Teil 10: Kirgistan: Osh - Naryn

Ich warte auf die Einreise nach China! Dies war eine Sache für sich, weil es sich herausstellte, dass es vor allem schwierig war, das Permit für Tibet zu bekommen. Gleich mehrere Behörden sind darin involviert. Während Lhasa bald die Bewilligung für die Einreise am 10. September gab, kam ein Njet aus Peking.

Aber es war mir keinesfalls langweilig in Kirgistan, denn die Strecke Richtung Nordosten war überaus reizvoll mit überwältigenden Landschaften, Übernachtungen in Jurten und einem längeren Aufenthalt am Issyk-Kul, einem 170 km langen Gebirgssee, der sich eignete, die Seele baumeln zu lassen und sich vorzubereiten für den China-Trip. Meine einzige Angst: Das Wetter mit eventuellem Schnee auf den chinesischen Pässen bis 5200 m.ü.M. Ich bin so gespannt, wie ich das überstehen werde!

Das bisherige Routing Istanbul bis Kirgistan und die ungefähre Route durch China!


Klcke hier!

Mi, 26.08.2015: Ein weiterer ruhiger Tag in Osh

Endlich war ich heute soweit, dass ich den Blog online schalten konnte. Es war ja schon viel Arbeit, all die 800 Bilder zu bearbeiten und den Blog in die richtige Form zu bringen. Ich weiss, dass viele auf den nächsten Teil warten und war dann ziemlich zufrieden, als die grosse Arbeit endlich erledigt war.

Es war sehr ruhig heute, kein einziger Gast kam an. Ich war zu faul, um mich an die Besorgungen zu machen, die ich hier noch zu tätigen habe und blieb den ganzen Tag im Haus – Erholung ist angesagt.

Am Abend fuhr ich per Töff zu jenem bekannten Restaurant nahe der fünf Hausberge. Mittelprächtiges Essen!

Km: 14‘995


Do, 27.08.2015: Auf dem Markt von Osh

Am Morgen bekam ich ein SMS, dass heute Mathias und Annika in Osh eintreffen würden. Ich wollte den Tag nutzen, noch einige Besorgungen vorzunehmen. Zuerst machte ich mich auf die Suche nach einer Bank beziehungsweise einem Bancomaten, der auch Dollars ausspuckt. Schliesslich war ich bei der Demir-Bank am richtigen Ort, aber die Dollars am ATM waren bereits leergeräumt, sodass ich in die Bank eintrat. Tatsächlich kam ich hier dank meiner Sfr.-Swissbanker’s Travel Cash Card (Master!) zu 1200 US$ - somit bin ich finanziell gerüstet für China.

Anschliesslich fuhr ich zum Markt. Es war erbärmlich schmutzig hier. Das einzig Ansehnliche waren die vielen Auslagen mit frischem Gemüse und Früchten. Sonst wird hier vor allem billige chinesische Schrottware verkauft. Nach einigem Suchen fand ich eine kleine Pfanne, Besteck, Tasse, kleine Metallschalen und Plastikbehälter. Die Waren waren so billig, dass ich sie gut wieder entsorgen kann, wenn sie nach dem ersten Mal Kochen zu schmelzen beginnen (…). Ich gab kaum 10 Sfr. aus.

Kaum war ich wieder im Guesthouse, meldete sich auch schon Mathias. Ich holte die beiden beim Lenin-Denkmal ab und führte sie zu Zukhov’s Guesthouse. Die beiden waren müde von der Reise ab Murghab, Mathias klagt über eine Durchfall-Erkrankung. Fast gleichzeitig traf ein origineller, älterer Australier auf seinem Motorrad ein – er war aus Japan über die Mongolei bis hierher gereist. Zu viert besuchten wir am Abend nochmals das Nirvana per Taxi. Recht guter Food und angeregte Diskussionen über unsere Reiseabenteuer.

Die Tage fliessen dahin, es ist mir überhaupt nicht langweilig, ich geniesse das planlose Verstreichen der Zeit; genau dies brauche ich jetzt wohl, und ich habe ja viel Zeit, bis das China-Abenteuer endlich losgeht.

Km: 15‘010


Fr, 28.08.2015: Planung der Fortsetzung der Reise

Eigentlich wollte ich heute soweit bereit sein, um morgen meine Reise fortsetzen zu können. Aber ich beschäftigte mich den ganzen Tag immer wieder mit Lesen von Informationen über Kirgistan und studierte die Karte. Mathias scheint unterdessen seinen Durchfall überwunden zu haben. Wir diskutierten natürlich nochmals über die Reise in China, vor allem über die Einreise. Offenbar ist es nicht so einfach, ohne Führer bis zur Grenze Chinas vorzudringen, aber es scheint, dass dies bis zu einem Checkpoint einige Kilometer vor der Grenze doch möglich sein sollte.

Lange Zeit war ich auch damit beschäftigt, meine erneut weiterreissende Hose zu flicken. Wiederum nähte ich auf der Innenseite der Hosen Baumwollstoff ein. Die Hose ist jetzt wieder bereit, kostete mich aber erneut zwei Stunden Arbeit, aber die Hose ist zu bequem, um sie einfach zu entsorgen. Mal schauen, ob meine Flickarbeit jetzt etwas länger hält.

Am Abend spazierte ich mit Annika und Mathias in die Stadt. Nahe des Lenin-Denkmals fanden wir wohl den In-Schuppen Oshs, assen guten Lachs, ich trank sogar einen Margherita. Bedient wurden wir von einer jungen, gut Englisch sprechenden, aussergewöhnlich aufmerksamen Lady mit extrem hoher, beinahe ungenehmer Stimme, die jeden Satz mit dem Wort „awesome“ abschloss. Ganz funny! Wir staunten über die vielen sehr westlich und gut gekleideten jungen Frauen, teils mit Stöckelschuhen, die sich hier zu Live-Musik (oder ist es nur Playback?) vergnügen. Es hatte viel mehr Frauen als Männer, ein Augenschmaus!

Wir kehrten zu Fuss in zwanzig Minuten auch wieder zu unserem Hostel zurück. Endlich habe ich hier ein gutes Restaurant gefunden!

Km: 15‘025


Sa, 29.08.2015: Letzte Vorbereitungen für die Weiterreise in Osh und ein Treffen mit drei ganz jungen Schweizern

Am Morgen waren Annika und Mathias bereits wieder am Packen. Es hatte auch heute Morgen in Strömen geregnet, dazu ist es vor allem am Morgen viel kühler geworden. Ich fühlte mich auch deshalb noch nicht bereit, Osh bereits heute zu verlassen, sodass die beiden mich heute tatsächlich wieder überholten. Ich hatte noch einige Besorgungen zu erledigen, fuhr schon am Morgen Richtung MuzToo’s, wurde beim Lenin-Platz jedoch aufgehalten, weil hier die Hauptprobe zu einem Fest am Montag stattfand. Kirgistan feiert dann seinen Tag der Unabhängigkeit. Bestimmt dreihundert oder mehr Kinder und Jugendliche in bunten Kleidern führten hier ihre Tänze und ihre sportlichen Talente vor, unter anderem Boxen (!). Die Vorführung wurde begleitet von pathetischer einheimischer traditioneller, aber auch recht poppiger Musik, und ich wurde erinnert an unsere Musicalvorführungen vor über einem Jahr.

Ich war beeindruckt, wie diszipliniert sich die Kinder verhielten und wie gut sie den Ablauf der Vorführungen im Griff hatten. Fast jede Bewegung sass bereits, der Regisseur korrigierte über Funkmikrophon nur noch Feinheiten. Ich beobachtete diese Hauptprobe eine ganze Weile. Dutzende kirgisische Fahnen wurden geschwenkt, die zehn grossen Gruppen bewegten sich geschmeidig und mit Freude. Der etwas nationalistische Touch war aber schon etwas bizarr, aber ich verfolgte die Aufführung bis zum Ende.

Anschliessend fuhr ich weiter zu MuzToo, traf dort auf Patrick, die beiden Australier und eine junge Slowakin, die per Motorrad unterwegs ist und einen Defekt mit der Batterie in Ordnung bringen wollte. Patrick informierte mich über die Dirttracks in Kirgistan, und allmählich wird mir klarer, welches Routing ich in den verbleibenden gut drei Wochen in diesem Land wählen werde. Zudem kaufte ich Kabelbinder sowie ein zusätzliches Paar warme Handschuhe.

Am Nachmittag hatte ich einige Einkäufe zu tätigen, besuchte ein kleines Einkaufszentrum und versorgte mich mit Food für etwaige Übernachtungen im Zelt. Ich kann jetzt jederzeit anhalten und mich selbst versorgen.

Zurück im Guesthouse traf ich auf drei 20-jährige Schweizer, die mit ihrem Fiat Panda anlässlich der Mongol Rallye in die Mongolei unterwegs sind. Sie beklagten eine Panne und mussten ihr Fahrzeug von Karakol nach Osh ziehen lassen. Sie erzählten mir über die kalten Bedingungen und heftige Schneefälle auf den höchsten Pässen. Da habe ich ja wirklich Glück gehabt mit dem Wetter!

Ich führte die drei ins selbe In-Resto nahe des Lenin-Platzes. Es gab ein gutes Steak, viel Bier, Drinks, wir rauchten eine Shisha und beobachten die vielen jungen Leute, vor allem sehr viele herausgeputzte Girls in Stöckelschuhen (!), wie sie sich in der immer aktiver werdenden Disco vergnügten. Wir konsumierten so viel, dass wir schliesslich zu wenig Som dabeihatten und den Rest mit Rubel bezahlen mussten. Ein Taxi brachte uns zur Demir-Bank, wo die drei frische Soms herausliessen und somit auch das Taxi (120 KS) bezahlt werden konnten. Im Guesthouse genehmigten wir uns noch ein letztes Bier. War ja schon spannend, den ganzen Abend mit drei ganz jungen Schweizern zu verbringen! Sie hingen an meinen Lippen und sind wohl fit, sich die nächsten Jahre auf weitere Reisen zu begeben. Jetzt sind sie auf ihrem Trip gar gesponsert von diversen Aargauer Medienunternehmen und Privaten und haben sich auf diese Weise ihre Reise zumindest zur Hälfte finanziert. Jetzt stecken sie hier etwas fest, weil ihr Panda repariert werden muss und werden in der Mongolei zu spät ankommen. Heute war der letzte Tag der Mongol-Rallye, sie verpassen dadurch das bereits vororganisierte Abschlussfest in der Mongolei.

Km: 15‘037


So, 30.08.2015: Jetzt geht’s wieder los: Fahrt nach Arslanbob

Ich schlief unruhig, wohl weil ich vorhatte, den sicheren Hafen von Zukhov’s Guesthouse zu verlassen. Zudem musste ich meine Packung neu organisieren – zum ersten Mal war ich ohne Ersatzpneus unterwegs. Schliesslich wurde es halb zwölf Uhr, bis ich Osh verlassen sollte. Und es gab einen Tag ohne Komplikationen. Ich fand den richtigen Ausgang aus Osh problemlos, auch ohne GPS, google maps tat seine guten Dienste. Allerdings zog seinerzeit Stalin die Grenze so unlogisch, dass ich einen Umweg Richtung Arslanbob in Kauf nehmen musste, um nicht plötzlich wieder in Uzbekistan zu landen.

Bald hatte ich auf guter Strasse Uzgen erreicht, verpasste aber zuerst die Abzweigung Richtung Westen; dies merkte ich jedoch schnell, weil mich ein Einheimischer darauf aufmerksam machte. Die Fahrt war wenig Aufsehen erregend, ich fuhr durch eine sehr trockene, gewellte Landschaft mit rot-gelb verbrannten Weiden. Nach Uzgen hatte ich einen Ausläufer der nahen, hohen Gebirge zu überwinden. Nach Jalal-Abad ging es nicht mehr weit bis zum Abzweiger Richtung Arslanbob. Ich folgte einem rot gefärbten Gewässer geradewegs in eine schwarze Wand aus Wolken, die sich offenbar vor dem Gebirge stauten. Nicht weit vor Arslanbob begann es dann tatsächlich zu regnen, glücklicherweise aber nicht genügend stark, um die Regenausrüstung hervorzuziehen. In Arslanbob fuhr ich geradewegs in den örtlichen Markt und erkundigte mich nach Hayat, mit dem ich im Februar ja noch telefoniert hatte. Nathalie Frei hatte mir damals zu diesem Kontakt verholfen. Hayat ist Chef des örtlichen GBT, der Touristenorganisation, welche den Tourismus mit Übernachtungen bei einheimischen Familien fördert. Ich fand Unterschlupf in Unterkunft Nr. 10, wo ich aber nicht sofort auf Annika und Mathias traf, die mit dem Bike unterwegs waren.

Nach einem Schläfchen beobachtete ich die Frauen des Hauses, wie sie Manti herstellten, mit Fleisch und Gemüse gefüllten Teigtaschen. Gearbeitet wurde in einer offenen Küche, gefeuert mit Nussbaumholz und getrockneten Kuhfladen. Die vorbereiteten Manti wurden in speziellen metallenen Geschirren mit Löchern mit Dampf gegart.

Das Abendessen war ausgezeichnet. Wir assen zu fünft, Mathias, Annika und ein älteres australischen Paar bewohnen ebenfalls ein Zimmer in dieser sauberen Siedlung. Wir diskutierten lange über Reisen und Politik. 

Jetzt sitze ich im grossen Vorraum meines Zimmers, es ist empfindlich kalt, die nahen höchsten Berge sind frisch verschneit, der Herbst ist wirklich im Anzug. Die grossen Hitzeperioden sind wirklich vorbei… Es ist zwanzig vor elf Uhr – kein Schachpartner, da bleibt nur noch, mich schlafen zu legen…

Km: 15‘222


Mo, 31.08.2015: Ein Tag bei Hayat in Arslanbob und Good News von der Tibetfront

Annika und Mathias reisten heute Morgen tatsächlich schon wieder ab Richtung Bishkek. Ich bekam aber ein spannendes Telefon aus China. Ganz überraschend ist heute das Tibet-Permit eingetroffen, womit wir doch schon am 10. September in China einreisen können. Was für eine Freude!

Ich wollte heute keinesfalls schon wieder abreisen. Vielmehr hatte ich mit Hayat, dem Chef des CBT (Community Based Tourism) abgemacht, der mir empfahl, auf einen Spaziergang durch die ausgedehnten Nussbaumwälder zu unternehmen. Dabei kam ich auch am kleinen Wasserfall vorbei, nichts wirklich Besonderes, wie so oft bei Wasserfällen ausserhalb der Schweiz. Ich passierte viele Souvenirstände, aber es war noch nicht viel los, obwohl heute der Unabhängigkeitstag Kirgistans gefeiert wurde. Nach dem Wasserfall stieg der Weg an, und ich durchstreifte den offenen Wald, bestehend vorwiegend aus Nussbäumen. Das wäre der perfekte Ort, um weitere Nussbaummöbel herzustellen! Bald machte ich jedoch kehrt, denn ich hatte mit Hayat um 12.45 Uhr abgemacht, er wollte mich zum Essen einladen. Wir besuchten das einzige offene Café des Dorfes, setzten uns zu zwei Einheimischen. Wir assen im Schneidersitz „Plove“, ein Reisgericht mit Fleisch, tranken Tee dazu. Bier gab es erst später in Hayats Büro. Dieses machte mich ordentlich müde, weshalb ich zu meiner Unterkunft zurückkehrte und ein friedliches Schlümmerchen machte. Um sieben Uhr abends spazierte ich nochmals zum CBT-Office, wo ich auf Edda aus Bivio sowie zwei Touristen aus Singapore traf. Gemeinsam gingen wir zu Hayats Haus. Seine Frau hatte schon das Abendessen vorbereitet, wir trafen auf Hayats junge Tochter mit ihrem einjährigen Kind. Hayat führt seit 14 Jahren das CBT in Arslanbob und hat in dieser Zeit wohl einiges verdient, denn sein Haus und der sich im Bau befindende Skishop sehen doch schon ganz toll aus. Trotzdem wird auch in dieser Familie noch draussen gekocht, und das WC ist wie überall nur ein Loch.

Angeregte Diskussionen führte ich vor allem mit der quirligen Edda, die als Skilehrerin mit einem ganz speziellen Projekt beschäftigt ist. In Arslanbob sollen in Zukunft auch Skitouren angeboten werden. Eddas Aufgabe ist es nun, angehende einheimische Bergführer in die Kunst des Skifahrens einzuführen. Sie ist mit einem Lastwagen gefüllt mit gebrauchtem Skimaterial nach Kirgistan gefahren – es ist hier kaum möglich, zu einigermassen vernünftiger Skiausrüstung zu kommen. Vielleicht werden einst gebrauchte Skilifte, die in der Schweiz wegen Schneemangels nicht mehr vernünftig betrieben werden können, nach Kirgistan transportiert. Zum Essen gab es kirgisischen (Port-)Wein, Bier und schliesslich natürlich auch Wodka. Es war ein sehr vergnüglicher Abend. Eigentlich hätte ich am nächsten Tag Edda und die zwei aus Singapore gerne in die Berge begleitet, aber unterdessen wird die Zeit in Kirgistan tatsächlich knapp – es bleiben nur noch neun Tage.

Auf dem Heimweg suchte ich eine ganze Zeitlang nach meinem Guesthouse, und ich war froh, es schliesslich auch gefunden zu haben. Ich wurde überaus gastfreundlich empfangen, wohl auch dank Nathalie und Daniel, die vor drei Jahren hier waren und Hayat in die Schweiz eingeladen hatten.

Km: 15‘222


Di, 01.09.2015: Reise zur Hunting Lodge

Die gestrige gute Mitteilung wurde heute bereits wieder relativiert. Mit unseren Tibet-Permits beschäftigen sich tatsächlich mehrere Ämter, und heute kam ein Njet aus Peking. Aktueller Stand der Dinge: Wir werden zwischen dem 14. Und 16. September in China einreisen können…

Trotzdem wollte ich heute weiterreisen, obwohl mich ein Bergtrip mit diesen Leuten schon gereizt hätte. Um halb zehn Uhr traf ich mich beim CBT-Office nochmals mit Hayat und Edda. Herzliche Verabschiedung!

Bald war ich wieder im Tal und fuhr lange Zeit Richtung Westen, bis die gut ausgebaute Strasse endlich nach Norden abbog. Wegen der unsinnigen Grenzführung musste ich einen Umweg in ein Seitental in Kauf nehmen. Die Grenze zu Uzbekistan ist gleich doppelt mit zwei Stacheldrahtzäunen gesichert.

Heute war Schulanfang in Kirgistan. Ich begegnete den ganzen Tag Kindern, die in ihren speziellen Uniformen auf dem Weg in die Schule waren. Vor allem die Mädchen sind speziell gekleidet. In ihren Haaren tragen die meisten zwei weisse Kunstblumen, sieht schräg, aber doch hübsch aus.

Vor Tasch-Kumyr ging es dann endlich etwas bergauf. Ich hoffte dadurch, dass es etwas abkühlt. Es war sehr warm heute, ich hätte das Futter doch nicht in meine Jacke einfügen sollen. Aber es ging nur wenig aufwärts. In diesem meist recht engen Tal wurde der Naryn-Fluss gleich mehrmals gestaut. Diese kurvenreiche Strasse führte am Ostufer meist hoch über den tiefblauen Stauseen nordwärts, aber ich gewann kaum an Höhe. Auch der grosse Tokogul-See ist nicht wirklich hoch gelegen, und es war immer noch überaus warm. Was für ein bizarres Bild: Der See, der gesäumt wird von überaus trockenen, wüstenähnlichen Bergen, wechselte wegen der Wolken immer wieder seinen Blauton. Hier machte ich einen Halt in einem kleinen Restaurant, aber der frittierte Fisch war nicht wirklich gut. Der See musste jetzt in einem kilometerweiten Bogen umfahren werden. Ab Toktogul ging es dann endlich merklich aufwärts. Ich hielt Ausschau nach einem Schild „Tourist Camp“, wo ich einer kleinen Kiesstrasse folgte und überraschend zu einem kirgisischen, zwar etwas heruntergekommenen Wellness-Hotel kam. 700 KS kostet das Zimmer (10 Fr.). Die Landschaft hatte sich beim Aufstieg schnell verändert, man wähnt sich hier in irgendeinem Schweizer Hochtal. Nach dem Einchecken spazierte ich in Crocs (!) während über einer Stunde entlang einem Bergbach mit herrlich klarem Wasser in ein Seitental und kam immer näher an rötlich schimmernden Berge, zusätzlich einem frisch verschneiten, noch höherem Berg. Sieht wirklich aus wie in der Schweiz. Wäre ein herrliches Wandertal!

Am Abend ass ich nochmals Fisch, diesmal ausgezeichnet auf russische Weise zubereitetet. Der Fisch wird entzweit und auf diese Weise herrlich braun gebraten. Natürlich wird der Fisch mit einem Haufen Zwiebeln serviert.

Jetzt sitze ich im Hotel – ich bin der einzige Gast. Die Hausdame und ihre Tochter schauen im TV eine spassige (?) kirgisische Talkshow. Ich verlasse jetzt diesen Raum und lausche lieber dem Rauschen des nahen Bergbaches. Gut Nacht!

Km: 15‘575


Mi, 02.09.2015: Die Fahrt durch die goldenen Berge nach Song Kul

Die Nacht war extrem ruhig, und ich erwachte später, als ich geplant hatte. Ich hatte aber schnell gepackt und ich fuhr schnell los, aber es war sehr frisch, und die Strasse führte steil bergauf zum Alabel-Pass (3184 m.ü.M.). Hier oben war es empfindlich kalt, ich fror trotz des montierten Jackenfutters, zudem funktionierte die Griffheizung nicht wunschgemäss. Ausserdem war es bewölkt, sodass keine Sonne da war, um mich etwas zu wärmen.

Ich war froh, dass es wieder bergab ging, und so wurde es allmählich wieder etwas wärmer. Ich fuhr ein auf eine Hochebene, auf der es kilometerweise geradeaus ging. Ich kam sehr gut vorwärts, weil die Strasse gut ausgebaut ist. Bevor es hoch zum nächsten, noch höheren Pass ging, bog ich rechts ab auf eine Schotterpiste Richtung Suusamyr. Ich ärgerte mich schon, dass ich nicht früher getankt hatte, denn mein Tank war schon wieder beinahe leer, aber ich hatte Glück. Ausgangs Ort verkaufte man 92-er-Benzin aus der 5-Liter-Flasche, sodass ich zehn Liter der wertvollen Flüssigkeit kaufen konnte. Eigentlich hatte ich erwartet, dass es jetzt in den Bergen wieder bergauf geht, aber ich folgte jetzt einem klaren, immer grösser werdenden Fluss, und dieser führte natürlich talwärts. Die Piste war ohne grösseren Probleme zu bewältigen, aber ich fuhr sehr vorsichtig, denn alleine wäre eine Panne wieder viel unangenehmer. An einigen Stellen war der Fahrweg aber sehr eng, weil beidseits mächtige Felsen gen Himmel ragten. Allmählich wurde das Tal offener, just hier waren aber die Felsen besonders eindrucksvoll, weil sie in rosa-oranger bis beiger Farbe leuchteten – und dies ohne Sonne! Unterdessen war es auch wieder wärmer geworden. Ich erreichte ein weites Tal und erreichte bald Chaek. Hier machte ich einen Cola-Halt und kaufte drei herrliche Pfirsiche.

Ich wusste, dass ich jetzt nicht mehr weit zu fahren hatte, bis die Strasse Richtung Song Kul abzweigt. Eigentlich wollte ich nach Kochkor fahren, aber die Piste Richtung Song Kul reizte mich zu stark, obwohl ich nicht wusste, wie viel Bachdurchquerungen zu bewältigen waren. Auf dieser breiten Piste kam ich gut vorwärts. Es ging konstant leicht bergauf, noch befand ich mich aber in recht ebenem Gelände. Und da tauchten sie auf, die goldenen Berge. Gelbes, ausgetrocknetes Gras gab den immer höher werdenden Hügelzügen einen goldenen Schimmer. Hier machte ich einen Halt, ass Brot und Sardinen und trank den Rest Cola. Dann ging es immer tiefer in die Berge. Ich schlängelte mich zwischen den immer gewaltiger werdenden Bergrücken durch, es eröffneten sich mir immer wieder neue, imposante Aussichten. Die Strecke war recht stark befahren mit Lastwagen. Irgendwo da hinten musste sich ein Kohlebergwerk befinden, denn auf der Strasse lagen einzelne verlorene Kohlebrocken. An einer Stelle wurde ein hoffnungslos zerbeulter, von der Strasse abgekommener Lastwagen auf einen noch grösseren Anhänger geladen. Schliesslich traf ich auf einen ganzen Wagenpark von Trucks, die darauf warteten, beladen zu werden.

Erst jetzt führte der Fahrweg in vielen Haarnadelkurven bergwärts, und ich bekam einen Überblick über das ganze Kohlebergwerk. Die Landschaft sieht vernarbt aus, an einigen Stellen ist sie pechschwarz, und hier wird wohl die Kohle gewonnen. Je höher ist aufstieg, desto karger wurde die Landschaft und umso kälter wurde es, bis ich endlich die Passhöhe auf über 3350 m.ü.M. erreicht hatte. Die Landschaft ist hier überhaupt nicht mehr felsig. Leicht gewellte Grashügel geben Pferden, Schafen und Kühen reichlich Nahrung. Ich passierte riesige Schafherden, die Bauern hatten hier einfache Jurten aufgestellt oder alte, ausrangierte Zirkuswagen (!), in denen sie armselig leben. In der Ferne war auch schon der Song Kul auszumachen. Lange Zeit fuhr ich in dieser unwirklich scheinenden Landschaft an der rechten Flanke der Hügelzüge sanft abwärts, bis ich endlich auf die Abzweigung stiess, die mich Richtung See führte. Hier fielen mir sofort grössere Gruppen von Jurten auf, und zu der zweiten dieser Gruppen fuhr ich schnurstracks hin. Ich wurde freundlich empfangen, mir wurde eine Einerjurte zugewiesen, ausgelegt mit Teppichen und Tüchern; sah überaus gemütlich aus. Dann machte ich mich auf einen Spaziergang quer über ein unendlich scheinendes Wiesfeld, vorbei an Eseln, Pferden, Kühen, Schafen und Ziegen. Schade war, dass sich die Wolken noch nicht verzogen hatten. Bei Sonnenschein hätte mich diese Landschaft wohl noch viel mehr in den Bann gezogen. Erst am Abend lugte die Sonne zwischen den Wolken hindurch und tauchte die Landschaft in ein warmes Orange-gelb. Was für ein Sonnenuntergang über diesem riesigen See.

Es wurde mir und zwei Amerikanern ein einfaches Abendessen serviert – Kartoffeln mit Sauce und ein Stück Schuhsohlenfleisch. Dann wurde meine Jurte mit Kuhfladen (!) geheizt – herrlich warm wurde es und perfekt, Tagebuch zu schreiben. Ich unterhielt mich lange mit der jungen Klara aus Dresden, welche jetzt schon zum dritten Mal hier ist und hier unterdessen arbeitet und schon fast zur Familie gehört. Eigentlich wollten wir des Nachts noch wegfahren für ein Bier (obwohl ich mich fragte, wie man in diesem Middle of Nowhere nur ein Bier auftreiben könnte). Schliesslich sassen wir zu fünft in der Essjurte und spielten ein recht komplexes kirgisisches Kartenspiel, Bulak oder so ähnlich. Es war ganz lustig, aber kalt, und ziemlich durchfroren betrat ich erst um Mitternacht meine Jurte, wo ich mein Lager am Boden schon vorbereitet hatte, in den Schlafsack schlüpfte, zusätzlich eine Schaffelldecke über mich warf. Es verging aber einige Zeit, bis ich mich etwas aufgewärmt hatte und endlich hinüberdöste.

Km: 15‘906


Do, 03.09.2015: Fahrt zum Issyk-Kul nach Cholpon-Ata

Es war kalt in der Nacht, einmal weckte mich sanfter Regen für kurze Zeit auf, aber ich schlief recht gut. Nach dem Frühstück in der „Essjurte“ war ich lange Zeit mit Packen beschäftigt. Ich stellte fest, dass der Verschluss meines Givi-Koffers definitiv zerschlissen war, er hielt den ganzen gestrigen Tag nur noch an meinem Spannset, das jetzt nachgespannt werden und mit einem zweiten doppelt gesichert werden musste.

Aber es war sonnig heute Morgen, und der Song Kul erstrahlte in herrlichem Glanz, aber es war noch immer sehr kalt, sodass ich das Futter in meinen Anzug einsetzte und auch noch die Regenjacke als Windschutz montierte. So fuhr ich dem Südufer des Sees Richtung Osten. Pferde, Schafe, Ziegen, Kühe waren am Grasen und hatten eine weitere Nacht ohne Wolfsangriff überstanden. Die Tiere werden des Abends meist in ganz enge Gehege eingepfercht, damit sie in Sicherheit sind. Spätestens im Oktober werden all die Tiere kilometerweit zu Tal getrieben, und alle Jurten werden abgebrochen, denn im Winter ist es auf diesen Höhen überaus unwirtlich es kann bis -40°C kalt werden. Der See ist bis in den Mai zugefroren.

Nach der Abzweigung Richtung Naryn fuhr ich auf passabler Schotterpiste entlang dem Ostrand des Sees, bevor ich aufstieg zu einem Pass. Aufgrund der Höhe (3446 m.ü.M.) war es hier oben noch kälter. Wolken zogen vorüber und tauchten die zauberhafte Landschaft mit diesen kargen, verschiedenfarbigen Bergen in immer neues Licht. Dann kam der heftige Abstieg ins Tal. Auf dem steilen Fahrweg hatte es Runsen von Bächen von regenreicheren Tagen, klobige Felsbrocken waren zu umfahren in vielen Haarnadelkurven. Und je weiter ich hinunterkam, desto weniger kalt wurde es. Endlich im Tal angelangt, versuchte mich ein Einheimischer recht aggressiv zu überreden mitzufahren. Eigenartiges Gefühl, wenn dir einer mit Pferd den Weg abschneidet und der andere auf deinem Motorrad lehnt. Aber ich fand den richtigen Moment abzuhauen, beschleunigte so schnell ich konnte und war weg. Lange fuhr ich jetzt durch ein immer fruchtbarer werdendes Tal. Sorgen machte mir der Benzinstand, ich lief allmählich auf Reserve. Aber ein Dorf war meine Rettung: Ich konnte zwei 5-Liter-Flaschen mit Benzin kaufen, parlierte die ganze Zeit mit einem alten Einheimischen, der es nicht verstehen kann, dass ich nicht verheiratet bin. Er amüsierte sich köstlich mittels etwelchen zweideutigen Handbewegungen und wollte mir eine seiner Töchter anbieten – Kommunikation funny, alles mit Hand und Fuss, Mimik oder Russisch, von dem ich leidlich wenig verstehe.

Bald erreichte ich die perfekt geteerte Hauptstrasse von Bishkek nach China und kam plötzlich sehr schnell vorwärts. Aber da türmten sich schwere Regenwolken vor mir auf, aber ich konnte ihnen grad noch entfliehen. Zudem wurde es plötzlich wieder kälter, und in der Ferne konnte ich erkennen, dass es weit heruntergeschneit hatte. Die gute Strasse lud die Polizisten ein, Geschwindigkeitskontrollen zu machen, und tatsächlich tappte ich in eine dieser Fallen – 72 statt 60 km/h auf schnurgerader Strecke mit kaum Häusern auf beiden Seiten – 1000 Som Busse (15 Sfr.). Trotzdem ärgerlich! Vorbei an einem hellblauen Stausee erreichte ich bald den Issyk Kul, einen riesigen See, der über 170 km lang und 80 km breit ist! Aber auch hier war es kalt, dazu wehte ein starker, beinahe eisiger Wind. Balykchy, die erste grössere Stadt, lud mich nicht zum Verweilen ein, sodass ich noch weiterfuhr bis Cholpon Ata, einer vorwiegend im Sommer von Touristen übervölkerten Stadt. Kasachen und Russen nächtigen hier in verschiedenen relativ teuren Strandresorts, die jetzt jedoch geschlossen und ziemlich verwaist sind. Ich fand im Pegasus-Guesthouse (zu dem mich allerdings ein Taxi fahren musste – 150 m für 100 Som – ich hatte schon an der richtigen Stelle gesucht…) eine gute Unterkunft. Ich teile das Zimmer mit Valerie, einer jungen, recht gut Russisch sprechenden Berlinerin und einer noch jüngeren Japanerin, Yuki aus Kyoto. Mit den beiden ass ich in einem nahen Restaurant zu Abend, guten Fisch vom See. Anschliessend tranken wir einen Muscat aus Moldawien, den wir früher in einem Supermarkt gekauft hatten. Es war recht lustig, vor allem die Fotosession vor den kitschigen Pferdeteppichen…

Ich werde wohl noch eine Nacht hier bleiben. In Karakol am Ostufer des Sees werde ich vermutlich wieder auf Annika und Mathias treffen.

Km: 16‘136


Fr, 04.09.2015: Die Steingravuren von Cholpon Ata

Es war wieder ein ruhiger Tag angesagt. Nach dem reichhaltigen Frühstück mit Nudeln, Eiern und einer Art russischer Croissant schrieb ich einige Zeit an meinem Blog, bearbeitete Fotos. Ich beschäftigte mich auch mit einem neuen VPN-Anschluss (ich wählte „golden frog“) und sollte jetzt auch in China uneingeschränkten Internet-Empfang haben. Die Sperrung von google, facebook etc. ist somit umgangen. Es war kühl im Zimmer, während sich draussen die Sonne zeigte, weshalb ich mit Valerie am späteren Nachmittag zu den Steingravuren von Cholpon Ata spazierte. Wir wurden von einem Einheimischen schliesslich bis vor die Tore dieser prähistorischen Stätte gefahren.

Auf einem riesigen Feld mit unzähligen Findlingen sind einige dieser Steine mit uralten Zeichnungen verziert, die ältesten aus der Bronzezeit (1500 v. Chr.), die jüngsten aus der Aera der Saka-Usun (800 v. Chr. Bis 100 n. Chr.) oder der türkischen Zeit bis 800 n. Chr. Die Saka-Priester benutzen diesen heiligen Ort hoch über dem See für Opfer und andere Riten zu Ehren des Sonnengottes. Die altertümliche Siedlung liegt mittlerweile unter Wasser. Die meisten Zeichnungen stellen Steinböcke dar. Es war nicht einfach, echte von gefälschten Zeichnungen aus viel jüngerer Zeit zu unterscheiden, aber je länger wir in der Anlage waren, desto mehr bekam man das Auge für die echten Graffiti. Allerdings brauchte man manchmal auch etwas Fantasie, um wirklich etwas Gegenständliches aus den uralten Figuren zu erkennen.

Auf dem Rückweg zu Fuss machten wir lange Halt an einigen Brombeersträuchern und taten uns an den herrlichen Beeren gütlich. Wir begegneten einer erbärmlich miauenden, jungen, überaus niedlichen Katze, die wohl ihre Mutter verloren hatte.

Am Abend besorgte ich mir im Supermarkt eine neue Stirnlampe – für drei Franken, chinesische Qualität. Es ist unsicher, wie lange dieser billige Schrott funktioniert. Dann ass ich in einem Restaurant mittelprächtigen Fisch. Der Abend war ruhig – nothing is going on in this city – die Touristenmassen sind definitiv verschwunden.

Und: Diesmal ging’s schnell: Das Strassenverkehrsamt St.Gallen hat sich im Tagblatt rehabilitieren können. Heute erfuhr ich, dass ein zweiter Artikel über meine Reise, im Speziellen mein Nummernklau, erschienen ist J.

Km: 16‘136


Sa, 05.09.2015: Ein weiterer ruhiger Tag in Cholpon Ata

Am Morgen nach dem Frühstück mit Rösti (!) und frischen Pilzen aus den Bergen zog Valerie weiter nach Bishkek, während ich mich mit den weltweiten Karten von „Sygic“ versorgte. Wenigstens ab Thailand bin ich mit GPS-Karten auf dem Handy bestens versorgt.

Am Nachmittag spazierte ich zum Strand, der nicht mehr sehr bevölkert war. Aber solange die Sonne schien, war es angenehm warm. Ich sprang auch einmal ins Wasser, das noch erstaunlich warm ist – es ist beinahe wärmer als die Lufttemperatur, zumindest wenn die Sonne hinter den Wolken verschwindet. Dies passierte nämlich am späteren Nachmittag, und sofort wurde es kühl.

Im Guesthouse sind unterdessen wieder drei neue Gäste eingetroffen, ein Israeli und ein französisches Paar. Ich verbrachte vorwiegend einen faulen Tag, morgen bin ich bereit zur Weiterreise nach Karaköl.

Km: 16‘136


So, 06.09.2015: Fahrt nach Karaköl

Ich habe den Reiserhythmus in den letzten zwei Wochen schon ziemlich heruntergeschraubt. Es ist wohl gut, mich etwas von all den Erlebnissen zu erholen, diese zu verarbeiten und zur Ruhe zu kommen. Denn in China werde ich dann bestimmt für einen Monat in den alten Rhythmus zurückgeworfen.

Ich nahm es auch heute Morgen einigermassen gemütlich, beobachtete den Israeli, wie er an seinem geschenkten (!) Lada herumschraubte.  Er ist mit einer kirgisischen Nummer unterwegs ist – wenn das nur gut geht…

Dann ging es endlich los. Ich folgte der Nordküste des Issyk-Kul-Sees in nordöstlicher Richtung. Es war wiederum ziemlich frisch, aber sonnig – der Sommer scheint auch hier definitiv vorbei zu sein. Ich bin so weit im Norden wie schon lange nicht mehr (Höhe Kroatien) und werde dies wohl auch lange nicht mehr sein. Leider kriegt man auf dieser Strecke vom See nur wenig mit. Die Dörfer, die ich durchquerte, sind wenig einladend, beinahe armselig – heruntergekommene einfache Behausungen an breiter Strasse, da eine Kuh, hier eine Schülergruppe auf dem Weg zur Schule, manchmal ein kleiner Markt mit dem gewohnten Betrieb. Eindrücklich war nur das massiv-bedrohliche Gebirge im Norden, das weiss verzuckert ist – es hat in der Nacht wieder weit hinuntergeschneit.

Karaköl, das ich heute erreichen wollte, liegt am südöstlichen Ufer dieses grossen Sees. Auch hier dasselbe Bild: An breiten Boulevards aus russischer Zeit armselige Bauten, jeder Strassenblock sieht fast gleich aus, sodass es leicht ist, sich zu verirren. Genau das passierte mir dann auch. Leider hatte ich vergessen, das Riverside Guesthouse auf google maps zu speichern, sodass es relativ hoffnungslos war, das Guesthouse ohne Hilfe zu finden. Nachdem auch zwei Taxifahrer keine Ahnung von dieser Unterkunft hatten, passierte ich einen Laden, der in Karaköl verschiedene Touren anbietet, und da sprach jemand Englisch und konnte mir helfen.

Meine neue Unterkunft ist recht idyllisch an einem Fluss gelegen, wird geführt von einem jungen Holländer und seiner einheimischen Frau und erreicht schon beinahe westliche Standards. Ich bezog ein schönes Zimmer im ersten Stock (800 Som), genoss vorerst einmal einfach die Ruhe hier. Ich hatte hier mit Annika und Mathias abgemacht, die am Abend auch eintrafen. Wir werden uns ab übermorgen auf einen viertägigen Treck in die südlichen Berge Karaköls begeben, das dürfte wieder ziemlich abenteuerlich werden, denn es schneite in der Nacht nochmals weit hinunter, aber der Wetterbericht verheisst Gutes.

Am Abend spazierten wir zu dritt zu einem Restaurant in der Stadt – recht gutes Essen, u.a. Hering wie in Deutschland. Auf dem Nachhauseweg begann es zu regnen, sodass wir ein Taxi nahmen. Es dürfte in den Bergen noch mehr Schnee geben…

Km: 16‘287


Mo, 07.09.2015: Vorbereitungstag in Karaköl

Noch am vorigen Abend hatten wir das Routing unserer Tour geplant, heute Morgen sortierten wir unsere vorhandenen Fressalien und schauten, was noch fehlt. Die beiden machten sich auf eine Bike-Tour in der Nähe – darauf wollte ich verzichten, denn ich wollte nicht schon heute benötigte Kräfte verlieren. Ich habe etwas Respekt vor der kommenden Tour: Erstens ist da die Kälte, der Schnee, und zweitens sind die beiden wohl überaus fit, bin ja mal gespannt, wie gut ich (beladen mit Gewicht) zu folgen im Stande sein werde…

Ich verbrachte einen weiteren faulen Tag. Um die Mittagszeit fuhr ich zum Markt und deckte mich mit all dem Fehlenden ein (Gemüse, Suppe, Käse, Konserven, Snickers, Wasser, etc.). Ich kaufte einen geräucherten Fisch und Brot für den Zmittag. Dann lag ich nochmals faul herum und begann später etwas zu schreiben und zu lesen.

Ich fühlte mich schon den ganzen Tag nicht besonders wohl, mein Magen knurrte, und am Abend fand ich die Bestätigung. Ich benutzte zum ersten Mal Connys nachgesandten Fiebermesser, der 37.5°C anzeigte – bad news für den geplanten Bergtrip. Trotzdem begleitete ich Annika und Mathias am Abend zum Essen, aber statt Bier gab es nur Schwarztee. Dann legte ich mich früh schlafen. Aber mich erwartete eine unruhige Nacht. Gleich mehrmals suchte ich das Klo auf – der Durchfall hatte mich wieder einmal. Aber gleichzeitig hoffte ich, dass mich dadurch auch all das giftige Ungeziefer verlässt…

Km: 16‘299

 

Di, 08.09.2015: Trekking Tag 1: Durch das Jety-Oguz-Tal zum Basecamp

Tatsächlich ging es mir am Morgen etwas besser, das Fieber war weg. Aber ich überlegte natürlich, ob es sinnvoll ist, mich so kurz vor dem China-Abenteuer nochmals grossen Strapazen auszusetzen, denn der geplante Trip ist nicht ohne, weil viele Strecken- und Höhenmeter zu bewältigen sind. Aber man kann jetzt sagen, ich sei nicht belehrbar, natürlich setzte ich auf den Fünfer und das Weggli und wollte Annika und Mathias auf diesem Trip unbedingt begleiten.

In der nahen, versteckten Bäckerei versorgten wir uns noch mit je zwei Laib Brot. Ein Taxi fuhr uns um neun Uhr für 600 Som bis zum „Kurort“ mit Sanatorium  im Jety-Oguz-Tal auf etwa 2000 m.ü.M.. Eigentlich hätte uns der Fahrer für 400 Som noch etwas weiter ins Tal hinein gefahren, worauf ich gerne eingegangen wäre, aber die beiden wollten das vollständige Trekking zu Fuss zurücklegen. Bevor wir zu Fuss starteten, bestaunten wir noch die „Sieben Ochsen“, rot leuchtende Felsen, die eindrucksvoll gen Himmel ragen.

Am heutigen Tag wollten wir durch das Jety-Oguz-Tal zum Ausgangspunkt für zwei Passtouren kommen. Lange Zeit stiegen wir kontinuierlich auf einem eigentlich befahrbaren Weg auf in südöstlicher Richtung. Ab und zu überholte uns ein (mehr oder weniger) geländegängiges Gefährt. Wir folgten einem wilden Bergbach, vorbei an Weiden und Fichtenwäldern. Da waren Jurten, in denen man hätte übernachten können. Den letzten Teil wanderten wir auf teils recht tiefem Wanderweg. Unterdessen türmten sich in genau jener Richtung, wohin wir wollten, schwere Wolken, und tatsächlich begann es bald zu tröpfeln.

Nach einer kurzen Mittagsrast realisierte ich, dass es von hinten dauernd an meine Wade tropfte. Zuerst glaubte ich, es sei der leichte Regen, aber dann merkte ich, dass ich meine Wasserflasche nicht richtig verschlossen und bereits den ganzen Rucksackboden durchnässte hatte. Unklugerweise hatte ich zuunterst im Rucksack meinen Schlafsack verstaut, der dadurch schon ziemlich durchnässt war. Welch ein Ärger! Wie sollte ich die nächste Nacht auf 2850 m.ü.M. nur ohne Erfrierungserscheinungen überleben? Nachdem ich mit Toilettenpapier versuchte, möglichst viel Wasser abzusaugen, montierten wir den Schlafsack mit den nassesten Stellen gegen oben auf Mathias‘ Rucksack. Glücklicherweise verzogen sich jetzt die Regenwolken, und die Sonne half, das Wasser im Schlafsack zu verdunsten. Dafür plagten mich jetzt die Gewitterwolken in meinen Gedärmen, und ich hatte gleich mehrmals auszutreten…

Je höher wir aufstiegen, desto spannender und eindrucksvoller wurde die Landschaft mit entfernten schnee- und gletscherbestandenen Riesenmonstern von Bergen. Wir erreichten ein weites grünes Tal mit weidenden Pferden und Kühen gleich an der Baumgrenze. Eine Abkürzung zum immer noch breiten Fluss sollte sich nicht lohnen, denn ich geriet in ein veritables Hochmoor. Als ich bis zu den Oberschenkeln im Schlamm versank, glücklicherweise ohne irgendwelche Egel einzufangen, aber längst barfuss, musste ich einen leichten Umweg in Kauf nehmen, konnte den eiskalten Bach aber problemlos durchschreiten und fand auf der anderen Bachseite eine schöne Campingstelle mit genügend Holz in der Nähe für ein abendliches Feuer. Während ich mich ums Holzbeschaffen kümmerte, begannen Annika und Mathias das Cous-cous mit Gemüse vorzubereiten. Das Feuer erwies sich als sehr angenehm, weil es kalt wurde, als es einnachtete. Wir sassen noch recht lange am wärmenden Feuer und genossen die herrlich ruhige Stimmung. Nur das ewige Rauschen des Baches durchbrach diese Stille und wiegte uns bald in einen ruhigen, tiefen Schlaf in unseren Zelten. Ich bedeckte mich mit meinen sämtlichen zur Verfügung stehenden Kleidern, steckte die Ärmel dessen unter die Matte, sodass sie nicht zu leicht verrutschen konnten. Zudem stellte ich erfreut fest, dass mein Schlafsack dank der Abendsonne beinahe schon wieder ganz trocken war.

Nur mein Magen hatte sich noch nicht beruhigt, üble Flüssigkeit entfuhr meinem Körper. Zwei Pitstops in dieser Nacht waren notwendig…

Km: 16‘299


Mi, 09.09.2015: Trekking Tag 2: Über den Telety-Pass ins Karakol-Valley

Während sich die Bewölkung in meinem Magen auch bis zum Morgen nicht wirklich gelegt hatte, war wenigstens der Himmel einigermassen klar. Ich nutzte die vorhandene Glut für ein zweites morgendliches Feuer. Nach dem ausgiebigen Frühstück mit warmem Tee wusste ich, dass ein anstrengender Tag auf mich wartete. Wir stiegen gleich ein ins östlich verlaufende Tal Richtung Telety-Pass. Anfangs war es aufgrund des dichten Gebüsches nicht leicht, den richtigen Weg zu finden. Es ging jetzt steil bergan, die schwere Vollpackung lastete auf meinen Schultern, und ich stellte bald fest, dass ich der Pace meiner Begleiter nicht folgen konnte. Dies erstaunte mich nicht wirklich, denn ich wusste, dass die beiden einfach wesentlich fitter (und jünger und vielleicht auch seriöser im Umgang mit ihrem Körper…) sind.

Bald klaffte zwischen uns eine grosse Lücke, weil ich einfach deutlich langsamer unterwegs war. Immer wieder brauchte ich eine kurze Pause, legte meinen schweren Rucksack auf einen grossen Stein auf dem Weg. Aber gleichwohl kam ich kontinuierlich vorwärts. Bald hatten wir eine erste Stufe überwunden und überquerten eine weite Alp, bis es wieder steil emporging und ich weiter an Terrain verlor. Die beiden waren aber so rücksichtsvoll, dass sie immer wieder auf mich warteten. Je höher wir aufstiegen, desto spärlicher wurde die Vegetation, dafür war diese umso sehenswerter. Da begegneten mir Edelweiss und Enzian in Hülle und Fülle. Schliesslich bewegten wir uns in einer veritablen Steinwüste und wurden endlich des Passes ansichtig. Ein letzter Effort – und es war geschafft. 3759 m.ü.M. – eine steife Brise wehte um unsere Köpfe, dafür wurden wir mit einer herrlichen Aussicht belohnt. Auf der Suche nach einem geschützteren Ort stiegen wir auf der anderen Passseite einige Meter ab und ruhten uns an der wärmenden Sonne einen Lunch essend aus. In diesem weiten, grünen Tal stiegen wir lange über weite Weiden, vorbei an weidenden Pferden und ängstlichen, pfeifenden Murmeltieren ab. Auf der Höhe der undurchdringlichen Büsche verfehlten wir für kurze Zeit den richtigen Weg und stiegen in ein schmales, enges Tal ab. Mathias verschwand im Dickicht, um schliesslich auch kehrt zu machen und Annika und mir zu folgen, denn wir hatten unterdessen den richtigen Einstieg talwärts gefunden. Schliesslich ging es steil bergab Richtung Talsohle des Karakol-Valleys, wo wir von einem Ranger in einem UAZ, einem russischen Jeep überraschend empfangen wurden. Wir hatten je 250 Som Nationalpark-Eintrittsgebühr zu bezahlen. Ich war unterdessen nach diesem deftigen Abstieg so ziemlich nudelfertig und war froh, wenigstens zwei Kilometer bis zu einem schönen Camping-Spot gefahren zu werden. Mathias und Annika hatten uns zu Fuss bald eingeholt – die beiden wollten aber noch etwas weitergehen bis zum Einstiegsort in Alakul-Tal. Also marschierte auch ich mit. Unterdessen waren wir auf nur mehr 2500 m.ü.M., und es begann bereits einzunachten. Das Zelt war schnell aufgestellt, Reis mit herrlich scharfem Gemüse bereit. Zeit für ein weiteres Feuer hatte ich nicht – auch mangels Holz.

Aber ich hatte unterdessen einen Beschluss gefasst. Ich wollte die beiden am nächsten Tag ziehen lassen und mir für die nächste, strengste Etappe unserer Tour etwas mehr Zeit lassen. Der einzige Nachteil war, dass ich mich so nur noch kalt verpflegen konnte – und: Ich sollte mir auf keinen Fall den Fuss vertreten…, denn heute waren wir den ganzen Tag auf nicht einen anderen Wanderer gestossen. Über 16 km mit fast 900 Höhenmetern aufwärts und deren 1300 abwärts hatten wir heute bewältigt.

Schliesslich noch Positives aus Darmstadt, in dem es unterdessen nur noch kräftig bläst – ein untrügliches Zeichen, dass sich die Nahrung wieder setzen kann…

Wiederum war es sehr kalt in der Nacht, aber unterdessen weiss ich, wie ich mich zu schützen habe…

Km:16‘299


Do, 10.09.2015: Trekking Tag 3: Solotrip zum spektakulären Alakul und unheimliche Nacht

Es war strahlend schön an diesem Morgen, aber bitterkalt, an einigen Stellen hatte sich sogar Väterchen Frost niedergelassen. Ich wollte es nicht unterlassen, noch eine letzte warme Mahlzeit zu geniessen und genoss schon am Morgen eine heisse Nudelsuppe.

Annika und Mathias waren schon etwas vor mir bereit für den Weitermarsch, dies war auch gut so, denn auf sie warteten lange 27 km und viele Höhenmeter. Ich liess an der endlich aufgehenden Sonne meine feuchten Zelttücher, aufgehängt an einer Tanne, noch etwas trocknen. Aber um halb zehn Uhr war auch ich bereit. Ich genoss es, in genau meinem Tempo vorwärts zu kommen, anzuhalten, wann immer es mir passt, zu fotografieren, zu staunen über sich die verändernde Landschaft, je höher ich aufstieg. Ich hatte mir vorgenommen, mit aller Vorsicht zu wandern. Das erste Ziel „Alakul-See“ sollte ich problemlos schaffen, und wenn ich es gar über den Pass schaffe, um den folgenden Tag abzukürzen, wäre dies extraprima.

Zuerst führte der Weg durch dichten Fichtenwald – eigentlich glich die Landschaft hier unten durchaus einem Tal, das sich in der Schweiz befinden könnte. Ich genoss es, äusserst gemütlich aufzusteigen. Zuerst musste ich einmal den Wald hinter mir lassen. Jetzt begannen die ersten Probleme. Ich traf auf ein ausgedehntes Stein- und Felsfeld, auf dem der Weg nicht mehr sichtbar ist. Weil ich ohne Karte unterwegs war, wusste ich nicht, wo am Ende dieses Steinfeldes der Weg weitergeht. Da half auch google maps nicht weiter, auf der ich mir die wichtigsten Punkte vorgemerkt hatte. Schliesslich fand ich aber doch instinktiv dem Hang entlang den Ausstieg aus diesem Feld der „Heidnischen Tossen“. Ich erreichte eine Alp mit einer Hütte, in der man auch übernachten könnte, wäre aber wenig einladend, denn Hütte wie eigentlich idyllische Umgebung sind übersäht mit liegengelassenen Abfällen.

Es war jetzt nicht mehr weit bis zum Einstieg ins enge, obere Alakul-Tal, als ich mich bei einer aus der Erde sprudelnden Quelle mit genügend Frischwasser versorgen konnte. Nochmals drei Kilogramm Mehrgepäck, das sich aber lohnen sollte, denn ab jetzt sollte ich kein einziges kleines Bächlein mehr queren. Der Aufstieg, der mich jetzt erwartete, war beinahe haarsträubend. Meist stieg der sandige und steinige Weg in der Falllinie an, eine ziemlich anstrengende Angelegenheit, die mich nur noch langsam vorwärtskommen liess. Ich folgte einem wilden Bach, dessen Wasser ich aber nicht wagte zu trinken, weil es aus dem See stammt. Ich stieg in Stufen bergan, aber die flachen Stellen waren spärlich. Ich war immer wieder zu kurzem Anhalten gezwungen, einerseits, um etwas auszuruhen, andrerseits um mich über die sich immer mehr öffnende Landschaft zu erfreuen. Schliesslich war vorbei an einem Wasserfall noch eine letzte felsige Stufe zu meistern, und dann wurde ich nach tausend Höhenmetern auf über 3500 m.ü.M. dieses legendären, riesigen, hellblauen bis grünlichen Bergsees ansichtig – ein gewaltiges Bild.

Unterdessen war es schon drei Uhr nachmittags geworden, aber der Entschluss war schon vor Erreichen des Sees gefasst. Ich wollte trotz Müdigkeit und Muskelkater noch weiter aufsteigen und auf der anderen Seite des Alakul-Passes mein Nachtlager aufschlagen. Nach einer kurzen Rast mit Käse, Brot und Nüssen folgte ich weiterhin den Steinmännchen auf recht gut befestigtem Weg. Je höher ich aufstieg, desto mehr Fernsicht bekam ich an diesem herrlich wolkenlosen Tag. Ich freute mich über mein Wetterglück und dachte an jene Wanderer, die vor wenigen Tagen ihren Trip wegen Schnee- und Hagelschauern abbrechen mussten. An schattigen Stellen sieht man noch heute Reste dieses gefallenen Neuschnees.

Aber die Müdigkeit drückte auf meine Schultern, die Beine wurden mit jedem Höhenmeter schwerer. Bald alle zwanzig Höhenmeter musste ich für einen Moment anhalten. Und dann sah ich endlich den Pass, das Ziel aller heutigen Träume und wünschte, mich wenigstens schon beim letzten, äusserst steilen, sandig-steinigen Teil zu befinden. Die Uhr tickte, und ich kam beinahe nicht mehr vorwärts. Ich wollte es unbedingt vor sechs Uhr abends geschafft haben. Zwanzig Höhenmeter, wieder zwanzig, ein Blick aufs Handy – google maps zeigte mir an, wo ich mich befand. Endlich hatte ich jene letzte steile Stelle erreicht, kämpfte mich Meter für Meter vorwärts und erreichte den Pass genau um Viertel vor sechs Uhr. 3900 m.ü.M.! Es war ein kurzer Spaziergang zu einem nahen kleineren Gipfel. Was für eine Aussicht – und dann noch in diesem Abendlicht! Ganz in der Nähe erstrahlten mächtige über 5000 Meter hohe Gipfel, ganz in der Ferne im Osten die konische Form des 7000 Meter hohen Khan Tengri an der chinesischen Grenze. Der Schattenwurf hatte den Alakul-See in ein tiefes Dunkelgrün verwandelt. Ich stand überwältigt minutenlang auf diesem Gipfel und konnte mich nicht sattsehen, aber ich wusste auch, dass ich jetzt möglichst schnell so weit wie möglich auf der anderen Passseite wieder abzusteigen hatte.

Der erste Teil war in halbgefrorener Erde denn auch sehr steil, aber doch verhältnismässig angenehm, erstens weil jetzt wieder andere Muskeln belastet wurden und zweitens, weil man mit einem Schritt gleich deren zwei machte, indem man gleichsam herunterdriften konnte. Bald hatte ich flacheres Gelände erreicht, wollte aber unbedingt noch etwas weitergehen, um noch mehr Höhe zu verlieren. Es war unterdessen schattig in diesem Tal, und die Nacht war nah. Erst um halb acht Uhr wurde ich gezwungen, mein Lager bei einem grossen Stein in einer leichten Senke aufzuschlagen. Dies ging sehr fix. Sardinen an Tomatensauce mit Zwiebel schmeckten köstlich, aber unterdessen war es schon beinahe gänzlich dunkel. Erst jetzt realisierte ich, dass es hier oben ordentlich unheimlich war. Ich verkroch mich in meinem Schlafsack und bedeckte mich erneut mit allen zur Verfügung stehenden Jacken und Pullovern und hoffte einfach noch, dass mich Wölfe und Bären an dieser etwas versteckten Stelle nicht finden würden…

Noch war ich aber noch zu aufgeregt von diesem ereignisreichen, herrlichen Tag und schlief bis elf Uhr nicht wirklich ein, aber irgendwann übermannte mich die Müdigkeit doch und verbrachte eine ruhige Nacht – ohne unangenehmen nächtlichen Besuch!

Und noch etwas: Der Darm-Apparat ist wieder dicht!

Km: 16‘299


Fr, 11.09.2015: Trekking Tag 4: Das Tal der 1000 Murmeltiere und eleganter Ausstieg aus dem Arashan-Tal

Ich war froh, dass es hell wurde. Der Vorteil, auf dieser Höhe zu übernachten, ist, dass die wärmende Sonne bald den obersten Teil des Keldeke-Valley beleuchtete und die feuchte Aussenhülle des Zeltes trocknet. Ich war jetzt froh, dass mich Annika mit Müesli und Milchpulver eingedeckt hatte – perfektes Frühstück. Aber ich sah, dass meine Wasservorräte beinahe aufgebraucht waren. Ich hoffte, dass ich bald einen kleinen Bach queren würde, der mich mit dem kostbaren Nass versorgen würde.

Schon um Viertel vor acht Uhr war ich bereit, in diesem Tal weiter abzusteigen. Ich hoffte, trotz der vielen Kilometer Karaköl auf irgendeine Weise zu erreichen. Ich wurde bald begrüsst von putzigen, teils riesigen Murmeltieren, denen es wegen des angefressenen Fettes fast nicht mehr möglich war, sich schnell fortzubewegen. Ich musste aber gleichwohl feststellen, dass sie doch noch schneller als ich waren, denn bis ich meine Kamera jeweils hervorgekramt hatte, waren sie längst in ihren Löchern verschwunden. Und als ich die Kamera schussbereit in Händen hielt, zeigten sie sich nicht mehr… Aber es war schon lustig, wie sie ihre Köpfe aus ihren Löchern streckten, um mit einem Pfiff gleich eine Generalwarnung abzugeben, sodass ich chancenlos war, den Tieren näher zu kommen. Und leider hatte ich mein Zoom nicht dabei – dieses Gewicht sparte ich mir.

Das weite Keldeke-Tal liess mich langsam, aber stetig Höhe verlieren. Ich passierte einige Pferdeherden – die Fohlen lagen gleich reihenweise auf ihren Rücken und liessen sich von der Sonne wärmen. Ich wusste, dass ich auf etwa 3000 m.ü.M. den Bach zu überqueren hatte, aber ich wagte nicht, wegen der Tiere von diesem Wasser meine Wasservorräte aufzustocken. Es war ein kontinuierlicher, wenig dramatischer, aber gleichwohl herrlicher Abstieg im morgendlichen Licht. Es dauerte aber doch vier Stunden, bis ich die Talsohle des Arashan-Valleys erreicht hatte. Weitere 15 km bis zum Ausgang des Tales sollten mich erwarten. Sollten!

Ich wusste, dass ich bald Altynarashan erreichen sollte, die bekannten, aber nur schwer erreichbaren Hot Springs in diesem Tal. Am Mittag hatte ich diesen Weiler erreicht. Da waren zwei russische Trucks, welche einige Touristen an diesen Ort gebracht hatten, aber auch ein russischer UAZ (Uljanowski Awtomobilny Sawod) mit zwei geführten Touristen. Ich fragte kurzerhand, ob sie für die Rückfahrt noch einen Platz frei hätten. Und siehe da: Ich hatte Glück, da war genau noch ein Platz frei, womit ich mir die letzten Kilometer ersparen konnte und mich Angenehmerem zuwenden konnte.

Zuerst nahm ich nämlich ein Bad in einer alten, betonierten Zelle mit mindestens 40°C heissem Wasser – eine Wohltat für meine zerschundenen Glieder. Und dann gab es hier sogar Bier zu kaufen. Ich setzte mich an die Sonne, ass einen weiteren Teil meiner noch vorhandenen Verpflegung und goss einen Liter dieses edlen Getränks in meinen Rachen – es gibt Unangenehmeres…

Um halb vier Uhr ging dann die Fahrt Richtung Karaköl auf überaus ruppigem Fahrweg los. Diese Strecke wäre auch per Motorrad nicht zu bewältigen gewesen – zu tiefe Wasserlöcher und Stellen mit riesigen runden Gesteinsbrocken auf der Strecke. Erstaunlich, dass dieser Jeep das überhaupt zu leisten im Stande ist. Wir brauchten fast zwei Stunden, bis wir in Karaköl angekommen waren. Hier begrüssten mich Annika und Mathias, die natürlich auch diese Strecke noch gewandert waren. Jaja, da musste ich halt schon feststellen, wo meine Grenzen sind. Zu wenig Fitness, fortgeschrittenes Alter oder andere Gründe, die ich hier nicht erwähnen möchte… Aber mit List kann ich dieselben Highlights in weniger anstrengender Form doch immer noch erleben.

Am Abend assen wir gemeinsam zu Nacht. Der Hunger war gross, das Tibon-Steak (in der Karte so geschrieben) war zu Siedfleisch übergebraten. Welcome back in the civilisation! Im Riverside Guesthouse besonders angenehm.

Km: 16‘299


Sa, 12.09.2015: Ruhetag in Karaköl

Schon am Morgen verliessen Annika und Mathias Karaköl Richtung Song Kul, das ich ja schon gesehen hatte. Ich wollte den Tag nutzen, mich auszuruhen. Morgen soll es weitergehen Richtung Naryn, wo ich die beiden wieder treffen werde. Das Abenteuer China ist jetzt nah.

Ich montierte heute Morgen noch die Originalnummer an meinem Töff. Die Behörden verlangen von meinem Töff nämlich noch ein Bild des Motorrades, an dem die Nummer sichtbar ist. Ich möchte das Risiko jetzt doch nicht eingehen, dass meine Eigennummer der Grund sein könnte, doch nicht in China einreisen zu können.

Km: 16'299

 

Ausblick

Noch befinde ich mich in Karaköl am Issyk-Kul-See. Morgen fahre ich nach Naryn, nahe der Grenze zu China. Ich bin noch unsicher, ob ich dort über Internet verfüge, um meinen Kirgistan-Blogeintrag zu vollenden.

Am 14. September ist geplant, vorbei an diversen kirgisischen Checkpoints, bis möglichst nahe an Chinas Grenze vorzudringen, dort auf grosser Höhe zu übernachten, um am 15. September möglichst früh an Chinas Zoll zu erscheinen, wo wir  von einem chinesischen Guide empfangen werden, der uns dann nach Kashgar führen wird, wo wir uns für zwei Tage Chinas Administration stellen müssen, wo ich vermutlich eine chinesische Töffprüfung bestehen muss und ich mit chinesischen Nummernschildern versorgt werde.

Du wirst jetzt mindestens einen Monat lang keinen neuen Eintrag mehr lesen können. Das Programm in den 30 Tagen mit 6000 Fahrkilometern für China/Tibet ist sehr gedrängt, ausserdem weiss ich nicht, wie gut die dortige Internetversorgung ist! Den nächsten Eintrag werde ich also erst in Laos vornehmen können!


Schliesslich herzlichen Dank, dass du dich für mein Geschreibsel interessierst! Ich freue mich über deine Kommentare oder Fragen!


Bis bald!

sturzi

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Kommentare: 3
  • #1

    iso (Sonntag, 13 September 2015 22:50)

    Lonesome Hiker.... Abel jetzt gilt es elnst, gell stulzi. gut aufpassen, dass du nicht allzu ungeholsam bist bei den Chinesen. Und jetzt ist fertig mit augenschmaus wegen frauenüberschuss wie in kirgistan. wünsch dir deshalb gute nerven und viel wetterglück - innerhalb und ausserhalb der Gedärme!

  • #2

    Trudy (Donnerstag, 17 September 2015 22:52)

    Hallo Sturzi
    Oft sind deine Geschichten zum Schmunzeln, deine Bergtouren aber immer haarsträubend!!! Toll die Bilder. Wunderschön die 8 roten Ochsen.. und die Jurten und die Abendstimmung am XY-See. Das fette Murmeli hast ja doch erwischt! Bravo.

    WAAAAS... einen ganzen Monat warten...

    Gute Reise und machs gut... verliere nichts und mach nichts kaputt... und pass auf beim Feuern!! Das ist gefährlich :-)
    Ich drück dir die Daumen und grüsse vom lieblichen Untersee
    Trudy

  • #3

    tobi (Donnerstag, 24 September 2015 12:10)

    ciao urs. deine geschichten sind einfach genial. super. aber in dieses in resti hättest du uns auch führen können;) wir sind jetzt in tserzeleg und geniessen burger und espresso. noch 500 km bis ulaan batar. pass auf dich und hau ab und zu einen drauf.. hoffe auf bald, in der schweiz oder sonst wo. lg vom schachpartner velotob