauch und der Gurkensalat mit Chili ebenfalls – ausgezeichnet gewürzt.

Ich bin sehr glücklich, dass ich fit bin und den Strapazen dieser China-Reise bis anhin bestens gewachsen bin.

Km: 19‘455


Sa, 26.09.2015: Im Land der Yaks

Ich schlief wieder nicht gut, diesmal weil das Bett steinhart war. Mitten in der Nacht polsterte ich meine Liege mit zusätzlichen weichen Wolldecken aus. Um acht Uhr hätte ich gerne noch etwas weitergeschlafen, auch weil es draussen kühl und neblig war. Ich fror schon, als ich aus dem Haus kam, es war wirklich bitterkalt, aber ich konnte mich in der Guesthouse-Stube bei einem Spiegelei etwas aufwärmen.

Die Motivation, mich am Morgen der Kälte auszusetzen, war minimal. Zudem wusste ich nicht, ob bei den gemessenen minus drei Grad auch die Strasse am ungünstigsten Ort gefroren war. Das Land war nämlich bocksteinhart gefroren. Deshalb liess ich die ersten Kilometer bei der Fahrt die Vorsicht walten und war vor allem in den Kurven sehr wachsam.

Glücklicherweise befanden wir uns inmitten eines Nebelmeeres, und je mehr die Strasse Richtung des ersten Passes aufstieg, desto heller wurde es. Schliesslich zeigte sich die Sonne am wolkenlosen Himmel, aber gleichwohl blieb es sehr kalt. Dafür hatte man auf der ersten Passhöhe auf über 4900 m.ü.M. eine geniale Aussicht aufs Nebelmeer. Allerdings tauchten wir auf der anderen Passseite gleich wieder in den Nebel ein, aber nicht für lange Zeit. Im Gegenteil: Der Nebel war sehr bald passé und es wurde auch immer wärmer.

An die Landschaft habe ich mich unterdessen gewöhnt. Wir durchfuhren hochgelegene Steppen, flankiert von, mageren Hügeln, die aber gleichwohl weit höher als 5000 m.ü.M. hoch sind. Sicht auf entfernte 7000-er erhielt man nur noch spärlich. Wir überfuhren heute gleich mehrere Pässe. Allerdings waren jeweils nur wenige Kehren zu überwinden, aufwärts wie abwärts. Dann ging es weiter über lange, gerade Strecken, aber eigentlich wenig Aufsehen erregend. Wir erfreuten uns mehr an den am Strassenrand stehenden, steinernen Kilometerangaben. 1961, 1980, 1981, 2015 km ab Yargilik… Bei 2016 gab’s eine kurze Mittagsrast. Kurz darauf trafen wir auf einige farbige geschmückte Yak-Herden, die mit Steinwürfen in die richtige Richtung gezwungen wurden. Dabei haben sie einen so freundlichen Gesichtsausdruck, auch wenn ich sie früher schon mit Orks verglichen habe… Die Tiere wären wohl viel lieber im tiefen, kühlen Bach stehen geblieben.

Ich fühlte mich heute sehr müde und überhaupt nicht genügend fit für eine so lange Strecke. Zudem beklagte ich wieder einmal eine kleine Panne – nach einer heftigen Bodenwelle verlor ich meinen reparierten Koffer. Diesmal realisierte ich dies jedoch sofort – mit Spannset wurde er zur Sicherheit zusätzlich festgebunden. Ich zählte die Kilometer herunter, bis wir endlich Latse erreicht hatten. Kurz zuvor passierten wir einen weiteren, kitschig hellblauen See mit einer auf einem Hügel gelegenen Gebetstelle auf einer Halbinsel. Es war hier so warm, dass es wohl sogar möglich gewesen wäre, ein Bad zu nehmen. Wäre Rekord gewesen, aber ich fühlte mich zu müde.

Jetzt sind wir in einem altehrwürdigen tibetanischen Hotel untergebracht, ich in einem alten Zimmer für 50 Y. (eben hat sich noch ein Chinese in mein Zimmer gesellt… - wäre nicht nötig gewesen), Annika und Mathias in einem erstaunlich schönen Zimmer (180 Y.). Eben sind wir vom Essen (handgefertigte Nudeln) zurückgekehrt…

Km: 19‘898


So, 27.09.2015: 20‘000 km! Chinesische Verkehrs-Schikanen und ein mysteriöser Handy-Bruch

Ich schlief wunderbar gut diese Nacht. Gleichwohl musste ich um vier Uhr das Klo aufsuchen und konnte es nicht lassen, rasch einen Blick aufs Handy zu werfen, um zu sehen, was St.Gallen in Zürich gegen GC gemacht hat – 1:1 – brav. Ich legte das Gerät wieder unter mein Kopfkissen und war am Morgen nicht wenig erstaunt, dass mein Display am Morgen mit einem unregelmässigen Spinnennetz-Muster verunstaltet war. Keine Ahnung, wie das passieren konnte. Das Display sieht aus, als hätte ich das Handy mit voller Wucht gegen die Wand geschmissen…

Wir wollten Latse erst um halb zehn Uhr verlassen. Mehr Zeit haben heisst aber nicht, auch rechtzeitig bereitzustehen. Dann rief auch noch Hendrik an, mit dem ich über das Reiserouting ab Lhasa diskutierte und der mir versicherte, dass ich mein Handy-Display in Dali bestimmt reparieren kann. Zudem übernimmt er die zusätzlichen Kosten für den Besuch des Potala-Palastes in Lhasa (300 Y. pro Person), die entstehen, wenn man bei den zu besichtigenden Räumen nicht anstehen will. Gut und bravo!

Als es um Viertel nach zehn Uhr endlich losging, ärgerte ich mich gleich doppelt über die chinesischen Schikanen, die einem als Verkehrsteilnehmer zu Teil wird. Als ich nämlich tanken wollte, wies man mich von den Tanksäulen weg. Motorräder dürfen nicht direkt tanken, sondern müssen ausserhalb der Tanksäulen an einem bestimmten Platz warten. Dann wird die „chinese driver licence“ verlangt und daraus mit undefinierbaren Zeichen etwas auf einen Schein gekritzelt – erst dann erhält man die Berechtigung, Benzin zu bekommen, aber nicht direkt von der Tanksäule. Man hat die Anzahl Liter Benzin anzugeben, die dann in einen metallenen Kanister gefüllt wird, den ich dann abholen durfte und den Inhalt sodann in meinen Tank schütten durfte. Wie umständlich – und keine Ahnung, wieso dies so gehandhabt wird!

Die nächste Schikane liess nicht lange auf sich warten. Der nächste Checkpoint liess nicht lange auf sich warten, und erneut wurde uns eine „speed control“ auf erlegt. Eine Stunde zwanzig Minuten sollten wir für die nächsten 55 km bis zum nächsten Checkpoint haben. Zwar regt diese Regelung tatsächlich zu langsamerem Fahren an, aber wir verwendeten die Zeit mehr dazu, öfters anzuhalten und den Bauern bei ihrer Arbeit zuzusehen. Da war einer mit zwei eingespannten Yaks am Pflügen, trockenes Stroh wurde zusammengebunden, mit ganz einfachen, kleinen Traktoren dünnes Korn geerntet. Ja tatsächlich, unterdessen wächst auf diesem Land wieder etwas, die ganz trockenen, unfruchtbaren Steppen sind vorbei!

Wir fuhren heute von einer zur nächsten „speed control“ und hatten deshalb viel länger bis Shigaze, als wir erwartet hatten. Hier wollten wir unser erstes tibetanisches Kloster besichtigen, das „Tashilhunpo Monastery“. Shigaze ist der Sitz des Panchen Lama. Tashilhunpo ist eine der sechs grossen Gelugpa-Institutionen – die meisten davon befinden sich in Lhasa – wurde 1447 gegründet von Genden Drup. Er war der erste Dalai Lama und ist hier begraben. Die Stätte ist eine der wenigen, die während der Kulturrevolution Chinas 1959/1967-76 nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde. Von über 2500 Klöstern blieben 1962 noch deren 70 übrig. Schreine und Bibliotheken wurden zerstört, Tausende Tibeter gefangen genommen. Das Volk wurde gezwungen, Reis anzupflanzen – unmöglich auf dieser Höhe – in der Folge verhungerten Tausende von Tibetanern…

Tashilhunpo, 70‘000 m2 gross, kann heute in einer „kora“ begangen werden, besteht aus vier riesigen, vergoldeten Kapellen oder Grabstätten, in denen die Panchen Lamas begraben sind. Man begegnet hier wieder vielen Mönchen, die den Buddhismus praktizieren. Viele Gebäude sind im alten Stil belassen und kaum renoviert, darum sehr charmant anzusehen. Noch nie habe ich eine so grosse buddhistische Anlage gesehen.

Noch waren wir aber nicht am Ziel. Wir wollten noch bis nach Gyantse kommen, einer sehr lebendigen Stadt, in der wir im Hotel Jian Zang eincheckten (je 100 Y.). Je weiter wir nach Osten reisten, umso lebendiger und geschäftiger ist das asiatische Leben. Während es im Westen Tibets kaum Siedlungen und demnach Menschen gibt, wächst die Geschäftigkeit, je näher wir uns Lhasa nähern.

Wir assen in einem guten tibetanischen Restaurant einige Spezialitäten – mein Nepal special war hervorragend.

Km: 20‘139


Mo, 28.09.2015: Imposante, aber strenge Fahrt nach Lhasa

Wir standen schon früh auf, denn erstens wollten wir das Monastery in Gyantse besuchen und zweitens in imposanter Fahrt die Hauptstadt Tibets, Lhasa erreichen. Zuerst waren wir beeindruckt von Gyantse Dzong, einer trutzig auf einem Felsen stehenen Burg mit weit ausgelegten, noch gut intakten Befestigungsmauern. Dies war aber nicht unser Ziel. Wir wollten hinter dem Berg das Pelkhor Chöde Monastery mit dem Gyantse Kumbum besuchen.

Als wir in wenigen Minuten hier ankamen, war hier schon einiges los. Es waren wiederum einheimische Pilger, die schon am frühen Morgen diese Stätte besuchten. In den verschiedenen Kapellen wurde gebetet, den Schreinen kleine Yuan-Noten gespendet, eine Art Butter in die riesigen Kerzentöpfe gegeben, damit das Licht der Dochte nicht ausgeht. Mönche nahmen diese Spenden entgegen. Ich sinnierte wieder einmal über das Grundsätzliche der Religionen. Auch im Buddhismus ist so vieles menschgemacht mit dem Ziel, dem wahren Göttlichen nahe zu sein. Natürlich finde ich die Philosophie der  Wiedergeburt sehr interessant und gut nachvollziehbar. Nur mit einem guten, bewussten Leben kann man dem Nirvana näher kommen. Aber gleichzeitig finde ich den Prunk, die riesigen vergoldeten Buddhas – hier steht einer, der 26 m hoch ist – in diesen vielen Kapellen, die farbigen, eindrucksvollen Malereien an den Wänden mit Geschehnissen aus dem Leben Buddhas oder Sakyamonis durchaus fragwürdig. Gleichzeitig staune ich aber über die Innigkeit und Ernsthaftigkeit, wie die Menschen Buddha und die für ihn aufgerichteten Kostbarkeiten verehren und versuchen, ihrem Leben in Perfektion möglichst nahe zu kommen. Ein Prinz hat diese Anlage 1427 gegründet, die beeindruckt durch eine 32 m hohe „chörten“ (Stupa). Eine Stunde verbrachten wir in dieser Anlage, die mich wegen seiner Lebendigkeit überzeugte. Es war ein dauerndes Kommen und Gehen, es gab auffallend viele ältere Frauen in ihren traditionellen Kleidern.

Um Viertel vor zehn Uhr verliessen wir Gyantse. Sehr bald erschienen noch weit entfernt massive, offenbar über 7000 m.ü.M. hohe, vereiste Riesenberge, und erstaunlicherweise näherten wir uns diesen konstant an. Wir passierten viele Dörfer, Bauern waren am Einbringen ihres Heus oder Strohs, Yaks oder Kühe, aber vor allem viele Schafe suchten auf den kärglichen Feldern nach den wenigen Kräutern, die noch vorhanden waren. Wir fuhren ein in ein Hochtal, quasi frontal gegen dieses Monster von einem Berg. Überraschend umfuhren wir diesen Berg rechtsseitig. In vielen Kehren ging es höher und höher, bis gewaltige Gletscher sichtbar wurden, die bis nahe an die Strasse herunterreichen. Hier standen schon die ersten Souvenirverkäufer, die gefärbte Kristalle an den Mann bringen wollten. Wenig später erreichten wir einen weiteren Viewpoint. Ganze Familien von Tibetanern versuchten hier, Souvenirs zu verkaufen. An einer Stupa wehten farbige Gebetsfahnen, im Hintergrund die riesigen, schroffen Gletscher – was für ein Bild! Wenig später erreichten wir die Passhöhe des Karo-La-Passes (5010 m.ü.M.). Es war empfindlich kühl hier oben. Auf der anderen Seite des Passes stürzte sich die Strasse in unendlich vielen Haarnadelkurven förmlich zu Tal. Wir erreichten Nangartse. Hier machten wir einen Halt – gutes, preiswertes Fried Rice in einem kleinen, tibetanischen Restaurant. Wir fuhren kilometerlang dem kitschig hellblauen Yamzho Yumco (Yamdrok Tso) entlang. Wir kamen gerade richtig, denn die Strasse wurde hier frisch geteert, und wir nutzten ein Zeitfenster, während dem nicht gearbeitet wird und bekamen freie Durchfahrt. Jetzt wurde der Verkehr plötzlich wesentlich stärker, die chinesischen Touristen an den Rastplätzen, bewaffnet mit riesigen Nikon-Kameras nahmen immer mehr zu. Auf dem Khampa-La-Pass (4794 m.ü.M.) herrschte ein riesiger Jahrmarkt. Weil wir auch einen Halt machten, kam ich beinahe nicht mehr weg, weil ich zum beliebtesten Fotoobjekt mutierte. Dann ging’s dramatisch bergab, und wir unterschritten zum ersten Mal seit langen die 4000-m-Grenze.

Der letzte Teil der Fahrt nach Lhasa wurde aber zur Tortur. Weil ich als Motorradfahrer die Autobahn nicht benutzen darf, befuhren wir eine im Bau stehende Nebenstrasse, manchmal im Schritttempo. Alle Brücken wurden renoviert, die Umleitungen waren staubige Dreckpisten – mir  versagte beinahe der Atem, diesmal wegen des Staubes.

Dann erreichten wir endlich Lhasa. Die Stadt ist in den letzten 20 Jahren mehr gewachsen als in den tausend Jahren zuvor. Viele Han-Chinesen haben sich hier angesiedelt und sind unterdessen gegenüber den wahren Einheimischen in der Mehrheit – eine überlegte Finte der chinesischen Regierung, denn in den letzten Jahren ist es in der Stadt immer wieder zu Aufständen gekommen. Zu einer Unabhängigkeit Tibets wird es aber wohl nie mehr kommen. Die Polizei- und Militärpräsenz ist allgegenwärtig. Mögliche Aufstände werden im Keime erstickt. Wir fuhren zuerst durch kalte Neubauviertel, wie man sie auch in anderen chinesischen Städten findet. Dann passierten wir den Potala-Palast, davor ein neu gebauter, riesiger Platz für Militärparaden… Jetzt fuhren wir ins Verkehrschaos Alt-Lhasas. Es war richtiggehend heiss, ich unterdessen nudelfertig von der Fahrt. Endlich fuhren wir in den Innenhof des Yak-Hotels, wo ich ein Dorm-Zimmer für nur gerade 50 Y. bezog. Ich habe nette Zimmergenossinnen, vor allem Jana aus Düsseldorf suchte sofort das Gespräch mit mir, das sich lange in die Nacht hineinzog…

Zuerst war ich mit Annika und Mathias noch essen – im Snowland – Yak-Pizza, ein Glas Rotwein, guter Espresso…

Km: 20‘420


siehe auch Teil 12: China II

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Kommentare: 4
  • #1

    iso (Montag, 19 Oktober 2015 00:00)

    ....läck meer! und morn denn teil 12. Yesss!

  • #2

    sturzi (Montag, 19 Oktober 2015 06:07)

    Ich bin immer wieder gespannt, was für einen Kommentar du dir immer wieder überlegst...
    Ich freue mich jedes Mal über dein Interesse!
    Jetzt liege ich in Laos auf der faulen Haut, aber morgen geht's weiter, denn meine Kamera muss in Bangkok repariert werden.

    Muang Namtha/Laos, 28 Grad

  • #3

    Jürg (Dienstag, 20 Oktober 2015 15:07)

    Wow, super geschrieben, interessant und spannend! Aber das mit Sauerstoffmangel, Checkpoints und Sturz in den See... das ist nur was für wahre Abenteurer, pass auf Dich auf! Ich gehe jetzt auf eine 9 tägige Mittelmeer-Kreuzfahrt :-) Bliib gsund und herzlichi Grüess Jürg

  • #4

    Hildegard (Dienstag, 20 Oktober 2015 19:00)

    Danke für den Reisebericht! 1 Monat Wartefrist für die chinesichen Abenteuer war schon fast nicht auszuhalten. Was macht Sturzi wohl, wie geht es ihm ...Wünsche dir weiterhin good luck für deine Abenteuer und das gleiche Durchhaltevermögen wie bisher. - und uns Leser tolle Berichte :-)