Teil 34: Peru I

Peru beinhaltet wohl alles, was mich an Südamerika so fasziniert. Da gibt es Berge, die unsere netten Schweizer Berge als Müsterchen erscheinen lassen; unglaublich wie viele Menschen in diesen unwirtlichen Gegenden in der Dauerkälte ausharren und ein Einkommen finden. Wir haben mehrere 5000-m-Pässe überquert, wähnten uns zeitweise auf dem Mond und haben Strecken befahren, die so anstrengend und abenteuerlich waren, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass dort schon viele Touristen durchgefahren sind.

Da ist aber auch die Kultur, eigenartig vermischt mit spanischen und indigenen Elementen, die farbigen Kleider, die immer wieder Farbtupfer in der manchmal wüstenähnlichen Landschaft sind. Natürlich haben wir auch Machu Picchu besucht, der trotz der unglaublich vielen Touristen immer noch eine gewisse Magie verströmt.

Unvermutet sind wir aber auch im Dschungel Perus gelandet, glücklicherweise schlägt die Trockenzeit endlich durch, und wir wurden von Schlamm fast völlig verschont, dafür durchstreiften wir Regionen, die noch vor Jahren vom "Sendero Luminoso" beherrscht wurden, einer maoistischen Guerilla-Organisation, die lange Zeit auch bei Touristen für Angst und Schrecken sorgten. Heute ist es glücklicherweise ruhig.

Ich habe die Peruaner als extrem tanzfreudiges Volk kennen gelernt. Schon in der Schule werden die traditionellen Tänze geübt und bei unzähligen Festen immer wieder mit Freude vorgeführt.

Noch immer hält meine Yamaha prima, obwohl ich bald 80'000 km gefahren bin, zweimal um die Welt. Momentan dreht sich vieles um den Amazonas-Flosstrip, der wohl im August/September starten wird. Bis dahin gilt es, noch etwas von Ecuador und Kolumbien zu sehen.

Di, 06.06.2017: Copacabana am Titicaca-See

 

Unter Copacabana stellt man sich augenblicklich den weltberühmten Strand in Rio de Janeiro vor. Aber auf über 3900 m.ü.M. ist weder Rio noch Strand, und doch ist Copacabana nicht weit. So heisst die Grenzstadt Boliviens zu Peru, idyllisch am Titicaca-See gelegen. Von hier sind wir bis fast an den äussersten Zipfel einer Halbinsel gefahren, vorbei an kleinen Dörfern, terrassierten Berghängen, deren kleine Felder aber nur noch selten bepflanzt werden. Kurz vor Yampupata folgten zwangen wir unsere Motorräder querfeldein zu einem Grat bis zum Absturz in den See, wo wir eine kleine Fläche gefunden haben, die ideal zum Zelten ist und erst noch eine sensationelle Aussicht bietet. Genau als wir ankamen, haben sich die Wolken verzogen, die Sonne hüllte die grünen Buchten und dunklen Wälder in warmes Licht. Was für eine Aussicht und was für intensive Farben!

Der Nachteil des Platzes war, dass wir aus einem Wäldchen Holz hoch zu unserem Platz schleppen mussten, eine ziemlich anstrengende Angelegenheit auf dieser Höhe. Wir sassen lange am Feuer, die Polenta mit Gemüse wollte aber nicht gar werden, zudem habe ich heute auf dem Markt eine Chili gekauft, die nur zu einem Viertel verwendet unser Mahl etwas gar verschärft hat… Jetzt sitze ich im Zelt und versuche meinen Rücken zu entspannen, dem es zwar besser geht, aber noch schmerzt er. Unterdessen bringen Windböen unsere Zeltwände zum Flattern, aber es ist doch recht gemütlich in diesem so oft gebrauchten Raum, vor allem wenn man schon im Schlafsack steckt.

Erst heute Morgen habe ich grünes Licht für die Abreise gegeben, weil es dem Rücken zusehends besser geht. Wir waren recht früh nochmals im Viertel mit den Motorrad- und Auto-Ersatzteilen, aber erneut erfolglos im Finden der Kupplungsscheiben. Wir verliessen das Scarlett Hostel um die Mittagszeit und lernten das Dauer-Verkehrschaos in dieser Stadt für einmal fahrend kennen. Wir fuhren hoch nach El Alto, wo vor allem die Kleinbusse für einen Verkehrszusammenbruch sorgten, weil sie mitten auf der Strasse standen und wohl Leute aus- und einsteigen liessen. El Alto ist unendlich gross und schien uns nicht loslassen zu wollen. Die Hauptstrasse ist zudem im Bau, sodass wir vorerst nur langsam vorwärtskamen.

Erst als wir die letzten Gebäude der Stadt hinter uns gelassen hatten, nahm der Verkehr schlagartig ab. Man baut hier unsinnigerweise eine doppelspurige Autobahn – purer, sinnloser Gigantismus. Wir bewegten uns jetzt auf einer Hochebene. Nach 50 km sahen wir zum ersten Mal den Titicaca-See, im Sonnenlicht tief-blau, magisch aussehend mit den verschneiten Sechstausendern im Hintergrund. Dreissig Kilometer vor Copacabana brachte uns eine alte Holzfähre über eine schmale Stelle des Sees. Leider war es jetzt stark bewölkt, die szenische Fahrt war deshalb nur halb so schön. Weil es schon spät war, entschlossen wir uns, die Nacht nochmals in Bolivien zu verbringen. Peru muss noch bis morgen warten.

Km: 74‘166 (168)

Mi, 07.06.2017:  Bolivianisch-peruanisches Rockmysterium

Seit ich in Bolivien unterwegs bin, wundere ich mich über die traditionelle Kleidung vor allem älterer Frauen, die einerseits sehr farbenfroh ist, mich andrerseits sehr neugierig macht, wenn ich ihre ganz spezielle Rockmode betrachte. Ich erkenne in den Gesichtern der indigenen Menschen deutlich einen asiatischen Touch, vor allem in den Augen, die Menschen sind auch eher klein gewachsen, aber fast immer doch deutlich breiter gebaut. Allerdings ist es für mich unmöglich zu glauben, dass derartig gross geformte Röcke auch wirklich der körperlichen Postur gleichen, weil alle Röcke auf einen extrem breiten Hintern schliessen lassen. Es wird für mich wohl ein Mysterium bleiben, wie die Röcke rein technisch aufgebaut sind, sie scheinen aus mehreren Stoffschichten zu bestehen, nicht ganz unclever, wenn man seinen Lebtag dauernd auf solchen Höhen verbringt. Noch hat mich diese entscheidende Frage nicht dazu verleitet, im Internet zu recherchieren.

Die heutige lange Fahrt entlang des Titicaca-Sees war im Grossen und Ganzen eine Enttäuschung, sodass ich viel Zeit fand, die traditionelle Mode der Frauen zu studieren. Ich war am Morgen schon früh auf den Beinen, entfachte sofort ein Feuer, genoss nochmals die herrliche Aussicht von unserem Zeltplatz, obwohl es stark bewölkt war. Eine ziemliche Herausforderung war es, zurück zum Fahrweg zu kommen, vor allem das letzte Stück war steiler als erwartet. Ich gab Sams Honda etwas Schiebhilfe (sie ist wieder einigermassen höhenkrank), meine Maschine verträgt solche Höhen, aber Sam gab mir Antikipp-Hilfe (ich wollte keinesfalls hangabwärts fallen). Schliesslich hatten wir beide den Weg erreicht, fuhren noch weiter bis zum letzten Dorf der Halbinsel (Yampupata), von wo aus wir einen Blick auf Isla de Sol werfen konnten, die am Morgen schon von vielen Touristen per Boot besucht wurde.

Wir waren bald zurück in Copacabana, ich bewunderte dort die massive Kirche mit dem grossartigen, vergoldeten Altar, dann war die Grenze nicht mehr fern. Wir hatten schnell ausgecheckt, das Brimborium beim Zoll Perus sollte etwas länger dauern. Zwar hatten wir schnell einen Einreisestempel in unserem Pass, aber die vor vier Monaten in Valparaiso abgeschlossene Versicherung ist für Peru nutzlos, sodass wir per Taxi in den ersten Ort fahren mussten, wo wir für einen Monat eine entsprechende Unfallversicherung abschlossen, die seltsamerweise teurer ist, als wenn wir mit dem Auto eingereist wären. Uns wurde gesagt, dass die Unfälle mit Motorrädern meist schwerwiegender seien als solche mit Autos… Der Ablauf bei der Zollstelle war aber gut organisiert. Nachdem wir mit dem Versicherungspapier erschienen, wurde uns schnell ein Einreisepapier für unseren Töff ausgestellt.

Entlang des Titicaca-Sees entdeckten wir wenig Liebliches, schon gar nicht in der grossen Stadt Puno am Ende des riesigen Sees. Tatsache ist, dass ein Leben in solcher Höhe kein Schleck ist. Ich sah Menschen beim Kartoffelnpflücken, die Häuser sind einfach gebaut, manchmal wurde auf den alten Grundmauern aus Lehm mit roten Backsteinen weitergebaut. Kein Haus sieht gleich wie das andere aus, es scheint, als ob man aus einem Haufen Ziegelsteinen relativ unstrukturiert Wände hochzieht. Manche Häuser sind sehr klein und doch hoch, keine architektonischen Schönheiten. Wir passierten viele Dörfer mit wenig Charme, der See war wegen der häufig starken Bewölkung grau und schien sich beklagen zu wollen, weil so viel Abwasser diesen grossen See so übermässig verschmutzen.

 

Kurze Zeit nach Puno wunderte ich mich vor allem über die mit Steinmauern abgeschlossen Häusergruppen, die von einer Art Schweinesymbol bei den Eingängen gleichsam bewacht wurden. Wenig später erreichten wir zufällig die Inkastätten Sillustani mit seinen Grabtürmen. Sam hatte kein Interesse an einer Exkursion. Dies hätten wir wohl besser gemacht, denn wir fuhren auf einem Schotterweg geradewegs in schwarze Wolken. Das Gewitter zog jedoch an uns vorbei. In Santa Lucia überlegten wir kurz, in einer Hospedaje zu übernachten, aber dann fuhren wir trotz starker Bewölkung noch über einen Pass, auf dem es leicht schneite (!), bis zur Laguna Lagunillas, auf 4174 m.ü.M. gelegen. Es war schon recht spät, aber ein eisiger Wind wehte über den See, nicht sehr motivierend, das Zelt aufzustellen, aber dann entdeckten wir eine Lehmhütte mit massiven Wänden, die wenigstens den Wind etwas abhielt. Auch wenn das Dach keinesfalls mehr dicht ist, schlugen wir in dieser maroden Hütte unser Lager auf. Auf zwei staubigen Steinpritschen liegen jetzt unsere Matten, Sam ist am Lesen, ich am Schreiben.

Auch in Peru ist es kalt auf solchen Höhen, die Andenkälte zermürbt uns allmählich. Ich bin heute mit Maximalausrüstung gefahren. Aber: Ich bin heute in meinem 37. Land angekommen…

Km: 74‘455 (289)

Do, 08.06.2017: Eisiges peruanisches Hochland und bei den Condors im Colca-Canyon

Obwohl während der Nacht durch das undichte Strohdach einige Schneeflocken zu Boden tanzten, war es in diesem maroden Raum doch wesentlich milder, als es im Zelt gewesen wäre. Wir waren wenigstens vor dem bissigen Wind geschützt. Bis zum Morgen hatte sich auf meinem Töff eine dicke Schicht Rauhreif abgesetzt, die trotz der Sonnenstrahlen nur langsam auftaute. Ich hatte kaum gefroren während der Nacht, weil ich mich mit allem, was zur Verfügung stand, zudeckte, diesmal nutzte ich gar die Zeltplanen dafür, die allerdings bis am Morgen etwas Kondenswasser bildeten und deshalb neben etwas Wärme auch etwas Feuchtigkeit spendeten. Aber ich fand auf dieser Höhe gleichwohl nur unruhigen Schlaf, zudem störten die ganze Nacht die unzähligen passierenden Lastwagen.

An der sonnenbeschienenen Hauswand unserer Lehmhütte frühstückten wir, aber noch immer war es bitterkalt, sodass wir bis zur Abfahrt trotz maximaler Anzahl Kleiderschichten nicht richtig warm bekamen. Trotzdem fuhren wir schon um halb neun Uhr voll ausgerüstet hoch zum ersten Pass auf 4400 m.ü.M. mit herrlicher Aussicht auf die Laguna Lagunilla. Die Landschaft hier oben ist karg, nur noch zähe Gräser wachsen. Immer wieder sah ich zwei Arten Lebewesen, die dieser unwirtlichen Umgebung trotzen – Alpacas und ihre Hüterinnen, die dick eingepackt die Tiere einen dicken Strick schwingend vorwärtstrieben, manchmal unterstützt von Hunden. Es blieb äusserst kalt im peruanischen Hochland, weil wir uns noch immer dauerhaft auf über 4500 m.ü.M. befanden. Aber dann schien die Landschaft wie einzubrechen, und die gut ausgebaute Strasse führte endlich bergab und gab eine sensationelle Aussicht frei. Weit entfernt thronte der perfekt geformte Vulkan El Misti, 5700 m.ü.M. hoch. Aus weiteren Vulkanen stieg heller Rauch auf, manchmal wusste man nicht, ob der Dunst in der Luft kalter Nebel oder eine Ausscheidung eines Vulkans ist.

In Pillunehuito nach der Abzweigung Richtung Norden machten wir Halt bei ganz besonderen Felsen, die aussahen, als hätten die sieben Zwerge hier ihre übergrossen, roten Hüte verloren. Hier assen wir vom Alpaca-Käse, den wir wenig vorher in einem kleinen Bergdorf gekauft hatten.

Ziemlich überraschend hörte die Strasse jetzt nicht mehr auf anzusteigen, bis wir einen Pass auf 4900 m.ü.M. (Mirador Los Andes) erreicht hatten, wo es natürlich erneut überaus kalt war. Auf der anderen Seite ging es auf der frisch geteerten Strasse dramatisch in vielen Kehren steil bergab, bis wir Chivay erreichten, das touristische Zentrum der Region Colca-Canyon. Wo Touristen, da wird versucht, mit ihnen Geld zu machen. Noch vor der kleinen Stadt wurden wir bei einer Strassensperre angehalten, es wurde ein gesalzen teurer Eintritt verlangt – 70 Soles für eine Person, über 20 Fr.

In Chivay reparierte Sam das Radlager seines Vorderrades, das die Spur seit zwei Tagen nicht mehr richtig halten konnte. Glücklicherweise fand er hier zwei entsprechende Kugellager. Es war hier auf „nur“ noch 3600 m.ü.M. erstaunlich mild. Es ging schon gegen Abend zu, als wir in den Colca Canyon einfuhren, vorbei an mit Steinmauern abgegrenzte, kleine, gartenähnliche Felder. Je länger wir fuhren, umso tiefer wurde der Canyon. Gleich zweimal wurden wir an einer Baustelle aufgehalten. Bei einer wurde der Strassenbelag in einem Tunnel frisch gemacht. Die Luft war so staubig, dass man sich im Schwarz des Tunnels kaum orientieren konnte, zudem war der frische Kies noch tief, aber wir konnten einen Sturz vermeiden. Schliesslich erreichten wir vor Sonnenuntergang endlich den Mirador Cruz del Cura, wo wir gleich von drei Condoren, den riesigen südamerikanischen Raubvögeln, begrüsst wurden. Der Canyon ist hier bereits mehrere hundert Meter tief. Wir übernachten an seinem Rand auf über 3700 m.ü.M. Wiederum ist es bitterkalt, dazu hat es nur grünes Holz, ungeeignet ein Feuer zu machen, und ganz angriffige Kakteen, die bei Berührung an den Kleidern hängen bleiben und locker durch die Töffkleider hindurchstechen. An einem geschützten Platz, wo ich auch mein Zelt aufgestellt habe, kochten wir auf dem Benzinkocher eine Suppe, assen etwas Salami und kosteten vom hervorragenden Alpaca-Käse.

Jetzt sind mir vom Tippen die Hände beinahe eingefroren, auch die Füsse fühlen sich an wie Eiszapfen – es dürfte erneut eine überaus kalte Nacht werden – aber das Gute ist, dass ich morgen wohl als Erster die gewaltigen Condore beobachten kann.

Km: 74‘684 (229)

Fr, 09.06.2017: Condore, Kakteenfrüchte degustieren und eine imposante Abfahrt

Als ich kurz nach dem Dämmern aufstieg, war es wie erwartet eisig kalt. Der auf dem Benzinkocher hergestellte Kaffee wärmte Hände und Seele. Ich war alleine schon früh unterwegs auf der Suche nach den gewaltigen Condoren mit einer Spannweite der Flügel von über drei Metern. Ich sah früh eine passierende Touristengruppe und hätte mich ihr leicht anschliessen können, aber ich wusste es ja wie immer besser, ging meinen eigenen Weg und kletterte einer Krete steil bergab, wo ich eine ausgezeichnete Sicht auf beide Seiten des Canyons hatte. Tatsächlich sah ich von weitem zwei hoch über mir kreisende Tiere, aber dann genoss ich mehr die Aussicht als das Kreisen der Tiere, sodass ich mich entschloss, wieder zum Aussichtspunkt hochzuklettern, um dort weiter Ausschau nach den Riesenvögeln zu halten.

Unterdessen sah ich von weitem, dass sich ganze Horden von Touristen beim Cruz del Condor befanden und bestimmt dieselbe Absicht wie ich hatten. Und siehe da: Wie aus dem Nichts tauchten nach acht Uhr sicherlich zwanzig Condore auf und kreisten exakt dort, wo sich die meisten Menschen aufhielten. Ziemlich verärgert eilte ich zwei Kilometer auf einem Fussweg in Richtung der Touristen. Aber bis ich dort ankam, waren viele der Tiere bereits abgezogen. Aber noch genoss ich das erhabene Kreisen einiger dieser gewaltigen Vögel, die überhaupt nicht menschenscheu sind. Gleich zweimal ruhten sie sich nur wenige Meter von den Menschenmassen auf einem Felsvorsprung aus – nur war ich in dem Moment eben genau nicht dort. Ich hatte eigentlich schon aufgegeben, den perfekten Shot geschossen zu haben, da landeten nochmals gleich zwei Tiere auf dem erwähnten Felsvorsprung. Verbotenerweise eilte ich über die wilde Wiese und bekam die Condore doch noch aus nächster Nähe zu sehen. Hier wurde ich von einem Parkwächter angesprochen, der mich als Töfffahrer erkannt hatte. Er sagte mir, dass es nicht erlaubt sei zu campieren und dass ich schnell zusammenräumen müsse. Dies hatte ich ohnehin vor.

Sam hatte bereits zusammengeräumt, als ich zurückkam, ich wenig später auch. Wir wollten diesem gewaltigen, an einer Stelle 3400 Meter tiefen Canyon weiter Richtung Westen folgen. Bald hatten wir Cabanaconde erreicht, als die unterdessen nur noch gekieste Strasse wieder steil bergan führte. Die Passhöhe war auf exakt 4009 m.ü.M., und die Abfahrt auf der anderen Seite hinunter nach Huambo war ein kurvenreiches Töff-Eldorado vorbei an Millionen von Kakteen, aber das war noch nichts, denn was jetzt folgte, übertraf unsere Erwartungen bei weitem. Zuerst kosteten wir aber noch die Früchte zweier Kakteenarten, nur mittelprächig lecker, aber wenigstens gut verträglich.

Unterdessen hatte die Landschaft ihre Kargheit verloren. Das Bachwasser wird in kleinen Kanälen ähnlich wie im Wallis den Berghängen entlang geführt und an der richtigen Stelle auf die Felder geleitet, sodass saftige Wiesen, Kartoffel-, Korn- und Maisfelder, Gemüse aller Art bestens gedeihen. Aber jetzt führte der neu ausgebaute Kiesweg dramatisch immer tiefer in den Colca Canyon. Vorbei an Abstürzen, Felswänden, Hunderte von Metern hoch, schlängelte sich die Strasse gleichsam in einen Schlund, und es ging immer noch steiler bergab. Schliesslich erreichten wir endlich die Talsohle. Auf zwanzig Kilometern hatten wir 2500 Höhenmeter verloren und erreichten Canco auf nur noch gut 1400 m.ü.M. Eine Strassenbarriere zwang uns anzuhalten, und das Befürchtete traf ein. Wir wussten, dass die Strasse vielleicht in einer Sackgasse endet. Und so war es! Tatsächlich ist man daran, den letzten Teil nach Ayo auf der anderen Seite der Schlucht zu bauen, aber die Bauarbeiten sind erst im März 2018 vollendet – wir sind also etwas zu früh. So machten wir uns auf die Suche nach einem Schlafplatz, nicht einfach in diesem steilen Gelände. Schliesslich fragten wir einen netten Einheimischen, ob wir auf einem seiner Felder die Zelte aufstellen dürfen und erhielten den Zuschlag sofort. Was für ein Szenenwechsel – schon wieder! Es ist mild hier unten, Kurze-Hosen-Zeit, es hat Papaya-Bäume, wir entdeckten sogar eine Palme. Die Wechsel der Landschaften und Erlebnisse in Südamerika sind enorm und grossartig – wie noch nie auf diese Weise erlebt. Ich nutzte eines der Bewässerungs-Bächlein für eine Körperreinigung. Das Wasser war zwar braun und sehr kalt, das Körpergefühl danach jedoch grossartig.

Natürlich hatten wir hier unten auch Zugang zu genügend Holz und zu einer weiteren tiefroten Kaktusfrucht, die wesentlich besser schmeckte als die ersten beiden. Die Polenta garte hier unten wesentlich besser, das Sitzen am Feuer war gemütlich und hatte uns nicht einmal aufzuwärmen. Jetzt sitze ich in Unterhosen im Zelt und schreibe. Es ist noch immer angenehm mild, nur der Mond hat sich etwas mehr Zeit gelassen, hinter den gewaltig hohen Felswänden endlich zu erscheinen.

Km: 74‘773 (89)

Sa, 10.06.2017: Töff-Kraxlerei und Wüstengrün

Die tiefe Colca-Schlucht ist so perfekt Ost-West ausgerichtet, dass wir am Morgen schon recht früh die Sonnenstrahlen geniessen konnten. Wärme bedeutet allerdings immer, dass auch unangenehme Insekten einen guten Nährboden finden. Diesmal waren es winzige gelbe Sandfliegen oder Minimoskitos, die mich überfallartig an der Wade packten und dutzendfach zustachen. Vielleicht muss ich meine Meinung doch revidieren in Bezug auf die giftigen Mückenschutzmittel, denn diesmal wurde Sam eindeutig viel weniger gestochen als ich…

Nur vier Kilometer trennten uns von Ayo, so nah und doch momentan unerreichbar, sodass wir einen Umweg über mehrere hundert Kilometer (!) in Kauf nehmen mussten. Dies nahmen wir aber sportlich, denn der spektakuläre Aufstieg nach Huambo empfanden wir keineswegs als ein Muss. Nochmals folgten wir den Serpentinen entlang tiefer Felswände, erreichten das ruhige und beschauliche Huambo mit seiner grossen Steinkirche problemlos. Hier tankten wir auf dem Polizeiposten neues, frisches Wasser und starteten mit dem Aufstieg zu einem weiteren namenlosen Pass Richtung El Pedregal. Je höher wir aufstiegen, desto karger wurde die Landschaft. Schliesslich waren wir 2800 Meter aufgestiegen. Es war auch auf deutlich über 4000 m.ü.M. erstaunlich mild. Wir waren jetzt unterwegs in Richtung Pazifik, es ging konstant abwärts auf einer ruppigen Schotterpiste, die kein schnelles Fahren erlaubte. Und je tiefer wir kamen, desto schlechter wurde die Strasse und desto trockener die Landschaft. Wir landeten in einer veritablen Wüste, nur noch eigenartig verkrüppelt geformte Kakteen standen vereinzelt in der Landschaft.

Die Überraschung war gross, als wir kurz vor El Pedegral verbreitet saftig grüne Felder antrafen, allesamt künstlich bewässert, in denen Mais, Weizen, Nüsse, Früchte, Gemüse, ja sogar Trauben angepflanzt werden. Es bleibt mir schleierhaft, woher das Wasser für die Bewässerung der immensen Agro-Industrie-Kulturen stammt. Wir verzichteten, in diese Retortenstadt zu fahren und erreichten schnell die original Panamericana, der wir für 19 km Richtung Westen folgten. Durch sandig-steinige Wüste erreichten wir einen weiteren, sechshundert Meter tiefen Canyon, in dessen Grund ein Fluss weitere riesige Plantagen bewässert. Bald hatten wir die saftig grüne Talsohle erreicht und checkten im kleinen, sympathischen Städtchen Corire im Hostel Willy ein (nur je 25 Soles – 8 Fr./Person). Nach dem Abendessen in einer Polleria stockten wir unsere Vorräte auf und tranken zum ersten Mal ein peruanisches Bier.

Corire liegt auf nur 400 m.ü.M., wir sind heute also von 1400 auf 4250 m.ü.M. aufgestiegen und nachher 3800 m abgestiegen. Was für Höhenunterschiede! Erstaunlicherweise ist es kühl, der kalte Pazifik treibt auch hier sein Unwesen.

Km: 74‘985 (212)

So, 11.06.2017: Eine Strasse von Visp auf den Monte Rosa

Ich schlief so gut wie schon lange nicht mehr und erwachte erst um halb zehn Uhr. Corire ist bekannt für seine Petroglyphs, 1300 Jahre alte Steinkritzeleien, die etwas ausserhalb der Stadt am Fusse eines Wüstenbergs zu Hunderten zu bestaunen sind. Toro Muerto bekam seinen Namen wegen der Rinderherden, die hier in dieser unwirtlichen Wüste wegen Dehydrierung gestorben sind, wenn sie von den Bergen zur Küste getrieben wurden. Auf vulkanischen Felsbrocken kann man in Stein geschnitzte stilisierte Menschen, Tiere, Sonnen finden, verteilt auf mehrere Quadratkilometer. Ebenso faszinierend wie die Steinschnitzereien ist die Aussicht von diesem trockenen Wüstenplatz hinab ins saftig grün bepflanzte Tal.

Es war schon weit nach Mittag, als wir dem Valle Majer talaufwärts folgten. Solange der Fluss mit seinem Wasser das breite Tal bewässern kann, hat es viele Siedlungen, die jedoch immer ärmlicher werden, je weiter man ins Tal hineinfährt. Allmählich begann die gut ausgebaute Strasse anzusteigen. Wir verliessen die trockensten Wüstenhänge, bald wuchsen diverse Arten von Kakteen, wir sahen gelbes, ausgetrocknetes Gras. Nur dort, wo in Kanälen das Wasser auf die kleinen Felder geleitet wird, wächst der Mais oder das Gemüse. Das Grün wirkt inmitten der Wüstenberge giftig grün.

Chiquibamba auf fast 3000 m.ü.M. war die letzte Siedlung, die auf geteerter Strasse erreichbar ist. Hier mussten wir uns entscheiden, ob wir noch weiterfahren wollen, denn wir wussten, dass die Strasse für die nächsten 150 km über eine Hochebene führt, die wohl wenig geeeignet zum Campieren ist. Obwohl es schon recht spät war, entschlossen wir uns, noch weiterzufahren, erreichten bald die Hochebene auf 4000 m.ü.M. Hier oben kamen wir recht gut vorwärts und näherten uns immer mehr den beiden tief verschneiten Nevados Coropuna, beide 6400 m.ü.M. hoch gelegen. Die Strasse stieg weiter leicht an, sodass wir schliesslich 4750 m.ü.M. erreichten, wir hatten dieselbe Höhendifferenz gemacht, wie wenn man auf einer Strasse von Visp zum Monte-Rosa-Massiv fahren würde. Die beiden gewaltigen Berge leuchteten hinter eigenartigen, hellgrünen Moosbommeln im Abendlicht orange-gelb, ein surreales Bild. Einzelne Vicuñas suchten sich hier oben letzte Resten von Halmen eines kärglichen Wieslandes. Dutzende von Kilometern waren wir auf diesem Plateau unterwegs, bis die Sonne untergegangen war und die Minusgrade sich an unseren Gliedern bemerkbar machten. Es wurde jetzt bissig kalt, ich begann die Kilometer herunterzuzählen, die noch zu fahren waren bis Cotahuasi, dem nächsten grösseren Dorf. Aber die späte Fahrt in die Nacht hatte ebenfalls ihren grossen Reiz, denn meist fuhren wir dem Sonnenuntergang entgegen, die fast schwarze Silhouette der gezackten Berge trennte sich scharf vom vielfarbigen Abendhimmel. Unterdessen wich die Dämmerung der Dunkelheit, und die Strasse begann jetzt endlich abwärts zu führen. Auch hier oben finden Menschen ihr Auskommen, trieben ihre Alpaca-Herden zusammen und verkrochen sich in ihre kalten Hütten. Mit jedem verlorenen Höhenmeter wurde es etwas wärmer. 27 km vor dem rettenden Ort war die Strasse plötzlich und überraschend geteert, sodass wir etwas schneller vorwärtskamen. Aber in der Dunkelheit musste man trotzdem höllisch aufpassen, weil man nie wusste, wann ein sandiger Abschnitt einen überraschen könnte. Und tatsächlich wurden wir wenige Kilometer vor dem Ziel gestoppt, weil die Strasse von einem Erdrutsch verschüttet war. Über eine steile, provisorische Strasse erreichten wir um halb acht Uhr endlich Cotahuasi, fanden im Linda Hostal eine einfache Unterkunft.

Wir assen in einem Restaurante typico eine einfache Omelette mit Reis und versuchten für morgen einen Plan zu machen, wie wir Cusco erreichen. Es dürfte ein ziemliches Abenteuer werden, auf Nebenstrassen bis 5000 m.ü.M. diese Stadt zu erreichen. Noch sind wir unsicher, welche Strecke wir wählen werden.

Km: 75‘218 (233)

Mo, 12.06.2017: Das Rauschen des Flusses auf 4200 m.ü.M.

Es ist erst Viertel vor sieben Uhr, es ist stockdunkel, ich liege quer in meinem Zelt, es ist eiskalt, weil wir gezwungen sind, in dieser Höhe zu campieren. Und doch ist es besonders hier oben – wer hat schon einmal auf 4200 m.ü.M. das Rauschen eines Flusses gehört, der ganz nahe an unserem Lagerplatz vorbeifliesst? Ein deutliches Zeichen, dass es ganz in der Nähe noch viel höhere Berge gibt. Zudem bellen die Hunde, weil unweit einige Steinhütten stehen, in denen eine peruanische Grossfamilie wohnt. Als wir gegen Abend den Cotahuasi Canyon endlich verlassen und den Weiler Quenco erreicht hatten, baten wir die Einheimischen um eine Auskunft, in welche Richtung es nach Culipampa gehe. Die Antwort war eindeutig, nämlich jenen Fahrweg zu nehmen, der laut iOverlander ins Nichts führt – dürfte ja spannend werden morgen… Die Menschen hier oben sind sich an Fremde nicht gewohnt. Sobald man sich den Kindern etwas näherte, ergriffen sie voller Panik die Flucht. Lustigerweise verhielten sich auch die Hunde auf diese Weise. Ich versuchte, mit den Leuten später nochmals in Kontakt zu treten, indem ich ihnen etwas von unserem Gemüse schenkte, das hier oben wahrlich Mangelware ist. Man bedankte sich artig, war aber zu schüchtern, weiter mit mir zu sprechen.

Ich erwachte heute Morgen schon früh, war mir unsicher, ob ich mich auf den wilden Ritt in Perus Berge und Vulkane einlassen will, denn laut Informationen sind die Fahrwege nur schwierig zu befahren und vor allem zu finden, die uns in die Nähe von Cusco bringen sollten. Aber die Alternativen waren ebenfalls beschwerlich und umkehren mochte ich schon gar nicht, sodass wir uns doch auf den Weg in den Canyon machten. Wir wussten, dass es schon nach 16 km in Arca zwei Thermalquellen gibt, von denen wir eine besuchen wollten. Wir waren überrascht, wie gut ausgebaut diese Quellen sind. In drei verschiedenen Becken kann man das angenehm warme Wasser geniessen – für nur 2 Fr. pro Person. Wir verweilten bis zum Mittag an diesem Ort, assen nachher im einfachen Restaurant einige kleine, aber hervorragend zubereitete Flussforellen. Perfekt gestärkt begannen wir um eins Uhr mit der Fahrt durch diesen Canyon, der es in sich haben sollte. Die Strasse war nichts mehr als ein meist holpriger Fahrweg, der sich den steilen Felsen entlangschlängelte. Manchmal galt es einer Felssperre auszuweichen, indem man einige hundert Meter in x Haarnadelkurven aufstieg. Die Höhe behielt man aber nie, denn auf der anderen Seite des Passes führte die Strasse wieder steil bergab. Man hatte höllisch aufzupassen, die Spur zu behalten, denn eine Fehllenkung hätte fatale Folgen gehabt – noch habe ich mit dem Töff nicht fliegen gelernt. Immer wieder passierten wir kleine Dörfchen, in denen wir von farbig gekleideten Frauen mit ihren peruanischen Hüten und ihren Kindern verwundert angeschaut wurden. Manchmal wurde ich an die Tessiner Berge erinnert mit Dörfchen an den entferntesten Winkeln, aber hier erlebe ich das Tessin im Grossformat, die Fahrt ins Onsernone-Tal am Anfang meiner Reise war ein Bruchteil so lang wie der heutige Trip durch diesen Canyon.

Wir gewannen Höhe und verloren sie auch wieder, aber im Schnitt kamen wir kontinuierlich immer höher, überschritten den Fluss auf einer felsigen Naturbrücke. Es ist erstaunlich, wie die Menschen auch auf dieser Höhe mit Terrassentechnik Gemüse, Kartoffeln, Weizen und Mais anpflanzen.

Schliesslich waren wir froh, nach vier Stunden Fahrt für nur 63 km den Canyon endlich verlassen zu haben. Hier ist das Land der Alpacas, die gegen Abend von den Hirten zurück zu den Siedlungen getrieben wurden. Es war schon früh kalt, wir bereiteten eine wärmende Suppe, verfeinert mit Gemüse, zu. Dann genossen wir eine Weile das klar Sternenfirmament, bis uns die Kälte in unsere Zelte trieb.

Km: 75‘299 (81)

Di, 13.06.2017: Kälte, Pfadfinderqualitäten, hohe Andenpässe und eine holprige Nachtfahrt

Es war eine sehr unangenehme und überaus lange Nacht, von der ich mir nur wünschte, dass sie endlich vorbei ist. Die Minusgrade im zweistelligen Bereich überzogen mein Zelt schon vor zehn Uhr abends mit einem pelzigen Rauhreif. Zwar packte ich mich wie gewohnt maximal ein, aber dies war nicht genügend, die Kälte schien wie giftiges Geäder durch die Fasern der Stoffe zu greifen, die offenbar auch meine Blase negativ beeinflusste. Wie unangenehm, bei dieser Kälte den einigermassen warmen Schlafsack zu verlassen, um diesem Geschäft alle drei Stunden nachzugehen. Ich lag immer wieder wach, versuchte die vorhandene Wärme zusammenzuhalten, zudem reagierte ich erneut auf die immense Höhe, die mich sehr unruhig schlafen liess.

Als am Morgen die Sonne schon früh mein Zelt beschien, freute ich mich über ihre Energie, die den Reif in Tropfen verwandelte, die entlang des Zeltdaches hinunterrollten. Ich fühlte mich wie gerädert, stand aber doch als Erster auf, kochte mit dem Benzinkocher einen Kaffee. Das Wasser im Container sowie ein Resten Wein war bocksteif gefroren Und dann ging der Trip in die hohen Andenberge Perus los. Schon nach zwei Kilometern realisierte ich, dass ich meine GoPro-Kamera verloren hatte, die ich leichtsinnigerweise auf dem angebundenen Rucksack deponiert hatte. Sofort fuhr ich zurück, um sie bei unseren Lagerplatz zu suchen, aber hier war sie nicht, dafür zwischen Rucksack und schwarzem Seitenkoffer wunderbar eingeklemmt. Wir wussten, dass die Fahrt steil aufwärts führt, deshalb entfernte Sam bei seiner Honda den Luftfilter, damit die Maschine mit ihrem Vergaser diese Höhen überhaupt schafft. Natürlich waren wir gespannt, wie weit uns dieser Fahrweg bringen würde, aber wir waren zuversichtlich, denn es kam uns ein Auto entgegen. Und dann verzweigte sich der Fahrweg überraschend, laut maps me hätten wir die linke Strecke nehmen müssen (die laut iOverlander vielleicht (?) im Nichts endet). Mein App Pocket Earth mit seinen Höhenlinien und unsere gute Orientierung halfen, dass wir es wagten, einen Weg zu nehmen, der auf keiner Karte eingezeichnet ist. Wir krochen in tausend Kurven entlang der steilen Berghänge, kamen auf über 4500 m.ü.M. an verschiedenen kleinen Stein-Gehöften vorbei, meist eingezäunt mit Steinmauern, aber immer mit vielen Alpacas, die von einer pink-grün gekleideten Frau auf die kärglichen Weiden getrieben wurden. Wir hätten nicht erwartet, dass auf dieser Höhe die grösste Herausforderung das Überqueren eines Flusses war. Die tiefsten Stellen konnten wir mit unseren Motorrädern umfahren und so das Gewässer in mehreren Etappen problemlos überqueren. Wir erreichten Huarcaya, eine kleine Siedlung an der AR105, auf der wir schon seit gestern unterwegs waren. Wir hatten also eine Abkürzung gefunden und genutzt! Die Strasse führte jetzt weiter bergauf, sodass wir uns auf dem Mond wähnten, rote und weisse Felsen ohne irgendwelche Vegetation begrüssten uns. Die Aussicht auf über 5000 m.ü.M. war imposant. Ich fühlte mich hier oben aber keineswegs gut, nicht etwa weil ich unter Höhenangst leide, ich hatte vielmehr Mühe, mich wegen der dünnen Luft und mangels Sauerstoff zu konzentrieren, nicht gerade ideal hier oben, wenn man in jeder Sekunde über den Strassenrand fahren und Hunderte von Metern abstürzen kann. Aber wir erreichten Culipampa, die nächste kleine Siedlung, wohlbehalten. Es war jetzt nicht weit bis Huacullo, wo wir zum ersten Mal einen Wegweiser sahen, der uns den Weg nach Quiñota, gelegen an einer Hauptstrasse, anzeigte. Wir waren also definitiv auf dem richtigen Weg, der es allerdings in sich haben sollte, denn die Qualität des Fahrwegs verschlechterte sich zusehends, war äusserst uneben mit unzähligen Wellen und Löchern und vor allem einigen heiklen Flussübergängen, von denen Sam einer zum Verhängnis wurde. Das trügerisch trübe Wasser war so tief, dass er den Töff im Wasser auf 4680 m.ü.M. hinlegte und natürlich selber ziemlich nass wurde. Flüssigkeiten in solchen Höhen fühlen sich bekanntlich nicht besonders warm an, ein Abzeichen, an dem er den ganzen Tag über leiden sollte. Ein weiterer 5000 m.ü.M. hoher Pass stand an, ein imposanter Aufstieg mit exzellenter Rundsicht auf Perus Andenriesen. Die Strasse führte jetzt um eine Felsnase und weit oben einem Hang entlang. Hier sahen wir eine ganze Schar Andenkaninchen (?), die hurtig reissaus nahmen, als sie uns wahrnahmen. Wenig später passierten wir eine schattige Stelle mit Eis auf der Fahrbahn. Höchste Vorsicht war gefragt. Aber der höchste Pass sollte erst noch folgen. Zuerst wurden wir aber gestoppt von einem jungen Aufseher einer Mine, dem wir unsere Personalien anzugeben hatten. Wenn ich jetzt gegen die weiss verschneiten Wände der Berge schaute, konnte ich wahrlich nicht nachvollziehen, wo uns der Weg nur hinbringen wird. Würden wir von tief verschneiten Wegen gestoppt werden? Aber überraschenderweise erklommen wir diese 5100 m.ü.M. hohe Hürde ohne grosse Mühe, obwohl wir wie im Winter umgeben von Schneefeldern waren.

Der höchste Punkt war jetzt erreicht, die Zeit war schon recht fortgeschritten. Meine Hoffnung war es, dass sich der Zustand der Strasse allmählich verbessern würde, weil wir die grössten Höhen überwunden hatten. Tatsächlich änderte sich die Landschaft, die aber kaum weniger hoch war. Kilometerweit bewegten wir uns mühsam über eine Hochebene auf 4800 m.ü.M., hier war der Fahrweg aber so unerträglich schlecht mit Löchern und Wellen, dass ich erstens zu fluchen begann und zweitens wir nur noch langsam vorwärtskamen. Dies war insofern schlecht, dass ich mit eine weitere Eisnacht im Freien ersparen wollte und unbedingt Quiñota erreichen wollte. Aber es sollte uns nichts geschenkt werden. Die Nacht brach herein, und noch immer waren wir unterwegs, zwar jetzt endlich bergab, aber auf so schlechten Wegen wie den ganzen Tag noch nicht. Noch vor Monaten wären solche Wege für mich auch am Tag eine Herausforderung gewesen. Dazu kamen wir jetzt in eine Gegensteigung mit veritablen Felsbrocken auf der „Fahrbahn“, Löchern, Bull-Dust-Staub, äusserst lästig zu befahren, wenn es stockdunkel ist. Natürlich war jetzt noch mehr Konzentration gefragt, dazu hatte uns der lange Tag ordentlich geschlaucht, sodass wir müde waren, und immer standen noch mehr Herausforderungen an, weitere Bachüberquerungen, ein neuer steiler, wenn auch kurzer Aufstieg. Ich begann die Kilometer herunterzuzählen, bis wir das gelobte Dorf Quiñota endlich erreichten.

Schliesslich schafften wir es nach mehrstündiger Nachtfahrt tatsächlich, sind in einem einfachen Hostal untergebracht und haben eben Nudeln gegessen in einem Restaurant, vermeintlich chinesisch zubereitet. Herausgekommen sind eher Pasta à la Quiñota, nicht mehr als ein Hungerkiller…

Realisiert haben wir unterdessen auch, dass wir uns weiterhin in der tiefsten Provinz befinden, die erreichte Hauptstrasse hat sich auch als Fahrweg herausgestellt, weitere Fahrabenteuer werden morgen wohl noch folgen.

Km: 75‘480 (181)

Mi, 14.06.2017: Ein Tag der Berg- und Talfahrten

Es war eine angenehme Nacht unter einer warmen Decke, und ich schlief ausgezeichnet. Es hielt uns nichts in diesem Provinzkaff, indem uns die Leute am Morgen musterten, als kämen wir von einer anderen Welt. Die „Hauptstrasse“ Richtung Haquira stellte sich als besser heraus als erwartet. Die Strasse hatte sogar einen Belag, der jedoch bestimmt älter als ich ist und (wie ich) unterdessen einige Schrunden, Falten und Löcher aufweist. Aber diese liessen sich bei strahlendem Wetter und wieder gutem Licht problemlos umfahren.

Den höchsten Bergen waren wir unterdessen entkommen, das Land hier ist jedoch durchzogen von tiefen Schluchten und Tälern, sodass der Weg zuerst steil aufwärts und dann den Hängen entlang wieder abwärts führte.  Nachdem wir die Talsohle endlich erreicht hatten, ging es in vielen Kurven wieder hoch nach Haquira, wo wir die Hauptstrasse verliessen und eine Abkürzung nach Mara wählten, die sich als verbreiterter Alpenweg entpuppte, mit unseren Maschinen aber doch recht gut zu befahren war. Auf 4000 m.ü.M. passierten wir relativ fruchtbare, weite Felder, wo in den Siedlungen die Frauen daran waren, ihre geernteten Kartoffeln zu reinigen und sortieren. Darunter war auch eine besondere Art, kleiner und gelblich-rötlich gefärbt.

Schon von weitem sahen wir tief unter uns eine viel breitere und scheinbar besser ausgebaute Strasse, die wir vor Mara erreichten und die sich für mich als ein Ärgernis herausstellen sollte. Tatsächlich hat sich auch hier ein einheimischer Strassenbauer ein Denkmal gesetzt, indem er eine so breite Bahn in die steile Landschaft gesetzt hat, die mir einfach nur sinnlos erscheint. Dazu ist „sein“ Werk nicht einmal fertig gebaut worden. Die Autobahn ist durchsetzt mit Wellblech, Löchern, unterspülten Strassenabschnitten. Jetzt versucht man die Strasse insofern zu bewahren, dass man mit Wasserfahrzeugen die Strasse konstant mit Wasser bespritzt. Dies ist vor allem für uns Töfffahrer nicht ungefährlich, tatsächlich schlitterte ich einmal einige Meter zur Seite, konnte einen Sturz aber vermeiden. Zudem kamen uns jetzt gleich mehrere Convoys mit schweren Lastwagen und Anhängern entgegen, im Ganzen wohl gegen hundert, aufgeteilt auf jeweils acht Fahrzeuge. Ich konnte nicht herausfinden, ob diese vielen Fahrzeuge wirklich für den Strassenbau verwendet werden oder ob sie in einer nahen Mine irgendwelches Erz abholen.

Was blieb, war die Berg- und Talfahrt in dieser Region. Manchmal kam man auf der breiten Strasse recht gut vorwärts, weil auf einigen Abschnitten ein eigenartiger staubig-harter Belag für eine ganz ebene Strasse sorgte. Ich war froh, die R17 endlich zu verlassen und Richtung Cusco auf die CU119 einzubiegen. Wiederum fuhren wir auf einer gewellten Hochebene. Nach dem höchsten Punkt auf über 4400 m.ü.M. führte die staubige Strasse dramatisch in vielen Kehren fast zweitausend Meter hinab in eine Schlucht. Im Cusibamba Canyon wollten wir übernachten, fanden aber keine Zufahrt zum blaugrünen Fluss, sodass wir jetzt hoch über dem Wasserlauf auf einer erhöhten Stelle inmitten von Kaktuspflanzen campieren, wieder einmal über genügend Holz für ein Feuer verfügen, perfekte Energie für ein Pasta-Menu. Es ist erstaunlich mild – wir sind nur noch auf 2700 m.ü.M.

Km: 75‘648 (168)

Do, 15.06.2017: Goldene Hügel im Machu Picchu-Land

Ich war schon recht früh wach und war bald am Brot backen, das mit nur sehr wenig Glut eine dicke, goldbraune, herrlich knusprige Kruste bekommt. Während ich am Nachführen des Tagebuches war, band Sam ein gebrochenes Rohr seiner Kofferhaltung hoch. Allmählich scheint sich sämtliches mitgeführtes Material zersetzen zu wollen. Ich ärgere mich seit Wochen über meine GoPro, deren Akkus sich nur unzuverlässig wieder laden lassen. Mein rechter Schuh hat einen Riss und sollte genäht werden. Die so häufig gebrauchten Pullover wurden unterdessen so strapaziert, dass sie Löcher, defekte Nähte aufweisen.

Ich bin froh, dass wenigstens mein Töff einwandfrei funktioniert, auch wenn der hintere Pneu schon wieder ordentlich heruntergefahren ist. Bald waren wir wieder unterwegs im zweiten Teil des Cusibamba Canyons, fuhren von dort hoch nach Paruro, wo ich in einem Laden eine Gallone Benzin kaufte, denn ich war schon seit Dutzenden von Kilometern auf Reserve unterwegs. Von dort ging es weiter hoch auf der CU123 bis auf nochmals 4200 m.ü.M. Je höher man aufsteigt, desto weniger Bäume und Blumen wachsen, bis auf weiten Weiden nur noch Schafe und Alpacas weiden. Dreissig Kilometer vor Cusco erreichten wir die Passhöhe eines namenlosen Passes und genossen die Rundsicht auf die steilen, grünen Hänge der umliegenden goldenen Hügelketten. Unverkennbar erreichten wir die Machu-Picchu-Region und deshalb nach einem letzten kurvenreichen Abstieg auch die lebendige und vom Tourismus geprägte Stadt Cusco, Ausgangspunkt zu den weltberühmten Inka-Ruinen Machu Picchu.

Innerhalb von nur zwei Tagen gingen sowohl mein als auch Sams Benzin-Container in die Brüche, sodass wir in einem Home Center zwei Ersatzgefässe fanden. Dann fuhren wir in die Innenstadt und besetzen ein Zimmer im Hostal Kantu, wo wir nicht besonders freundlich empfangen wurden. Wir werden morgen wohl die Unterkunft wechseln. Dann flanierten wir durch die Innenstadt mit den alten kolonial-spanischen Gebäuden mit vielen alten Balkonen und mehreren massiven Steinkirchen. Es war ein riesiger Genuss, wieder einmal in einem guten Restaurant zu essen. Die Bodega 138 hielt, was sie versprach, ausgezeichnetes Essen, das allerdings auch seinen Preis kostete.

Km: 75‘731 (83)

Fr, 16.06.2017: Unterkunftswechsel, Motorrad-Streicheleinheiten und ein farbiges Stadtfest

Wir hatten am Morgen nicht weit zu fahren in die noch gestern reservierte Unterkunft Estrellita ganz in der Nähe, wo wir freundlich empfangen wurden und über eine Rampe das Motorrad in den sonnig-warmen Innenhof fahren konnten. Wir bezogen ein recht geräumiges, aber sehr einfaches Zimmer im ersten Stock gleich unter dem Dach, das mit uralten Rundziegeln unregelmässig gedeckt ist.

Sam war bald unterwegs, um den Riss in einem seiner Seitenkoffer zu reparieren, ich fettete die Kette und wusch den Luftfilter aus und legte ihn zum Trocknen an die Sonne. Als Sam zurückkehrte, versuchten wir, meine beiden undichten Koffer mit grauem Bauleim wieder wasserundurchlässig zu machen. Dann genossen wir die Sonne im Innenhof dieses lebendigen Hostals.

Eine Panne passierte mir, als ich Sam den Zimmerschlüssel zur oberen Estrade zuwerfen wollte. Ich verfehlte das Ziel, sodass der Schlüssel auf dem Dach landete. Ich war mir nicht zu schade, auf das marode Dach zu klettern (und einige alte Ziegel zu zerbrechen), um den Schlüssel unter Staunen (und Beifall) anderer Touristen wieder zu holen…

Am Abend waren wir unterwegs in der Stadt, assen an einem Stand zwei Fleischspiesse und beobachteten den bunten Umzug peruanischer junger Leute, der vor einer der grossen Kathedralen endete. Grössere und kleinere Gruppen tanzten sich mehr chaotisch denn synchron durch mit vielen Zuschauern besetzten Gassen. Was für ein buntes Treiben. Das Fest Corpus Christi hat religiösen Ursprung und wird immer sechzig Tage nach Ostern gefeiert, hat aber auch Verbindungen zu alten Inka-Feierlichkeiten, die im Inti Raymi am 24. Juni in Cusco ihren Höhepunkt finden. Wir verfolgen auf dem Zentralplatz lange die unzähligen Gruppen. Immer am Abend wird es kalt, sodass wir noch in einem kleinen, geheizten Restaurant abstiegen, wo wir eine Kleinigkeit assen und dann zum Estrellita zurückkehrten.

Km: 75‘730 (1)

Sa, 17.06.2017: Motorradtreffen im Estrellita

Als ich am Morgen am Aussortieren und Bearbeiten meiner neuen Fotos war, trafen zwei weitere Motorräder bei unserem Hostal ein, Philipp und Tanja aus Rottweil und Aaron aus England, mit denen sich natürlich wunderbar Reisegeschichten austauschen liess. Dies war vor allem deshalb interessant, weil sie von Norden kamen und uns einige Tipp für die kommenden Länder geben können.

Ich war lange mit meinen Bildern beschäftigt, dann flanierten wir zu fünft durch die sehr touristische Innenstadt, in der uns alle paar Meter irgendein Produkt oder eine Massage angeboten wurde. Gegen Bezahlung hätte man auch mit bunt gekleideten, alten Peruanerinnen mit einem Junglama posieren können. In einem kleinen Restaurant assen wir einen kleinen Happen, ich probierte wieder einmal ein saures Ceviche. Samuel hatte einen Termin bei einem Tätowierer und konnte sich mit ihm über eine weitere „Verschönerung“ einigen, die er sich am Montag stechen lassen will. Er zog vor, am Abend eine Hardrock-Veranstaltung beim Flughafen zu besuchen, ich besuchte mit den drei Neuankömmlingen nochmals die Altstadt. Wir stiegen in der Bodega 138 ab und assen eine weitere Pizza. Später begann ich mit dem Bearbeiten des Blogs Teil 34.

Km: 75‘730 (0)

So, 18.06.2017: Stadtrundgang in Cusco

 Cusco ist mit seinen alten Gebäuden in den engen Gassen, durch die man gediegen flanieren kann, teils weiss getüncht, teils alt gelassen und mit Lehmziegeln gebaut und den vielen Kirchen aus der Kolonialzeit durchaus ein Besuch wert. Während Samuel vom gestrigen Ausgang einigermassen gezeichnet den ganzen Tag im Bett verbrachte, war ich mit Aaron, Tanja und Philipp unterwegs durch die Altstadt. Wir spazierten zuerst auf eine Anhöhe, von wo man eine tolle Aussicht auf die orangen Ziegeldächer und die Kirchen der Stadt hat.

Wir waren den ganzen Nachmittag in der Stadt unterwegs, besuchten auch die grosse Barockkirche Iglesia de La Compañia de Jesús mit dem riesigen goldenen Altar, dem grössten in Peru. Noch immer sind die Feierlichkeiten des Inti Raymi-Festes im Gange. Heute standen wunderliche Riesenfiguren auf der Plaza de Arma, von denen sich die Einheimischen dutzendfach ablichten liessen. Schliesslich sassen wir auf der sonnenbeschienenen Terrasse des Norton Pubs und tranken ein teures Cervesa Artesanal, genossen die hervorragende Würzigkeit des Bieres und vor allem die Wärme.

Am Abend waren wir gleich zu siebt unterwegs zu einem guten Restaurant, wo wir Alpaca-Steaks in verschiedenen Variationen genossen. Im Irish Pub kredenzten wir ein weiteres Bier. Hier war es noch angenehm warm, ansonsten kühlt es in der Nacht mächtig ab, sodass man mehrere Wolldecken braucht, dass man die Nacht ohne Frieren übersteht…

Km: 75‘730 (0)

Mo, 19.06.2017: Farbiges Treiben auf der Plaza de Armas

Diese Stadt sprüht vor Lebendigkeit. Wenn auch immer man ins Zentrum flaniert, die Gassen sind voller Menschen verschiedenster Art. Man kann kaum zehn Meter gehen, da werden einem Dienste angeboten, Massagen, Souvenirs, es gibt jegliche Möglichkeiten, sich über die Gasse zu verpflegen. Jeder scheint ein Quäntchen des Geldes der vielen Touristen erhaschen zu wollen. Man ist sich bewusst, dass der Tourismus der Stadt viel bringt. Das Polizeiaufgebot ist gross, man legt grossen Wert auf Sicherheit, denn Festivitäten ziehen wie überall Gauner und Taschendiebe an.

Auch heute war ich lange auf der Plaza de Armas, wo unzählige Gruppen ihre Tänze vortrugen, übertragen vom nationalen Fernsehen. Der typisch peruanische Rhythmus, meist im Dreivierteltakt, begleitet von feinen Flötenklängen ging mir schnell ins Blut über, nicht nur mir, sondern auch den Tänzerinnen und Tänzern, denen die Freude ins Gesicht geschrieben war. Heute wurde Cuscos Geburtstag gefeiert, sämtliche Universitäten jeglicher Fachrichtungen stellten eine Tanzgruppe, die meist traditonell und überaus vielfarbig gekleidet waren. Aber auch moderne Themen fanden Platz, man beklagte sich tanzend über Donald Trumps Stupidität, der den Raubbau an der Natur nicht bekämpft, sondern noch verstärkt. Ich war stundenlang am Fotografieren und Beobachten, genoss die Stimmung und Freude der Menschen. Gleichzeitig wurde einem aber schon bewusst, dass nicht alle vom Tourismus gleichermassen profitieren. Alte Frauen versuchten, einfachen Silberschmuck oder kleine Häppchen, Popkorn, Lollys zu verkaufen, um wenigstens eine kleine Einkunft zu haben.

Am Abend ging ich nochmals aus, alleine, weil Samuel noch immer an seiner Tattoo-Sitzung war. Ich fand einen kleinen Sushi-Laden, suchte nach einem Supermarkt, aber im Zentrum gibt es nur kleine Läden, sodass ich nicht sämtliche Vorräte wieder auffüllen konnte.

Eigentlich wollten wir morgen zu fünft Richtung Machu Picchu fahren, aber daraus wird nichts. Töfffahrer ticken nicht alle gleich, es gibt solche, die es vorziehen, die Inka-Stätte per Bus zu erreichen. Das kommt für uns natürlich nicht in Frage, sodass wir alleine weiterziehen werden. Eben ist auch klar geworden, dass es morgen tatsächlich weitergeht, denn Samuel ist nach zehn Stunden Tätowieren erst um Mitternacht zurückgekehrt. Jetzt weiss ich, wie so ein Projekt abgeht, das für mich selber jedoch auf keinen Fall in Frage kommt. Ausser man würde im Jassen um das Schellen-Ass wetten…

Km: 75‘730 (0)

Di, 20.06.2017: Inka-Land im Regenwald

Ich hatte mir heute vorstellt, nach einer lockeren Fahrt bei der Hydroelectrica, unserem geplanten Ausgangspunkt für die Wanderung nach Machu Picchu Pueblo anzukommen. Aber so leicht wird es dir in diesem Land nie gemacht, vor allem wenn man mit dem eigenen Fahrzeug unterwegs ist. In Cusco war es am Morgen noch trocken und sonnig, und wir liessen uns viel Zeit, bis wir die Stadt endlich verliessen. Zuerst irrten wir noch eine Weile in den Gassen auf der Suche nach einem Bancomaten herum. Ich brauchte wieder einmal die Raiffeisen-Karte, weil mir Sam meine Postcard mit seiner magnetischen Handy-Hülle unbrauchbar gemacht hatte. Ärger!

Wir wurden nach fünfzig Kilometern auf der gut asphaltierten PE-3S gestoppt, weil die Strasse wegen Sprengarbeiten des Tags gesperrt war. Deshalb hatten sie uns wieder, die kleinen Schotterweglein, von denen wir eines nutzten, um über einen Hügelzug nach Urubamba im Valle Sagrado zu kommen. Wir befanden uns jetzt wieder auf der touristischen Normalroute, erreichten in diesem felsigen Tal bald einen Seilpark mit Klettersteig, wo man in einer transparenten Box hoch über dem Tal frei schwebend übernachten kann. Netter Spass-Tourismus! Wenig später erreichten wir das am Inka-Trail gelegene Dörfchen Ollantaytambo, wo auf dem Zentralmarkt ein touristischer Jahrmarkt stattfand. An Dutzenden von Ständen wurden die bunten peruanischen Textilien feilgeboten, der Ort wird aber auch dominiert von massiven Ruinen einer alten Inka-Stadt mit Kopfsteinpflastern, der in der Tat schon seit dem 13. Jahrhundert bewohnt ist. Wir hatten wenig Lust, an diesem Trubel mitzumachen (es reicht, wenn wir da dann in Machu Picchu durch müssen), durchquerten das Dorf und stiegen bald in Dutzenden von engen Kehren hoch zum 4330 m.ü.M. hohen Abra Malaga. Erst auf der Passhöhe wurde uns bewusst, dass uns das massive Gebirge bisher vor den tropischen Regen des Amazonas-Beckens geschützt hatte.

Hier oben war es gewohnt kalt, diesmal aber auch ziemlich feucht, die Nebel wurden über die Passhöhe getrieben, ein trostloses Bild. Wir tauchten auf der anderen Seite des Passes ein in diese Feuchtigkeit. Es war ein heimtückisches Fahren, weil die Strasse teils feucht, aber glücklicherweise doch weniger rutschig als erwartet war. Wie schon auf der anderen Seite des Passes passierten wir alte, verfallene Mauern und Wohnstätten des Inkas. Wir wollten jetzt aber nur noch möglichst schnell ins wärmere Tal kommen, denn es war feucht-kalt und zudem war die Zeit fortgeschritten. Die Talsohle auf gut 2000 m.ü.M. erreichten wir kurz vor dem Einnachten. Wir fanden eine Zufahrt zum Wildbach und einen Platz, der sich bestens zum Campieren eignet. Bald brannte ein Feuer, es war mild. Ich sass in kurzen Hosen auf einem Stein und schnetzelte Gemüse für ein weiteres Pasta-Menu. Sam versuchte sich im Fischen und hatte nach einiger Zeit tatsächlich Erfolg, aber der gefangene Wels war so klein, dass wir ihn wieder dem Fluss übergaben. Nicht einmal lästige Mücken gab es. Aber dann begann es zu nieseln. Der üppige Regenwald mit seinen vermoosten Bäumen und wunderlichen Saftpflanzen auf dieser Seite des Passes braucht Wasser, sodass wir uns ins Zelt verzogen.

Km: 75‘884 (154)

Mi, 21.06.2017: Beinahe verhängnisvolle Brückenüberquerung

Ich erwachte früh, es hatte die ganze Nacht durchgenieselt, sodass an den Ecken des Zeltes die Feuchtigkeit ins Innere drang. Ich war bald damit beschäftigt, mit dem feuchten Holz ein Feuer anzufachen. Dies erforderte einiges an Geduld, aber schliesslich brachte ich das Holz zum Brennen. Als Sam aufstand, hatte es längst aufgehört zu regnen. Wir frühstückten am Feuer, Sam fand Zeit, bei unseren Maschinen Bremsflüssigkeit nachzufüllen – meine Hinterbremse funktionierte aber trotzdem noch nicht tadellos.

Wir fuhren weiterhin talabwärts nach Santa Maria auf deutlich weniger als 2000 m.ü.M. Hier bogen wir ab in ein enges Tal Richtung Süden, wo sich die schmale Schotterpiste entlang des steilen, westlichen Berghanges schlängelte. Wir kamen jetzt nur noch langsam vorwärts, erreichten Hydroelectrica aber problemlos. Wir fanden einen Ort, wo wir unsere Motorräder für wenig Geld einstellen konnten, packten das Notwendige in den Rucksack und waren schon zu Fuss unterwegs flussaufwärts nach Aguas Calientes oder Machu Picchu Pueblo. Natürlich waren wir bei weitem nicht die einzigen, die am späten Nachmittag auf dem Weg zum Ausgangpunkt nach Machu Picchu waren. Es kam mir vor wie eine Völkerwanderung, manchmal musste man an einer engen Stelle warten, weil eine Wandererin mit der Steigung nicht zurechtkam. Meist führte der Weg aber entlang der Bahnlinie, eine Zugsfahrt wollten wir uns aber nicht leisten, 29 US$ für als 10 km - Touristenabriss. Wir diskutierten lange, wie man sich auf den Felgen unserer Motorräder auf den Gleisen fortbewegen könnte – wäre bei den Weichen und vor allem den Brücken ein schwieriges Unterfangen gewesen, denn zwischen den Schwellen konnte man in die Tiefe sehen, zudem waren dort die Abstände zwischen den Schwellen so gross, dass die Räder wohl zwischen ihnen versunken wären. Obwohl den Fussgängern abgeraten wurde, die Brücke auf den Gleisen zu betreten, machten wir natürlich trotzdem genau dies, und das sollte mir beinahe zum Verhängnis werden, denn ich schätzte am Ende der Brücke einen Schwellenabstand falsch ein, kam ins Stolpern und schlug mit Schienbein des linken und Oberschenkel des rechten Beines auf den Kanten der Schwellen auf. Schmerz! Aber ich konnte von Glück reden, dass ich nicht in die Tiefe gestürzt war. Das Wandern war jetzt mühsamer und schmerzhaft, zudem war die Strecke weiter, als ich gedacht hatte.

Wir erreichten Machu Picchu Pueblo noch vor sechs Uhr und waren nicht überrascht über den grossen Trubel auf den steilen Gassen dieses Ortes, der vollgepfercht mit Touristen war. Zuerst steuerten wir das Ticket Office an, wo wir uns ein Ticket für morgen besorgen wollten, ein ziemlich teurer Spass - 152 Soles (50 Fr.). Wir fanden nachher eine einfache Unterkunft in einem Hospedaje. Wohlweislich assen wir nicht in der Hauptgasse (wo man schon beinahe lästig dauernd auf die hervorragend zubereiteten Abendessen hingewiesen wurde), sondern genossen in einer Seitengasse in einem peruanischen Restaurant ein prima Nachtessen. Dann gab’s ein weiteres Bier in einer Bar im ersten Stock an der Hauptgasse, wo wir die passierenden Leute beobachteten. Ich freue mich auf morgen, denn Machu Picchu soll Magie verströmen, die trotz der übermässig vielen Besucher (2500 pro Tag!) noch deutlich spürbar sein soll.

Km: 75‘977 (93)

Do, 22.06.2017: Magischer Machu Picchu

Für viele Südamerika-Reisende ist wohl ein Besuch der alten Inka-Ruinen von Machu Picchu einer der grössten Höhepunkte ihrer Reise. Dieser Kontinent hat aber tatsächlich noch viel mehr zu bieten als Gebäude längst vergangener Kulturen. Mindestens 2500 Touristen waren auch heute unterwegs zwischen den gut erhaltenen oder restaurierten Gebäuden, eigentlich viel zu viel, um wenigstens etwas von der Magie dieses Ortes mitzubekommen. Es ist immer wieder erstaunlich, wozu Menschen fähig sind, im Positiven wie im Negativen. Dass man auf diesen beinahe unzugänglichen Höhen mitten im peruanischen Dschungel auf die Idee kommen kann, eine Stadt zu bauen, zeugt schon von einer grossen Portion Wahnsinn oder Grössenwahn.

Die Prellungen des gestrigen Brückensturzes machten mich heute etwas gehbehindert, sodass wir uns entschlossen, per Bus den steilen Aufstieg zu den Ruinen zurückzulegen (12 US$ für kaum 10 km). In vielen Kehren kämpft sich dieser bergwärts, bis wir beim Eintrittsgate ankamen, das schon von Dutzenden von Touristen belagert wurde. Machu Picchu wurde in den Aufzeichnungen der Spanier nie erwähnt, erst 1860 wurden einige deutsche Abenteurer von Einheimischen an die Stelle dieser grandiosen Anlage geführt, die vom Dschungel unterdessen längst wieder vereinnahmt wurde. Wirklich entdeckt wurde die Stadt erst 1911 vom Amerikaner Hiram Bingham, der in den folgenden Jahrzehnten alles daran setzte, die Anlage von den wuchernden Dschungelpflanzen zu befreien. Warum hier oben eine dermassen filigrane Anlage gebaut wurde, ist bis heute nicht wirklich geklärt. Es gibt Wissenschaftler, die behaupten, Machu Picchu sei schon vor dem Eintreffen der Spanier verlassen worden, andere bahaupten, der Ort sei ein letzter Versuch gewesen, die einzigartige Inka-Kultur zu bewahren. Tatsache ist, dass die Baukunst ein überaus hohes Niveau hatte, die einzelnen Steine der Gebäude passen wie ein Haar aufs andere. Machu Picchu war mit Bestimmtheit ein politisches, religiöses und administratives Zentrum, das unglaublicherweise in diesen steilen Schluchten über acht (!) Zugangswege erreichbar war. Es war bestimmt ein Handelszentrum zwischen der Amazonas-Region und Perus Hochland.

Obwohl die Massen von Touristen und Gruppen nervten und das Vorwärtskommen auf den steinigen Wegen zuweilen behinderten, war ich immer wieder überrascht von der Genauigkeit der Baukunst der Inkas. Wir besuchten zuerst den Sonnentempel mit den darunter liegenden königlichen Grabstätten. Leider war man etwas eingeschränkt in der Bewegungsfreiheit, weil man nur in einer Richtung gehen durfte. Diesmal lohnte sich das antizyklische Verhalten nicht, weil wir deshalb einige Wege doppelt zu gehen hatten, weil wir zurückgewiesen wurden, wenn wir eine Abkürzung nehmen wollten. Am Nachmittag hatte es etwas weniger Leute. Wir besuchten die Inka Bridge, erreichbar über einen engen Weg entlang einer senkrechten, mit tropischen Pflanzen bewachsenen Felswand. Dann wanderten wir hoch zum Sonnentempel, wo man eine herrliche Aussicht auf die ganze Anlage im Abendlicht hatte.

Ich fühlte mich genug fit, den steilen Treppenabstieg zu Fuss zurückzulegen. Nach einem Bier im Tal erreichten wir bald Aguas Calientes, checkten nochmals im selben kleinen Guesthouse ein, bevor wir erneut ein einfaches Retaurant in einer Seitengasse fanden, wo mir gleich zwei perfekt zarte Fleischstücke auf dem heissen Vulkanstein serviert wurden. Wir trafen hier erneut auf Vanessa, bekannt aus Uyuni, verbrachten einen munteren Abend. Auf dem Heimweg machten wir noch einen Halt im Rock´n Roses für zwei Pinacoladas.

Km: 75‘947 (0)

Fr, 23.06.2017: Tschüss Massentourismus

Als wir am Morgen mit unserem Wandergepäck nochmals zur Busstation gingen, war die Schlange vor der Einstiegstelle in die Busse hoch zum Machu Picchu noch viel länger als gestern. Es ist schon eine ziemlich schräge Geschichte, wenn man die Touristen aller Altersklassen und aus der ganzen Welt beobachtet, wie sie top ausgerüstet hier stehen und auf den Bus warten. Machu Picchu Pueblo ist der Ausgangsort für diese ganz besondere Exkursion, ist voll auf den Tourismus ausgerichtet. Es hat so viele Restaurants, dass es gar nicht möglich ist, dass alle wirklich einträglich sind. Der metallene Inka-Indianer auf dem Zentralplatz kriegt nur in der tiefen Nacht seine Ruhe, sonst wird er zusammen mit diversen Touristen konstant fotografiert.

Natürlich haben auch wir vom Zermatt Perus profitiert, von der Sicht auf die steilen, dicht bewachsenen Berghänge, die alte, verflossene Kultur erlebt, aber auch das gute, auf Touristen zugeschnittene Essen, den prima Espresso aus der Maschine genossen, und doch habe ich heute gerne Abschied genommen von diesem Jahrmarkt. Es galt, zurück zur Hydroelectrica zu wandern. Wir trafen diesmal auf wesentlich weniger Passanten als auf dem Hinweg, dafür auf zwei Züge, die uns entgegenkamen. Es war bei strahlendem Wetter ein genussreicher Spaziergang entlang des Rios Urubamba, der sich zwischen den steilen, bewaldeten Berghängen durchschlängelt. Auf halbem Weg nahm ich ein Bad im Fluss, aber 16°C kaltes Wasser regte mich nicht gerade für sportliche Höchstleistungen an.

Bei der Endstation der Eisenbahn bei der Hydroelectrica wurden uns diverse, natürlich nutzloseTransportangebote nach Cusco gemacht. Es dauerte einige Zeit, bis wir fahrbereit waren. Wir waren recht zügig unterwegs auf der holprigen Strasse durch die Urubamba-Schlucht, 33 km waren es zurück nach Santa Maria, wir begegneten nochmals einigen Kleinbussen, die vollbeladen mit Touristen waren, dies sollte dann der für lange Zeit letzte Kontakt mit dieser Spezies Mensch sein...

Wir folgen jetzt dem urwilden Tal flussabwärts, erreichten auf guter Strasse die überraschend prosperierende Stadt Quillabamba. Erst ab vier Uhr begannen wir mit dem Suchen eines Lagerplatzes. Jetzt campieren wir direkt am Fluss auf einer Sandbank. Sam hat bei seinen Fischfang-Versuchen keinen Erfolg gehabt. Wir nutzten das viele Schwemmholz an den Gestaden des Flusses für ein mächtiges Feuer, das sich bestens eignete für ein weiteres, gut gelungenes Pasta-Menu. Wir sind wieder in der tiefsten Provinz gelandet. Bisher ist die Strasse überraschend gut, ich bin gespannt, wie es morgen auf unserem Weg zurück in die Andenberge weitergeht. Nur etwas nervt in der Amazonas-Region: die überaus angriffigen, lästigen Sandfliegen, die einen in Kürze dutzendfach Blut abnehmen. Um Stiche zu vermeiden, zieht man sich besser an – oder man kratzt sich in der Nacht die Beine wund. Beides geschehen…

Km: 76‘076 (99)

Sa, 24.06.2017: Im vergessenen Tal

Je weiter ich mich heute vor der boomenden Region rund um den Machu Picchu entfernte, desto ärmlicher und vergessener erschienen mir die Siedlungen in dieser wohl abgelegensten Region Perus. Kein Wunder, dass der Sendero Luminoso, eine maoistische Guerilla-Organisation unter Guzman hier in den Achtziger- und Neunzigerjahren sein Unwesen trieb und für Angst und Schrecken sorgte und somit für Touristen ein No go war. Sogar Züge nach Machu Picchu wurden zuweilen überfallen und Touristen ausgenommen, sodass die Organisation finanzieren konnte.

Wir folgten am Morgen nach dem Frühstück nochmals für Dutzende von Kilometern dem Rio Urubamba. Es war bei strahlendem Wetter eine begeisternde Wildnis, die uns sofort in den Bann zog. Wäre mir ein Paar ohne Bauchnabel und vielleicht mit einer Schlange und einem Apfel begegnet, ich hätte mich tatsächlich im Paradies gewähnt und meine Meinung über die Anfangskapitel der Bibel ändern müssen.

Der schmale, meist geteerte Fahrweg schlängelt sich entlang der linken Hangseite durch luschen Urwald. Es ist wahrscheinlich, dass der Staat diese Verbindung geschaffen hat, um den Guerilleros die Wege abzuschneiden. In den wenigen Orten hat man offensichtlich gehofft, dass mit der Strasse in diese wilde Amazonas-Natur der Tourismus erwachen würde. In den wenigen Orten hat es übermässig viele Hospedajes, die unterdessen etwas heruntergekommen erscheinen. Touristeneinrichtungen für Verpflegung sind verfallen und eingestellt worden. Touristische Schilder zu Wasserfällen sind vergilbt und am Verfallen. Ein einziges Fahrzeug mit Touristen mit chilenischen Nummernschildern haben wir den ganzen Tag gesehen.

Wir folgten in tausend Kurven den Nordhängen der Anden. Die Natur scheint alles zu unternehmen, die Strasse zurückzuerobern, der Teer ist manchmal soweit überwachsen, dass keine zwei Autos mehr kreuzen können. Dies ist weiter (noch) nicht schlimm, weil es ohnehin kaum Verkehr hat. Das sonnige Wetter setzte das Tal, das in seiner Schönheit in Vergessenheit zu geraten scheint, in bestes Licht. Wir erreichten Kiteni, einen grösseren Ort, wo uns die Menschen freudig empfingen, kauften auf dem Markt einen neuen peruanischen Schafskäse und etwas Gemüse und Früchte, bevor wir dieses Tal verliessen und dem Rio Kepashiato flussaufwärts folgten. Auch hier überlässt man die einmal gut ausgebaute Strasse seinem Schicksal. Brücken sind doppelspurig gebaut, auch einige Strassenabschnitte sind grosszügig gebaut zu befahren. Immer wenn der Weg aber in eine Geländefurche führt, hilft der Bach, die Strasse der Natur zurückzugeben, indem er Bergrutsche verursacht oder die Strasse überschwemmt oder verschüttet. Gleich mehrere nicht ganz einfache, tiefe Bachübergänge und wild holprige Strassenabschnitte waren zu bewältigen, die uns aber unterdessen kaum mehr vor Probleme stellen.

Unser Auge für ideale Lagerplätze ist unterdessen so gut geschult, dass wir bei einem Flussübergang per Brücke das kleine, verwachsene Weglein hinunter zum Fluss sehr wohl erblickten, uns steil bergab zum Fluss durchkämpften und tatsächlich eine ideale Übernachtungsmöglichkeit gleich neben dem Fluss erblickten. Sam widmete sich der Kette seines Töff und der defekten Kilometerzählersaite, ich genoss Wein trinkend das Rauschen des Baches, bereitete aus dem vielen Schwemmholz ein Feuer, das sich heute aber etwas störrisch verhielt, weil das Holz offenbar doch noch etwas feucht war. Ich beobachtete Unmengen von Schmetterlingen und Faltern, die am Fluss Wasser zu sich nahmen. Genau hier nahm ich ein Naturbad im kühlen Nass mit gründlicher Körperreinigung.

Dann begannen wir zu kochen, wieder einmal Quinoa mit Gemüse, diesmal nicht besonders gut gelungen, weil ich in Kiteni ein sonderbares Gemüse gekauft hatte und es ausprobieren wollte, das sich als sehr sauer herausstellte. Mit dem ebenfalls gekauften Schafskäse wurde die Säure etwas gemildert.

Km: 76‘252 (176)

So, 25.06.2017: Alte Inka-Ruinen entdeckt?

Die Nacht war insofern speziell, als dass ich lange Zeit im Dunkeln auf einem Stein sass und einen Durchfall hautnah miterleben konnte. Der Anfall blieb jedoch vorerst einmalig, sodass ich danach bis zum Abend nur noch chemisch verunreinigte Luft von mir gab. Obwohl wir in einer Schlucht campierten, wurden unsere klitschnassen Zelte schon bald von der Sonne beschienen. Ich mühte mich ab, mit dem feuchten Holz ein Feuer hinzukriegen, denn der vorbereitete Brotteig dürstete nach Hitze. Das Brot war herrlich, gleich mehrere Arten von Schmetterlingen und überaus neugierige Wildbienen versorgten sich am Bergbach mit Wasser. Eigentlich wäre dies auch ein Ort gewesen, grössere Tiere zu sehen. Gerne hätte ich ein etwas dschungelgeübteres Auge.

Als erste Herausforderung des Tages galt es, auf dem feucht-tiefen Weglein wieder vom Fluss hoch zur Brücke zu fahren. Mit Schwung gelang dies knapp. Ich war überrascht, dass die gekieste Strasse um die Dschungelhänge immer weiter bergauf zog, die Vegetation veränderte sich, wurde moosiger und kleinwüchsiger, riesige Schachtelhalme, Katzenschwänze und Farne säumten die Strasse. Endlich erreichten wir die Passhöhe auf 2200 m.ü.M., wo es einen militärischen Kontrollpunkt gab und wir unsere Pässe vorzuweisen hatten. Was für eine Aussicht hier oben auf die mit dichtem Dschungel bewachsenen Berghänge, die absolut unbesiedelt sind, tatsächlich ein ideales Rückzugsgebiet für eine Guerilla-Organisation. Die Abfahrt ins Valle Apurimac war dann viel steiler, der Fahrweg lange Zeit nur schmal und vom Wald beinahe zurückerobert. Dann waren zwei deftige Bergbach-Übergänge zu meistern, zwanzig Meter lang, teils dreissig Zentimeter tiefes Wasser, die wir mit Schwung ohne Probleme bewältigten. Wir folgten jetzt dem fruchtbaren Tal, indem Kaffee, Kakao, Früchte, Gemüse, Mais und Coca angepflanzt wird, auf ziemlich übler, holpriger Strasse bis Kimbiri/San Francisco, zwei lebendigen und grösseren Orten dies- und jenseits des Flusses gelegen. Der Aufstieg zurück in die Hochanden sollte aber nicht gut beginnen, denn die Strasse war mit Rundkies des mächtigen Rio Apurimac befestigt, äusserst unangenehm zu befahren, vor allem für Sam, dessen Federung unterdessen so weich ist, dass der Rahmen immer wieder brutal aufschlägt. Hier ist wohl bald eine grössere Reparatur fällig.

Glücklicherweise veränderte sich die Qualität der Strasse bald ins Positive, als sie schlagartig gut ausgebaut und geteert war. Allerdings musste man extrem vorsichtig sein, denn Hangabrutsche verformten den Teer, sodass tiefe Bodenwellen entstanden. Zudem passierte ich wieder einmal ein verhängnisvoll tiefes Loch – der Schachtdeckel fehlte… Je höher wir aufstiegen, desto kälter wurde es. Den Plan, noch über den Pass zu fahren, verwarfen wir. In einem kleinen Dorf wurden frische Forellen verkauft, Verzichten unmöglich. Wir fuhren in ein Seitental und fanden nahe eines Bergbaches eine ideale Camp-Möglichkeit. Auf der Suche nach Holz stiess ich auf vollkommen verwachsene Steinhäuser, zudem auf einen ausgebauten, aber ebenfalls ziemlich verlassenen Weg dem Grat entlang in die Berge. Es kann gut sein, dass ich da zufällig alte Inka-Häuser entdeckt habe. Ganz interessant!

Natürlich brannte schon bald ein Feuer, sodass die sechs kleinen Forellen gegrillt werden konnten. Was für ein hervorragendes Essen zusammen mit dem gekochten Gemüse! Allerdings wütete bald wieder ein Gewittersturm in meinem Gedärme, sodass ich erneut notfallmässig austreten musste. Die Ursache waren bestimmt nicht die Fische, vielleicht vertrage ich das getankte Quellwasser aus den Dschungelbergen doch nicht so gut…

Km: 76‘397 (145)